Freitag, 31. August 2012

Die Würde des Täters ist unantastbar


Der Gärtner, der Klempner, der Butler - wer war's? Keiner der drei Hauptverdächtigen. Weil, irgendwann muss mal Schluss sein mit den kriminal-literarischen Mythen des Alltags. Irgendwann heißt es, die wirklichen Täter in den festen Blick zu nehmen. Ihnen auf den Kopf zusagen, dass sie es waren und kein anderer, der für die meuchelnde Tat verantwortlich ist. Sie offen, öffentlich und ohne Scheu der Untat bezichtigen, in deren Verdacht sie eh schon lange standen, nur dass es keiner auszusprechen gewagt hatte.
Der Mörder war nämlich das Opfer,
und das schlug erbarmungslos zu.
270 südafrikanische Bergarbeiter, die während ihres Streikes verhaftet wurden, sind des Mordes an ihren 34 Kollegen angeklagt, die am 16. August 2012 nachweislich von der Polizei erschossen wurden. Ferner stehen die 270 Bergarbeiter unter Anklage auf "versuchten Mord" an jenen 78 Kollegen, die Schussverletzungen erlitten infolge der polizeilichen Ballerei.

Das Regime begründet die Mordanklage mit einer aus Apartheid-Zeiten stammenden Gesetzgebung, derzufolge "die Verantwortung für jedwede tödliche Auseinandersetzung mit der bewaffneten Polizei diejenigen (Agitatoren) zu tragen haben, die die Sicherheitskräfte herausgefordert haben". Infolgedessen gelten die polizeilichen Scharfschützen als unschuldig, da die agitierende Forderung nach einem das Existenzminimum sichernden Lohn eine tödliche Schießerei unumgänglich gemacht habe und eine Mordanklage der 270 Bergarbeiter daraus zwingend folge.

Darüberhinaus werden die überlebenden 270 Bergarbeiter der südafrikanischen Lonmin Platin Mine - ein an der London Stock Exchange börsennotiertes Unternehmen - von der Staatsanwaltschaft haftbar gemacht für die negativen Auswirkungen der gewaltsamen Ausschreitungen auf die Wirtschaft: Laut Börsenberichten sei der südafrikanische Rand um zwölf Prozent gefallen.


Der Mörder war wieder das Opfer,
und das plant schon den nächsten Coup:
Pater Benedict Groeschel, ein amerikanischer Mönch und Professor für Pastoralpsychologie an der Erzdiozöse New York, behauptet, es gäbe Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche, wo die Priester von den Heranwachsenden verführt worden seien.

Um eine Erklärung gebeten, erwiderte das Kirchenoberhaupt, "Kinder, die nach einer Vaterfigur suchten, könnten sich von Priestern angezogen fühlen, um ein emotionales Vakuum in ihrem Leben zu füllen". Daraus darf geschlossen werden, dass die katholischen Missbrauchsspezialisten als unschuldig gelten, da adoleszente Verführungsstrategien darauf abzielten, überrumpelte Priester zu vernaschen und somit eine Vergewaltigung der verführerischen Jugendlichen unumgänglich machten.

Zwar stehen die betroffenen Jugendlichen noch nicht unter der (gerichtlichen) Anklage der mutwilligen Verführung von moralisch unfehlbaren Autoritätspersonen; es darf aber davon ausgegangen werden, dass ihnen eine gerechte Bestrafung zuteil werden wird, - den kirchlichen Würdenträgern wird schon etwas Angemessenes einfallen. Bekanntlich sind katholische Priester erfindungsreich, wenn sie sich nachhaltig verführt fühlen.
Der Mörder war nämlich das Opfer,
und das schlug erbarmungslos zu.
Der Mörder ist immer das Opfer -
man lernt eben täglich dazu.

Donnerstag, 30. August 2012

Sommermärchen, das letzte


Die Arbeitslosigkeit wächst, aber die Beschäftigung ist weiterhin am Steigen.

(Goldman Sachs über die aktuellen Zahlen am deutschen Arbeitsmarkt)

Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles weitere.
George Orwell, 1984

Dienstag, 28. August 2012

Sumpfblüten aus Amsterdam


Nein, keine Tulpen, auch kein Falschgeld, vielmehr blühender Blödsinn, gepflückt in Amsterdam, wo "viele niederländische Bürger entsetzt mitansehen, dass Länder an der Peripherie Europas ihre Finanzen herunterwirtschaften und riesige Rettungspakete erhalten":
"Echt, ich habe die Nase voll von dieser Regierung, die unsere Steuergelder an diese korrupten Griechen verschenkt," sagte der Besitzer eines Haustiergeschäftes in Amsterdam, der namentlich nicht genannt werden wollte, weil er einen Teil seines Einkommens dem Finanzamt verschweigt.
Korrupte, faule, steuerhinterziehende Griechen unterstützen? Wäre ja noch schöner! Nicht mit sauer verdienten holländischen Steuergeldern!
"Aus dem Grund akzeptiere ich in meinem Laden nur Barbezahlung. Weil ich nicht will, dass die mit meinem Geld finanziert werden, erst recht nicht, wenn sie die Renten und die Gesundheitsversorgung kürzen."
Offen ließ der Haustierhändler, ob er mit "sie" die holländische oder die griechische Regierung meinte. Ist ja auch egal, eigentlich. Wie ähnlich sich doch die Völker Europas sind.

Nur schade, dass sie es nicht merken.

Montag, 27. August 2012

Wie Butter in der Sonne






Skulptur aus Eis:
"Mittelschicht"
Auftakt zu Protestaktionen in Tampa, Florida
anlässlich der RNC
(Versammlung der Republikanischen Partei)
vom 27. bis 30. August 2012

Bildquellen:
1 (11:30 Uhr) und 2 (14:00 Uhr): democratic underground
3 (15:00 Uhr): melted away

Samstag, 25. August 2012

Im Schwitzkasten des Satans


Rechtzeitig zur demnächst stattfindenden RNC, der Versammlung der Republikanischen Partei (USA) zwecks Nominierung des Präsidentschaftskandidaten, hat der Satan höchstpersönlich Post von den Republikanern (GOP=Grand Old Party) bekommen:


Es handelt sich um ein nett verpacktes Geschenkpaket mit einem Paar Schlittschuhen darin, für den grenzunwahrscheinlichen Fall, dass irgendwann die Hölle zufrieren könnte und der Teufel trotzdem mobil bleiben möge. Der Tag X mit den höllischen Gefriertemperaturen, so geht aus dem Begleitschreiben der Republikaner hervor, werde dann anbrechen,
"... wenn wir aufhören, komplett fucking bescheuertes Zeug daherzureden über Frauen, Latinos, Schwarze, Arme, Homosexuelle und Migranten, und es irgendwie fertigbringen, trotzdem weiterhin gewählt zu werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Die GOP"
Der Teufel staunt nicht schlecht, findet die Schlittschuhe ultracool, befürchtet jedoch insgeheim, dass er sie niemals wird auftragen können, weil er - Realist, der er ist - sich sagt, eher würde die Hölle zufrieren, bevor die Hölle zufriert.

Nun haben sich allerdings im sonnigen Tampa, Florida (dem Austragungsort der RNC) ein paar schlittschuhlaufende Teufel zu Wort gemeldet mit einer wohlmeinenden Message an die Republikaner: Die Männersauna vor Ort - Ybor Resort and Spa, "Tampa Bay's einziger von Schwulen betriebener Privatclub, Erholungsbetrieb und Sauna" - hatte die geniale Idee zu einer einmaligen Promotion; einem Schnäppchenangebot, adressiert an RNC-Delegierte und begrenzt auf den Zeitrahmen des republikanischen Rudeltreffs:


Freier Zutritt zum Club
einschließlich der Nutzung der neuen Sauna
und des neueröffneten Darkrooms "A Shot in The Dark"
Freier Einlass für alle RNC-Delegierten!

Dank der großzügigen Gastfreundschaft der Clubbetreiber sowie der konvenienten Lage des Clubs (unweit der RNC-Location) haben die hartleibigen Hardcore-Sittenwächter der GOP endlich Gelegenheit, sich in gastlicher Atmosphäre zu entspannen von der harten Arbeit des ganzjährigen Minderheiten-Bashings und des unermüdlichen Sicheinmischens in anderer Leute Sexualleben.

Dabei wurde an alles gedacht, um die Hemmschwelle entspannungssuchender Republikaner weitestmöglichst zu senken: Der Club bietet einen diskreten Hintereingang ("back door"), um die Privatsphäre (respektive deren Geheimhaltung) von öffentlich bekannten Delegierten zu garantieren.

