Sonntag, 27. Oktober 2013

Walk on the Wild Side


"My bullshit is worth more than other people's diamonds."
Lou Reed, gestorben am 27. Oktober 2013


Samstag, 26. Oktober 2013

Die Revolution findet nicht im Keller statt


Eins steht fest: Der Typ macht Spass.

Es macht Spass, ihm im Schlagabtausch mit einem altgedienten Journalisten zuzuhören und zuzuschauen, sein Temperament, seinen Witz, seine Frische auf sich wirken zu lassen, sich von seiner Schlagfertigkeit, seinen scharfzüngigen Repliken auf nölige Altherrenfragen anregen zu lassen, Zeuge zu werden, wie er dem alten Medienschlachtschiff allen Wind aus den Segeln nimmt und, ganz am Schluss, auf die Frage, was ihm eigentlich das Recht gebe, als Revolutionär aufzutreten, wo er doch lediglich ein Schauspieler und Kabarettist und von keinerlei politischer Expertise gesegnet sei, unbekümmert zurückschießt:
"Wieso ist das nicht mein Recht, nur weil ich ein Schauspieler bin? Ich nehme mir das Recht! Ich muss mir dieses Recht nicht von Ihnen geben lassen. Ich muss es mir von niemandem geben lassen. Ich nehme es mir."
Es macht einfach Spass:


Der britische Schauspieler und Kabarettist 
Russell Brand 
im Interview 
mit dem Journalisten Jeremy Paxman

Wobei das mit dem Spass ja nicht jedermanns Sache ist. Wenn es um ein so ernstes Anliegen wie die Revolution geht. Russell Brand findet solche bierernsten Kämpfer um die gute Sache
"... a bit too fucking serious, actually. ... there is a tendency to confuse seriousness with solemnity. Serious causes can and must be approached with good humour, otherwise they're boring and can't compete with the Premier League and Grand Theft Auto. Social movements needn't lack razzmatazz. ... This moral superiority that is peculiar to the left is a great impediment to momentum. It is also a right drag when you're trying to enjoy a riot."
Doch, macht Spass. Ihm zuzuhören, ihm zuzuschauen und zu lesen, was der Typ so schreibt. Natürlich nur dann, wenn man als Revolutionär einen Sinn für leichtfüßigen Esprit und befreiendes Gelächter hat. Und dazu nicht meint in den Keller gehen zu müssen.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Sprühender Bullshit


Ta-taa.

Das ist nicht der handelsübliche, alltägliche Durchschnittsbullshit.

Das ist fortgeschrittener, weiterentwickelter, zukunftsweisender Bullshit auf höchstem Niveau:

John Pike, StopfCopaZ (stoischster pfeffersprayender Polizist aller Zeiten), wird mit 38.000 Dollar belohnt. Schadensersatz, you know. Für das Leiden unter seinem beschädigten Ruf. Für Depressionen und Angstzustände infolge seiner heroisch-stoisch ausgeführten Tat, die auf Video dokumentiert wurde, um die Welt ging und ihm nicht das positive Feedback einbrachte, das er für angemessen gehalten hatte. Für die breite öffentliche Ächtung, die ihm widerfuhr. Für Drohungen und angekündigte Racheakte. All dies hat das Seelenleben des Ordnungshüters derart derangiert, dass er auf Kompensation wegen "psychiatrischer Beeinträchtigung" geklagt hatte.

Erstaunlich.

Die menschliche Sprühmaschine wirkte keinesfalls übermäßig psychiatrisch beeinträchtigt, während sie zur Tat schritt, genüsslich-demonstrativ ihr Pfefferspraygerät auf und ab schüttelte - die Wirkung ihrer Drohgebärde voll auskostend -, ungerührt die Schreie und Angstzustände ihrer Opfer  zur Kenntnis nahm, zielte, sprühte, zwischendurch immer wieder stoisch das Sprühgerät schüttelte, weiter sprühte, als ob es flächendeckendes Unkraut zu vernichten gälte, um schließlich - seelisch völlig stabil - ihr Werk befriedigt zu begutachten (Video).

