Dienstag, 30. April 2013

Der Mai, der Marx und die Merkel


Morgen ist ja der erste Mai, besser bekannt auch als Internationaler 

Nachdem die Maibaumpatin Angela Merkel am späten Nachmittag bereits die Feiertagslaune anfachte, indem sie die folgende Stimmungskanone zündete:
"Wir wollen sichergehen, dass Europa aus dieser Krise stärker hervorgeht als es in sie hineingegangen ist. Im Zuge dessen muss jedes Land seinen Teil dazu beitragen."
- worauf die arbeitslosen Menschen (namentlich jene im Alter von 15 bis 25 Jahren) im Süden Europas in einen hysterischen Lachkoller verfielen, von dem sie sich zur Stunde noch nicht erholt haben, was befürchten lässt, dass sie sich morgen den ganzen Tag auf der Straße kollektiv vor Lachen wälzen werden, 


- kann ein zusätzlicher stimmungshebender Impuls 
am Vorabend nicht schaden. 

Montag, 29. April 2013

Ach Alter, mein Ego


Heiliger Strohsack.

Immer wieder frappierend, mit welch gigantischer Bugwelle manche Leute unterwegs sind, auf dass die Meere sich ehrfürchtig teilen und ein roter Teppich sich vor ihnen entrollen möge, um dann trockenen Fußes jenen Olymp der Genialität zu erklimmen, der - so ihre tiefste, komplexfreie Überzeugung - bereits die ganze Zeit auf sie und nur auf sie gewartet hat.

Gut, noch hat dieser Berg sie nicht gerufen. Was schon mal eine Unverschämtheit von dem Berg ist (gemeint ist jener Berg, der, wenn er denn kreißt, einen Nobelpreis gebiert). Okay, einem wie dem ollen Einstein mag man die Honneurs noch relativ neidlos gönnen, der ist ja auch schon eine Weile tot und überhaupt. Aber jetzt ist da so ein Typ im Gespräch - im gleichen Alter wie der Bugwellenreiter -, dem eventuell der Nobel-Orden ans Revers geheftet werden soll:
Bob Dylans Bedeutung für die populäre Musik ist mit Einsteins Rolle in der Physik vergleichbar. Seit 1996 wird er jedes Jahr für den Literatur-Nobelpreis nominiert - eine Wahl, die von immer mehr Dichtern und Wissenschaftlern unterstützt wird.
- nicht nur von Dichtern und Wissenschaftlern, sondern auch von Politikern mit ambitioniertem Karrieredesign: Als Festredner darf der legendäre, bislang nobelpreislose Daniel Cohn-Bendit (68) eine Hommage auf den legendären, nobelpreisverdächtigen Bob Dylan (72) anstimmen. Was an dem sogenannten (ehemals) roten Dany legendär sein soll? Dumme Frage: dass er sich selbst für legendär hält. Reicht doch. Nobelpreisverdächtiger Titel seiner Reverenz an den Musiker:
Daniel Cohn-Bendit
"Bob and I: The Saga of a Generation"
Ach ja, der Bob und ich, plaudert wehmütig die alternde Legende,
im Kielwasser des berühmten Sängers paddelnd, aber gedacht hat sie vermutlich: Ich und der Bob, oder vielmehr: Me, myself and I and that Bob, also: Ich, ich und nochmal ich und dann noch dieser Bob, und wenn dieser Bob nicht wäre, dann wäre ja schon längst ich an der Reihe gewesen und hoffentlich haben das jetzt alle gemerkt, dass ich dem Bob mal locker das legendäre Wasser reichen kann, weshalb ich mich kurzerhand zum Ordensträger in spe erhöhe und schon mal probeweise meine eigene Laudatio halte, weil, der Bob und ich, ich und der Bob, Sie verstehen.

Es sollen ja schon Leute im Kielwasser ihrer eigenen Bugwelle ersoffen sein. Und haben es noch nicht mal gemerkt.