Ob die räumlichen Kapazitäten der Ybor Männersauna dem erwarteten Ansturm aus den Republikanerreihen standhalten werden können, ist noch ungewiss. Böse Zungen behaupten indes durch die Hintertür, bei der Republican National Convention handele es sich um nichts anderes als um eine mobile, ganzjährig operierende faschistische Männersauna. Auf Quellenangaben wird aus Gründen der Diskretion verzichtet.

Freitag, 24. August 2012

Don't Give a Pink Shit


Während im Westen die Pinkifizierung unaufhaltsam fortschreitet und niedliche kleine Striptease-Plastik-Feen mit niedlichen kleinen push-up-bras, niedlichen kleinen high-heels-Stöckelböcken und sonst kaum einem Fetzen rosa Stoff am niedlichen kleinen Plastikleib in niedliche rosarote just-for-girls-Schokoladeneier verpackt und niedlichen kleinen Mädchen (Lieblingsfarbe: rosa) untergejubelt werden -,


- gehen im fernen, von Taliban und Kriegen gebeutelten Afghanistan kleine Mädchen in knallbunten, stoffreichen Klamotten an den Start, steigen auf Skateboards, brettern die Halfpipe rauf und runter, fallen auf den Hintern, stehen wieder auf, brettern weiter, brettern mit den Jungs durch die kaputten Straßen von Kabul, sagen so etwas Ähnliches wie "I don't give a shit", wenn sie von Passanten schief angeschaut werden, weil Skaten kein für Frauen geziemendes Hobby sei, brettern an ihnen vorbei, tragen froschgrüne, knallrote, im Einzelfall auch rosafarbene Knieschützer und machen, alles in allem, einen ziemlich glücklichen Eindruck.


Donnerstag, 23. August 2012

Suizid, weggesprüht


Pfffftt!

Niedergeschlagen? Gedrückte Stimmung? Am Tiefpunkt? Seelische Krise? Am Rande einer Depression? Lebensmüde? Von allem die Nase voll?

Pfffftt!

Ein neuartiges Nasenspray schafft Abhilfe. Einmal hochziehen - und der Kopf ist wieder frei von schwarzen Gedanken, depressiven Dispositionen und suizidalen Anwandlungen. Und zwar sofort, denn der Weg von der Nase ins Limbische System ist ein kurzer: Ruckzuck ist die Depression ist wie weggeschnieft, das pralle Leben kann weitergehen, Selbstmord war gestern und Morden ist heute. Wer wird sich selbst umbringen wollen, wenn er dafür bezahlt wird, andere umzubringen?

Darum hat das amerikanische Pentagon keine Kosten gescheut, vielmehr das Anti-Suizid-Nasenspray-Forschungszentrum der Indiana University mit satten drei Millionen Dollar bezuschusst, nachdem ein dringender Handlungsbedarf erkannt worden war: Die Suizidrate im amerikanischen Militär hatte sich im Juli 2012 verdoppelt. "Inzwischen sterben mehr Soldaten durch eigene Hand als durch Handgreiflichkeiten von den Taliban in Afghanistan."

Eine alarmierende Entwicklung, der mit Sofortmaßnahmen Einhalt geboten werden musste. Daher die Entwicklung einer innovativen, vor tödlichen Autoimmun-Erkrankungen schützenden biologischen Waffe, eben jenes Instant-Suizidkiller-Nasensprays, frei nach dem Slogan: Du sollst dein Gewehr nicht falsch herum halten, sprüh dir besser etwas Befreiendes in die Nase, und das Abknallen fremder Menschen funktioniert wieder wie von selbst. Ohne Störgefühle, ohne Depression, ohne Trauer...


... außer natürlich bei den Hinterbliebenen derer, die du in die Luft gejagt hast. Muss dich, Soldat, aber nicht in deiner Gemütsverfassung beeinträchtigen, trägst du doch ein Fläschchen unserer speziell für dich neu entwickelten Anti-Suizid-Droge stets im Kampfanzug mit dir und weißt um die "euphorisierenden, beruhigenden, anti-depressiven Wirkungen" des neurochemischen Wirkstoffes TRH (thyrotropin-freisetzendes Hormon) auf "nanotechnologischer Basis".

Pfffftt!

Noch befindet sich der neurochemische Kampfstoff in der Testphase; zumindest so lange, bis die Euphorisierung der suizidgefährdeten Streitkräfte so weit fortgeschritten ist, dass deren Selbsttötungsrate signifikant unter den Zahlen der getöteten Feinde liegt, inklusive der getöteten Menschen aus der Zivilbevölkerung.

Apropos Zivilbevölkerung.

Beruhigend, nachgerade euphorisierend ist das Vorhaben der universitären Forscher im Auftrag der US-Armee, "eine umfassende Versuchsreihe über die nächsten Jahre zu starten, um - so die Hoffnung - das Spray nicht nur Soldaten, sondern ebenso Zivilpersonen an die Hand zu geben zu können". Das "Spray of Hope" für den täglichen Gebrauch, zur Prophylaxe der rasant ansteigenden Suizidrate in der Zivilbevölkerung der westlichen Gesellschaften!

Selten war die Rede von der 'zweiten Großen Depression' angebrachter als in Zeiten, wo immer mehr Menschen sich von der wirtschaftlichen in die seelische Depression getrieben sehen und den suizidalen Ausweg als letzte Lösung wählen. Übrigens nicht nur in Griechenland, Spanien und Italien, sondern neuerdings auch in Großbritannien.

Pfffftt!

So what? Nasenspray, um der Selbsttötung vorzubeugen. Neue Lebensqualität durch Nanotechnologie. Jedem sein individuelles Fläschchen in die Hausapotheke. Immer schön lebendig bleiben, auch wenn es euch sterbenselend zumute ist! Bei akutem Ausfall der Lebensgeister einfach sprühen, hochziehen, und gut ist!

Obwohl. Es ginge sicherlich noch effizienter. Zum Beispiel Tränengas, das ist ja auch ein kostspieliger Kampfstoff, der auf Dauer und bei wachsendem sozialen Protest ganz schön ins Geld geht - warum nicht gleich die unzufriedenen Massen mit etwas Beruhigendem, Euphorisierendem besprühen? Nie war Problemlösen leichter, als wenn die Forschung zur Entwicklung schreitet.

Überhaupt. Zu viele Suizide schaden der Ideologie. Warum nicht das ganze depressionsgeschüttelte Land/den Kontinent flächendeckend mit einer anti-depressiven Gaswolke besprühen? Zugegeben, kein wirklich neuer Gedanke. Alles schon mal dagewesen, Schöne Neue Welt, Aldous Huxley lässt grüßen.

Pfffftt!

Brauche dringend eine Ladung aus meinem Anti-Paranoia-Sprayflakon.

Mittwoch, 22. August 2012

Die Kunst, eine Artischocke zu entblättern


... besteht darin, das Gemüse lange genug weichzukochen, sonst bleibt das Fruchtfleisch zäh und faserig; aber auch nicht zu lange, sonst wird es breiig und schleimig. Die perfekt gekochte Artischocke ist von seidig-cremiger Konsistenz, schmeckt schön zart und zergeht dem Feinschmecker auf der Zunge.

Den richtigen Zeitpunkt des optimalen Genusses - also die perfekte Garzeit - bemisst der Kenner daran, dass die Artischocke als Ganzes (noch) gut zusammenhält - also nicht zerfällt -, aber die äußeren grünen Blätter sich leicht und ohne Widerstand vom Strunk lösen lassen. Der Schlaraffe steckt dann jedes dieser Blätter in den Mund, schabt den leicht süß schmeckenden, delikaten - also den fleischigen - Teil mit den Zähnen aus dem Blatt und schmeißt den Rest der hartfaserigen, ungenießbaren Schale weg.

Je näher der Genießer dem Kern der Artischocke kommt, desto zarter und wohlschmeckender werden die Blätter; bei der perfekt weichgekochten Artischocke sind die inneren Blättchen zart genug, um im Ganzen verzehrt zu werden.
"Wenn Griechenland den Euro verlässt, könnten wir die nächsten sein. Weil die Eurozone wie eine Artischocke ist. Früher oder später werden die Blätter abgeschnitten."
"Abgeschnitten" ist natürlich nicht ganz korrekt (siehe oben), denn wenn die Blätter sich leicht und widerstandslos vom Strunk lösen lassen, erübrigt sich ein martialisches Abschneiden, weil es ja dann fast wie von selbst geht - alles eine Frage des richtigen Zeitpunktes. Ansonsten scheint die Artischocke eine perfekte Metapher* zu sein, aber natürlich nur, solange sie perfekt weichgekocht ist.