Jetzt macht der sensible Sprayer vom Dienst Kasse. Hat sich doch gelohnt.
Berni Goldsmith, ein Anwalt, der die protestierenden Studenten unterstützt, teilte Associated Press mit, der juristische Vergleich "sende eine klare Botschaft an den nächsten Polizisten, der angesichts einer Gruppe passiver, unbewaffneter Studenten nervös wird: Weiter so. Hau noch mehr drauf. Tritt ihre Rechte mit Füßen. Man wird dich pfleglich behandeln."
Sag' ich doch.

Fortgeschrittener Bullshit auf höchstem Präzedenzniveau.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Neues aus der Schusslinie


Wir üben für den Ernstfall I:

Kommt ein böser vermummter Mann, bis an die Zähne bewaffnet, auf den Schulhof. Betritt ungehindert das Schulgebäude. Läuft durch die Klassenräume. Knarre im Anschlag. Einfach so. Wie das halt so ist, im Ernstfall. Schießt wild um sich. Ernstfall, Kinder, ihr versteht? Todesangst. Noch mehr Schüsse. Gebrüll. Blut. Panik. Sich auf den Boden werfen. Überall Blut. Noch mehr Schüsse. Noch mehr Todesangst. Noch mehr Ernstfall.
Textnachricht an Eltern: Hilfe, sie haben meinen Kumpel abgeknallt, bin ich als nächster dran?
Eltern so: Panik. Die Kinder. Todesangst. Ernstfall.
Schulleitung so: Überraschung! Wir wollten doch nur spielen, äh, üben. Für den Ernstfall. Möglichst realistisch, ihr versteht? Stellt euch nicht so an:
"Es ist eine dynamische Todesschützen-Übung. Wir machen das ab und zu. Wenn man die Leute vorher warnt, verliert die Simulation ihre Wirkung." 

Wir üben für den Ernstfall II:

Ab sofort wird scharf geschossen, klar? Direkt auf den Körper des Feindes, klar? Nicht einfach bloß auf den Boden, damit das Gummigeschoss zurückschnellt auf die Beine und nur ein bisschen weh tut!


Ihr wollt die Leute doch nicht bloß erschrecken, ihr wollt ihnen doch nicht bloß ein bisschen Angst einjagen. Ihr wollt richtige, echte Angst sehen, Todesangst, versteht ihr? Gut auf den Körper zielen und abdrücken, fertig! Drum üben wir das jetzt. Auf unserem polizeilichen Übungsgelände. Mann gegen Mann. Also, beim Üben simulieren wir natürlich nur. Wir simulieren, dass eure Polizeischutzschilder die feindlichen Körper wären. Also, die Körper der Demonstranten. Und jetzt: eins, zwei, Schuss! Wie, das Schutzschild ist unter der Wucht des Aufpralls zerbrochen? Kann ja gar nicht sein. Schließlich gehören Gummigeschosse zu den nicht-tödlichen Waffen, das haben Studien belegt. Ihr müsst halt aus etwas mehr Abstand schießen, dann geht das Schutzschild auch nicht kaputt. Und der feindliche Demonstrant auch nicht. Müssen wir noch üben. Wird schon. Hauptsache Todesangst.

Was, die Polizeigewerkschaft protestiert? Hat sich schriftlich beim Innenminister beschwert? Das sei gegen das Gesetz in Spanien? Jetzt hört mal zu, ihr Heulsusen: Seid ihr Polizisten oder Weicheier?

Der Leiter der Trainingseinheiten "bestand unnachgiebig darauf, dass bei Polizeieinsätzen härter durchgegriffen werden müsse und drückte seine Missbilligung gegenüber 'zu sanfter' polizeilicher Performance aus". 
"Wollen Sie und Ihre Regierung Tote sehen unter denen, die gegen die Regierung protestieren?" hatte die Polizeigewerkschaft gefragt. Das Schreiben wurde vom Innenminister nicht beantwortet.

Genug geübt.

Ernstfall III:

Dieses ständige Protestieren gegen alles mögliche. Wird uns langsam zu bunt. Legen die sich doch in Nordkanada mit allen Mitteln quer, um ein gigantisches Bauprojekt zur Erschließung von Schiefergas zu verhindern. Bloß weil so ein paar Tiefbohrungen (fracking) in der Nähe ihrer Kommunen stattfinden sollen. Peanuts. Wird uns jetzt echt zu blöd. Ab sofort wir hart durchgegriffen. Mit allen Mitteln.

