Dienstag, 30. Juni 2009

Cooldown

Dienstag ist Kühlhausputztag. Das bedeutet, dienstags geht es nach einer Küchenkurzreinigung um sieben Uhr in den Keller, wo sich die beiden Kühlräume befinden. Einer für Fleisch, einer für Gemüse. Der Kühlraum für Fleisch ist besonders ungemütlich, da temperaturmäßig unter vier Grad. Celsius. Danach den Gemüsekühlraum zu betreten fühlt sich an wie Frühling nach einem langen Winter. Obwohl das Gemüse höchstens zwei, drei Grad höher gekühlt wird.
Ich erinnere mich gut an meinen Kühlhausschock, als ich im März den neuen Job an- und den Fleischraum zum ersten Mal betrat. Meine Nase rebellierte sofort. Sie wollte das nicht. Nach zwei Minuten in der Kälte wurde ich stocksteif (physisch), nach vier Minuten war mein Hirn komplett entleert, nach dreißig Minuten war ich fertig, aber wie. Fluchtartig verließ ich das Kühlhaus, die wohlige Wärme des alten Kellergewölbes umhüllte mich wie Omas Federplumeau, mein Blut kehrte allmählich wieder zurück, bloß mit dem Denken funktionierte es noch nicht so recht. Mir war alles egal. Ich wollte nichts als mich ins warme Lokal setzen, einen heißen Kaffee trinken und von niemandem angesprochen werden. Nichts leichter als die Erfüllung der ersten beiden Wünsche; das dritte Bedürfnis, meine antisozialen Anwandlungen, blieb ungestillt. Während der Kaffee durchlief, schaute Frau Übermop mit großerstaunten Augen auf ihre Armbanduhr und fragte, wieso ich schon wieder da sei? In einer halben Stunde das komplette Kühlhaus geputzt? "Das hat vor dir noch keine geschafft", meinte sie, "nicht mal ich schaffe das." Es klang weniger anerkennend als es sich vielleicht liest, es klang eher so nach 'da kann doch was nicht stimmen!'. Ich stammelte etwas von "nur Fleisch"; zu differenzierterer Sprachäußerung war ich außerstande, mein Oberstübchen lief allenfalls auf Notaggregat. Frau Übermop verstand sofort (Sätze ohne Prädikat und Objekt sind eine Spezialität von ihr), außerdem war mein Zähneklappern wohl unüberhörbar. "Ach so", gab sie zurück, "du hast den Gemüsekühlraum noch gar nicht gemacht. Ja, beim ersten Mal friert man sich den Hintern ab. Das gibt sich mit der Zeit." Was stimmt. Ich habe dazugelernt. Es ist alles nur eine Frage der richtigen Technik.
Am heutigen Dienstag, dem letzten Tag im Juni, betrat ich das Kühlhaus, ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich meiner Brust, und ich dachte: Nie mehr will ich hier wieder raus, ich bleibe bis heute abend bei den Hasenrücken und Rumpsteaks, egal wie sie riechen. Plötzlich waren sie meine Freunde geworden, dank der Außentemperaturen von schwülen 26 Grad, Tendenz steigend.
Ich freute mich geradezu auf das Arbeiten in der Kälte und machte mich beschwingt und frisch ans Werk.
Bald öffnete sich von außen ruckartig die schwere Stahltür: Der italienische Feinkostlieferant stand auf der Schwelle, schweißüberströmt, schwer atmend, schwer schleppend an einem großen Karton Lammkeule. Mit Hüfte, ohne Knochen. Stand drauf. Er ließ den Karton sinken, atmete ein paar Mal tief durch, wischte sich mit einem bereits klatschnassen stöffernen Riesentaschentuch Gesicht und Arme ab, sah mein frisches Begrüßungslächeln, erkannte die Ursache, weil er sie spürte, die fabelhafte Kälte nämlich, bückte sich wortlos nach dem Lammkeulenkarton, drehte ihn um, ließ sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung darauf nieder und sah mir beim Regalewischen zu. Nach längerem Schweigen meinte er tiefsinnig: "Heute haben Sie den besseren Job!" Ich lud ihn ein, doch dienstags mal wieder auf einen Chill vorbeizuschauen, ähnlich schwüle Außentemperaturen vorausgesetzt. "Cool", antwortete er und schaute sich im Raum um, "wirklich sehr cool." Bester Laune wechselten wir zum Akklimatisieren in den Gemüsekühlraum. Es fühlte sich an wie das Betreten eines subtropischen Gewächshauses.

Montag, 29. Juni 2009

Eingemachtes

"Im Kühlschrank steht Kartoffelsalat für dich", rief mir Frau Übermop heute früh zu, während ich unter der Haube weilte. Ein ganz klein wenig sadistisch veranlagt ist sie ja schon, denn wäre ich einer bodennäheren Tätigkeit nachgegangen, wäre ich sofort zum Kühlschrank gesprungen und hätte genascht.
Jedenfalls verstehe ich jetzt, wieso alle Kollegen so hinter diesem Kartoffelsalat nach Übermop-Hausmacherart her sind. Heute wurde ich angefixt: zunächst von der cremigen Konsistenz, ohne eine Spur von pappig-pampig; geschmacklich nur ein Hauch von Mayonnaise, ganz zart, ansonsten kräftig nach Kartoffeln, Zwiebeln, Schnittlauch, Gurken sowie nicht zimperlich abgeschmeckt. Köstlich. Ich fragte, wie es kommt, dass die Mayonnaise so zurückhaltend bleibe, was ja sonst nicht deren Art ist. Dieser selbstgemachten Mayonnaise fehlte alles Aufdringliche; sie steuerte nichts als eine feine Note bei.
Frau Übermop ließ durchblicken, dass sie seit je einem Rezept ihrer Großmutter folge. Ein Rezept, welches mit dem eisernen Dogma aller Mayonnaisezubereitungen bricht: Statt Eigelb und Eiweiß zu trennen und nur den Eidotter weiterzuverwenden, wie es die Schulmeinung vertritt, hat Oma Übermop das Eigelb mit dem Eiweiß "gestreckt", wie ihre Enkelin es ausdrückt. Hat also das Ei Ei sein lassen und im Ganzen verarbeitet. "Bringt nur Vorteile", argumentiert Frau Übermop, "erstens kommt es preiswerter; zweitens hat es viel weniger Kalorien; drittens ergibt es mehr Masse; viertens schmeckt es besser als die gekaufte Glibberpampe; fünftens sieht es nicht aus wie Glibberpampe, sondern schön sämig, und sechstens", jetzt holt sie einmal tief Luft, "glaub mir, das Selbermachen ist wieder im Kommen. Die Zeit wird kommen, wo die Leute froh sind, wenn sie im Keller Eingemachtes stehen haben." Sie hält kurz inne, macht eine wegwerfende Handbewegung, "die Leute haben ja gar keinen Keller mehr, und wenn sie einen hätten, wüssten sie nicht, wie Einkochen geht. Aber sie werden es lernen. Weil sie es werden lernen müssen."
Sie steht auf, greift nach einem Schwammtuch und fängt an, die Kaffeemaschine mit Inbrunst zu wienern. "Die Zeiten werden hart werden", sagt sie zu der Maschine, als deren Edelstahl so blank poliert ist, dass Frau Übermop sich darin spiegeln kann.