Die wahren Connaisseure und Artischockenblätter-Aussauger (sagen wir mal, Investoren aller Art) wissen selbstverständlich, dass das Beste, das Filetstück - also der Kern - der Artischocke ganz am Schluss kommt, weshalb das genussvolle Leerkauen und Wegschmeißen der ausgelutschten Blätter mit einer lukullischen Vorlust vergleichbar ist; wohlwissend, dass das äußerst schmackhafte Innere, das von Blättern geschützte Artischockenherz, erst dann unversehrt zum Vorschein kommt, wenn alle äußeren Blätter ausgesaugt und weggeschmissen wurden.

Darum lässt der wahre Kenner sich mit dem Entblättern der Artischocke viel Zeit. Zeit, in der ihm das Wasser im Munde zusammenläuft und er sich auf den kulinarischen Höhepunkt freut.

Eat slowly and enjoy.


*nach ihr gegriffen hat der ehemalige italienische Ministerpräsident Giuliano Amato, via Keep Talking Greece)

Dienstag, 21. August 2012

Zum Davonschmelzen



It's. Too. Darn. Hot.


Samstag, 18. August 2012

Hygienisch unbedenklich


Kenny Random, Italien

Eine Frau im amerikanischen Pennsylvania wird zu einer Strafe von 600 Dollar pro Tag verdonnert, falls sie es nicht unterlässt, weiterhin 60 in Armut lebende Nachbarkinder täglich in ihrem eigenen Haus mit Essen und Trinken zu versorgen. Straftatbestand: Sie ernährt die Kinder, ohne dafür eine Sondergenehmigung eingeholt zu haben. Kosten der Sondergenehmigung: 1.000 Dollar. Begründung: gesundheitliche und hygienische Bedenken seitens der Gemeindeverwaltung: "Was, wenn ein Kind an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt?"

Jedes fünfte Kind in Amerika lebt unterhalb der Armutsgrenze. Gesundheitliche oder hygienische Bedenken, wenn hungernde Kinder Müllcontainer nach Essbarem durchsuchen, wurden bislang von keiner amerikanischen, jedoch von einer spanischen Gemeindeverwaltung geäußert. Lösung: alle Müllcontainer an Supermärkten mit Sicherheitsschlössern verriegeln. Folge: Die Kinder haben immer noch Hunger und nichts zu essen.

Das gehäufte Auftreten von chronisch unterernährten Kindern in der westlichen Welt führte bislang zu keinerlei gesundheitlichen Bedenken seitens der Gemeinde-, Stadt- und sonstigen Verwaltungen der westlichen Welt.

Ein führender Hedgefonds-Manager kam neulich zu dem Schluss, eine bedrohliche weltweite Lebensmittelverknappung stünde bevor. Ursachen: Verknappung an Wasserressourcen, Verknappung an zu bewirtschaftendem Boden, zunehmende Dürreperioden, steigende Kosten von Treibstoff und Düngemitteln. Gefehlt haben in der Ursachenaufzählung die zunehmende Privatisierung von Wasser-, Energie- und Bodenressourcen sowie die zunehmende Spekulation mit Nahrungsmitteln, besonders vor dem Hintergrund zunehmender Dürreperioden.

Das Bedrohliche an der weltweiten Lebensmittelverknappung werden, laut dem führenden Hedgefonds-Manager, unkontrollierbare "durch Lebensmittelverknappung verursachte Migrationswellen sein, die die globale Stabilität und das globale Wachstum bedrohen werden". Ausgehungerte Bevölkerungen, die wie die Heuschrecken über das globale Wachstum herfallen: Für einen führenden Heuschrecken-Manager gibt es kaum Bedrohlicheres.

Bedrohlich seien ferner die "zunehmenden Zahlen derer, die sich die Lebensmittel, die wir produzieren, nicht leisten können". Dass es bedrohlich ist, wenn infolgedessen Millionen Menschen durch Verhungern sterben werden, blieb unerwähnt; auch wurden keine gesundheitlichen oder hygienischen Bedenken gegenüber Tod durch Verhungern oder Unterernährung geäußert.

Unerwähnt blieb ferner das globale Phänomen von sich an ausgehungerten Heuschrecken sättigenden Heuschrecken.

Zwei international renommierte Ökonomen haben - angesichts der "in die Rezession zurückgeschleuderten Eurozone" (zunehmende Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut, zunehmender Hunger, zunehmendes Elend) - den Mut, das Unaussprechliche auszusprechen:
"Es wird zu einem gewaltigen Niedergang an Humankapital kommen."
Unerwähnt blieb in ihrer apokalyptischen Analyse der Begriff Austerität.
Austerität: Einsparmaßnahmen im Sozial- und Gesundheitsbereich, Kündigungswellen großen Stils, Versklavungsmaßnahmen auf den Arbeitsmärkten.
Begründung: Wiederherstellung von Wachstum und Stabilität.
Folgen: Verarmung, Verelendung, Verhungerung sowie zunehmende Suizidraten.
Gesundheitliche und hygienische Bedenken: keine.

Freitag, 17. August 2012

Geschichten aus Schichten


Neue Studie? Find' ich gut.

Neue Studie zur Befindlichkeit der Unterschicht? Find' ich besser.

Neue Studie, wieso es der Unterschicht besser geht als gemeinhin vermutet? Find' ich am besten.

Gemeinhin wird ja vermutet, der Unterschicht gehe es schlecht, der Mittelschicht gehe es besser, und der Oberschicht gehe es am besten. Alles Mythos. Alles falsch.

Lassen wir mal das Wohlbefinden der Oberschicht für einen Moment (später dazu mehr) außer Acht, dann lehrt uns die neue Studie, dass es nicht etwa der Unterschicht, sondern der Mittelschicht am schlechtesten geht. Jetzt weniger materiell als vielmehr seelisch gesehen.

Seelisch gesehen geht es der Mittelschicht sogar richtig dreckig. Das kommt daher, dass die Mittelschicht einen beinharten Abwehrkampf zu führen hat gegen drei sie existentiell bedrohende Gefahren: Erstens will sie nicht so sein wie die Unterschicht, zweitens will sie nicht so werden wie die Unterschicht, drittens - die härteste aller Abwehrfronten - tut sie alles, um nicht selbst Unterschicht zu werden. All diese Abwehrmaßnahmen kosten die Mittelschicht nicht nur viel Zeit und Geld, sondern verzehren - was dem Wohlbefinden am abträglichsten ist - Unmengen seelischer Energie.

Das Interessante, wenn auch wenig Überraschende an der neuen Studie ist, dass dieser desolate Seelenzustand nicht etwa der Selbstauskunft der Mittelschicht zu entnehmen ist, sondern den Aussagen der Unterschicht über die Mittelschicht. Wenig überraschend insofern, als diese Zuschreibungen aus jenen Teilen der Unterschicht stammen, die sich früher einmal selbst der Mittelschicht zugehörig fühlten und von diesem heimeligen Zugehörigkeitsgefühl ein für allemal verabschiedet haben.

Trotz der vielen Herausforderungen, mit denen sich Niedrigverdiener konfrontiert sehen - so das zentrale Ergebnis der Studie -, äußern letztere ein Gefühl der Erleichterung, ja
... Dankbarkeit darüber, dass es ihnen erspart bliebe, die Härten und das Elend der überduldsamen Mittelschicht ertragen zu müssen.
Das Kernergebnis der Studie wird zum einen untermauert mit der Feststellung:
Dem Bericht zufolge sind die 46 Millionen unterhalb der Armutsgrenze lebenden Amerikaner - obwohl sie schwer zu kämpfen haben - letztlich gottfroh darüber, dass sie nicht mehr den Erwartungen eines sich rapide in Luft auflösenden 'american dream' entsprechen müssen; also aufgehört haben zu träumen von Karriereaufstiegen, von immer mehr Geldverdienen, von einer Verbesserung ihres Lebensstiles, so wie es ihre Mittelschichts-Gegenspieler nach wie vor tun.
- zum andern (da es sich um eine Studie mit qualitativer Forschungsmethodik handelt) mit zahlreichen O-Tönen aus der desillusionierten Unterschicht, die belegen, dass ein Leben, das um eine typische Mittelschichtsillusion ärmer geworden ist, durchaus seine bereichernden Aspekte haben kann.
"Die realitätsfremden Erwartungen und falschen Hoffnungen, die sie mit sich herumschleppen, müssen unerträglich sein," sagt eine Hotelbedienstete den Forschern und merkt an, zwar reiche ihr Gehalt kaum, um die monatlichen Kosten für Miete und Lebensmittel zu decken, aber wenigstens arbeite sie nicht unter der fehlerhaften Prämisse, ihre Situation würde sich jemals verbessern. "Sein Leben lang sich unaufhörlich zu stressen mit einem Sackgassen-Job, oder sich krummzulegen wegen einer 30-Jahre-Hypothek für ein Reihenhaus mit drei Schlafzimmern, das kontinuierlich an Wert verliert? Ist ja der Horror. Können Sie sich vorstellen, so leben zu müssen? Diese Leute tun mir leid."
Ein Aushilfslehrer, der mit seiner Frau und einem zweijährigen Sohn auf der Basis von Lebensmittelmarken überlebt, wird deutlicher:
"Für mich schwer zu verstehen, wie jemand sich halbtot arbeitet für eine Beförderung unter der Illusion, es jemals nach oben zu schaffen. Die Leute verschwenden damit die besten Jahre ihres Lebens, eine gottverdammte Tragödie."
Am drastischsten drückt es eine 31-jährige Kellnerin und alleinerziehende Mutter von drei Kindern aus:
"Was für eine traumatische Erfahrung, erwachsen zu werden und sich wie ein Versager zu fühlen, nur weil sie sich einbilden, sie hätten Kontrolle über das, was sie im Leben erreichen können. Ich kann nur hoffen und beten, dass meine Familie sich niemals in diesem Teufelskreis aus Enttäuschungen verheddert, der unserer Mittelschicht derart zu schaffen macht."