Twitter via The Globe and Mail

Wie, Gummigeschosse? Was seid ihr denn für Weicheier da drüben in Spanien? Nix da. Wenn, dann richtig. Mit richtigen, echten Scharfschützen aus dem Hinterhalt. Todesangst? War gestern. Viel zu sanft. Wir wollen Tote sehen. Richtige, echte Tote.


Nie war Kriegspielen schöner.

Montag, 21. Oktober 2013

Spray Artists


Sayin' it by sprayin' it:

William Banzai 
"JaMMiN' WiTH BaNKSY(s)..."
 via zerohedge

Samstag, 19. Oktober 2013

Ein Hauch von Pest


Spontan neige ich ja immer zur Solidarität mit den Ausgebeuteten und Geknechteten dieser Welt. Insbesondere, wenn deren Hungerlöhne vorne und hinten nicht zum Leben reichen. Erst recht dann, wenn sie für ein bisschen mehr Geld zum Leben auf die Straße gehen. Oder gar zum Streik aufrufen.

Aber irgendwo ist Schluss mit meinen Solidaritätsgefühlen, ratzfatz Schluss, aus, vorbei. Es gibt Menschen, die sich ausgebeutet, weil unterbezahlt fühlen, denen wünsche ich nichts als die Pest an den Hals. Nämlich denen, die sich ausbeuten lassen, um ihre Mitmenschen auszubeuten, und die eine bessere Bezahlung fordern, um ihre Mitmenschen noch besser, noch effizienter, noch niederträchtiger ausbeuten zu können und für diesen Ausbeuterjob, bitteschön, angemessen entlohnt werden wollen.

Die Rede ist von den Mitarbeitern der Firma ATOS, einem französischen Unternehmen, das von der britischen Regierung unter Vertrag genommen wurde, um zu prüfen, ob behinderten, chronisch kranken und ähnlich arbeitsscheuen nutzlosen Fressern ein Anspruch auf Sozialleistungen zusteht. Oder ob letztere nur so tun, als wären sie krank oder behindert, Simulantenpack mithin, in Wirklichkeit jedoch - nach "medizinischer" Prüfung samt Expertengutachten ("work assessment") - als "fit for work" deklariert und dem Arbeitsmarkt zugeführt werden können.


Dabei verzeichnet die Firma ATOS bemerkenswerte Erfolge; einer der spektakulärsten war die Weigerung, einem im Endstadium krebskranken Mann und dessen betreuender Ehefrau staatliche Benefits auszuzahlen, weil der Dahinsiechende - nach eingehender "medizinischer" Prüfung - als rüstig genug eingestuft wurde, um fit for work zu sein. Er hätte ja bloß ein bisschen in die Hände zu spucken brauchen! Bedauerlicherweise hat sich der todkranke Mann den Wiedereingliederungsbemühungen entzogen, indem er vor wenigen Tagen verstarb,

"Hm... smartly presented... simuliert da schon wieder einer?"

- und zwar, wie die hinterbliebene Ehefrau betont, "nicht nur an Krebs, sondern an den Schikanen seitens ATOS, die ihn seiner Würde beraubt hatten".

Die Liste an Fehlentscheidungen ließe sich beliebig verlängern, denn die von ATOS-Mitarbeitern verursachten Missbrauchsfälle sind mittlerweile Legion (20 Prozent) und umfangreich dokumentiert. Ebenfalls dokumentiert sind die zunehmenden Suizide ("It isn't suicide: it's murder") bei psychisch kranken Menschen, die von ATOS-Mitarbeitern für kerngesund und arbeitsfähig erklärt werden und sich dem Stress weiterer Prüfungsverfahren entziehen, indem sie ihrem Leben ein Ende bereiten - eine besonders perfide, weil nachhaltige Simulantenstrategie.

Jedenfalls, die ATOS-Mitarbeiter wollen streiken. Für bessere Bezahlung. Kriegen bloß Mindestlohn. Fühlen sich ausgebeutet. Sind es höchstwahrscheinlich auch. Machen ja auch nur ihren Job. Von irgendwas muss man schließlich leben, nicht wahr, und sei es von so einem Knochenjob: Wir attestieren kranken Menschen die Krankheit weg und zerstören Leben. Wir lassen uns ausbeuten, um andere auszubeuten. Um für einen Hungerlohn andere Menschen in Not, Hunger und Tod zu treiben. Machen wir gerne weiterhin, aber nur, wenn wir mehr Geld dafür kriegen. Sonst streiken wir.