Sonntag, 28. Juni 2009

Tafelfreuden

Das Thema Obdachlosigkeit hat sich mir an die Fersen gehängt, ich kriege es nicht mehr los. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, heute über anderes zu schreiben, doch es kam anders. Ich fuhr mit dem Fahrrad durch die Innenstadt, fuhr so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn. Auf einmal, kurz nach elf, läuteten Kirchenglocken ganz in der Nähe. Ich denke, aha, Gottesdienst zu Ende, fahre an der nämlichen Kirche vorbei und sehe sechs, sieben große Hunde vor dem Kircheneingang liegen. Sehr große Hunde. Teils riesengroße. Neben der Tür hängt ein grellgrünes Infoplakat, von weitem nicht zu lesen. Nanu, denke ich, eigentlich müssten doch jetzt die Gottesdienstbesucher aus der Kirche herauskommen, aber nein, in den kleinen quadratischen Vorraum haben sich viele Menschen gequetscht, die all nur eines wollen: in die Kirche hinein.
Also Fahrrad parken, Plakat studieren. Sehr gut, denke ich beim Lesen, da schreibst du nachher einen kleinen Abbinder über Obdachlosigkeit und wendest dich dann anderen Themen zu. Doch es kam anders.
Wie ich so in der geöffneten Tür stehe und sinniere und die ersten fragmentarischen Blogsätze mich mental durchsaften, ertönt in meinem Rücken ein fasstiefer, aufgerauhter Bass "he, Sie versperren den Eingang!", eine ungeduldige Frauenstimme ruft "was denn jetzt, will die rein oder raus?", und ein Dritter meint "ich glaub, die will bloß fotografieren, die gehört nicht zu uns." Hinter mir hat sich auf dem Bürgersteig eine stetig wachsende Menschenmenge gebildet, die alle nur eines wollen: ebenfalls in die Kirche hinein. Hungrige Menschen können sehr druckvoll agieren; irgendwie werde ich von der ins Kircheninnere strömenden Druckwelle erfasst und erst im Kirchenhauptraum an Land gespült.
Ich bleibe erst mal unschlüssig stehen und lasse die Szenerie auf mich wirken: Sechs ellenlange Tische stehen quer zu den Kirchenbänken, alle Tische sind voll besetzt. Die farbenfrohen Fenster (fast das einzig Schmückende in dieser evangelischen Kirche) mit dem hereinfallenden Mittagslicht schaffen eine warme, gedämpfte Atmosphäre. Im Raum herrscht ein gräuschvolles Stimmengewirr. Es geht zu wie in einem Bierzelt zu vorgerückter Stunde, nur ohne einen Tropfen Alkohol. Fast alle unterhalten sich teils mit Tischnachbarn, teils quer über die Tische hinweg mit anderen Gästen. Manche neu Eintreffenden werden wie alte Bekannte begrüßt.
Zwischen den sechs Tischen wuseln sechs Frauen in schwarzweiß-längsgestreiften Halbschürzen (cooles Design, hat gut ausgesehen) und versorgen die ausgehungerten Gästemassen. Es sind ganz unterschiedliche Frauen, Anfang vierzig bis knapp sechzig Jahre alt, große, kleine, dicke, schlanke, blonde, brünette, bodenständige und eher intellektuell wirkende; aber eines haben sie alle gemein - sie sind von Kopf bis Fuß robust. Robust in allem: im Auftreten, in der Physis, im Charme und auch im Humor. Hinter mir ruft eine robuste Stimme freundlich "gehen Sie bitte aus dem Weg?", ich drehe mich um und sehe einen riesigen Servierwagen auf mich zurollen, dynamisch geschoben von einem dieser guten Geister. Ich entschuldige mich und erkläre, ich sei das erste Mal hier. Die Helferin - um die vierzig, straff zurückgebundener blonder Kurzpferdeschwanz, leicht gebräunt, gepflegt, sicher im Auftreten - erwidert mit unverändert freundlicher, aber noch festerer Stimme: "Gehen Sie bitte trotzdem aus dem Weg. Suchen Sie sich einen Platz, Sie bekommen alles am Tisch serviert." Klare Ansage.
An einem der langen Tische ergattere ich einen gerade freigewordenen Stuhl. Alle anderen am Tisch essen mit großer Intensität, ich sitze dazwischen und harre der Dinge, die da kommen. Meine Tischgenossen schenken mir nur beiläufige Beachtung; sie sind auf kreatürliche Weise mit Essen beschäftigt. Mir gegenüber sitzt ein schmächtiger Endzwanziger mit eingefallenen Wangen und großen Augen. Er ist voll fokussiert auf die Brotscheibe in seiner linken Hand. Das Brot ist kunstvoll und opulent belegt mit zwei Scheiben Bierschinken, einer Scheibe Lyoner, einer Scheibe Käse, einer längsgefächerten Essiggurke sowie einem Topping aus kleingehacktem harten Ei. Er beißt mit großen Bissen ab, während des Kauens schaut er hingebungsvoll vertieft auf das, was von seinem Augenschmaus noch übrig ist.
Ich sitze also und habe nichts zu tun, halte noch meine Sonnenbrille in der Hand und würde sie gern loswerden, weiß aber nicht wie. Ist nämlich so ein ästhetisch abgefahrenes Designerteil aus besseren Tagen, ja, soll ich das jetzt einfach auf den Tisch legen zwischen die Marmeladegläser und Frischkäsebecher? Es fühlt sich selten deplaziert an. Diese Sonnenbrille gehört nicht auf diese Tafel. Das Etui steckt im Rucksack, sieht noch abgefahrener aus als die Brille und bleibt deshalb im Rucksack. Ich schiebe den exterrestrischen Fremdkörper zwischen Untertasse und Kirschjoghurtbecher in eine möglichst unauffällige Position. Mein Tischnachbar zur rechten hat meiner Handbewegung interessiert zugeschaut (alles, was auf dem Tisch selbst passiert, wird von allen mit wachen Blicken beobachtet: wo steht welches Lebensmittel, wieviel ist in welchem Behälter noch drin, was wird auf den Tellern übrig gelassen...).
Jetzt deutet er mit dem Zeigefinger vage auf die Sonnenbrille, grinst vielsagend und kommentiert: "Oh, das Ding war mal teuer, das stammt noch aus besseren Tagen, seh ich das richtig?" Eis gebrochen. Wellenlänge stimmt.
Der resolute Pferdeschwanz bringt mein Gedeck. Zwei Brötchen, zwei Scheiben Brot, sechs Scheiben Aufschnitt, zwei Scheiben Käse, ein hartgekochtes Ei, ein Multivitaminsaft, eine Banane, ein Kirschjoghurt. Außerdem reicht sie meinem Nachbarn zur rechten einen Teller voll mit längsgefächerten Essiggurken und erklärt mir dazu: "Das gibt's normalerweise nicht, Essiggurken, aber er hat die ganze Zeit gejammert, er sei schwanger und bräuchte unbedingt Essiggurken." Mit dem Typen komme ich klar. Mit dem Pferdeschwanz auch.
Die Gespräche bei Tisch kreisen hauptsächlich um die Frage, wann es nächste Woche von welchem Sozialanbieter was wo gibt; alle können die einschlägigen Jours fixes auswendig herunterbeten. Es folgt ein höchst lebendiger Erfahrungaustausch, wer schon mal wo gewesen ist, was er dort erlebt hat und was er davon weiterempfehlen kann; mit was für Menschen man an welchem Ort den Tisch teilen muss - mit Punks, Junks, Rentnern, Leuten von der Straße, Ungewaschenen, Gepflegten und so fort.
Irgendwann klingelt ein Handy. Es ist meines. Schlagartig wird es still. Alle gucken, aha, die Neue dort drüben, die war das doch auch mit der Fotokamera am Eingang. Hier scheint kein einziger ein Handy zu besitzen. So wie sie gucken, möchte ich fast wetten, dass wohl auch keiner von ihnen ein Laptop mit sich herumschleppt. Wobei ich mich da böse täuschen kann. Jedenfalls hüte ich mich bis fast zum Ende des Brunches, meine Kamera rauszuholen und zu fotografieren, obwohl es mich tierisch in den Fingern juckt. Es reicht schon, dass meine Sonnenbrille so blöd auf dem Tisch rumliegt.
Der Typ neben mir liest nach dem Essen die Sonntagszeitung und quatscht mich ab und zu von der Seite an, durchaus informativ und unterhaltsam. Die Zeitung hat er sich selbst mitgebracht und schenkt sie mir, als er aufbricht. Für nächsten Sonntagmittag empfiehlt er mir eine Adresse im Westen der Stadt, wo wieder gratis aufgetischt werde, "warmes Essen! Warmes, frischgekochtes Essen! Und zwei Menüs zur Auswahl, eins davon vegetarisch, mal mit, mal ohne Gottesdienst, da müssen Sie aber nicht hingehen".
Gegen Ende des Brunches wuselt die Resolutentruppe durch die Tischreihen und verteilt aus großen Kartons Schokoladeosterhasen, Schokoladeneier und andere österliche Sweeties. Offenbar haben sämtliche Supermärkte der Region ihre Restposten an Osterware entsorgt. Auf dem Boden der Osterhäschen steht als Ablaufdatum 'Juni 2009'; grade nochmal die Kurve gekriegt. Vom blonden Pferdeschwanz erfahre ich, dass erst vor wenigen Tagen eine größere Spende an Ostersüßigkeiten eingetroffen sei.
Vor mir stapeln sich Schachteln mit Gelee-Eiern in Schokomantel und likörgefüllten Ostereierchen. Einer fragt mich, ob ich seine zwei Schokohasen haben möchte. Klar, sage ich. Er reicht mir seine Hasen aber nicht über den Tisch. Ich gucke dumm. Er guckt erwartungsvoll. Ja und? Was jetzt? Seine Blicke verraten ihn. Er hat es eindeutig auf meine Liköreierchen abgesehen. "Ein Dutzend von den Dingern als Gegenleistung", sagt er. Eine Packung enthält zwölf Eier. Zwei Packungen Liköreierchen liegen vor mir. Ich schiebe ihm eine davon rüber. Er schiebt mir einen Schokohasen zu. Den zweiten behält er. Ich gucke wieder dumm. Er guckt nett und sagt: "Zwei Hasen, macht zwei Dutzend von den Dingern", ich schnaufe laut und schiebe ihm das zweite Dutzend rüber, und er schiebt mir den zweiten Schokohasen zu. Das Geschäft wird mit Handschlag besiegelt. Jetzt endlich traue ich mich, meine Kamera herauszuholen. Während ich am Fingern bin, bringt er die Sonnenbrille in eine ihr gebührende Position und lacht sich dabei halbtot.
Ich auch.