Das stärkste Gefühl von Erleichtertsein, so die Forscher bei der Präsentation ihrer Studie, komme aus jenen Reihen der Unterschicht, die über eine nachhaltige Mittelschichtserfahrung verfügten, den sozioökonomischen Abstieg vollzogen hätten und sich nunmehr am unteren Ende der Einkommensskala befänden. Ein 42-jähriger ehemaliger IT-Techniker, der letzten April seinen Job und infolgedessen sein Haus verloren hat, bringt es auf den Punkt:
"Ehrlich, Sie glauben gar nicht, um wieviel besser ich mich heutzutage fühle: einfach zu wissen, dass ich mich nicht länger abstrampele für etwas, was komplett und absolut außer Reichweite ist, ist für mich eine unglaubliche Entlastung. Ich bin arm und werde arm bleiben, das hat etwas Befreiendes."
Alles in allem eine Studie mit gewissem Zündstoff, so viel steht fest.

Zur vorsorglichen Entschärfung und um die lebenserfahrene, wenn auch etwas vorlaute Unterschicht ein wenig aus der Schusslinie zu nehmen, holten sich die Forscher zusätzliches wissenschaftliches Back up bei einer Kontrollgruppe: Eine Parallelbefragung bei Angehörigen der Oberschicht scheint die seitens der Unterschicht geäußerten Befunde bezüglich der Mittelschicht zu bestätigen. Die befragte Kontrollgruppe legte noch eine Schicht oder vielmehr Schippe drauf, indem sie sich nicht scheute, quasi als Resonanzraum der Unterschicht aufzutreten:
Einige Angehörige der Oberschicht gaben kund, sie "empfänden gleichermaßen Dankbarkeit, dass ihnen die Härten der Mittelschicht erspart geblieben seien."

Mittwoch, 15. August 2012

Märkte im Urlaub


Mitte August und sauheiß und keiner weiß, was die zweite Augusthälfte noch so an Hitzewallungen ausbrütet.

Doch, einer weiß es. Oder er ahnt etwas Heißes und brütet darum eine Warnung aus: den Monat August bloß nicht vorsätzlich in Wallung bringen!
"Wir hatten einen ruhigen August, darum lassen Sie uns den weiteren August nicht in Wallung versetzen; wir sollten versuchen, einen langweiligen August zu behalten, um es sogar den Kräften des Marktes zu ermöglichen, in der zweiten Augusthälfte ein bisschen Urlaub zu machen."
Gottlob, es ist sauheiß, da bekommen die Kräfte des Marktes hitzefrei, dürfen endlich mal in Urlaub fahren und können es bei ihrer Rückkehr im September - gut erholt - so richtig krachen lassen.

Wir Zuhausegebliebenen erfahren von der Wettervorhersage, dass es morgen nochmal zwei Grad heißer werden wird, langweilen uns voller Genuss durch den Rest des ruhigen Augusts und denken, so genüsslich ruhig könnte es eigentlich immerdar bleiben, wenn, ja wenn - wir bloß wüssten, wohin die Kräfte des Marktes in Urlaub gefahren sind?

Wir geben die Frage weiter an den europäischen Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn, aus dessen Mund wir die sehnlichst erhoffte Antwort erwarten: dorthin, wo der Pfeffer wächst.

Blog, auf Eis liegend



Samstag, 11. August 2012

Sommermärchen, das zehnte


In der nachrichtenarmen Sommermärchenzeit hat Deutschland mal wieder die Nase vorn und Grund, sich selbst zu feiern.

Und das in punktgenauem Hochleistung-PR-Timing: sitzt, passt, hat noch Luft bis zum morgigen Tag und macht aus Deutschland den Musterschüler, der es schon immer gern war und bitte bleiben möchte, weshalb es derzeit in ganz Europa so überaus beliebt ist und sich damit bestimmt noch höher katapultiert auf der Vereinigten-Vielvölker-Beliebtheitsskala, namentlich der südeuropäischen.

Wenn das kein fulminanter PR-Coup ist, mit dem das vorbildlich-mustergültige Deutschland europaweit Bella Figura machen möchte, dann weiß ich auch nicht. Die Imagekampagne strotzt nur so vor Superlativen und setzt sich aus den folgenden, rekordverdächtigen Marketing-Mix-Komponenten zusammen:

1. Arbeitslosigkeit in Europa auf Rekordniveau.

2. Die von Deutschland unnachgiebig geforderte Austerität lässt die Arbeitslosigkeit in Südeuropa weiter ansteigen.

3. Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und Spanien übersteigt die 50-Prozent-Marke.

4. Deutschland glänzt mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit ganz Europas.

5. Die neuesten Zahlen zu Deutschlands Jugendarbeitslosigkeit auf Rekordniedrigstniveau kursieren seit gestern.

6. Seit gestern deliriert die deutsche Presse trunken-taumelnd über Deutschland, den "sichersten Arbeitsmarkt für europäische Jugendliche", über Deutschland, das "sich stemmt gegen den europaweiten Trend", über Deutschland, in dem "man als Jugendlicher keine Zukunftsangst haben muss" bis hin zu "Jobatlas Europa - Deutschland top!"

7. Die Frohlocken auslösende Botschaft wurde am Freitag überbracht.

8. Wieso gerade am Freitag?

9. Dies "berichtete das Statistische Bundesamt am Freitag anlässlich des Internationalen Tags der Jugend, der am Sonntag ansteht", also morgen, am 12. August 2012.

10. Der Internationale Tag der Jugend, auch Weltjugendtag genannt, wurde 1985 durch die UNO proklamiert. Der Weltjugendtag 2012 steht unter dem märchenhaften Motto "Building a better world" (eine bessere Welt schaffen).

Ganz Europa freut sich schon auf morgen, wenn Deutschland als Niedrigst-Jugendarbeitslosigkeit-Europameister in den Ring steigt und allen zeigt, wie's geht: eine bessere Welt schaffen.

Dafür muss man sie doch einfach mögen, die Deutschen, oder?

Freitag, 10. August 2012

Traue keinem, der sich fürs Aufhetzen bezahlen lässt


Wenn die Krise ihrem Höhepunkt zusteuert, wird es höchste Zeit, die Feindbilder zurechtzurücken.
Bürger gegen Banken, Nord gegen Süd, Oben gegen Unten?
Alles falsch. Der Intellektuellenboulevard weiß es besser:
Einer der größten Konflikte in den Euro-Krisenstaaten wird meist totgeschwiegen:
- na? Einer der größten, wenn nicht der größte Konflikt in den Euro-Krisenstaaten? Was könnte das sein? Ein Finanzsystem, das gelernt hat, dass Kriminalität sich auszahlt? Korruption unter Politikern, Büro- und Technokraten? Falsch, falsch.
Die Alten leben auf Kosten der Jungen. Höchste Zeit, dass die Jugend gegen ihre Eltern auf die Barrikaden geht.
Höchste Zeit, die Jungen gegen die Alten aufzuhetzen. Nicht obwohl, sondern weil in den Euro-Krisenstaaten generationsübergreifend gegen den Terror der Austerität und der sie verhängenden Interessengruppen gekämpft wird - ein unerträglicher Gedanke für einen bezahlten Aufwiegler von Schreibtischs Gnaden.