Samstag, 27. April 2013

Unter Geiern


Heute basteln wir uns eine aktuelle Schlagzeile. Zum Beispiel so:
Deutschland auf dem Vormarsch
Klingt schon mal gut. Aber zu unspezifisch. Vielleicht eher so:
Deutschland startet Feldzug in den Süden
Schon besser. Obwohl, Feldzug und Deutschland, kommt vielleicht nicht so gut. Dann halt so:
Deutschland startet Feldzug ohne Blutvergießen
Klingt schon viel sympathischer. Jedenfalls das mit dem ohne Blut. Nur, Feldzug, das hat halt schon so ein Gschmäckle. Vor allem bei denen da unten im Süden. Dann schreien die alle gleich wieder, und der Herr Schäuble muss sich wieder furchtbar aufregen. Wo es doch Deutschland bloß gut meint. Mit denen da unten. Im Süden Europas. Undankbares Pack. Aber gut. Wie wär's mit
Deutschland schickt Hilfstrupp in Krisenländer Südeuropas?
Gottogott, bloß nicht, das glaubt doch keine Sau mehr, das mit der Hilfe, auch nicht mit Fragezeichen. Überhaupt, was heißt schon "Deutschland"? Wer ist Deutschland?
Deutsche Unternehmer stehen Krisenländern bei
Könnte man so stehen lassen. Klingt nur einen Tick zu altruistisch - bitte, wo leben wir denn, wenn nicht im Kapitalismus? Da muss doch niemand sich seines gesunden Eigeninteresses schämen, Deutschland schon gar nicht und deutsche Unternehmer erst recht nicht. Also, immer raus mit der Sprache:
Deutsches Unternehmertum wittert Morgenluft 
Na bitte, geht doch. Klingt positiv, klingt nach Aufbruch in neue Zeiten, klingt irgendwie dynamisch. Hat aber noch nicht das Zeug zur perfekten Schlagzeile, denn es fehlt das Wo und Warum und das ganze Drumrum. Weil, man will ja wissen, worum es geht.

Ach was. Wir nehmen jetzt einfach die Original-Schlagzeile:
Deutsche Firmen nehmen Investment in krisengeschüttelten Ländern ins Visier
So, geschafft, jetzt ist es raus, und wir müssen mit dem Rest nicht hinterm Berg halten:
Deutsche Unternehmen richten ihren Blick auf Südeuropa, denn Befürchtungen eines Auseinanderbrechens der Eurozone klingen ab, und die Wirtschaftsreformen verwandeln die krisengeschüttelte Region in einen attraktiven Standort, um erneut zu investieren.
Wie, attraktiv? Ja sicher, wirtschaftlicher Niedergang plus galoppierende Arbeitslosigkeit macht in der Summe: attraktiv. Verführerisch. Nachgerade aufreizend.
Was Südeuropa so reizvoll macht, sind die Vorteile, die aus jenen strengen Austeritätsmaßnahmen und Reformen erwachsen, auf die die Politiker der Eurozone, allen voran Deutschland, gedrängt haben als Gegenleistung für finanzielle Bailouts.
Reformen, welche? Na, diese:
... die Arbeitsmarktreformen, zu deren Implementierung die Bailout-Länder gezwungen wurden - das 'Hire-and-Fire'-Prinzip zu erleichtern und die Lohnkosten zu senken - ...
- also das, was die Rezession vertieft und die Depression verschlimmert und die Suizidraten erhöht und die Verzweiflung gesteigert und die Krise fest etabliert hat, all das ist unterm Strich: attraktiv. Fürs deutsche Unternehmertum, Abteilung Mittelstand:
"Für finanziell gut aufgestellte deutsche Mittelstandsfirmen entpuppt sich die Krise als günstige Gelegenheit."
Heißt: In Ländern wie Spanien, Portugal und Griechenland können marode Firmen vergleichbarer Größenordnung zu Schnäppchenpreisen aufgekauft werden. Da heißt es zugreifen, bevor andere es tun:
"Da ist Bewegung in diesen Ländern. Worauf sollen wir noch warten? Darauf, dass alle anderen das ebenfalls mitkriegen? Wir wollen mit von der Partie sein, wenn sich etwas bewegt, und wir wollen mitspielen dabei."
Also, bloß nichts anbrennen lassen -
"In vielen dieser Länder herrschen fürchterliche wirtschaftliche Strukturen, vom deutschen Standpunkt aus gesehen. Im Moment stellen wir fest, dass der Zusammenbruch dieser Strukturen für uns in diesen Ländern Chancen eröffnet."
- sondern zuschlagen:
"Spanien gerät zurück in den Fokus, insbesondere vor dem Hintergrund fallender Lohnstückkosten ..."
- sowie, selbstredend, vor dem Hintergrund rasant steigender Arbeitslosigkeit.