Wie, ihr droht mit Arbeitsniederlegung? Um für ein paar Pfund mehr noch wirkungsvoller zu treten nach jenen Menschen, denen ihr die letzten paar verbliebenen Pfund wegnehmt? Für so eine Drecksarbeit wollt ihr die Arbeit niederlegen? Und erwartet Solidarität? Die Pest an den Hals, die reine Pest und nichts als die Pest!

Andererseits.

Wenn ihr die Arbeit wirklich niederlegen und sie niemals wieder aufheben würdet, wenn ihr diese Drecksarbeit zu verrichten euch weigern würdet, kompromisslos, und sie für kein Geld der Welt wieder aufnehmen würdet, wenn ihr euch stattdessen andere Jobs suchen und keine finden würdet, wenn ihr darüber verzweifelt, krank und depressiv würdet, wenn ihr dann von einem unterbezahlten rückgratlosen Systemknecht geknechtet würdet, der euch schwarz auf weiß bescheinigt,


- dass ihr kerngesund, arbeitsfähig und halt nur zu faul zur Jobsuche wärt, und ihr, Auge in Auge mit dem Systemknecht, ihm die Pest auf den Hals wünschen würdet, die reine Pest und nichts als die Pest - dann könnten wir über Solidarität reden.

Vorher keinesfalls.

Freitag, 18. Oktober 2013

Take it to the Bridge


Just for the beauty of it:

"Silhouetted Ladies in Williamsburg"

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Strahlkraft


Aus unserer beliebten Reihe:
"Voll der Griff ins semantische Marketing-Klo"
stellen wir heute den jüngsten Rohrkrepierer der japanischen PR-Industrie vor:


Ein niedliches Überraschungsei mit Engelsflügeln! 
Ein kleiner Strahlemann aus dem Land 
der unbegrenzten Verstrahlungsmöglichkeiten! 
Don't worry, be happy
äh, huppy
öh, fukuppy
eh, what the fucky
Ich strahle, 
du strahlst, 
sind wir nicht alle ein bisschen verstrahlt?

War aber gar nicht so gemeint, ehrlich.

Weil, Fukushima Industries (obere Zeile) ist nicht etwa der Deckname für die japanische Nuklearindustrie Tepco, sondern ein harmloser Kühlschrankhersteller aus dem Land der nie untergehenden Sonnen- und sonstigen Strahlen. Der hatte sich ein neues, glücksstrahlendes Markenmaskottchen kreiert und dabei nicht bedacht, dass, wer Fuku heißt, für den Spott nicht zu sorgen braucht, denn der folgte dem fulminanten Fehlzünder auf dem Fuße:

auf Deutsch: Halt's Maul, verdammt nochmal!

Und weil sowieso viel zu viele Lügenmäuler dieser Welt endlich, endlich bitte mal die Klappe halten sollten, verdammt nochmal, und weil der gefiederte Fukuppy im Begriff ist, zum weltweit geflügelten Protest-Mem zu werden, gibt es den eiernden kleinen Troubleshooter mit den roten Schuhen (ha!) jetzt auch als Musterschablone zur freien Verfügung gemäß dem volkstümlich-revolutionären Prinzip:

Wem Sie schon immer mal 
übers dreckige Lügenmaul fahren wollten

Genial.

Wäre ich T-Shirt-Hersteller, wüsste ich, was zu tun wäre. Ich würde auf der Stelle in die Massenproduktion einsteigen und mit dem Ding an die Börse gehen, und zwar mit der - pardon - fucking  fluoreszierenden Variante. Slogan: Damit Sie Tag und Nacht kraftvoll strahlen können.

Montag, 14. Oktober 2013

Einer trägt den Müll raus


Der Engländer MC NxtGen alias Sean Donnelly, 25, von Beruf Müllmann und Polit-Rapper mit einem Mundwerk, das kein Erbarmen kennt, liefert einen atemlos eloquenten Wutausbruch ab auf alles, was derzeit in seinem Land passiert:



"This is not a recession, this is robbery."