Samstag, 27. Juni 2009

Nebelbank

Wie gut, dass der Sommer da ist und es draußen immer wärmer wird. Auch nachts. Inzwischen hat der Vagabund sich seine Schlafstatt eine Etage höher eingerichtet; die Temperaturen erlauben es. Seit er weiter oben schläft, deponiert er seinen Siebensachenrucksack stets körpernah unterm Schlafsack. Ob sich in seinem Rucksack auch ein Laptop befindet?
Aus Amerika ist zu hören, dass für immer mehr obdachlose Menschen das Laptop samt Internetzugang zum 'Lifeboat' geworden ist. "You don't need a TV. You don't need a radio. You don't even need a newspaper. But you need the Internet." Ohne Wohnung und Job stellt das Internet die einzig verbliebene Brücke zur Gesellschaft, zum Arbeitsmarkt, zum Leben der anderen dar: 'On the Street and On Facebook: The Homeless Stay Wired'. Steht nicht irgendwo, sondern im Wall Street Journal.
In den Obdachlosenunterkünften in New York City wird der Bestand an Computern und Internetanschlüssen derzeit zügig aufgestockt. Im Central City Hospitality House in San Francisco ist die Nachfrage nach Computer- und Internetnutzung so stark gestiegen, dass die Nutzungsdauer auf 30 Minuten begrenzt werden musste. SF Homeless, ein Internetforum für Obdachlose, veröffentlicht Informationen, Termine und bezahlbare Wohnungsangebote; ein integriertes Blog führt Onlineumfragen durch zum Thema Leben ohne Wohnung.
Nicht alle obdachlosen Menschen übernachten in den 'Shelters'; ein Mr. Pitts beispielsweise zieht es vor, unter einer Brücke zu schlafen. Nachdem zwei seiner alten Laptops auseinandergefallen waren, hat er sich angewöhnt, eine mentale Liste von Locations mit sich zu führen, wo er online gehen kann, 'including Internetcafés whose owners don't mind long stays and lots of bags'. Als kürzlich der Dalai Lama seinen Besuch in einer Suppenküche angekündigt hatte, recherchierte Mr. Pitts auf Wikipedia, kopierte den Text auf sein iPod und las alles Wissenswerte über den prominenten Besucher in seinem "Bett" unter der Brücke.
Keine Ahnung, ob es sich auf einer Parkbank besser schläft als unter einer Brücke. Aber bestimmt schläft man ruhiger, wenn man sich im Besitz einer virtuellen Brücke zur Restgesellschaft weiß.

Freitag, 26. Juni 2009

Spiel mir das Lied vom Abstieg

Der gestrige Fernsehabend hat sich gelohnt. Nicht wegen der putzenden Penélope, sondern wegen des (sogenannten) Docu-Musicals 'Prekär, frei und Spass dabei'. Ich hatte Spass dabei. Und Ernst. Toller Film. Er lässt prekäre Lebensweisen in allen möglichen Farben schillern, von schräg über bescheiden-maßvoll bis ganz am Ende. Ganz am Ende des Films sucht eine Musikerin - selbst bekennende Prekärlebende - eine Einrichtung für Obdachlose auf; sie hat dort einen Bettlerchor gegründet. Nun geht sie daran, mit den singenden Obdachlosen eine Bettleroper einzustudieren. Ein Teilnehmer fortgeschrittenen Alters legt einen Solo-Rap über den Chorgesang hin: Er sei von Beruf nicht irgendein, sondern ein Aldi-Bettler. Er sammle auf einem Aldi-Parkplatz den halbgerauchten Zigarettenabfall, den die Leute mit den teuren Autos dort hinterließen. Der Chor singt fast trancehaft das Wort Abstieg wie in einer endlosen Wiederholungsschleife, dazu verweilt der Film auf den Gesichtern der einzelnen Sänger. Man muss das gesehen haben. Mich hat es umgehauen.

Donnerstag, 25. Juni 2009

Unterschichtsfernsehen

Das Bloggen kurz vor dem Schlafengehen hat sich zu einer lieben Gewohnheit entwickelt, mit der ich heute abend brechen werde. Heute wird nicht gebloggt, sondern geglotzt. Zumal bei ARD und Arte um die Wette geklotzt wird. Arte legt los um 22:20 Uhr mit einem Stück namens 'Prekär, frei und Spass dabei?' Klingt irgendwie nach Ranschmeiße an eine Zielgruppe, der sich Mrs. Mop zugehörig fühlt. Ich werde dabei sein, ob mit oder ohne Spass. Laut der reichlich verschwurbelt geschriebenen Vorschau handelt es sich um "das erste kulturpolitische Docu-Musical".
Sollte die Sendung sich zügig als kulturpolitische oder musikalische Flachlandschaft offenbaren, schalte ich um 22:45 Uhr ins Erste und gebe mir Pedro Almodóvars 'Volver - Zurückkehren'. Penélope Cruz als Putzfrau auf dem Madrider Flughafen. Cómo no.