Scheinen die Menschen im Süden Europas doch bei ihren Protestaktionen recht gut zu wissen, wer der gemeinsame Feind von Jung und Alt ist: ein System, das beide um ihren Lebensstandard und ihre Zukunftsperspektiven beraubt. Egal, in Deutschlands Schreibstuben weiß man es wieder einmal besser:
Traue keinem Europäer über 30!
Zu mehr als einem billigen Griff in die 68er-Mottenkiste hat das Honorar offenbar nicht gereicht, drum gleich noch einen drauf:
"Die Alten sollen abhauen!"
rät das Mietmaul den Jungen, denn:
...in vieler Hinsicht ist die Euro-Krise ein Generationenkonflikt. Die satte Generation der Babyboomer, also der 50- bis 60-Jährigen, lebt in den Krisenländern auf Kosten der Jungen.
...und in vieler Hinsicht leben satte Auftragsschreiber auf Kosten der Berichterstattung generationsunabhängiger und -übergreifender Konfliktursachen. Das spalterische Aufhetzen nimmt seinen Lauf. Billig, aber immerhin bezahlt.

Sommermärchen, das neunte


Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Nein, nicht das pralle, sondern das dürre Leben der Statistiker. Vorzugsweise jener auf dem rechten ideologischen Pfad wandernder Statistiker, die ihre Zahlen rauf und runter auswerten, um sie sodann - jetzt bitte anschnallen! - zu interpretieren.

Wenn diese Statistiker beim Interpretieren von Einkommenszuwächsen - und überhaupt beim Thema Wachstum schlechthin - so richtig in Fahrt kommen, lassen sie sich gern zu Schlagzeilen wie dieser hinreißen:
Der Tatbestand der wachsenden 1 Prozent Inder
In der rhetorischen Figur '1 Prozent', wir erinnern uns, drückt sich der Tatbestand der obersten, schmal besetzten Spitze der Einkommenspyramide aus. Und jetzt wachsen die '1 Prozent', ist das nicht phantastisch? Ist das so zu verstehen, dass aus einem Prozent zwei, drei, viele Prozent Spitzenverdiener in Indien werden? Womöglich ein überwältigender Fall von Demokratisierung der Spitzeneinkommen?

Fast könnte sich der Eindruck aufdrängen, denn:
Haushalte mit einem jährlichen Einkommen von 12.500.000 Rupien wachsen rapide.
- wäre da nicht der (zugegeben, korinthenkackerische) Tatbestand, dass von "Haushalten" die Rede ist und nicht etwa von der "Zahl der Haushalte". So ist im Fortgang der Lektüre zu erfahren, dass es das Haushaltseinkommen der '1 Prozent' ist, das rapide wächst, nicht etwa die Anzahl der Haushalte, die sich mit dem stolzen Haushaltseinkommen der '1 Prozent' messen können. Was die Statistiker nicht daran hindert, jubilierend zu interpretieren:
Die gute Nachricht ist, dass Indiens 1-Prozent-Club rapide wächst.
Gigantisch. Nachgerade märchenhaft, die gute Nachricht. Das rapide Wachstum der '1 Prozent' wird bald alle Rekorde schlagen. Wie haben wir uns das demnächst alle Gürtelschnallen sprengende Wachstum des (nicht nur indischen) "1-Prozent-Clubs" vorzustellen? Frag' den Statistiker:
In den Jahren 1993-94 verdiente das obere Fünftel der Haushalte in Indien 37 Prozent des Gesamteinkommens. Dieses Einkommen (des oberen Fünftels) wuchs 2009-10 auf 53 Prozent des Gesamteinkommens und wird erwartungsgemäß 59 Prozent in den Jahren 2014-14 erreichen.
So weit klar, der Tatbestand der märchenhaften Geldvermehrung an der Spitze der Pyramide? Und das Tolle an den Spitzenverdienern ist, dass sie auch viel mehr Geld für Konsumzwecke ausgeben ("high earner, high spender"), die leisten auf der ganzen Linie was, finden anerkennend die Statistiker ("40 Prozent der Gesamtkonsumausgaben"). Um uns ein Gefühl dafür zu geben, wie märchenhaft das da oben in schwindelnder Höhe läuft, erlauben die Statistiker uns einen vergleichenden Blick auf den breiten Fuß der Einkommenspyramide:
Im Kontrast dazu steuerte der untere Teil der Pyramide gerade mal neun Prozent und die mittleren Einkommen 17 Prozent am Gesamtkonsum bei.
Kriegen einfach nichts gebacken, die da unten. Woran hapert's? Denen fehlt eben die Fähigkeit, anständig Geld zu verdienen. Sagt der Statistiker:
Dank ihrer größeren Fähigkeit, Geld zu verdienen, war der Einkommensüberschuss der Haushalte des oberen Fünftels 76 Prozent, im Vergleich zu sieben Prozent der Haushalte mit mittlerem Einkommen, und einem (Einkommensüberschuss-)Defizit von zwei Prozent am unteren Ende der Pyramide.
Bevor ich mich an den unteren Teil der Pyramide begebe und ans Zusammenkratzen meiner Einkommensüberschussdefizite mache (die alljährliche Steuererklärung droht), hier das sommerliche Summary aus dem märchenhaften Indien:
Dank ihrer besseren Fähigkeit, Geld zu verdienen, freuen sich die '1 Prozent' mitteilen zu können, dass rapide wachsende Einkommensunterschiede eine gute Nachricht sind.
Einkommenspyramide, indisch

Donnerstag, 9. August 2012

Sommermärchen, das achte


Es war einmal ein Land im Süden Europas, da hatten die Menschen großen Hunger und nichts zu essen. Um nicht zu verhungern, öffneten sie die Mülltonnen hinter den Supermärkten, holten sich weggeworfene Lebensmittel heraus, nahmen diese mit nach Hause und verteilten sie an andere Menschen, die auch großen Hunger hatten.

Das ging eine Zeitlang gut, bis die Stadtverwaltung der spanischen Stadt Girona fand, dass das nicht ginge, und gut schon gleich gar nicht. Darum befahl sie allen Supermärkten der Stadt, ihre Mülltonnen mit Sicherheitsschlössern zu verriegeln. Diese Schlösser, so argumentierte die Stadtverwaltung, dienten der Sicherheit der hungernden Bevölkerung: Denn die weggeworfenen, abgelaufenen Produkte stellten ein "Gesundheitsrisiko" dar für diejenigen, die sie verzehrten. Die "Praxis" hungernder Menschen, sich von Lebensmitteln aus Mülltonnen zu ernähren, habe bei der Stadtverwaltung einen "sozialen Alarm" ausgelöst und deshalb zu der sicherheits- und gesundheitsschützenden Sperrmaßnahme geführt.

Seitdem haben die Menschen in Girona zwar immer noch großen Hunger, leben aber jetzt viel gesünder und, natürlich, viel kalorienärmer.

Ferner, so ist zu hören, plane die Stadtverwaltung aus Sorge um die Gesundheit ihrer notleidenden Mitbürger bereits weitere Sicherheitsmaßnahmen; so solle demnächst ein neues Gesetz in Kraft treten, das armen, hungernden, obdach- oder sonstwie mittellosen Menschen verbietet, auf den Straßen der Stadt herumzusitzen oder dort gar zu übernachten. Auch dies sei nämlich eine "Praxis", die "sozialen Alarm" auslöse, und man ließe sich nun mal im Rathaus von Girona ungern sozial alarmieren.

Seitdem herrschen in der spanischen Stadt Girona wieder Sicherheit, öffentlicher Friede, Gesundheit und soziale Hygiene zum Wohle aller, und wenn die Menschen von Girona noch nicht verhungert sind, dann leben sie noch heute.

Öffentliches Hängen



"...Vandalismus..."
"...schockierend..."
"...geschmackloser Werbegag..."
"...destruktives Verhalten gegen unsere Reklameflächen..."
"...gefährliche Ablenkung der Verkehrsteilnehmer..."
"...illegal..."
Streetart 2012, Las Vegas. Sonst nichts.


Mittwoch, 8. August 2012

Trag' den Müll raus


Mit jedem Tag füllt sich die Europa-Mülltonne schneller. Die schlechten Gerüche drohen zum Alltagsklima zu werden. Wenn das so weitergeht, werde ich künftig den Müll mehrmals täglich raustragen müssen, sonst helfen nur noch Mundschutz und zugehaltene Nase.

Jean-Claude Juncker, Chef des Eurogruppenfinanzminster-Klüngels, hat mal wieder zugeschlagen. Sein Thema war der zur Zeit allseits sehr populäre Grexit, also der Austritt Griechenlands aus der Eurozone:
"Aus heutiger Perspektive wäre er zu bewältigen, aber das bedeutet nicht, dass er zu wünschen ist," sagte Juncker dem Westdeutschen Rundfunk.
Schon klar. Kennt man ja. Wir könnten, wenn wir wollten, aber wir wollen nicht. Präpotentes Machogequassel, nicht zu verwechseln mit Impotenz-verschleierndem Drumherumgerede. Warum ist ein Grexit aus Sicht jenes Mannes, der einmal gesagt hat: "Wenn es ernst wird, muss man lügen", nicht wünschenswert? Darum:
"Weil er (der Grexit) besonders die normale Bevölkerung in Griechenland signifikanten Risiken aussetzen würde."
Ah. Schon wieder diese üblen Gerüche. Der alte Lügenbold hat, völlig überraschend, sein Herz für die normale Bevölkerung entdeckt. Das geht gewaltig ans Herz, aber noch strenger in die Nase.