Nachdem der britische Jugend- und Musiksender sb.tv ("voice of the youth", "popularity amongst London's underground scene") sich nachhaltig geziert hatte, seinen neuesten Rap "F the Tories Freestyle" zu veröffentlichen, stellte ihn NxtGen gestern nacht auf YouTube ein und erfreut sich seither sprunghaft steigender Popularität, sowohl im Untergrund als auch auf dem Level knapp darüber.

Zu Recht. Selten habe ich so viel geballte Energie, so viel Leidenschaft, so viel präzise artikulierte Frustration, so viele intelligente, beißend scharfe Rhymes erlebt - kondensiert in knapp viereinhalb Minuten. Rhythmisch wie sprachlich hochkomplex, dabei überzeugend, sinnlich fassbar und stimulierend, mit einem Wort (ok, zwei): sensationell gut.

"So what's more to say? 
So much more to do.
So little time."

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Backofengeschichten


Es war einmal im frühen 21. Jahrhundert, da gingen Hänsel und Gretel auf eine Demo.

Wofür oder wogegen hatten sie vergessen. Das kam daher, dass sie beide ziemlich benebelt waren, was daher kam, dass sie bereits vor der Startkundgebung eine gezielte Ladung Skunk Spray aus einem herumstehenden Wasserwerfer abbekommen hatten. Mitten ins Gesicht. Speiübel war ihnen davon geworden, und gestunken haben sie von oben bis unten wie, na ja, wie zwei Stinktiere halt, drum heißt das Zeug ja auch Skunk Spray.

Die Polizei sagt, das Skunk Spray sei deshalb so supereffektiv bei Demos, weil der bestialische Gestank (nach Schweinejauche hoch drei plus in Pferdepisse gereiften XXL-Fäulnisbakterien) nicht wegzuwaschen geht und in den Klamotten jahrelang hängenbleibt, quasi als Erinnerung, damit den Leuten auf lange Sicht das Demonstrieren vergeht. Andererseits, sagt die Polizei, sei diese Jauchebrühe eine völlig ungefährliche, jedenfalls keine tödliche Waffe und bestünde aus lauter natürlich-organischen Wirkstoffen wie Hefe und Backpulver. Sehr nachhaltig, lobt die Polizei, ganz tolles Zeug.

Hänsel und Gretel ließen sich jedoch nicht beirren und liefen - tapfer stinkend - bei der Demo mit, was nicht weiter auffiel, denn fast alle anderen Demonstranten stanken genauso brutal; das Skunk Spray war nämlich flächendeckend vor Beginn der Demo versprüht worden, "vorbeugend", laut polizeilicher Durchsage, damit keiner auf blöde Gedanken kommt. Man weiß ja nie, was diesen Straßenterroristen so einfällt, meint die Polizei, und wer nicht hören will, der muss eben stinken.

Mensch, Hänsel, guck mal da, sagte Gretel -


- sind das etwa diese Straßenterroristen? Quatsch, antwortete Hänsel, das sind Polizisten, die Straßenterroristen bekämpfen. Weil, erklärte Hänsel, die Polizei befürchtet, dass die Demonstranten Waffen und Sprengstoff mit sich führen, und dagegen müsste sie, die Polizei, sich schützen.

Wie, Sprengst...? wollte Gretel gerade fragen, aber da war es schon passiert: Sie war auf etwas Komisches getreten, es gab ein explosionsartiges Geräusch und mit einem Schlag flogen ihr lauter kleine Hartgummikugeln um die Ohren. Um ein Haar wäre der Gretel eine der Kugeln ins Auge geschossen, wäre sie nicht blitzschnell zur Seite gesprungen; dafür waren ihre Beine jetzt übersät mit schmerzhaften Prellungen. Musst halt besser aufpassen, riet Hänsel, du weißt doch, dass die Polizei jetzt bei Demos immer diese gut getarnten kleinen Landminen auslegt. Um sich vor Straßenterroristen zu schützen? fragte Gretel, dem Hänsel hinterherhumpelnd. Ja klar, meinte Hänsel, das haben sie im Krieg gegen Irak gelernt und nennen das Programm "Von fernen Schlachtfeldern auf heimische Straßen".