Mittwoch, 24. Juni 2009

Wer schweigt, lobt

Wer schweigt, lobt. Wer etwas zu bemängeln hat, macht den Mund auf. Mehr muss zum Thema 'Feedbackverhalten unter Putzfrauen' eigentlich nicht gesagt werden. In den ersten drei, vier Wochen hat Frau Übermop ziemlich viel mit mir geredet (gerüffelt); danach wurde es allmählich ruhiger (Lob). Bis ich das allerdings kapiert hatte, hat es mindestens nochmal vier Wochen gedauert.
Zu den Standardrüffeln gehörten: Hirn einschalten. Du bist zu langsam. Du bist nicht gründlich genug, wahlweise auch: Du bist zu gründlich. Manchmal tippte Frau Übermop nur noch in stummer Verzweiflung mehrmals auf die Uhr an ihrem Handgelenk, damit sowohl an mein Hirn appellierend wie an mein Arbeitstempo wie an meine Fähigkeit, Perfektionismus von Pragmatismus zu unterscheiden. Wie gesagt, nach ein paar Wochen ließ die Rüffelei nach. Sie hörte keineswegs auf, oh nein - so ganz en passant sorgt Frau Übermop schon weiterhin dafür, dass ich nicht übermütig werde (wenn ich nur an das Ein-Euro-Stück auf dem Küchenboden denke). Aber ansonsten herrscht weitgehend kommunikative Ruhe beim Arbeiten. Atmosphärisch durchaus entspannt und zugleich konzentriert, nur - es wurde und wird keine meiner Leistungen in irgendwie positivem Sinne kommentiert. Ist normal so. Musste ich mich dran gewöhnen. Geht aber.
Kommuniziert wird dafür umso mehr in den Pausen oder wenn sich ein Lieferantenschmäh ergibt, also mehrmals täglich. Heute hatten wir es von dem Übermop'schen Kartoffelsalat, selbergemacht natürlich, unter Hinzugabe von selbergemachter Mayonnaise. Die komplette Restaurantbelegschaft, von unten nach oben, schwärmt davon. Ich liebe guten Kartoffelsalat. Nächste Woche bringt die eine Mop der anderen Mop eine größere Kostprobe davon mit, hat sie versprochen, die eine Mop. Die andere Mop, also ich, hat sich gefreut und gedacht: Mensch, mit der Übermopschen kommst du gut klar, klasse ist das.
Als wir das Kartoffelsalatsujet gerade beendet und uns wieder unseren Pflichten zugewendet hatten, kam einer der Geschäftsführer vorbei, gutgelaunt, plauderte der Reihe nach mit allen Anwesenden in Küche und Lokal, machte sich einen Kaffee an der Maschine und fragte die am Tresen vorbeimarschierende Frau Übermop ganz locker: "Und, wie bist du mit unserer neuen Putzfrau zufrieden? Kommt ihr klar miteinander?" Nach einer kurzen Pause, ohne ihre Fortbewegung zu unterbrechen, brummte jene vor sich hin: "Wenigstens kann man Deutsch mit ihr reden." Klingt recht karg und knauserig, so als Kompliment. Für Frau Übermops Verhältnisse war das ein geradezu eruptives Sympathiebekenntnis.

Dienstag, 23. Juni 2009

Naturnah

Seit geraumer Zeit bin ich morgens auf Kaninchenjagd. Fototechnisch, nicht mit dem Gewehr. (Wobei, es sollen angesichts der in den Großstädten grassierenden Kaninchenplage bereits munitionierte Jäger unterwegs sein, um dem karnickelverursachten Kahlfraß ein Ende zu setzen; der passende Link dazu ist wieder mal da, wo ich ihn nicht finde.)
Wenn es nicht gerade regnet, erwartet mich jeden Morgen beim Einbiegen in eine der naturnahen Strecken auf meiner Tour dasselbe Bild: Eine gefühlte Million kleiner graubrauner Wuschelknäuel ruckelt und zuckelt quer über die noch halbdämmerige Wiese. Sieht aus wie ein skurriles Wackelbild. Gibt leider auf Foto nichts her, weil die geduckten graubraunen Wuschel gar nicht zu unterscheiden sind von den vielen braunen Erdhäufchen, welche diese Wiese verzieren. Millionen Erdhäufchen, aufgeworfen von Millionen Kaninchen. Die Wiese dürfte komplett untertunnelt sein.
Sobald sie die Fahrradreifen knirschen hören, stieben sie blitzschnell in alle Richtungen auseinander. Außer in meine Richtung natürlich, deshalb sehe ich lauter davonhoppelnde Wuschelhinterteile, alle mit diesem charakteristischen weißen Fleck. Am Hinterteil. Für einen kurzen Augenblick ist das mehr als erheiternd. Für ein Foto ist das viel zu schnell. Jedoch, ha!, heute früh habe ich einen (karnickeluntypischen) Einzelgänger erwischt, nachdem die Horde schon davongeflitzt war.
Er richtete sich auf und schien mich ungläubig anzustarren, bevor er als hoppelnder weißer Fleck im Gebüsch verschwand. Zugegeben, das Bild ist jetzt nicht sooo spektakulär, im Grunde sieht man ja kaum etwas, aber es dokumentiert immerhin die tiefe Befriedigung des Jägers, endlich mal schnell genug auf den Auslöser gedrückt zu haben.
Am Ende der Wiese dann diese Fundanzeige,

die nach der gerade erlebten Karnickelmassensause schon fast grotesk anmutet. Vor mir laufen sie weg, anderen laufen sie zu. Wenn ich ein Zwergkaninchen wäre, würde ich schleunigst wieder ausbüchsen.

Montag, 22. Juni 2009

Hokuspokus


Einen Tag nach der Sommersonnenwende, gleiche Stelle, gleiche Uhrzeit. Trotzdem steht die Sonne heute höher als gestern. It's magic. Ich habe die Sonne überlistet.

Sonntag, 21. Juni 2009

Morgengrauen

Heute ist der längste Tag des Jahres, da wird man gern anfällig für grundsätzliche Gedanken, jedenfalls ich.
So etwas zum Beispiel, das wird es in wenigen Wochen nicht mehr geben. Gut, natürlich wird die Sonne weiterhin aufgehen, was soll sie auch sonst tun, aber sie tut es dann nicht mehr morgens um halb sechs. Nämlich dann, wenn ich mich aufs Fahrrad schwinge. Dann werde ich das Wettrennen mit der Sonne wieder mühelos gewinnen, ohne dass sich ein Siegesgefühl einstellen wird. Irgendwann, wenn nur noch ein graues Morgengrauen vom Tagesanbruch künden wird, wird mir womöglich vor solchen Morgen grauen (wie um Himmels willen heißt der Plural von Morgen? Auf jeden Fall nicht 'die Morgende', hab ich hier gelernt, da sollte man sich nicht von den Abenden ins Bockshorn jagen lassen).
Drum bin ich heute, am längsten Tag des Jahres, wild entschlossen, diese frühen Sommerwochen in vollen Zügen zu genießen. Im Hier und Jetzt. So, als ob es kein Morgen gäbe.


Samstag, 20. Juni 2009

Andere arbeiten lassen

Auch eine Art, mit dem Fahrrad von hier nach dort zu kommen.

Freitag, 19. Juni 2009

Auftrieb

Nein, von keiner wundersamen Wirtschaftsblüte ist die Rede, sondern von einem Fundstück. Heute auf der Rückfahrt habe ich einen Umweg über die Äcker genommen. Mir war so nach mal was anderem. Das Geholpere über ein paar Feldwege hat sich gelohnt.
Was für ein Prachtstück! Irgendwie eine kühne Konstruktion, verglichen mit sonstigen Hochständen. Oder Hochsitzen? Der Hochstand, der Hochsitz, wie heißt das nun. Ich neige zu Hochsitz, denn mich überzeugte sofort die ergonomische Formgebung; von unten war mit einem Blick zu erkennen, dass es sich oben äußerst komfortabel sitzen ließe. Zudem an einem windgeschützten Plätzchen mit freiem Blick in drei Himmelsrichtungen. Es wäre untertrieben zu sagen, der Hochsitz habe zum Verweilen eingeladen; er hat auf mich gewartet. Brotzeit ausgepackt. Füße hoch. Majestätischer Fernblick über die Stadt. Nie mehr hier weg wollen.
Dann ging alles plötzlich ganz schnell und fühlte sich deutlich weniger majestätisch an.
Eigentlich ist so ein Hochsitz ja doch ein Hochstand, denn er eignet sich prima als Unterstand. Ich blieb im Trockenen, während es rundherum prasselte. Einziger Schönheitsfehler: Der Akku der Kamera war dann leer. Leider gab es keine Steckdose in der Nähe. Aber toll war's trotzdem.

Donnerstag, 18. Juni 2009

An die Wand


Da fiel Mrs. Mop doch heute fast vom Fahrrad.