Da geht noch was, in diesen Ländern, da geht noch ganz viel für unternehmerisch versierte deutsche Spähpanzer, ähm, Spürnasen. Ganz ohne Blutvergießen. Aber mit viel Gewinnaussichten.

Keine Ahnung, wieso mich beim Lesen des Artikels dauernd der tierische Assoziationsbereich streifte. Typisch Hyänen, dachte ich, aasfressende Raubtiere, stürzen sich wie wild auf alles, was dem Untergang geweiht ist. Es gibt eine Hyänengattung, die fällt blutrünstig sogar über noch zuckende, lebende Organismen her, um das frische Fleisch nach Herzenslust auszuweiden. Alle Hyänensorten sind bekannt für ihren besonders fein ausgebildeten Geruchssinn; sie riechen von weitem, wo es etwas zu fressen gibt. Charakteristisch an Hyänen sind ihre markanten, an Gelächter erinnernden Laute, um ihren Artgenossen mitzuteilen, dass sie Witterung aufgenommen haben.

Es heißt, das Wesen von Hyänen stehe - übertragen auf die menschliche Gattung - für Gefräßigkeit, Gier und ungehemmten Egoismus ohne jegliche Skrupel. Das ist aber falsch. Es steht
schlicht und einfach für Kapitalismus.

Donnerstag, 25. April 2013

Los Indignados



Mir scheint, in Madrid wird es gerade ein wenig ungemütlich.

Livestream


Update:


Die Männer von der Straßenreinigung


Griechische Polizisten bei "Aufräumarbeiten" (O-Ton Ministerpräsident Samaras) auf nächtlicher Straße, unter freundlicher Hilfsbereitschaft von Bürgern in Zivil (dunkle Kleidung, kräftig gebaut):

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Die Polizisten setzen einen Immigranten fest. Er ist an der Seite eines Autos bewegungsunfähig gemacht worden. Sie ohrfeigen ihn. Sie versetzen ihm Tritte. Sie ohrfeigen ihn erneut. Sie schlagen ihn mit Trotz, mit Hass. Es bestand keine Notwendigkeit zur Anwendung solcher Gewalt. Er versuchte nicht zu entkommen. Er hat keinerlei Waffe bei sich. Sie verhaften ihn.
Polizisten der Gruppe mit den Motorrädern haben einem anderen Immigranten Handschellen angelegt. Irgendein Polizist nimmt ihn in den Schwitzkasten und schleift ihn buchstäblich zu dem Streifenwagen. Sie schlagen ihn. Sie gelangen an der Tür des Streifenwagens an, dort nähert sich einer der ihnen gefolgten Uniformträger und beginnt mit den Tritten und Ohrfeigen. Einfach so, grundlos. Einfach so, zum Spass.
Einfach so. Nur zum Spass. Weil es so schön aufgeilt. Weil es tiefe Befriedigung verschafft,  als schlagkräftige Truppe - im Schutze der Dunkelheit - einen einzelnen, unbewaffneten, wehrlosen Menschen zu überfallen und zu misshandeln. Da kocht des feigen Faschisten Blut 
vor sadistischer Lust.

Um wen es sich bei den hilfsbereiten Bürgern in schwarzer Zivilkleidung - meist junge männliche Muskelpakete - handelt, 
darüber gibt dieser Film Auskunft. Auch darüber, was die griechische Regierung, in Tateinheit mit den parlamentarischen Muskelpaketen, unter "Straßenreinigung" versteht:


Mittwoch, 24. April 2013

Juckt doch keine Sau



Ein schönes Bild.

Ein Bild der Ruhe und der Gelassenheit.

Ein schönes Bild, das lauter spricht als tausend schöne Worte.

Ein Bild der Abwesenheit und des Desinteresses.

Ein Bild von einer Anhörung im US-amerikanischen Kongress.

Thema der Sitzung: Langzeitarbeitslosigkeit.

Anzahl der erschienenen Abgeordneten: Einer.

Anzahl der langzeitarbeitslosen Amerikaner: 4,6 Millionen.

Ein Abgeordneter interessiert sich für 4,6 Millionen Arbeitslose.

