Sonntag, 31. Mai 2009

Putzfrau, weiblich, deutsch

Als deutsche Putzfrau hat man unter lauter nichtdeutschen Arbeitskollegen keinen leichten Stand (ausgenommen natürlich das Urgestein Frau Übermop, sie steht sowieso über allem und allen). Anfangs wurde ich von allen Seiten skeptisch beäugt. Gesagt hat niemand etwas, aber in den Gesichtern war deutlich die Frage zu lesen: "Wieso putzt die, das ist doch eine Deutsche?" Einzig der italienische Feinkostlieferant traute sich zu fragen.
Das war an meinem dritten Arbeitstag, als ich gerade den Putzeimer in den Rinnstein am Straßenrand entleerte, da bog er mit seinem Fahrzeug in die Hofeinfahrt ein. Während des Rangierens hatte er mein Tun beobachtet, und als er ausstieg, sah er mich Putzlappen zum Trocknen aufhängen. Sein Mund stand genauso weit offen wie die Heckklappe seines Lieferwagens. "Warum machen Sie das?", fragte er. "Was?", fragte ich zurück. Er schien nach Worten zu suchen (dabei sprach er fließend Deutsch!). 
"Sie putzen?", brachte er schließlich hervor. Ich fand, dass sich hier ein "Ja" erübrigte, denn ich stand da, in der einen Hand einen Eimer, in der anderen einen Putzlappen, um den Leib eine nicht mehr weiße Schürze, an den Füßen rote rutschfeste Treter. Also beließ ich es dabei, an mir herunterzuschauen und dann dem Fragenden zuzunicken. "Warum?", wiederholte er, immer noch fassungslos. "Um Geld zu verdienen", antwortete ich, "oder warum fahren Sie Scampi und eingelegte Tomaten durch die Stadt?" Das sei etwas anderes, gab er zurück. Wieso, wollte ich wissen. Weil das eine bessere Arbeit sei, sagte er und korrigierte sich, "nicht besser, aber angenehmer". Ohne jemals Scampi ausgefahren zu haben, stimmte ich zu. "Aber" - dann platzte es aus ihm heraus - "Sie sind doch Deutsche! Warum arbeiten Sie nicht etwas anderes?" Ich fragte ihn, ob seine Firma vielleicht einen Fahrradkurier zum Scampi ausfahren brauchen könne. Er musste lachen und verneinte, "bei uns ist Einstellungsstop, komplett, wissen Sie - Krrrise, verstehen Sie?", schön italienisch gerrrollt. "Versteh ich gut", sagte ich, "weil, bei mir ist auch Krise, verstehen Sie?", und er verstand und lachte wie über einen guten Witz. Seither sind der italienische Feinkostlieferant und Mrs. Mop fast so etwas wie dicke Freunde geworden.

Samstag, 30. Mai 2009

Deutsch für Deutsche

Als Trainerin für neue Putzfrauen hatte Frau Übermop mich von Anfang an fest im Griff. Sie überwachte alles, es entging ihr nichts. Ihre verbalen Anweisungen klangen stets streng und beschränkten sich aufs allernötigste. Kein Wort zu viel. Mit gelegentlichen syntaktischen Hängern, zum Beispiel so: "Flaschenboy raus, Hof, stehen lassen, neun Uhr Container, Flaschen rein!" oder etwa im Kühlkeller: "Broccoli schieben, wischen, trocken, Broccoli schieben zurück!". Obwohl ich verstand, was gemeint war, wunderte mich zunächst ihr reduzierter Sprechstil. Sie ist Deutsche, ich bin Deutsche, wo war das Problem? Genau da.
Frau Übermop hat noch nie in ihrem (nicht kurzen) Leben eine deutsche Putzfrau eingewiesen. Im Lauf der Jahre hat sie sich ein festes Repertoire an Vokabeln angewöhnt, welches bei jeder "Neuen" abgespult wurde und quasi supranational funktioniert hat. Bis jetzt. Einmal muss ich bei einem ihrer abgehackten Kurzbriefings so entgeistert dreingeschaut haben, dass es Frau Übermop entfuhr: "Was guckst du denn so dumm, das hat ja unsere Albanerin schneller begriffen als du!"