Aha, schnaubte Gretel, Landminen - bestimmt auch supereffektiv bei Demos, und völlig ungefährlich, oder? Na ja, erwiderte Hänsel, jedenfalls keine tödliche Waffe, behauptet die Polizei. Wegen den Gummigeschossen. Ist ja kein Sprengstoff, verstehst du? Kein Sprengstoff - kein Thema! zischte Gretel, nur dass mir das Gummiteil eben fast das Auge rausgeschossen hat! Ja freilich, gab Hänsel zurück, genau so ist das ja gemeint mit "keine tödliche Waffe": Sie schießen dir ein Auge raus und sagen, mit dem zweiten siehst du immer noch
g-g-gut g-g-genug.

Was ist los, Hänsel, wieso stotterst du plötzlich? fragte Gretel besorgt, du zitterst ja am ganzen Leib? M-m-mist, sie haben mich erw-w-wischt, stammelte Hänsel und zeigte schlotternd auf einen Polizisten, der gerade seine Knarre im Halfter verstaute: eine Taser-Schrotflinte, eigens zum Schutz der Polizei vor Straßenterroristen entwickelt, bestückt mit supereffektiver Elektroschocker-Kleinstmunition und jedenfalls keine tödliche Waffe.

Noch leben wir, ermunterte die humpelnde Gretel, während sie den zähneklappernden Hänsel beim Weiterdemonstrieren stützte. Ein paar Meter weiter sahen die beiden, wie einige verhaftete Demonstranten in Handschellen zu einem gepanzerten, fensterlosen Großfahrzeug geführt wurden und dabei in merkwürdige Zuckungen verfielen. Das sind ...
T-t-taser-Handschellen, stieß Hänsel mühsam hervor, 80.000 V-v-volt drauf, w-w-weißt du, aber j-j-jedenfalls ... Jedenfalls keine tödlichen Waffen, wolltest du sagen? ergänzte Gretel. Mhm-m-m, nickte Hänsel, und s-s-s ... Schon klar, winkte Gretel ab, und supereffektiv.

Nach einigen hundert Metern mühseligen, humpelnden, schlotternden Demonstrierens blieben Hänsel und Gretel plötzlich wie angewurzelt stehen. Ihre Gesichter erstarrten vor Schreck. Riechst du was? fragte Hänsel panisch. Und ob ich was rieche, antwortete die leichenblasse Gretel, das riecht wie, wie, oh nein, das darf nicht wahr sein, das riecht wie ... Beide erinnerten sich an längst vergangene Zeiten. Argwöhnisch schnüffelte Hänsel: Musst du auch an den alten Backofen denken, du weißt schon, dieser Backofen, in dem wir beide ...? Gretel zitterte wie Espenlaub: Aber solche alten Backöfen gibt es doch heute gar nicht mehr, wieso riecht es dann so nach ... nach ..., bis Hänsel es schließlich aussprach: Ich rieche, rieche Menschenfleisch!

Gretel hatte recht: kein Backofen weit und breit, stattdessen hochmoderne Open-air-"aktive Mikrowellenwaffen", installiert auf gepanzerten Kampffahrzeugen. Damit wollen sie uns rösten, ächzte Gretel, genau wie damals im Backofen! Nicht ganz, schnappte Hänsel nach Luft, nicht ganz, mit der Mikrowelle geht das viel schneller, da hast du ruckzuck Verbrennungen auf der ganzen Haut, dagegen war es in unserem ollen Backofen ja richtig gemütlich, aber diese mikrowelligen Hitzekanonen dort, die sind im Vergleich, die sind ja ... Weiß Bescheid, sagte Gretel, die sind supereffektiv, und außerdem ... Hänsel unterbrach sie misstrauisch: ... keine tödlichen Waffen?

Auf gar keinen Fall, trumpfte Gretel auf, die Hitzekanonen sind doch nicht zum Töten gedacht! Ach, fragte Hänsel skeptisch, wozu dann? Schließlich wurden die auch in Afghanistan eingesetzt! Aber doch nicht zum Töten, klärte Gretel ihn auf. Sondern? wollte Hänsel wissen. Na, zum Foltern, konterte Gretel, deshalb haben sie die Dinger ja ganz schnell wieder aus Afghanistan abgezogen, aus politischen Gründen, damit niemand den USA vorwerfen kann, sie würden in ihren Kriegen Foltertechnologie einsetzen.