Who cares?

Oder, wie man in Europa - bei 19 Millionen Arbeitslosen - sagt:

Wen juckt's?

Montag, 22. April 2013

The Ghana Groove


Bin ja ein schwerer Fan der Blues Brothers und springe jedem ins Gesicht, der behauptet, die beiden hätten es nicht drauf.

Also, nichts gegen die Blues Brothers.

Aaaber ...


... Ghana rocks London

Freitag, 19. April 2013

Eisern links


Es gibt ja Leute, die hängen sich über ihr Bett das Porträt eines Großen Diktators. So als Einschlafhilfe.  Dann fallen sie selig in den Schlummer und träumen von großen Zeiten, träumen die ganze Nacht große Träume von großen Männern; im Einzelfall auch von großen Frauen, beispielsweise von einer gewissen Margaret Thatcher, die - mal eben "auf links" umgepolt - ihnen als fabelhafte Führungsfigur in ihren Träumen erscheint.

Morgens wachen sie dann erquickt und inspiriert auf, setzen sich an den Schreibtisch und das Geträumte in die Tat um, oder jedenfalls in ein Geschreib, dem, so hoffe ich inständig, niemals die Tat folgen möge. Weil, allein schon die wirre Buchstabenfolge "Was wir brauchen, ist eine Thatcher von links" verschafft mir bereits im Wachzustand solche Alpträume, dass ich künftig kein Auge mehr zutun könnte, aus lauter Angst, eine auf links umgekrempelte Eiserne bescherte mir einen nächtlichen Horrortrip nach dem anderen.

Brauchen wir eine kämpferische Bewegung? Menschen, die sich auflehnen, solidarisieren und erklärtermaßen dem Führerprinzip entsagen? Brauchen wir Indignados, Platzbesetzer, öffentliche Versammlungen, wo jeder mitreden darf? Alles nutzloser Schnickschnack, braucht kein Mensch. Was wir wirklich brauchen, ist eine gesunde Dröhnung autoritärer Führerschaft. Eine - yep! - "Eliteklasse".

Ohne den Führungsanspruch der linken Eliteklasse bleiben nämlich emanzipatorische Bewegungen von unten, von der Straße zum Aus-der-Pfeife-rauchen; und nicht nur das, viel schlimmer: Sie stellen sich sogar als "erkenntnistheoretisches Hindernis der angemessenen Konfrontation mit der Krise unseres politischen Systems" in den Weg. Weil führerlos. Weil erst durch ihn, den großen Führer, könnten "die Menschen entdecken, was sie wirklich wollen".

Keine Ahnung, was es ist, was die Menschen in Massen auf öffentliche Plätze treibt, wenn nicht das, was sie wollen oder nicht wollen? Ist ja auch egal. Irgend jemand von oben muss denen da unten klarmachen, was sie "wirklich wollen". Sollten die da unten auf die Straße geströmt sein, weil sie die Schnauze voll haben, von denen da oben alternativlos bevormundet zu werden, so werden sie von unserem radikalen Träumer eines Besseren belehrt: Denn an Belehrung von oben nach unten führe nun mal kein Weg vorbei und erst recht keiner zur Revolution. Basta. Alternativlos, versteht ihr, ihr Dumpfbrocken da unten?

Es ist nämlich so:
"Das absolute Paradox politischer Dynamik liegt darin, dass es eines Führers bedarf, um die Individuen aus dem Morast ihrer Massenträgheit herauszuziehen und sie zu motivieren zu einem selbst-überwindenden emanzipatorischen Kampf für Freiheit."
Hat da beim Lesen irgend jemand missfällig die Nase gerümpft?
Hat gar einer genölt, dem ganzen Führergequatsche wohne etwas Faschistisches inne? Unsinn. Dem wohnt überhaupt nichts Faschistisches inne. Warum nicht? Bitte, weil es dort steht, schwarz auf weiß:
"Diesen Zeilen wohnt absolut nichts Faschistisches inne."
Dann muss es ja stimmen. Wenn der tollkühne Träumer in seiner nichtfaschistischen Führerkabine es so diktiert.