Freitag, 29. Mai 2009

Duftwelten

Heute früh fuhr ich mit dem Fahrrad zur Arbeit, es war 
noch dämmrig, und plötzlich roch es unglaublich gut. Ich schnupperte herum (um die Uhrzeit sieht man noch mit der Nase), dann entdeckte ich das erste frisch geschnittene Gras auf dem Boden. Herrlich, durch diesen weichen, seidigen, frischen Duft hindurchzufahren. Noch nicht so heuig, noch nicht so schwer.
Keine dreihundert Meter weiter roch es plötzlich überhaupt nicht mehr gut. Es roch auch nicht schlecht, es stank. Vielleicht bin ich ja beim Thema Müll ein bisschen sensibler geworden in letzter Zeit. 
Ich finde, es stinkt zum Himmel zu erwarten, dass irgendwer schon kommen und den hinterlassenen Dreck wegräumen wird. Andererseits wäre das Aufstellen eines zweiten Abfallbehälters auch keine schlechte Idee. Auf die müsste nur mal jemand kommen. Denn so, wie es aussieht, sieht es hier mindestens zweimal die Woche aus. Und je wärmer die Nächte werden, desto mehr stinkt es in den frühen Morgenstunden.
Zum Glück gab's auf der Rückfahrt wieder etwas Gutes auf die Nase.
In der warmen Mittagssonne duftete es nach...nach...es wollte mir nicht einfallen, aber es war ein unwiderstehlicher Duft, zart und doch intensiv. Ich schaute umher, konnte aber keine spektakuläre Blütenpracht entdecken, höchstens da drüben so kleine Dinger, so unscheinbar weißblühende, krautige Pflanzen. Es war Kamille. Es war betäubend. Die Delle vorne im Bild war ich. Ich musste mich einfach eine Weile in dieses Duftmeer hineinsetzen. 

Donnerstag, 28. Mai 2009

Markt für Prekarier

Eine merkwürdige Begegnung hatte ich heute, als ich nach der Arbeit auf den Wochenmarkt fuhr, um dort für Obst und Gemüse einen Stundenlohn zu verknattern. Ein älterer Herr sprach mich an. Unterm Arm trug er eine Tageszeitung, in der anderen Hand ein Klemmbrett mit Papier. Nein, ich will kein Abo, vielen Dank. Er lachte, "aber ich möchte Ihnen gar nichts andrehen." Sagen sie immer, wenn sie einem etwas andrehen wollen. Und tatsächlich, er drehte mir die Zeitung an, die er unterm Arm hielt. Als Geschenk, wie er sagte, "einfach so". Aha, gab ich zurück, ob er mir sein Klemmbrett nicht gleich dazu schenken wolle? Mitsamt dem vermutlich fast geschenkten Abo? Wieder lachte er. Wir kamen ins Plaudern. Der Mann sah bemerkenswert intelligent aus. Nicht jedem intelligentem Menschen steht ja die Intelligenz im Gesicht geschrieben; manchmal ist man ganz überrascht, wenn einer den Mund aufmacht. Dieser Mensch sah intelligent aus und war es. Ich ertappte mich bei der einfältigen Frage, wie ein so intelligenter, gebildeter Mann dazu kommt, Zeitungsabos auf der Straße unters Volk zu bringen. Hirn einschalten, Mrs. Mop!
Irgendwann fragte er mich, ob ich wisse, wer derzeit der beliebteste deutsche Politiker sei. Ich musste passen. Es sei, sagte er, der Wirtschaftsminister zu Guttenberg. Und zwar wegen seines, also Guttenbergs, "weltmännischen" Auftretens. Zumindest in der jüngeren Generation komme das Weltmännische gut rüber. In diesem Moment fühlte ich mich steinalt und fragte ihn, woher er das wisse, ob er eine Studie dazu durchgeführt habe? Sagt dieser Mensch doch glatt: "Ja", und ich, deppert: "Wie, Sie?", und er, lächelnd: "Ja, bei meinen Studenten.", darauf ich, perplex (die Einfalt hatte mich immer noch in ihren Krallen): "Wie, Ihre Studenten?" Es stellte sich heraus, dass er einen Lehrauftrag an einer Fachhochschule hat, Fachbereich Psychologie. Von dem er nicht leben könne. Was er auf der Straße als Promoter für eine Tageszeitung verdiene, sei für ihn mehr als nur ein Zubrot; es sei auch nicht sein einziger Nebenjob. Bei dem Wort Nebenjob lachte er wieder, über das Wort selbst: "Ja, neben was denn eigentlich? Das Wort suggeriert eine Ordnung, die es im Leben vieler Menschen schon lange nicht mehr gibt."
Dann fragte er mich noch, ob ich gerade meine Mittagspause verbringe, und ich verneinte, es sei bereits mein Feierabend. Oh, meinte er, das müsse aber ein frühes Arbeiten sein. Allerdings, pflichtete ich ihm bei, "ich komme gerade vom Putzen - neuer Nebenjob, wenn Sie verstehen." Er verstand auf Anhieb. Er brauchte dazu nicht so lange wie ich. Er sah mir direkt in die Augen, hielt einen Augenblick inne und sagte dann, gelassen lächelnd: "Ist normal." Ich war ihm unendlich dankbar dafür. 