Mittwoch, 17. Juni 2009

Götterfunke

Was macht man, wenn man ein Päckchen erwartet? Man freut sich. Und schaut jeden Tag in ebenfroher Erwartung in den Briefkasten. Wenn schon kein Packerl drin ist, dann wenigstens ein Benachrichtigungszettel von der Post oder von DHL oder von 007 oder von was weiß ich für einem dieser neumodischen sich mit dem Namen griechischer Götterboten schmückenden Dienstleister mit quietschbuntem Markenauftritt? Nix ist drin.
Gestern wieder in die Röhre geguckt, nur ein Haufen Reklamezeugs quoll mir entgegen. Ab damit auf den Altpapierstapel. Aus reiner Langeweile den Stapel nochmal gecheckt bevor endgültig versenkt. Und siehe da, ein blassgrünes gefaltetes Kärtchen hatte sich in dem ganzen Werbewust verheddert: mein Benachrichtigungszettel!
Ich starre halb freudig, halb geschockt (weil, was wäre gewesen wenn...?) auf das unscheinbare Medium, und wie ich so starre, lese ich kleingedruckt über der großgedruckten Aufforderung zum Abholen: "ACHTUNG: Keine Werbung, sondern Benachrichtigung zur Paketzustellung".
Das ist stark. Saustark. Ein kleiner dezenter Hinweis (könnte ja sonst mit Werbung verwechselt werden), dass es sich nicht um Werbung handelt, und schwupp, landet der Wisch im Orkus. Vielleicht ein wenig zu dezent, ihr Götterboten? Schuss in Ofen nennt man so was.
Ob da umgekehrt auch ein Schuh draus wird? Der nächste Schweinebauchanzeigenprospekt sollte sein Angebot fett und plakativ titeln mit "ACHTUNG: Keine Information, sondern Werbung", und ich, fasziniert von so viel aufklärerischer Wahrhaftigkeit, würde den Prospekt aus all dem liederlichen Werbemüll herausfischen, glattbügeln, einrahmen, an die Wand hängen und fortan kein noch so lausiges Sonderangebot mehr verpassen. Echtes Schnäppchen. Volltreffer. Versenkt.

Dienstag, 16. Juni 2009

Dummheit auf Rädern

Katastrophe. Der neue Flaschenboy ist da. Der alte (links) wendet sich mit Grausen.
Der neue hat den Namen Flaschenboy nicht verdient. Kein Mensch nennt ihn so, alle sagen "das Ding" zu ihm. Bei Frau Übermop heißt er "das komische Ding", für Mrs. Mop ist er "das dumme Ding". Frau Übermop findet, er sieht komisch aus. Mich interessiert die Optik weniger als die Funktion, schließlich muss ich mit dem dummen Ding durch die Gegend eiern. Anders kann man es nicht nennen. Apropos, das mit den Eierkartons zum Abdichten des (alten) Flaschenboy-Bodens ging natürlich voll in die Hose, um im Bild zu bleiben. Oder halb, um korrekt zu sein: Statt eines gleichmäßigen Rinnsals ließ der Gebrechliche nun lauter unregelmäßige Pfützchen hinter sich. Es war nicht mehr vertretbar. Er musste aufs Altenteil.
Jetzt also ein neuer. Er ist das Dümmste, was mir je über den Weg gelaufen ist. Er ist ein taumelndes Nichts. Weil er nämlich kein Eigengewicht hat. Oder so gut wie keines. Und damit keine Persönlichkeit. Klingt jetzt für Uneingeweihte vielleicht ein wenig haarsträubend, ist aber so. Ich meine, wenn ich einen (gescheiten) Flaschenboy hinter mir her ziehe, will ich sein Gewicht spüren; ich will nicht spüren, dass da nichts ist. Er kriegt einen kleinen Tritt, dadurch neigt er sein Gewicht meiner Hand entgegen und lässt sich mühelos ziehen (wir reden jetzt nicht von Vulkankratern auf der Straße). Prinzip Hackenporsche eben.
Bei dem neuen spürt man gar nichts. Als ich ihn das erste Mal unten leicht angekickt habe, fiel er einfach um. Rollte nach hinten weg und peng. Ihm fehlt jegliche Statik, oder nennt man das dann schlechte Statik? Während der alte Flaschenboy sich aus jedweder labilen Position immer wieder von selbst zurechtgeruckelt hat (gut, ich musste halt immer so lange warten, aber es hat funktioniert), reagiert das neue Ding in egal was für einer labilen Position immer nur mit einem: Es fällt um. Der alte blieb dauernd stehen, der neue fällt dauernd um. Keine gute Entwicklung.
Wozu der vielen Worte, das Bild oben sagt alles: Man betrachte (links) die breite Radachse und bekommt ein Gefühl für die Stabilität und den tiefliegenden Schwerpunkt des Good Old Boys. Seine Räder liegen weit auseinander und seitlich des Containerbodens. Bei dem neuen Ding stehen die Räder viel enger und unterhalb des Bodens. Kann ja nicht gut gehen. Von der Radqualität selbst will ich gar nicht erst anfangen - ich sage nur: Massivgummi versus irgendein obskurer Hartkunststoff. Letzterer mit null Dämpfungsvermögen beim Rollen über Stock und Stein; obendrein ein krasser Sound, so kratzig-schabend-schauerlich und irgendwie nicht von dieser Welt. Mit welcher ich für heute fertig bin. Weil aus dem bisher so fidelen Flaschen-Rumgekarre ein ganz und gar freudloses Gehampel geworden ist. Aus dem gemütlichen Haustier ein überreaktiver Fremdkörper. Ich hör ja schon auf.
Einer geht noch. Irgendwie sieht man seiner Physis
die Dummheit an, finde ich. Frau Übermop hat wieder mal recht. Architektonisch nachgerade komisch, oder? Ein Riesenkorpus auf zwei winzigen Füßchen. Unsicher auf den Beinen. Erkennbare Tendenz zur Schlagseite. Kann ja nicht gut gehen. Dummes Ding.

Montag, 15. Juni 2009

Schlafentzug

Heute früh ist alles zu spät. Gleich wird es einen Anschiss geben. Wegen Zuspätkommens zur Arbeit. Weil zu spät aufgestanden. Weil zu spät ins Bett. Weil bis in die Nacht wachgehalten vom Lesen. Jetzt Bleiklötzchen auf den Augendeckeln. Schuld an allem ist ein schlafräuberisches Schreib-Tier, wohnhaft unter dieser Adresse.

Sonntag, 14. Juni 2009

Neues vom Prekariat

Man sollte es sich gut überlegen, bevor man seinen ungeliebten Fernseher der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. 
Es könnte einem etwas unerwartet Qualitätsvolles entgehen. Am 10.06. gab es eine Reportage über drei Menschen: einen studierten Historiker, eine gelernte Bürokauffrau und einen gelernten Heizungsmonteur. Alle drei führen ein Dasein als sogenannte Multijobber. Wenn ich richtig mitgezählt habe, waren es insgesamt zwölf Jobs, welche von diesen drei Menschen ausgeübt werden: Tagesmutter, Fußballtrainer, Fahrradkurier, Gärtner, Messehostess, Segellehrer, Pfandflaschensammler, Blumenausfahrerin, Schiffsüberführer, Übersetzer, Aktmodell, Obdachlosenzeitungsverkäufer. Titel der Sendung war "Drei Jobs und trotzdem arm".
Der Pfandflaschensammler sagt von sich, er komme sich als Obdachloser oft vor "wie ein gehetztes Tier". Regelmäßig geht er zum Hamburger Flughafen, weil dort die Flaschenquote besonders hoch sei, bis zu zehn Flaschen die Stunde. An guten Tagen macht er sogar einen noch besseren Schnitt, "dann verdiene ich mehr in der Stunde als ein Kurierfahrer".
Der Kurierfahrer meint, infolge der Krise liefen die Geschäfte nur schleppend, denn "wenn die Zeiten härter werden, gibt es extreme Konkurrenz". Seine Erfahrung lehrt ihn, "man kann nicht mit nur einem Standbein überleben; eines wackelt schnell, dann bleibt einem die Luft weg." Neben seinen drei weiteren Jobs hat er soeben für einen fünften angeheuert - Kletterer für die Wartung von Industriefassaden und Hochhausfenster, "das ist viel krisensicherer als der Kurierdienst".
Gegen Ende des Films gibt der Pfandflaschensammler (er hat die meisten Jobs von allen drei porträtierten Menschen) eine düstere Prognose: "Das Dramatische ist, dass in Zukunft noch viel, viel mehr Leute sich so durchs Leben werden schlagen müssen. Für viele wird das den Zusammenbruch bedeuten, weil diese Leute sich nicht vorstellen können, dass das Leben trotzdem weitergeht".
Ein überaus anregender Film für Existenzen an der Schwelle zum Prekariat.