Aber im Krieg gegen die eigene Bevölkerung dürfen sie foltern? konstatierte Hänsel. Nö, eigentlich nicht, entgegnete Gretel. Hänsel blieb hartnäckig: Und uneigentlich? Tun sie es trotzdem, sagte Gretel, nur, sie geben dem neumodischen Folterbackofen halt einen anderen Namen. Sie verwandeln ihn in ein legendenumwobenes Behältnis, dem wundersame Macht zugeschrieben wird. Macht über was? fragte Hänsel begriffsstutzig, über Menschen? Über Menschenansammlungen, korrigierte Gretel, weißt du, wie sie den Open-air-Mikrowellenbomber nennen? Hänsel wurde immer neugieriger: Sag's endlich! Und Gretel antwortete:

Der "Heilige Gral des Crowdmanagements"
("Holy Grail of Riot Control"):



Mittwoch, 9. Oktober 2013

schaumermal


Eins steht fest:

Im nächsten Leben werde ich Feuerwehrmann.
Oder Feuerwehrfrau, egal.



An die Schläuche, Kollegen.
Wir fordern keine Waffengleichheit.
Wir stellen sie her.
Ihr habt das Pfefferspray.
Und wir? 

Samstag, 5. Oktober 2013

Der Mann, der nie lächelte


Oops.

Stell dir vor, ein Genie hat Geburtstag und keiner gratuliert.

Vor genau 118 Jahren und - oops - einem Tag kam das Genie zur Welt und beschloss, diese für den Rest seines Lebens mit unbewegter Miene zum Lachen zu bringen. Mit einer poetischen von-Kopf-bis-Fuß-Mischung aus absurdem Witz und unerschütterlicher Melancholie.
Mit zwei riesengroßen Augen, die stets Bände sprachen, während der Mund fest verschlossen, fast verdrossen blieb - wie geschaffen für den Stummfilm.

Buster 'Stone Face' Keaton.
So happy birthday, Buster, you ol' deadpan with a smushed cap. Tonight we'll dance in your honor and race fast and funny from calamity.
The Baffler
Buster Keaton tanzt in der gastronomischen Twightlight Zone
(mit Fatty Arbuckle):



Donnerstag, 3. Oktober 2013

Mit aller Härte unter strengsten Auflagen


Die Ereignisse in Griechenland überschlagen sich. Gebannt hält man den Atem an. Was kommt als nächstes?

Gnadenlos bekämpfen werde er sie, die Faschisten, sie mit Stumpf und Stiel ausrotten, keinen von Golden Dawn gehämmerten Stein auf dem anderen lassen. Seine Regierung sei fest gewillt, "den Extremismus zu zerschlagen" und "die Parteiführung von Golden Dawn hinter Schloss und Riegel zu bringen".

Also sprach die neue Lichtgestalt des aufrechten Antifaschismus, der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras. Kaum war er fertig mit seiner kraftmeierischen Ich-bin-euer-starker-Mann-Rhetorik, wurden drei der inhaftierten Golden-Dawn-Granden auch schon wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen Kaution, versteht sich, weil, wie sieht das denn sonst aus. Und - ganz wichtig! - unter strengen Auflagen: Keiner der drei darf das Land verlassen. Fluchtgefahr bestünde, laut Gerichtsbeschluss, keine.

Das ist großartig. Das ist etwa so, wie wenn ich beim nächtlichen Einbruch in eine Bäckerei (weil dort der Pflaumenkuchen so lecker ist) erwischt, kurzzeitig eingesperrt und ruckzuck wieder auf freien Fuß gesetzt werde unter der strengen Auflage, ich dürfe keinesfalls die Bäckerei verlassen. Herz, du pflaumenkuchenverfressenes, was willst du mehr? Fluchtgefahr, ich schwöre es, bestünde absolut keine, solange der Bäcker mir jede Nacht ein Blech mit frischgebackenen Pflaumenkuchen hinterlässt.

Ebenfalls beschwören möchte ich, dass es bei unzähligen in Griechenland lebenden Menschen bestimmt mördergut ankommt, wenn ein festgenommener GD-Faschist nach dem anderen sich wieder frei auf den Straßen und Marktplätzen des Landes bewegen darf. Wohlgemerkt, innerhalb der Grenzen dieses Landes. Obwohl es den Migranten, Prostituierten, Homosexuellen, antifaschistischen Rappern und politisch Andersdenkenden garantiert noch lieber wäre, wenn sämtliche minderheitenverfolgende Faschisten aus dem Land rausgeschmissen würden. Na ja, Unschuldsvermutung and all that jazz, schon gut - nur wüsste man für sein Leben gern, was ein unschuldiger Polit-Rapper zu der mysteriös-großzügigen Freilassung der Hintermänner seiner Ermordung sagen würde. Geht aber leider nicht, denn der unschuldige Rapper wurde ja abgestochen und kann sich daher nicht mehr äußern. Dumm gelaufen. Für Killah P.