Übrigens habe ich mir neuerdings über mein Bett ebenfalls das Porträt eines Großen Diktators gehängt. Als Einschlafhilfe. Und zum fröhlichen Aufwachen. Und um in den Phasen dazwischen von alpdruckartigen Erscheinungen halluzinierender Knalltüten mit Zwangsvorstellungen und unbehandelbarem kommunistischem Phantomschmerz-Syndrom verschont zu bleiben. Alternativlos:


Mittwoch, 17. April 2013

Abspann


"There is no such thing as society" - Margaret Thatcher, 1988
"There is no such thing as Margaret Thatcher" - Society, 2013 
via Sabotage Times
Letzte Worte:


Montag, 15. April 2013

Wem die Stunde schlägt


Ding Dong und kein Ende.

Hilfe.

Ich kriege das alles ohne ein erleuchtendes Back-up durch die Klassiker nicht mehr auf die Reihe:

Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn;
jedoch der schrecklichste der Schrecken, 
das ist der Mensch in seinem Wahn.

Danke, Meister Schiller (für Das Lied von der Glocke).

Zwei Tage vor dem finalen Event (Trauerfeier) organisiert sich der Thatcher-Wahn zu einem geschlossenen System, dass einem Hören und Sehen vergeht. Haben die in London doch heute in aller Herrgottsfrühe - vor Sonnenaufgang - eine szenisch-choreographische Durchlaufprobe veranstaltet mit allem Pi, Pa und Po, in vollem Ornat, will sagen: eine militärische Kostümprobe inklusive aller zum Einsatz kommenden kriegs-reminiszenten Requisiten, deren prominentestes eine Lafette darstellt. Die Lafette ist ein fahrbares Gestell zum repräsentativen Transport von Kanonen und wird am kommenden Mittwoch zum repräsentativen Transport des Sarges von Margaret Thatcher verwendet werden.



Der Trockentest im Morgengrauen sei erfolgreich verlaufen, teilte der diensthabende Major mit. Klappte alles wie am Schnürchen. Als einzige akustische Störquelle wurde - sanft blickte der Wahn ihm über die Schulter - das Lied der Glocke identifiziert. Kein Scherz. Das Glockengeläut von Big Ben müsse, so ein Sprecher des House of Commons, während des Trauerzuges unbedingt zum Schweigen gebracht werden, als "Respektsbekundung gegenüber Lady Thatcher".

Interessanterweise  gilt der Glockenschlag von Big Ben im Volksmund als The Voice of Britain (Die Stimme Britanniens), und genau diese Stimme soll am Mittwoch verstummen. Aus Respekt vor Thatcher? Genau. Aus Respekt vor Thatcher.

Oh heilige Paranoia, grübelte ich, was zum Klöckner haben die schweigenden Glocken von Big Ben mit Respekt vor Thatcher am Hut? Hörst du dir die Glocken von Big Ben mal an, habe ich mir gedacht -



- und ward ein zweites Mal erleuchtet:
Ding. Dong. Ding. Dong. 
Klarer Fall. Der Kreis schließt sich.
Gehören zensiert, diese respektlosen Anti-Thatcher-Glocken.

Samstag, 13. April 2013

They do it her way


Orwell im Vollcheck:

Bei Zensur handelt es sich dann um keine Zensur, wenn zensiert wird und die zensierende Instanz behauptet, es handele sich "definitiv um keine Zensur". 

Um was dann? Um einen, so die britische BBC, "nach hartem Ringen" gefundenen "schwierigen Kompromiss"

Nachdem das zum Anti-Thatcher-Protestsong umfunktionierte Lied Ding Dong The Witch is Dead die Charts gestürmt, die Top Ten erreicht hat und sich nunmehr anschickt, Platz Eins zu erobern, traf die BBC nach hartem Ringen sowie unter starkem Druck seitens einiger Parlamentarier der Tories die Entscheidung, den Song trotz hoher Beliebtheit beim Hörerpublikum nicht in seinem Programm zu spielen.