Dann wurde er von den WDR-Reportern noch gefragt, ob er einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone kategorisch ausschließen könne? Da ließ sich der flunkernde Juncker nicht lumpen:
"Ja. Zumindest bis zum Ende des Herbstes."
Wenn das keine Perspektive ist! Bis Ende des Herbstes!
Und danach?
"Und danach auch."
Noch Fragen? Danke, nein. Juncker im gewohnt doppelzüngigen Sprechblasenmodus. Die Luft ist verpestet. Ich geh' mal eben den Müll raustragen.

Wachsendes Schrumpftum


Läuft doch alles super nach Plan. Das mit der Austerität. Das mit der Gesundschrumpf-Krankmach-Diät made in Germany. Der europäische Süden prosperiert. Die Wirtschaft steht in voller Blüte. Die Erfolgsmeldungen überschlagen sich.
Mit seiner schrumpfenden Wirtschaft - bereits im vierten Quartal in Folge - hat sich Italiens Rezession verschärft. Um Schulden einzudämmen, hatte die Regierung Budgetkürzungen und Steuererhöhungen verhängt, unter denen Unternehmen und Privathaushalte zu leiden haben.
Was schrumpft, das wächst. Sagen alle.
Experten sagen, Wirtschaftswachstum sei ein Schlüsselelement, um die Staatsschuldenlast des Landes zu reduzieren.
Was noch mehr schrumpft, wächst umso stärker. Steht so im Plan. Also weiter im Plan.
Am Dienstag gewann Italiens Ministerpräsident Mario Monti ein Vertrauensvotum über einen Gesetzesentwurf, der weitere 4,5 Milliarden Einsparungen für dieses Jahr vorsieht. Die Kürzungen erfolgen zusätzlich zu den 10,5 Milliarden Einsparungen in Montis Austeritätspaket, das im Dezember verabschiedet wurde.
Zusätzlich eingespart werden soll übrigens im Gesundheitswesen und bei Arbeitsplätzen, zwei Bereichen - da sind sich alle einig -, in denen immer noch was geht. Getreu dem Planspiel: Erst wenn ihr euch totgeschrumpft habt, werdet ihr spüren, wie lebendig sich Wachstum anfühlt.
Die installierte Austerität und die für 2012 noch anvisierten Sparmaßnahmen dürften den weiteren Abwärtsdrall der italienischen Wirtschaft garantieren, denn die sinkenden Ausgaben des einen Wirtschaftssektors (Staat) sind die sinkenden Einnahmen eines anderen Wirtschaftssektors (private Haushalte und Unternehmen), simple Arithmetik. Da niemand in die Bresche springt und springen kann, müssen zwangsläufig die Sparmaßnahmen des Staates die Rezession verstärken. An dieser puren volkswirtschaftlichen Arithmetik ändern auch "Möchtegern-Reformer" (Technokraten) nichts.
- daran wollen die ja auch gar nichts ändern, solange alles nach Plan läuft. Noch ist des einen Schrumpfen des anderen Wachsen:
Letzte Woche verkündete die sehr populäre Bildzeitung lautstark ihren Lesern - so, als ob es ein Knüller sei -, dass Deutschland von der Fortführung der Krise profitiere. Geschätzt habe das Land über die letzten 30 Monate 60 Milliarden langfristige Finanzierungskosten eingespart, eine Summe, die von vielen Experten bestätigt wird. Die Populisten (der genannten Zeitung) schwelgen in diesem neuerlichen Erfolgsbeweis ihres Landes, während die meisten anderen (Zeitungen) so tun, als ob es hierzu nichts weiter zu sagen gibt.
Beobachtet wird dieser "neue deutsche Nationalismus" nicht von einer deutschen, sondern einer italienischen Zeitung, die ihre deutschen Kollegen, ebenso wie die Experten von der Ökonomenfront, der Kurzsichtigkeit zeiht.
Der neue deutsche Nationalismus redet am liebsten haarscharf am eigentlichen Punkt vorbei; er tut dies in einem Kurzschluss zwischen Wahlkampfdemagogie einerseits und andererseits den Dogmen einer konformistischen akademischen Elite.
Und während die einen das deutsche Erfolgsmodell feiern und die anderen "so tun, als ob es hierzu nichts weiter zu sagen gibt", findet eine weitere, diesmal englische Zeitung, dass es zum deutschen Erfolgsmodell noch einiges Aufschlussreiches zu sagen gibt:
Noch mehr schlechte wirtschaftliche Nachrichten - diesmal aus Deutschland, wo der Auftragseingang der Industrie im Juni um 1,7 Prozent gefallen ist. Auf Jahresvergleichsbasis war die Auftragslage in Europas Wirtschaftshochburg um 7,8 Prozent niedriger als noch vor einem Jahr.
- was die Apologeten der europäischen Wirtschaftshochburg auf dem völlig falschen Fuß erwischt haben muss, weil, man hört und liest so wenig darüber, außer zum Beispiel hier. Es lässt sich aber bestimmt ein Sündenbock finden, zumindest für die schwächelnde Auslandsnachfrage; denn was kann eine Wirtschaftshochburg und Austeritäts-Schaltzentrale im Norden schon dafür, wenn ihr die vollumfänglich austerisierten südlichen Handelspartner in die Suppe spucken?

Vermutlich wird demnächst ein großes nationales Lamento intoniert werden: Deutschland, bedauernswertes Opfer seines eigenen Austeritätsplanes. Textidee: Das ewig Schrumpfende zieht uns hinan. Hätten wir uns so nie träumen lassen.

Dienstag, 7. August 2012

The real funky stuff


Hilft ja alles nichts. Es muss mal wieder anständige Musik her.
Um all den üblen Gerüchen standzuhalten, die aus der Mülltonne Europa aufsteigen.

Paco Mendoza: Consciente y Positivo.


Starkes Latin-Zeugs mit durchdringendem funky Aroma.
Tief inhalieren. Durchatmen. Stark bleiben.

Was fürs Geld


"Macht 23 Euro 95. Haben Sie eine Paybackkarte?"

Nö, wieso?

"Weil, dann kriegen Sie extra Punkte."

Wie, extra Punkte?

"Na, so Bonus-Punkte, Sie wissen schon."

Bonus-Punkte, wow, wofür denn Bonus-Punkte?

"Na, das dürfen Sie sich dann aussuchen. Sie haben die Wahl."

Aha. Was haben Sie denn so im Angebot?

"Alles mögliche. Töpfe, Pfannen, Bonusmeilen, Hotelrabatte, Kosmetikgutscheine...überhaupt, Gutscheine für alles mögliche!"

Für alles mögliche, ist ja'n Ding. Echt jetzt, für alles mögliche?

"Ob Sie's glauben oder nicht. Sie haben die Wahl. Aber damit Sie dem Auswahlstress nicht erliegen, haben wir eine kleine Umfrage vorbereitet. Die Frage lautet: 'Was würden Sie für Ihre Extrapunkte am liebsten kaufen?', und wir haben gleich ein paar Antwortoptionen für Sie ausgearbeitet."

Irre cool. Was haben Sie denn da für Antwortoptionen ausgearbeitet? Jetzt bin ich ganz gespannt!

"Na ja, unsere kleine Exklusivumfrage gilt natürlich nur für Premiumkunden, Sie verstehen."

Klar verstehe ich das. Also mal angenommen, ich wäre Premiumkundin bei Ihnen, was hätten Sie mir da so zu bieten?

"Zum Beispiel so ein schnittiges Küchenmesser-Set im Holzblock."

Pfft, hören Sie auf, Küchenmesser, ist ja so was von old school, jeder Depp hat heutzutage ein Küchenmesser-Set in seiner Küche rumstehen.

"Wie wär's mit einem attraktiven Hotelrabatt?"

Uninteressant. Ich übernachte meistens bei mir zuhause.

"Vielleicht einen wertvollen Geschenkgutschein?"

Hm, ja, kommt der Sache schon näher. Was haben Sie denn so für Geschenke zur Auswahl?

"Alles mögliche, wie gesagt."

Jetzt spannen Sie mich auf die Folter. Geht's ein bisschen konkreter?