Samstag, 13. Juni 2009

Danksagung

Es gibt Tage, da werde ich ganz demütig. Das sind Tage, an denen selbst die versteckteste Form von Selbstmitleid keine Chance hat. An solchen Tagen beobachte ich beispielsweise solche Menschen:
Gut, Putzfrau ist kein Traumberuf. Wer räumt schon gerne anderer Leute Müll weg. Ob es sich dabei um Tankstellenkunden oder Restaurantgäste handelt, ist eigentlich unerheblich. Müll ist Müll. Aber Putzfrau ist nicht gleich Putzfrau, schoss es mir durch den Kopf: Voller Erstaunen bemerkte ich, wie ein spontane Welle von Dankbarkeit mich erfasste, während ich die junge Dame beobachtete und ihren Putzjob mit meinem verglich. Dankbar wofür? Dafür:
dass ich keine potthässliche neongrüne Polyesterberufsuniform tragen muss, in der auch die ausgeschlafenste Putzfrau einen Teint hat wie frisch aus dem Müll gezogen,
dass ich eine verkrumpelte weiße Schürze aus Baumwolleinen tragen darf, die ich so binden und schürzen kann, wie es mir passt,
dass kein Mensch meckert, wenn ich meine, eine Pause verdient zu haben,
dass in der italienischen Gastrokaffeemaschine der beste Kaffee der Welt gebrüht wird, von dem ich so viel trinken darf, wie ich mag,
dass ich in einen gastronomischen Mikrokosmos eingebunden bin, in dem es lebendig, wuselig und urmenschlich zugeht,
dass meine Laune, egal wie ich gerade drauf bin,  jeden Morgen von sprücheklopfenden Lieferanten aufgehellt wird,
dass hinter den Kulissen der Gastronomie ein rauher, aber herzlicher Umgangston gepflegt wird (Frau Übermop lässt grüßen),
dass ich zur Dreckbeseitigung eingestellt wurde, aber nicht wie der letzte Dreck behandelt werde.
Habe ich was vergessen? Ja. In diesem Augenblick bin ich sogar dankbar dafür, so etwas wie Dankbarkeit empfinden zu können. Das verstehe ich unter Demut.

Freitag, 12. Juni 2009

Lichtblick

Heute früh war der Sonnenaufgang zum ersten Mal schneller als ich.
Ich war mit der Sonne um die Wette den Berg hochgeschnauft. Keine Chance. Oben angekommen, hat sie schon auf mich gewartet. Wetten, dass sie mich am Montagmorgen noch früher abgehängt haben wird. Manchmal fühlt es sich gut an, Verlierer zu sein.

Donnerstag, 11. Juni 2009

Zur Feier des Tages

Schon wieder Feiertag und keiner hat was gemerkt. Wieder war es frühmorgens menschenleer auf den Straßen, was mich aber zunächst wenig wunderte, denn es stürmte. Es regnete Hunde und Katzen. 
Erst im Restaurant fiel der Groschen. Dort gab es doppelt so viel Altglas zu entsorgen wie sonst. Das bedeutet, entweder haben gestern Abend doppelt so viele Gäste wie sonst den durchschnittlichen Getränkeumsatz verdoppelt. Oder gleich viele Gäste wie sonst haben sich so richtig gepflegt die vorfeiertägliche Kante gegeben. Die zweite These erscheint plausibler, denn selbst an stinknormalen Wochentagen ist es hier gut besucht, wie also sollten da plötzlich doppelt so viele Leute reinpassen? Die Menschen feiern den Feiertag, indem sie in den Feiertag hineinfeiern. Und das bei doppelt gehobener Konsumlaune. Was läge näher als ein Konjunkturpaket "Schafft mehr Feiertage!" zur Stimulierung des abendlichen Außer-Haus-Konsums? Statt also Feiertage abzuschaffen, wie manche unsinnigerweise meinen die Wirtschaft ankurbeln zu wollen (ehm, kann den Link leider grade nicht finden), sollten lieber weitere sinnvolle Feiertage erschaffen werden. Nutznießer wäre nicht allein die Gastronomiebranche, sondern auch ein Heer von privaten Selbstversorgern (man beachte das hohe Outdoor-Grillaufkommen an Abenden vor Feiertagen), sowie die gesamte, beide Segmente beliefernde Herstellerindustrie. Auch die Taxifahrer würden profitieren. Nicht zu vergessen die Reinigungsbranche; so lange gefeiert wird, besteht Nachfrage nach Putzfrauen.
Großer Vorteil des neuen Paketes: Man muss keine Milliarden in die Hand nehmen, um Konsumimpulse zu setzen, sondern erklärt einfach öffentlich irgendeinen Tag zum Feiertag, und schon feiern die Leute in den neuen Feiertag hinein. Und geben doppelt so viel Geld aus. Für den Anfang schlage ich vor, das bestehende Angebot an Feiertagen zu verdoppeln. Sollten sich die Umsätze verdreifachen, lässt sich ja mit den Feiertagen ebenso verfahren.  

Mittwoch, 10. Juni 2009

Hörproben

Früher dachte ich immer, Musiker und Graswachs-Hörspezialisten hätten die feinsten Ohren von allen. Heute weiß ich: Es ist der Berufstand der Putzfrauen, der mit den Ohren sieht. Typische Alltagssituation, ich hole mir einen Eimer Wasser am Restauranttresen, stelle also den Eimer in die Gläserspüle, drehe den Hahn auf und warte, bis der Eimer voll ist. Dauert so zwischen 15 und 30 Sekunden, je nachdem. Während das Wasser in den Eimer läuft, hebe ich den Blick und genieße den Blick durch die großen Fenster ins Freie. Erst hatte der weiße Flieder geblüht, danach die rote Kastanie. Jetzt überall sattes Grün. Das Eimer-Wasser-am-Tresen-holen verheißt stets eine kurze Zeitspanne des Durchatmens, der inneren Ruhe.
Nun ist das Ende dieses kontemplativen Kurztrips abhängig von dem Zeitpunkt, zu dem der Eimer voll ist. Wann der Eimer voll ist, hängt wiederum vom Druck des Wasserstrahls ab. Mit anderen Worten, die Dauer des kleinen Entschleunigungsrituals lässt sich programmieren. Oder manipulieren. 
Wer sich nicht manipulieren lässt, ist Frau Übermop. Als der Flieder noch am Blühen war, hatte sie vor dem Restaurant den Bürgersteig gekehrt. Türen und Fenster waren geöffnet. Wir konnten einander nicht sehen, nur hören. Ich lauschte dem steten gleichförmigen Schrappschrapp  ihres Kehrbesens und drehte den Hahn auf. Der Klang des strömenden Wassers wurde von dem Schrappschrapp entspannt rhythmisiert, der Flieder blühte, die Sonne schien herein, ich seufzte tief, nach 30 Sekunden war der Eimer voll und die Meditation zu Ende. Auch der Kehrbesen war verstummt. In die plötzliche Stille hinein hörte ich Frau Übermop von draußen rufen: "Wenn du den Hahn volle Power aufdrehen würdest, wäre der Eimer schneller voll!" Keine Frage, auch sie versteht etwas von Programmieren. Und von Programmiergeräuschen.
Andererseits ist sie manchmal ein ganz klein wenig schwerhörig; noch habe ich nicht herausgefunden, wann das genau der Fall ist und wann nicht. Heute war wieder mal so eine Situation. Wir stehen im Kühlhaus und prüfen die Sauberkeit der Innenwände. Ein Dialog entwickelt sich.
Ich: "Guck mal, da sind überall feuchte Schlieren an der Wand." 
Sie: "Was für feuchte Dinger?" 
Ich (lauter): "Schlie-ren!" 
Sie: "Ach was." 
Ich (noch lauter): "Doch!" 
Daraufhin fällt der Satz des Tages: "Schlieren sind kein Thema, das ist alles  Konsenswasser." 
"Du meinst Kondenswasser?" erwidere ich so beiläufig wie möglich. 
"Sag ich doch, oder hörst du schlecht?", brummt Frau Übermop zurück. 
Kein Thema. 
Alles Konsens oder was.