Mittwoch, 27. Mai 2009

Nach Sonnenaufgang

Heute früh begann ich ausnahmsweise erst um sieben Uhr mit dem Arbeiten (fensterputztechnische Gründe, erkläre ich ein andermal) statt wie üblich um sechs. Herrlich entspannter Morgen. Aber nur zuhause. Kaum sitze ich auf dem Rad, bricht die Hölle los. Der Verkehr tost, die Sonne blendet, viel zu viele Leute unterwegs, alles viel zu laut und zu hell sowieso. Alles fühlt sich unnormal an und irgendwie ungut. Zwischen halb sechs und halb sieben in der Frühe liegen Welten. Augenblicklich wollte ich zurück in die Welt um halb sechs. Da sind die Straßen noch weitgehend leergeräumt und die Stadt ist spürbar noch im Ruhezustand; weshalb es auch so wunderbar ruhig ist morgens um halb sechs. Nur ab und zu mal ein paar Verkehrsgeräusche, ansonsten nichts als frühe Vögel, mal ein bellender Hund, und mein lautstarkes Geschnaufe bei den Steigungen.
Ohne Verkehrsmittel sind nur ganz wenige Leute unterwegs um diese frühe Zeit. Einer begegnet mir jeden Morgen, aber der schläft noch. Außer heute: Um 6:40 Uhr war er verschwunden. Auch das fühlte sich unnormal an.
Manchmal passiert aber auch zu normalen Zeiten Unnormales. Es war vor etwa drei Wochen um 5:45 Uhr, da kam mir auf der Straße ein orangefarbenes unbemanntes Raumschiff entgegen. Ungelogen. 
Es schien direkt auf mich zuzufliegen, fast wirkte es wie eine Mitfahrgelegenheit zum Aufspringen. Nachdem ich vorbeigefahren war, musste ich mich mehrmals umdrehen um sicherzugehen, dass das Viech mir nicht hinterhergeflogen kam. Auf der Rückfahrt um 11:30 Uhr war das Raumschiff verschwunden. Wer weiß, vielleicht wäre es um 6:45 Uhr auch schon verschwunden gewesen? Früher Vogel muss man sein.