"Also, unsere kleine Exklusivumfrage lautet: 'Welche Produkte oder Dienstleistungen würden Sie in Erwägung ziehen zu kaufen für Ihre Extra-Bonus-Punkte?'"

Machen Sie's nicht so spannend. Ich will was haben für mein Geld.

"Okay. Antwortoption a) Hotelrabatte? - gut, kommt für Sie nicht in Frage, sagten Sie ja schon."

Eben. Weiter, bitte.

"Dann vielleicht Option c) Geschenkgutschein...?"

Hey, Sie haben die Antwortoption b) ausgelassen! Was zum Teufel ist mit Option b)?

"Also, Option b) ist jetzt wirklich nur für unsere Premiumkunden..."

Schon gut. Ich behalt's für mich, als Premiumkundin. Also, Option b)?

"Option b): Frauen."

Wie, Frauen? Frauen zum Kaufen?

"Ja, sicher. Für alle Premiumkunden, denen Hotel- und Allerweltsgeschenkgutscheine zu langweilig sind. Die Frauen kriegen Sie dann auf Gutschein ins Hotel geliefert."

Der Wahnsinn. Haben Sie auch Männer?

"Wie, Männer? Männer zum Kaufen?"

Zu was denn sonst? Über was reden wir hier die ganze Zeit?

"Ich glaube, Sie haben da was missverstanden. Wir sind ein seriöses Bankunternehmen mit seriösen Kunden..."

Wollen Sie damit sagen, dass...

"Genau. Bei Option b) haben wir exklusiv an unsere seriösesten Premiumkunden gedacht. Können Sie mir folgen?"

Und wie. Als Premiumkundin bin ich Ihnen schon voraus.

"Ich sehe, wir verstehen uns."

In der Tat. Gut, dass wir über alles gesprochen haben.

"Keine Ursache. Empfehlen Sie uns weiter."

Mach' ich doch glatt:


Montag, 6. August 2012

Sommermärchen, das siebte


Sommerzeit ist Urlaubszeit. Urlaub ist gut für Erholung. Urlaub ist gut fürs Geschäft. Wer Urlaub macht, will von Krise nichts hören. Krise ist schlecht fürs Geschäft. Krise verdirbt die Urlaubsstimmung. Wer von Krise nichts hört, macht Urlaub. Urlaub heißt Abschalten. Wer abschaltet, hat mehr vom Urlaub. Abschalten macht gute Stimmung. Krise gehört abgeschaltet.

Nachdem sich die politische Situation in Griechenland nachweislich stabilisiert hat, die Krise rechtzeitig zur Urlaubssaison aus den Schlagzeilen getilgt wurde, die von Rechtsextremen propagierte und praktizierte Fremdenfeindlichkeit kaum der Erwähnung wert ist und einem prosperierenden Fremdenverkehr nunmehr nichts im Wege steht, - dümpelten die Zahlen in der griechischen Tourismusbranche immer noch unbefriedigend vor sich hin. Es musste etwas getan werden.

So kam es, dass die im Juni auf die Schnelle zusammengebastelte Regierung ein Tourismusministerium ins Leben rief. Die frischgebackene Tourismusministerin verlor keine Zeit, tat, was getan werden musste und was Tourismusminister halt so tun, um Urlaubsstimmungen und -buchungen anzukurbeln: positive Botschaften kommunizieren. Kernbotschaft: "Griechenland ist zurück im Geschäft." Thesenbegründung: "Wir haben jetzt politische Stabilität." Conclusio: "Wir wollen die Leute ermutigen, sich für Griechenland zu entscheiden." Damit stand das griechische Sommermärchen auf stabilen, mutigen, geschäftigen Füßen und bedurfte nur noch der kreativen Umsetzung.

Um Sommermärchen kreativ umzusetzen, bedarf es geeigneter operativer Maßnahmen, um "die öffentliche Wahrnehmung des Landes umzupolen" (Ministerpräsident Antonis Samaras). Dazu sagt der Fachmann: Imagekapagne. Imagekampagne heißt, den Leuten so lange einzubläuen, dass die Welt in Ordnung und Griechenland krisenfrei ist, bis sie endlich raffen, dass sich vor der krisenfreien Kulisse der Insel Kreta hervorragend abschalten lässt. Natürlich nur mit dem nötigen Kleingeld des krisenüberdrüssigen Urlaubers.

Abschalten von der Krise? Auf nach Griechenland!
Mitten rein ins griechische Sommermärchen:


Donnerstag, 2. August 2012

Don't Give a Shit


Noch ist nicht alles gesagt zu Olympia 2012.

Die Ghetto-Taube von Ronzo hat das letzte Wort:


Göttliche Komödie


Was wäre das Leben ohne die Krise? Man hätte nichts mehr zu lachen.
Innerparteiliche Spannungen erschüttern Pasok
heißt es in den Athens News, nachdem gestern in der sozialdemokratischen Partei Griechenlands Pasok der Teufel los war. Parteipräsident Venizelos und der parlamentarische Sprecher Chrisochoidis kriegten sich wegen der Haushaltskürzungen in die Wolle. Die Szene eskalierte.

Es entspann sich der folgende - lautstarke - Dialog:
Chrisochoidis:
Sie machen einen Haufen Lärm um nichts, was diese Kürzungen angeht.

Venizelos:
Sie haben genau dieselbe Verhandlungsposition in allen Punkten eingenommen ... Sie untergraben die Partei. Hauen Sie ab hier!

Chrisochoidis:
Nehmen Sie das zurück.

Venizelos:
Gehen Sie zur Hölle.

Chrisochoidis:
Sie gehen zur Hölle!

Venizelos:
Verlassen Sie den Raum.

Chrisochoidis:
Sie sollten den Raum verlassen!
Leider endet hier das Manuskript. Wir erfahren nicht, wer zuerst den Raum verließ, als letzter die Hölle be- oder aus der Partei austrat; sind uns aber sicher, dass in der Partei die Hölle los sein muss.
Gnädiger Vorhang.

Rückfall mit Rendite


Und jetzt das Neueste vom Tage: Goldman Sachs kommt ins Gefängnis!

Falsch, zu früh gefreut - nicht um dort wegen organisierten Finanzbetruges einzusitzen. Vielmehr um dort zu tun, was eine Investmentbank von Haus aus tut: bisschen Geld verdienen. Immer am Ball, wo es ein Schnäppchen zu machen gibt.

Knast und Schnäppchen? Na klar doch. Die Stadt New York City ist dabei, eine "hochmoderne Strategie" anzuwenden, um die Rückfälligkeit unter Strafgefangenen des wegen seiner Rückfallquote (50 Prozent) berüchtigten Gefängnisses Riker's Island zu reduzieren. Was dabei mit den Häftlingen in einzelnen angestellt werden soll, um aus ihnen keine Rückfalltäter zu machen, bleibt unerwähnt, ist aber auch völlig irrelevant, denn unter "hochmoderner Strategie" sind keine zeitgemäßen Präventiv- oder Resozialisierungs-Maßnahmen zu verstehen, sondern ein bahnbrechendes Geschäftsmodell mit reizvollem Spekulationsrisiko:

Goldman Sachs investiert 9,6 Millionen Dollar in ein (noch aufzulegendes, nicht näher definiertes) Programm zur Minimierung der Rückfallquote (rate of recidivism) bei gleichzeitiger Maximierung der Profitrate (rate of profit).
Falls das Programm die Rückfallquote um zehn Prozent reduziert, bekommt Goldman die vollen 9,6 Millionen Dollar wieder ausgezahlt; geht die Rückfallquote noch mehr zurück, könnte Goldman bis zu 2,1 Millionen Dollar Profit machen.
Fällt dagegen die Rückfallquote um weniger als zehn Prozent, müsste Goldman draufzahlen und einen Verlust bis maximal 2,4 Millionen Dollar verschmerzen (was sich bestimmt auf dem steuervergünstigenden Wege schmerzfrei wegstecken ließe). Das zum Einsatz kommende Finanzinstrument trägt den aparten Namen "social impact bonds", also so viel wie 'sozialbezogene Bonds', oder - etwas freihändiger übersetzt - 'Bonds zur Sozialverträglichkeit', oder - in so schnörkellosem wie effizientem Wording - 'Sozialeffizienz-Bonds'.

Hey, wenn das nicht hochmodern ist: Die Regierung beauftragt eine Räuberhöhle von straffreien Finanzkapitalverbrechern mit der Supervision von straffällig Gewordenen, um sie zu besseren Menschen zu machen (die Straffälligen, nicht die Straffreien) und aus dem Menschen-Umerziehungsprogramm Gewinn zu erwirtschaften. Wobei die Logik bestechend ist; denn wenn diese Goldman-Typen von etwas Knowhow haben, dann davon, wie man am besten nicht in den Knast kommt.