Jedenfalls nicht in voller Länge. In einem nach hartem Ringen gefundenen schwierigen Kompromiss wird der Rundfunksender einen höchstens fünf Sekunden dauernden Clip aus dem einschlägigen Song präsentieren; dies allerdings nicht im Rahmen der gewohnten Hitparade, sondern "im Nachrichtensegment":
"Mit Nachrichtensegment meine ich, ein Nachrichtensprecher wird Ihnen etwas zu der Tatsache erklären, dass diese Aufnahme einen gewissen Rang in den Charts erreicht hat, was er mit einem kurzen Clip dokumentieren wird."
- womit bewiesen wäre, dass es sich "definitiv um keine Zensur" handelt. Sondern, um das mal klarzustellen (Moment, muss kurz kopfrechnen), bei einem höchstens fünf Sekunden dauernden Clip eines knapp einminütigen Songs um eine allerhöchstens 90-prozentige Zensur. 

Eine 90-prozentige hat gegenüber einer 100-prozentigen Zensur den Vorteil, dass sie als "Kompromiss" durchgeht und keiner sie als Zensur bezeichnen darf und obendrein (glaubt man bei der BBC) der unliebsamen Anti-Thatcher-"Kampagne" der Wind aus den Segeln genommen werden könne:
"Den Song komplett auf den Index zu setzen würde riskieren, der Kampagne den Sauerstoff von noch mehr Publicity zu liefern und eine bereits delikate Situation weiter anzuheizen."
Das hätte der Leiter von BBC Radio 1 nun wirklich nicht delikater formulieren können. "The oxygen of publicity" - an ihren delikaten Metaphern sollt ihr sie erkennen: Zu Lebzeiten war "the oxygen of publicity" eine gern gebrauchte rhetorische Figur von Margaret Thacher, um der Presse einen Maulkorb zu verpassen. Und nein, dabei hatte es sich definitiv um keine Zensur gehandelt, sondern lediglich um einen stinknormalen Maulkorb.

Musik ab. In voller Länge. Ohne Maulkorb.


Freitag, 12. April 2013

Geschichten rund ums Nadelöhr


Letzte Woche dachte ich noch, nee, das kannst du jetzt nicht bringen. Weil es einfach zu albern ist. Wiewohl ich eine große Vorliebe fürs Alberne hege.

Aber dann kam eh - nachrichtenlogistisch - das Ableben der GröBraZ (Größe Britische Legende aller Zeiten) dazwischen, mit all seinen interessanten kulturellen Folgephänomenen: Beispielsweise gerät der BBC Rundfunk aktuell in arge Verlegenheit, weil der Song Ding Dong The Witch is Dead die Charts stürmte, in den Top Ten gelistet (momentan auf Platz 10) ist und sich anschickt, zur Nummer Eins in der britischen Hitparade zu werden, und das, wo nächsten Mittwoch das steuerzahlende Volk zur Kasse gebeten wird, um der allseits beliebten GröBraZ einen angemessen staatstragenden Abschied von hienieden zu finanzieren.


Und da verleiht dieses undankbare Volk der Popularität der Verblichenen Ausdruck, indem es  jenen despektierlichen Song in die Hitlisten wählt - ja, wie sieht das denn aus, wenn die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt jetzt dieses frevlerische musikalische Kuckucksei in den Top Ten während der Trauerwoche rauf- und runterdudeln muss? Weil, immerhin, Hitparade ist nun mal Hitparade und Auftrag ist Auftrag und das Ganze gebührenfinanziert, und wäre ich ein britischer Rundfunkhörer, würde ich sagen: Hallo, wenn ich schon die Bestattung und den Rundfunk mitfinanzieren muss, dann bitte auch mit der vom Volk gewünschten musikalischen Untermalung. Zur angemessenen Trauerbewältigung, versteht sich.

Wobei mittlerweile die Nachrufe auf englischen Blogs, die die GröBraZ zur Hölle wünschen, Legion sind, gekrönt von dem Fluch:
Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als Thatcher in den Himmel. 
- und da fiel mir wieder jenes olle Kamel von letzter Woche ein, von dem mich der ganze Thatcher-Rummel abgelenkt hatte. Wie gesagt, erst erschien es mir zu albern, diese Kamelstory durch den Blogwolf zu drehen, aber da aus dem einen ollen Kamel zwischenzeitlich zwei olle Kamele geworden sind, denke ich mir, warum nicht ein paar olle Kamellen verwurschten? Zumal ja irgendwie die Zeit überbrückt werden muss, bis sie in England ein passend großes Nadelöhr gebastelt haben, durch welches sie das Heldenepos Thatcher mit aller Gewalt nach oben quetschen können, inklusive Schweigeminute, ewiger Flamme und vermutlich Heiligsprechung durch den Papst.