Dienstag, 9. Juni 2009

Der Ekelfaktor

Es gibt ja Leute, denen graust es vor nix. Wir wollen sie die Hartgesottenen nennen. Und dann gibt es Leute, die sind so etepetete, dass es ihnen vor praktisch allem graust (zum Beispiel vor Spinnen, Küchengullies, schwulen Straßenfesten). Nennen wir sie ruhig die Verweichlichten. Nun haben US-Forscher mithilfe einer sogenannten Disgust Sensitivity Scale herausgefunden, dass die individuelle Ekelschwelle mit der individuellen politischen Grundeinstellung korreliert. Demzufolge denken die Unerschrockenen eher liberal, während die Weicheier zum Konservativismus neigen. Hätte man so vielleicht nicht unbedingt vermutet, aber gut.
Nur, wie soll man sich jetzt in dieses Schema selbst einordnen, wenn das eigene Ekelprofil ein wenig komplexer gestrickt ist? Ich zum Beispiel stehe Spinnen völlig neutral gegenüber. Ich liebe sie nicht, aber mir gruselt auch nicht vor ihnen. Haifischskelette im Dunkeln wären gewiss ein anderes Thema, aber bei Spinnen bleibe ich stoisch. Nicht so die junge polnische Küchenhilfe: Heute vormittag entfuhr ihr ein langgezogener, gellender Schrei, und schon war sie aus der Küche gerannt. Sie rannte vor einer herumrennenden Spinne weg. In einer Kochmulde des Herdes drehte sie (die Spinne) ihre Runden. Die junge Frau zitterte am ganzen Leib, das Gesicht verzerrt von Ekel. Natürlich habe ich sofort interveniert und kam mir mächtig heroisch vor, während ich das mit fünf gekrümmten Fingern aufgeklaubte Insekt (lebend!) zum Fenster hinauswarf. Die anerkennende Reaktion auf polnischer Seite deutete ich dahingehend, dass deutsche Putzfrauen eventuell doch zu etwas zu gebrauchen sein könnten.
Ich ekle mich auch nicht vor schwulen Straßenfesten, im Gegenteil, vorgestern habe ich mich prächtig amüsiert. So weit, so liberal. Wenn da nur nicht dieser Küchengully wäre. Der hat mich geschafft am ersten Tag. Ich wurde auf der Stelle seekrank und dachte: Das kann nicht gut gehen, nie im Leben, da ist die Grenze, punktum. Strukturkonservativ bis in die Knochen. Der zweite Tag folgte und ich überlebte ihn. Ab dem dritten Tag nahm die Liberalisierung ihren Lauf: Ich stellte fest, dass das Gröfaz mir egal geworden ist. Der Ekelfaktor hatte sich verschlissen. Je egaler, desto liberaler? "Ich kann mich gar nicht satt ekeln", hat Fritz Kortner einmal so genial wie ätzend vermerkt. Er war kein Konservativer.

Montag, 8. Juni 2009

Die lieben Kolleginnen


...warfen sich gestern in Sonntagsstaat und zeigten, wie Feiern geht.

Sonntag, 7. Juni 2009

Frühlingstriebe


Nicht nur ich wurde am Freitag bei Umtrieben erwischt, sondern auch die Kartoffeln. Von mir. Schon seit Tagen schleiche ich um diese Kartoffelschütte im Gemüsekeller herum und warte wie der Zerberus auf den richtigen Zeitpunkt. Es ist nämlich so: Die Kartoffeln lagern in der dunkelsten Ecke des Gemüsekellers (wie Kartoffeln es lieben). Das einzige Sonnenlicht, was zu dem winzigen vergitterten Kellerfenster einfällt, tut dies exakt vier Minuten lang, bevor es für den Rest des Tages um die Ecke verschwindet und den Keller in kartoffelkompatiblem Halbdunkel versinken lässt. Auch hat die Frühlingssonne lediglich zehn Tage lang Zeit für dieses ihr Treiben; davor steht sie zu flach, danach bereits zu hoch, um das Kellerfenster überhaupt zu erreichen. Knappstes Timing also. Mrs. Mop lag auf der Lauer.
Am Freitag um 8:52 Uhr war es so weit: Urplötzlich, mit fast bracchialer Kraft, drang das Sonnenlicht in den dunkel ruhenden Gemüsekeller hinein, tastete den Bretterverschlag senkrecht von oben nach unten (sic!) ab, um sich schließlich zwei Minuten lang über den zuoberst liegenden Erdäpfeln auszubreiten. Ich schwöre es: Am Donnerstag waren noch keinerlei Triebe zu sehen gewesen; am Freitag tanzte eine einzige Kartoffel aus der Reihe und schlug aus, was das Zeug hielt. Die ausschlaggebende Lichtquelle dürfte ab nächster Woche keine Chance mehr haben, dann wird sie zu hoch stehen. Dann werden die braunen Knollen wieder 342 Tage lang im Dunkeln munkeln. Ob ich ihnen wohl im nächsten Frühling erneut auflauern werde? Man sagt ja, Kartoffeln seien ernährungsphysiologisch höchst wertvoll, denn sie sättigen ohne dick zu machen. Mich machen Kartoffeln nachdenklich.