Sollte je der Tag kommen, wo Kriminelle aus der Finanzindustrie sich der Strafverfolgung ausgesetzt sehen (unwahrscheinlich, aber nur mal angenommen), werden die dann in den von ihnen selbst supervisierten Knästen verknackt?

Und wenn oder falls - warum dann nicht ein völlig neuartiges, hochmodernes Programm zur Resozialisierung betrügerischer Goldman-Sachs-Manager auflegen: Wir verwenden die Gelderträge aus deren kriminellen Finanztransaktionen und investieren sie - großzügig und non-profit - in die soziale Wiedereingliederung jugendlicher Straftäter.

Was dann noch an Kohle übrig bleibt, dürfte für ausreichend Wasser und Brot für die in Haft Zurückverbliebenen genügen.

Morgenröte und Paradies



In Athen gibt es neuerdings ethnisch reine Lebensmittel-Almosen an bedürftige Griechen. Griechen, wohlgemerkt, nur an Griechen. Gegen Vorlage des griechischen Passes. Die Passkontrolle der schlangestehenden hungrigen Menschen erfolgte durch Organisatoren der rechtsextremen Partei Golden Dawn. Mit Kartoffeln, Nudeln, Milch und Olivenöl beschenkt wurden bevorzugt arbeitslose Menschen und kinderreiche Familien. Sofern sie ihre reinrassige griechische Herkunft nachweisen konnten.

Die wohltätigen Nationalsozialisten verteilten unter dem Signum 'Für Griechen von Griechen' ausschließlich Produkte griechischer Hersteller und griechischer Landwirte. Ob den griechischen Herrenmenschen von den Lebensmittelproduzenten ebenfalls Rassenachweise vorgelegt werden mussten, ist nicht bekannt, darf aber vermutet werden; immerhin war es bei vorausgegangenen Suppenküchen - veranstaltet von Golden Dawn für arme Menschen ausschließlich griechischer Herkunft - zu unliebsamen "Fehlern" gekommen, als unter den Zutaten Produkte entdeckt wurden, die in deutschen Supermärkten gekauft worden waren.

Die jüngste Spendenaktion fand in Syntagma Square statt, direkt vor dem Gebäude des griechischen Parlamentes. Die Aufforderung (griechischer) Staats- und Polizeibeamter, "solcherart Aktionen" auf dem berühmtesten Platz Athens zu unterlassen, wurde von der Partei der aufziehenden Morgenröte ignoriert. Ilias Kasidiaris, Parlamentsmitglied von Golden Dawn,
bezeichnete den Bürgermeister von Athen als "Bürgermeister der illegalen Immigranten" und schloss in eindeutig beleidigenden Worten, dass Golden Dawn weiterhin die Entscheidungen griechischer Beamter missachten werde, genauso wie griechische Bürger dies täten.
Eine in der Warteschlange anstehende Frau gab gegenüber dem bei der Aktion anwesenden BBC channel an, diese Initiative mache "Golden Dawn um ein Vielfaches attraktiver". Betont wurde ferner von Partmitgliedern, das gespendete Essen werde aus "staatlichen Geldern" finanziert: "Unser Slogan heißt: Staatliches Geld zurück an die Bürger".

Mehr fällt mir im Moment nicht ein.

Oder doch, das hier:


Besonders interessant: ab etwa 9:30 min.
Noch interessanter:
die letzten 30 Sekunden:
Was hat er versprochen? Arbeit und Brot für die Massen, für die Millionen Arbeiter, die damals arbeitslos und hungrig waren. Heutzutage, in unserer Wohlstandsgesellschaft, haben Arbeit und Brot keine Bedeutung mehr, aber damals war es ein absolutes Grundbedürfnis. Dieses Versprechen würde heutzutage keinerlei Sinn haben, aber damals - damals klang es wie ein Versprechen aus dem Paradies.
Damals.

Mittwoch, 1. August 2012

Lichtblicke


Mir wär's peinlich, innerhalb von nur drei Wochen zweimal denselben Käse zu verzapfen, aber wenn andere es können, tu ich es halt auch.

Schon wieder werden in Italien (Monti) "Lichtblicke am Ende des Tunnels" gesehen. Diesmal just an dem Tag, an dem die rekordverdächtigen - offiziellen! - europäischen Arbeitslosenzahlen (mehr als 18 Millionen Menschen) veröffentlicht wurden: In Italien sind sie mit 10,8 Prozent (2,8 Millionen Menschen) auf dem höchsten Stand seit acht Jahren; innerhalb eines Jahres ist dort die Arbeitslosigkeit um 37,5 Prozent hochgeschnellt. Allein zwischen Mai und Juni kamen 73.000 Menschen ohne Arbeit hinzu, die sich in einem sehr dunklen Tunnel fühlen dürften, einem Tunnel, der immer länger und bevölkerter werden wird, je länger die politische Klasse ihren derzeitigen Kurs beibehalten und mit ihren Totsparmaßnahmen den Trend fortsetzen wird.

Die aktuellen Zahlen hindern den italienischen Ministerpräsidenten keineswegs an seinem beschwingten Halluzinieren. Demnächst wird er mit erleuchtetem Tunnelblick verkünden, mit seinem jüngst im Senat durchgepaukten "harschen Spar- und Reformprogramm" habe er der Wettbewerbsfähigkeit seines Landes gewaltig auf die Sprünge helfen können. Das kostet zwar ein paar Arbeitsplätze mehr, hilft aber ungemein dabei, "verlorenes Vertrauen am Finanzmarkt zurückzugewinnen". Um nichts anderes geht es dem ehemaligen Goldman Sachs Investmentbanker Monti, der nach Berlusconis Abgang ins Regierungsamt installiert™ wurde (so sagt man, wenn einer ins Amt gehievt wird, ohne gewählt worden zu sein).

Statt also lang und breit drumherum zu reden, sollte einer wie Monti nicht des Halluzinierens verdächtigt, vielmehr ob seines Klarblickes gelobt werden. Denn natürlich sieht der Ex-Banker einen (für ihn) ganz realen Lichtblick am Ende des Tunnels: das Licht der sprunghaft ansteigenden Arbeitslosigkeit. Alles eine Frage der Perspektive.

Kaffeefahrt nach Indien


Es geht doch nichts über einen starken Morgenkaffee, begleitet von einer starken Schlagzeile, die einem das Koffein in den Adern stocken lässt:
Europäer sparen sich den Kaffee
- und ich gieße mir vorsichtshalber noch einen nach, bevor es womöglich bald heißt Let them drink latte.

Zu spät. Der Slogan hat bereits die halbe Welt erobert, den Feldzug initiiert hatte die weltgrößte Latte-Schleuder alias Starbucks mit seiner unwiderstehlichen aufgeschäumten teuren Premium-Plörre im Arsenal. Allerdings zeigt die Erfolgskurve des Kaffee-Ersatzanbieters neuerdings eine deutliche Delle:
Starbucks hat auch schon einmal bessere Zeiten gesehen. In Europa werden möglicherweise Filialen geschlossen.
- was, in Anlehnung an die gestrige Meldung, nur bedeuten kann, dass den Europäern die Plörre zu teuer geworden und ihnen darum die gute Kaffee-Kauflaune abhanden gekommen ist, was wiederum den Finanzchef der Plörre-Kette vergrätzt:
"Europa bleibt mit Abstand der herausforderndste Teil der Welt für uns", die wirtschaftliche Lage auf dem Kontinent werde sich "möglicherweise im Laufe des Quartals noch verschlechtern". Die Folge könnte sein, dass Starbucks unprofitable Standorte schließen muss.
Europa ohne Starbucks. Der Untergang des Abendlandes. Rückfall in die Steinzeit, back to Tchibo. Schnell noch eine Tasse von dem preiswerten Selbstgebrauten nachgeschenkt, weiterlesen, aufatmen: Der Rest der Welt darf sich weiterhin an Latte laben, denn mehr Latte-Wachstum gibt es "im Asien-Pazifikraum mit dem wichtigen chinesischen Markt". Und falls den Chinesen die Latte-Kauflaune vergehen sollte -
Starbucks plant, China zu seinem größten Auslandsmarkt zu machen ...
- ist dem Wachstum im fernen Osten keine Grenzen gesetzt:
... und wird außerdem noch in diesem Jahr seine ersten Kaffeehäuser in Indien eröffnen.
- was sich nur um eine aufgeschäumte Ente handeln kann, wovon die nächste starke Schlagzeile des Tages Zeugnis ablegt, denn längst gibt es in Indien das, wovon der Große Kaffeeschaumschläger träumt:

"Star...bucks in India!"