Dienstag, 26. Mai 2009

Das Geld liegt auf dem Küchenboden

Heute bin ich in eine irgendwie sich prekär anfühlende Situation gekommen. Prekär jetzt im Sinne meiner Blogbeschreibung. Der Küchenboden war gekehrt, geschrubbt, nass gewischt, trocken gewischt, und ich ließ zufrieden den Blick schweifen über die feucht glänzende Fläche. Rundherum blitzsauber. Noch ein paar letzte Handgriffe, und fertig. Im Hof wartete der Flaschenboy auf mich. Auf dem Weg durchs Lokal nach draußen fragt Frau Übermop: "Fertig?", und ich: "Fertig!", doch bevor ich die Tür erreiche, ruft es laut aus der Küche: "Guckst du mal bitte?" Ich gucke. In gebückter Haltung hält sie etwas kleines Blinkendes zwischen Zeigefinger und Daumen. Unzweifelhaft eine Ein-Euro-Münze. Gefunden in einer eng spitzwinklig zulaufenden Ecke der Küche.
Ich erinnerte mich. Beim Reinigen des Bodens hatte ich die Münze in der Ecke liegen gesehen, sie aber irrtümlich für einen Flaschenverschluss gehalten. So einen Schraubverschluss mit metallisch glänzender Oberfläche. Beim Kehren war ich mit dem Besen nicht drangekommen, beim Schrubben wurde das Ding vom Schrubber (also von mir) versehentlich in die Ecke verrammt statt aus ihr herausgelöst, beim Wischen war eh alles zu spät und ich beschloss, den vermeintlichen Flaschenverschluss von Hand zu holen, sobald der Boden trocken sein würde. Was ich jedoch vergaß auszuführen. Vor lauter Flaschenboy on my mind.
Triumphierend hält Frau Übermop das Eurostück in die Höhe: "Du bist mir ja eine Luxusputzfrau", dabei grinst sie diabolisch, "hast du es wirklich nötig putzen zu gehen, wenn du das Geld auf dem Boden liegen lässt?" Au weia. Irgendwie fies aber gut. So dass ich lachen muss. Beim Verlassen der Küche wird die Münze hingebungsvoll an der Übermop-Schürze poliert. "Wer kriegt jetzt den Euro?", frage ich scheinheilig. "Der, der den Euro gefunden hat", antworten zwei Stimmen gleichzeitig. Die eine gehört Frau Übermop, die andere dem Monteur, der nach getaner Reparatur im Lokal sitzt und die Euro-Szene verfolgt hat. Vor ihm steht ein Glas gelber Limonade; nach dem ersten kräftigen Schluck hatte er tief geseufzt und vor sich hin gemurmelt, "sind wir nicht alle ein bisschen Fanta?". Ein kauziger Typ. Um ehrlich zu sein, hätte ich den Euro auch gern gehabt, immer hin hatte ich ihn dreimal ganz genau gesehen, wenn auch nicht erkannt. Das findet der Kauz sehr erheiterlich, "dreimal gesehen heißt dreimal liegen gelassen", während Frau Übermop auf das Fundstück haucht, es anschließend blank wienert und meint, "eine richtige Putzfrau hebt immer alles sofort auf, die hebt nix für später auf." Das sind Sätze, stark im Nachklang.
 "Zwei zu eins", sagt der Kauz bedauernd zu mir, "hoffnungslos für Sie. Sind Sie neu in der Gastronomie?" Ich nicke. "Sie werden schon noch lernen, wie's da läuft", fährt er breit grinsend fort. Wie was läuft, will ich wissen. Darauf der Kauz, mit erhobener Stimme:
"Frag meinen Bruder in der Küch',
denn der lügt genau wie ich."
Allgemeiner Frohsinn. Frau Übermop steckt mit befriedigter Miene das Geldstück in ihre Hosentasche. Es gibt Situationen, die sich irgendwie prekär anfühlen und trotzdem zum Lachen sind.

Montag, 25. Mai 2009

Vor Sonnenaufgang

Mein Arbeitsplatz liegt im Nordosten der Stadt, ich wohne im äußersten Westen. Vierzig Minuten mit dem Fahrrad. Ich liebe diese frühmorgendlichen Fahrten, allerdings erst, nachdem ich mich auf den Sattel gesetzt habe (vorher kann es vorkommen, dass ich sie verfluche). Ich liebe sie unter anderem deshalb, weil ich dem Sonnenaufgang direkt entgegenfahre. Das ist jeden Morgen aufs neue grandios, das wird einfach nicht langweilig. Selbst an grauen Tagen hat dieses zögerlich heraufdämmernde Morgenlicht etwas Unwiderstehliches. 
Man kann einfach nicht schlecht gelaunt oder gleichgültig an diesem rötlichen Schimmer am Horizont vorbei fahren und so tun, als hätte man gerade Wichtigeres zu denken. 

5:15 Uhr. Muss los. Und weg.