Samstag, 6. Juni 2009

Unter die Haube kommen

Gestern wurde ich auf frischer Tat ertappt. Beim Fotografieren in der Küche. Ich wollte ein Bild von der großen Dunstabzugshaube ins Blog stellen - wer weiß schon, wie so eine Abzugshaube von innen aussieht? -, passte einen günstigen Moment ab und knipste drauflos. Der Moment (6.15 Uhr, Blitzlicht) erwies sich als weniger günstig als gedacht, denn vom Kücheneingang rief es laut "ich glaube, du spinnst!". Frau Übermop war außer sich. Was das denn bitte solle? Wahrheitsgemäß erklärte ich, das Foto sei für mein Tagebuch. Darauf kopfschüttelnd Frau Übermop: "Tagebuch? Übers Putzen? Du spinnst ja wirklich!" Ich unterließ es zu widersprechen, außerdem - womöglich hat sie ja recht. Wäre nicht das erste Mal.
Jedenfalls ließ Frau Übermop keinen Zweifel daran, dass sie das Abzugshaubenfoto für "wohl das Allerletzte" und mich für komplett durchgeknallt hält. Es folgte ein längerer Wortwechsel (leise Panik bemächtigte sich meiner - wie bitteschön soll ich weiterbloggen ohne Fotos? Übers Putzen einfach nur schreiben, ganz ohne, hm, Visualisierungshilfen? Glaubt einem doch kein Mensch...). Ganz verzagt fragte ich schließlich, ob sie das nicht verstehen könne, ein Tagebuch ohne Bilder sei doch wie eine Putzfrau ohne Schrubber. Worauf sie mich ganz erstaunt anblickt und antwortet: "Wieso, es hat doch kein Mensch was dagegen, wenn du Fotos für dein komisches Tagebuch machst." Ja, wie jetzt? Ich gucke noch erstaunter als sie und verstehe gar nichts mehr. Zücke die Kamera, um nochmal auf die verdammte Abzugshaube draufzuhalten...ein donnerndes "NEIN!" hält mich davon ab.
Meine Hand sinkt. Die Übermop-Handfläche schlägt flach und geräuschvoll auf eine noch ungeputzte Edelstahlfläche: "Nein! So was macht man nicht, basta!" So wenig ich verstehe, was hier gerade gemeint ist, so überdeutlich teilt sich doch Frau Übermops Erregtheit mit. Es ist ihr wirklich ernst mit dem Bilderverbot. Aber hatte sie nicht eben...? Sie beugt sich vor und donnert mitten in mein Fragezeichengesicht hinein: "Man macht keine Fotos von verschmutzten Gegenständen, niemals, ist das klar?"
Ach so. Ja, klar. Jetzt verstehe ich. Um 6.15 Uhr in der Frühe befindet sich die Küche sozusagen noch im Urzustand; nur die Müllsäcke und das Leergut sind bereits nach draußen geschleppt worden. Die Abzugshaube erstrahlt noch im fettigen Abglanz des vergangenen Abends. Mit Nachdruck deutet der Übermop-Daumen senkrecht nach oben, "wenn du die Haube geputzt hast, kannst du gern ein ganzes Fotoalbum davon machen." Sprach's und verließ die Küche, nicht ohne zuvor mit dem Übermop-Zeigefinger an die Übermop-Stirn zu tippen.
Ich sah dann zu, dass ich endlich unter die Haube kam, denn die Zeit drängte. Während die verschmutzte Abzugshaube sich allmählich in eine saubere verwandelte, beschäftigte mich der eben verabreichte Ordnungsruf weiter. So sehr, dass ich glatt vergessen habe, das blankgeputzte Teil zu fotografieren. Jetzt habe ich ein Foto von der ungeputzten Haube und trau mich nicht es hier reinzustellen. Das Donnerwetter wirkt nach. Freilich wäre es übertrieben zu behaupten, nun setzte sich Frau Übermop an die Stelle meines Über-Ichs. Selber denken kann ich schon noch. Aber - eben drum - bin ich momentan etwas durcheinander. 

Freitag, 5. Juni 2009

Jemand sieht rot

Das Kamillenfeld hat aufgehört zu duften, aber es ist noch da. 
Die schon etwas struppige Kamille hat vorübergehend Gesellschaft bekommen, eine wilde, flüchtige, wunderschöne. Der Anblick lässt mich jene helle Aufregung vergessen, welche heute früh am Tatort Küche herrschte. Es war der Teufel los. Mir sitzt der Schreck noch in den Gliedern. Zum Tathergang morgen mehr. 

Donnerstag, 4. Juni 2009

Banknote

Saukalt heute morgen um halb sechs, atlantische Tiefströmung, Fahrradhandschuhe zuhause vergessen, brrr...und dann das:
















Bad Bank. 

Und dann das:















Good Bank.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Schieflagen

Um den Flaschenboy in Bewegung zu versetzen, muss man ihm unten einen kleinen Tritt geben. Dadurch kippt er nach vorne in Schräglage, so dass er sich ohne großen Kraftaufwand ziehen lässt, selbst dann, wenn er randvoll mit leeren Flaschen ist. Randvoll ist er so gut wie immer. Also ist er sauschwer. Aber er macht es mir nicht schwer. 
Fester Griff oben, kleiner Tritt unten und ab geht die Luzie. Hebelwirkung vom Feinsten. Den Rest besorgen die zwei fetten Gummiräder. Allerdings nur solange sie auf einem einigermaßen glatten Untergrund rollen. Nun ist unser gemeinsamer Morgengang zum Altglascontainer zwar kurz, dafür gepflastert mit Schikanen aller Art - Asphaltlöchern auf der Straße, holprigen Bürgersteigen, krummen Bordsteinschwellen. Von Rollen kann also keine Rede sein, höchstens von Rumpeln. Denn der Flaschenboy muss ja auf diese Unebenheiten ständig mit ruckartigen Eigenbewegungen reagieren, sonst würde er seine Balance verlieren. In solchen Momenten ist weder mir noch Außenstehenden wirklich klar, wer hier eigentlich an wem zieht. Aber irgendwie schaffen wir das. Es fühlt sich ein wenig so an, als ob ich ein störrisches, aber im Prinzip gutartiges Riesenhaustier hinter mir her bugsiere: Manchmal hat das Viech keine Lust und bleibt einfach stehen. Ich dann auch, was soll ich machen, in puncto Body mass index ist es mir haushoch überlegen. Gut zureden hilft meistens. Einmal habe ich meine Stimme sagen hören "Mann, stell dich nicht so an!", danach ging's wieder.
Auf dem Rückweg vom Container verhält sich der Flaschenboy immer ganz handzahm, kein Wunder, da muss er nur noch sein Eigengewicht tragen. Er wackelt und tänzelt dann so rum, bleibt aber im Großen und Ganzen fügsam. Gutgelaunt halt irgendwie, genau wie ich auf dem Rückweg.

So, das war die lange Einleitung zum eigentlichen, aktuellen, traurigen Thema dieses Posts. Seit heute sieht es nämlich so aus, als ob die Tage 
des betagten Flaschenboys gezählt sind: Sein Boden ist durchgerostet. Infolgedessen ist er undicht geworden. Infolgedessen lässt er auf dem Weg zum Container eine feuchte Spur hinter sich (Flüssigkeitsreste aus Leerflaschen). Infolgedessen muss er aus dem Verkehr gezogen werden. Sagen alle. Gut, ich seh's natürlich ein, weil, wie schaut das auch aus, wenn Mrs. Mop jeden Morgen mit einem inkontinenten Flaschenboy durchs Viertel tingelt. Darum habe ich heute, als Erste-Hilfe-Maßnahme, den maroden Boden von innen mit einem dieser quadratischen Eierkartons ausgekleidet.
Ob auch abgedichtet, wird sich morgen zeigen. Jedenfalls laufen Verhandlungen mit der Stadtreinigung wegen Bereitstellung eines neuen Flaschencontainers. Am Telefon drohten die von der Stadtreinigung bereits mit "neuartigen, viel handlicheren Modellen". Ich weiß gar nicht, was die wollen, der - mein - Flaschenboy ist doch nicht unhandlich. Bisschen schwerfällig, ja, bisschen altersschwach, gut, aber ansonsten ein grundsolider gemütlicher alter Brummer, an den ich mich irgendwie gewöhnt habe, und das nicht ungern. Wie gut, dass gerade heute der große halbwelke Restaurantblumenstrauß entsorgt werden musste.

Dienstag, 2. Juni 2009

Tieflagen

Heute früh vor Sonnenaufgang, 5:30 Uhr, wurde der Tag verzaubert:

Um 5:40 Uhr die nächste gute Nachricht: Der Vagabund war wieder an Ort und Stelle.

Gottseidank, alles wieder im Lot. Irgendwie erleichternd war der Anblick.

Montag, 1. Juni 2009

Im Regen stehen

Irgend etwas war heute morgen anders als sonst, aber ich kam nicht gleich drauf. Um halb sechs war es draußen noch ruhiger als sonst um diese Zeit. Was ich genoss, für mich kann es frühmorgens gar nicht ruhig genug sein. Aber es fühlte sich nicht wie Montag an. Auf dem gesamten Weg zur Arbeit keine Menschenseele.
Erst beim Parcours durch diverse öffentliche 
Müllplätze 
dämmerte mir, dass heute ein Feiertag sein muss, weil die Leute alle noch schlafen, weil sie gestern bis in 
die Nacht gefeiert haben und der Abend schön mild war, und weil der Abend schön mild war, haben sie draußen schön gegrillt. Manche eher frugal, manche aufwendiger.


Ein paar haben's richtig krachen lassen; bei dieser Grillparty hatten sie wirklich an alles gedacht, sogar an die Fackeln und die bunten Luftballons. Für Regenschutz war auch gesorgt.

Im Regen gestanden hat dafür jener Logiergast, der an allen anderen Tagen an dieser Stelle Quartier bezieht. Wenigstens hat es letzte Nacht nicht geregnet.