Es kommt aber noch besser. Also, härter, oder vielmehr: strenger. Die zweifellos strengste Auflage, unter der die (mit Stumpf und Stiel ausgerotteten) Faschisten wieder frei im Land herumspazieren dürfen, besteht darin, dass sie sich einmal im Monat an offizieller Stelle melden müssen. An offizieller was? Jetzt bitte gut festhalten, am besten anschnallen, sonst brichst du vor hysterischem Gelächter zusammen: Monatlich sind die nicht überführten, wenn auch nach wie vor verdächtigten Golden-Dawn-VIPs gesetzlich verpflichtet, sich bei einer Polizeistation zu melden.

Yo bro, bei einer Polizeistation! Der Brüller schlechthin. Das ist etwa so ein Brüller, wie wenn ich, des Pflaumenkuchenraubes verdächtigt, wenn auch nicht überführt, die Pflaumenkuchenbäckerei nur noch einmal im Monat verlassen darf, um mich bei der staatlichen Pflaumenkuchenräuber-Gewerkschaft zu melden. Klar kriegst du von uns einen Meldestempel, sagen die Kumpels von der Gewerkschaft, aber nur - strenge Auflage! - wenn wir im Gegenzug von deinem nächsten geklauten Pflaumenkuchen die Hälfte abkriegen, ist das ein Deal? Yo, bro. Nieder mit dem Pflaumenkuchenextremismus. So geht das.

Was kommt als nächstes? Wo es doch der griechischen Regierung ein Herzensanliegen ist, "den Extremismus zu zerschlagen"? Kein Grund die Luft anzuhalten, denn einer der Hintermänner der Samaras-Regierung hat seinem Herzen bereits Luft gemacht und sein Gewehr in Stellung gebracht:
Die Spannungen zwischen SYRIZA und der konservativen Nea Demokratia nahmen am Dienstag zu, nachdem Failos Kranidiotis, ein Rechtsanwalt - bekannt als enger Berater von Ministerpräsident Antonis Samaras - auf Facebook verlautete, er werde "sich seine 'Kugeln' aufbewahren für den wirklichen Feind," gemeint als Hinweis auf die linken Kräfte (in Griechenland). Mit dieser Aussage reagierte Kranidiotis auf kritische Stimmen, die ihm das Versäumnis vorwarfen, die Aktivitäten von Golden Dawn zu verurteilen.
"Den Extremismus zerschlagen", jawohl, so geht das. Von welchem Extremismus war gleich nochmal die Rede? Ist doch egal, ließ Evangelos Venizelos (PASOK, stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett von Samaras) vorgestern verlauten, Extremismus ist, wenn jemand anderer Meinung ist als wir, die Regierung:
Evangelos Venizelos: Jeder, der gegen unsere Bailout-Politik ist, ist gleichbedeutend ("equivalent of") mit Golden Dawn.
Verstanden? Wer gegen Bankenrettung, Kürzungsorgien, Kahlschlag, Verarmung, Verelendung und das damit einhergehende Erstarken faschistischer Tendenzen ist, der ist - nun ja, ein Faschist. Oder meinetwegen ein Äquivalent zum Faschismus. Damit dürfte klar sein, wer eigentlich auf der Abschussliste der Regierung steht:
Tsipras: Austerity is killing Europe
- so die extremistische Meinung des griechischen Oppositionsführers und SYRIZA-Parteivorsitzenden Alex Tsipras, mit der er sich vorgestern in Brüssel gegen die Bailout-Politik der Regierung und damit eindeutig auf Venizelos' Abschussliste positionierte.

Damit dürfte die Jagdsaison eröffnet sein.

Die Jagd auf sämtliche regierungskritischen, antifaschistischen Menschen in Griechenland (Video): Sind das nicht alles lauter zweibeinige Äquivalente zum Faschismus? Doch, ohne Frage.
Sage ich mal so als Pflaumenkuchen-Nazi.