Sonntag, 24. Mai 2009

Immer von oben nach unten

Gleich am ersten Tag wurde mir die sogenannte "Goldene Putzregel" eingeschärft, die da lautet: "Immer von oben nach unten!" Natürlich hat sofort mein Soziologenhirn zu rattern angefangen - aha, aufgepasst, es geht um die Putzfrauen-Hackordnung -, und ich spitzte die Ohren. Schließlich bin ich "die Neue", obendrein Berufsanfängerin und somit ein gefundenes Fressen für hierarchisch induzierte Fettnäpfchen aller Art. Dachte ich. Anstatt die Ansage "Immer von oben nach unten" einfach wörtlich zu nehmen. Denn dass Wasser, Fett und Putzmittel von oben nach unten tropfen, keinesfalls umgekehrt, leuchtet jedem ein, auch einer Sozialwissenschaftlerin.
Trotzdem stürzt diese an ihrem ersten Arbeitstag als Putzfrau sich zuallererst auf die Reinigung des Küchenbodens, einfach so, aus privater Gewohnheit. Oder weil der Küchenboden am schlimmsten aussieht. Oder weil ein Küchenboden schneller zu reinigen ist als ein verkrusteter Herd. Oder dies. Oder das. "Hirnlos!", werde ich ermahnt, "du hast noch nie geputzt, gib's zu." Selbstverständlich putze ich bei mir zuhause, entgegne ich. "Zuhause zählt nicht", heißt es lakonisch. Wieso das denn, Putzen ist Putzen, oder? Nix da: "Zuhause kann jeder putzen wie er will, die meisten Leute putzen ohne Hirn drauflos, aber das ist jedem seine Sache. Hier bei uns wird mit Hirn geputzt. Ab heute Hirn einschalten, klar?" Okay, das war jetzt wirklich, kann man so sagen, senkrecht von oben nach unten. Aber wo sie recht hat, hat sie recht.
Wer "sie" ist? Putzfrau, antwortet sie, nach ihrem Beruf befragt. Tatsächlich ist sie der gute Geist des Hauses, Mädchen für alles, Überblickerin, Warenbestellerin und -annehmerin, Wäscherin, Lieferantenabwicklerin, Allesmitkriegerin. Und natürlich Putzfrau. Und - ganz wichtig - Trainerin für neue Putzfrauen, so wahr ich Mrs. Mop heiße. Weil das alles so ist, suchte ich nach einem angemessenen Namen, der subtil die Goldene Putzregel auf den Punkt bringt, zugleich respektvoll die Differenz benennt, ohne schleimig daherzukommen, der kurz ist und ein bisschen lustig klingt. Ab heute nenne ich sie Frau Übermop.
PS. Wie man sich unschwer vorstellen kann, ist Frau Übermops Diktum ("Hirn einschalten!") nicht spurlos an Mrs. Mop vorbeigegangen. Gut, Hirn einschalten, das sagt sich so einfach. Aber - welches Hirn denn nun? Sollten beispielsweise soziologische Hirnareale eher deaktiviert werden, um so dem alltagspraktischen Stammhirn zu ungestörter Effizienz zu verhelfen? Oder ist eine friedliche Koexistenz beider möglich, ja produktiv? Ungelöste Fragestellungen bis dato. Immerhin hat Mrs. Mop einstweilen die Goldene Putzregel gut verinnerlicht: Angefangen wird immer ganz oben, dann systematisch nach unten weitergearbeitet, bis schlussendlich, ganz unten, das Gröfaz* kommt.

*Größtes Fettnäpfchen aller Zeiten

Samstag, 23. Mai 2009

Frühdienst

Um sechs Uhr in der Frühe beginnt mein Arbeitstag. In den ersten Wochen war es um diese Zeit noch stockdunkel draußen, im Restaurant brannte überall das elektrische Licht, auch in der Küche, dem ersten Reinigungsrevier des frühen Tages. Inzwischen dringt um sechs Uhr von allen Seiten freundliche Helligkeit herein. Eines steht fest: Der Anblick von grobem Schmutz ist bei Tageslicht viel leichter zu ertragen als bei künstlichem Licht. Warum das so ist, habe ich noch nicht geknackt, aber dass es so ist, merke ich an meiner Stimmung, die sich parallel zum Morgenlicht aufhellt, wenn ich die Küche betrete. Zur Zeit könnte mich noch nicht mal ein abgenagtes Haifischskelett unterm Gewürzregal aus der Fassung bringen. Andererseits, irgendwann werden die Tage auch wieder kürzer.
Die Küche also. Um neun Uhr kommen die ersten Köche oder Küchenhilfen und wollen einen aufgeräumten, sauberen Arbeitsplatz vorfinden. Drei Stunden also für die Reinigung von Herd, Dunstabzughaube, Grill, Backofen, Fenster, Wandfliesen, Regale, Kühlschränke und Küchenboden. Das ist das Kernstück der Küchenreinigung. Den Auftakt um sechs Uhr macht der Müll: die vollen Küchenmüllsäcke (drei Stück) in den Hof tragen, diese in Containern verstauen sowie den Altglascontainer aus der Küche in den Hof rollen. Dort bleibt er erst mal stehen, der Altglascontainer, und wartet auf neun Uhr. Weil man um sechs Uhr früh auf der Straße noch nicht rumscheppern kann. Und weil die Küchenreinigung absolute Priorität hat. Diese wiederum endet Punkt neun Uhr mit dem Einspannen der neuen Müllsäcke in ihre Behälter.
Dann ist die Zeit für den Flaschenboy gekommen, so heißt er nämlich, der Altglascontainer. Jedenfalls wird er von allen so genannt. Mir gefällt dieser Name gut. Flaschenboy passt super zu Mrs. Mop, finde ich. 
Wenn wir zwei so gegen neun Uhr über die Straße zockeln, auf dem Weg zum öffentlichen (sagt man so?) Altglascontainer - also einem dieser glasfressenden Dreiteiler, die überall herumstehen -, dann ist die Welt irgendwie in Ordnung. Die Küche ist gemacht, die Sonne scheint (meistens), das Viertel ist aufgewacht und alles ist so frisch draußen. Wir nehmen mit viel Getöse die Bordsteinkanten (leere Flaschen machen einen Höllenlärm), und manche Leute sagen nett Guten Morgen. Einigen Nachbarn ist das Duo bestehend aus Mrs. Mop und Flaschenboy bereits ein vertrauter Anblick, sie grüßen mit Kopfnicken und dem flüchtigen Lächeln des Wiedererkennens.
Kurz nach neun Uhr taucht auch die Müllabfuhr auf. Um die Zeit haben der Flaschenboy und ich den besagten Dreiteiler erreicht. Der typische Müllabfuhr-Lärm schwillt an, diese hochgejagten Motoren (glaube ich), oder ist es Hydraulik, es dröhnt und stöhnt, ich werfe grüne, braune, weiße Flaschen in grüne, braune, weiße Containeröffnungen, es splittert und klirrt und zerbirst, eine infernalische Krachwolke entlädt sich über den Straßenzug. Nach zwei Minuten ist der Spuk vorbei. Erschöpfte Stille scheint sich in den Straßen auszubreiten. Der leere Flaschenboy und ich trollen uns zurück. Ich weiß nicht warum, aber danach fühle ich mich immer großartig. Schon merkwürdig.

Freitag, 22. Mai 2009

Forelle Blue

Mein neuer Arbeitsplatz ist in der Gastronomie. Der Einsatzort bleibt immer derselbe, denn es handelt sich um einen Einzelbetrieb: ein Restaurant mit Abendküche, täglich wechselnder Speisekarte und hohem Gästeaufkommen. Allabendlich brummt der Laden, von krisenbedingter Konsumzurückhaltung keine Spur. Nun könnten die vielen Gäste mir eigentlich egal sein, denn die kommen abends, ich dagegen putze morgens. 
Aber neulich, als ich um 6:10 Uhr ein verirrtes Fischgerippe vom Küchenboden klaubte und es in den Müllsack warf, in dem sich weitere Fischgerippe tummelten, da schoss mir durch den Kopf: Natürlich gibt es hier einen krisenbedingten Gästeschwund, wenn auch keinen signifikanten, und der Plural stimmt vielleicht auch nicht, aber mindestens ein Gast ist krisenbedingt nachweislich verschwunden, und der bin ich. In früheren Zeiten hat mir nämlich die Forelle hier besonders gut geschmeckt. Ein Blick auf die Speisekarte vom vorigen Abend bestätigt meine Assoziationsschleife, tatsächlich, es gab Forelle.
Interessanterweise lässt es die Tätigkeit des Putzens nicht zu, über solchen Betrachtungen wehleidig zu werden. Die Gedanken gehen wie sie kommen. Der Fokus auf die zu reinigenden Objekte bleibt. Für Sentimentalitäten ist kein Raum. Ich glaube, das tut mir gut.

Donnerstag, 21. Mai 2009

Bloggen statt Reden

Seit acht Wochen bin ich Putzfrau. 
Davor war ich Sozialwissenschaftlerin.
Letzteres bin ich natürlich immer noch, übe jedoch diesen Beruf immer seltener aus, weil die Aufträge immer rarer werden und das Geld immer knapper. Anderen Freiberuflern in meinem Umfeld ergeht es kaum besser, längst hat die Krise die Freien erwischt. Ein Grafiker fährt nachts Taxi, ein Sprachlehrer jobbt in einem Callcenter, ein Journalist geht nebenbei kellnern, ein anderer hangelt sich mit einem de-facto-Stundensatz knapp über dem Mindestlohn durch seine spärlich tröpfelnden Aufträge.
Aber keiner putzt. Außer mir. Oder - wer weiß? - vielleicht will ja nur keiner darüber reden. Ich selber rede auch nicht besonders gern darüber. Obwohl mein Bedürfnis, davon zu erzählen, groß ist. Also dachte ich mir: warum nicht bloggen? Eine putzende Sozialwissenschaftlerin, eine bloggende Putzfrau, das ist doch mal was anderes. Und jetzt blogge ich.