Also.

Hat doch neulich der französische Präsident Hollande in Mali ein Kamel geschenkt bekommen. Als Gastgeschenk. Für seinen verdienstvollen Einsatz im Kampf gegen den Terrorismus. Ein lebendiges Kamel! Bei der feierlichen Übergabe tat der Hollande so, als ob ihn das Kamel furchtbar freute, hat sich insgeheim aber gedacht: Merde, was soll ich mit einem Kamel in Paris? Und hat sodann das höckerige Viech diplomatisch elegant am Rande der Sahara geparkt, in Timbuktu; bei einer dort ansässigen vertrauenswürdigen, "in Tierhaltung erfahrenen Familie", hat er gesagt, wo er das Tier "in guten Händen" wähnte, hat er gesagt, "zur sicheren Aufbewahrung", hat er gesagt.

Was von der Familie in Timbuktu offenbar so verstanden wurde, dass der sicherste Aufbewahrungsort für ein Kamel - nach Zwischenlagerung in einem großen Kochtopf - der eigene Magen ist, in dem Fall die zahlreichen Mägen einer vielköpfigen hungrigen Familie, die sich über ein kurzzeitiges Leben in Saus und Braus und traditionell zubereitetem Kamelgulasch gefreut hat. Unglaublich, oder? Statt das offizielle Heldenepos 'Hollande in Mali' aktiv unterstützend durchs Nadelöhr zu quetschen, zog die undankbare Familie es vor, nichts anbrennen zu lassen und das steuerfinanzierte Gastgeschenk einfach zu verspeisen. Ding Dong The Camel is Dead.

Also, das war jetzt das erste Kamel. Doch dem ersten folgte das zweite Kamel auf dem Fuße. Die malischen Behörden zeigten sich "empört" und "voller Scham" über das pietätlose Verhalten jener Familie und schenkten vor zwei Tagen dem französischen Präsidenten ein zweites - steuerfinanziertes, versteht sich - "noch viel größeres und schöneres" Kamel. Aus "Sicherheitsgründen" schickten sie es per Luftfracht - steuerfinanziert, versteht sich - direkt nach Paris, dort, wo der Hollande sitzt und jetzt ein zweites Mal denkt: Merde, was soll ich mit einem Kamel in Paris? Wo er doch heilfroh war, lebendigen Leibes in seine Heimat zurückgekehrt zu sein, denn mal angenommen, er hätte der Adoptionsfamilie in Timbuktu einen diplomatischen Besuch abgestattet und wäre von ihr mit einem Kamel verwechselt worden - nicht auszudenken!

Weshalb der Präsident es auch für opportun hielt, unkommentiert zu lassen, was sich mittlerweile in ganz Mali herumspricht: Das erste Gastgeschenk an Hollande wurde nämlich erbeutet aus den Überresten einer malischen Farm, die von der französischen Armee in Schutt und Asche gebombt worden war und deren ehemaliger Besitzer jetzt in einem Flüchtlingslager lebt und die malische Regierung des - steuerfinanzierten, versteht sich - Kamelklaus verklagen will.

Von welcher zerbombten Farm das zweite Kamel gestohlen wurde, darüber hüllt sich die malische Regierung in Schweigen. Präsident Hollande, so ist zu erfahren, möchte am liebsten gar nichts mehr von Kamelen hören, geschweige denn sehen.

Unbestätigten Gerüchten zufolge soll das zweite Kamel derzeit in Paris dressiert und nächste Woche direkt nach London abgeschoben werden, als prominenter Ehrengast bei den dortigen Trauerfeierlichkeiten.
Thema seines Vortrages am offenen Grab der GröBraZ: "Steuerfinanziert durchs Nadelöhr - ein geklautes Kamel packt aus".


Montag, 8. April 2013

Pietät ohne Takt


Hier ruht Margaret Thatcher
"Die eiserne Lady"
Kumpel, fahr die Karre ran, hier gibt's Material!

Kaum ist die Frau ein paar Stunden tot, häufen sich die sarkastischen, von keinerlei Pietät getrübten Nachrufe.

Im Gegenzug häufen sich die anklagenden Stimmen der Empörten und moralisch Aufrechten, die einen respektvollen Umgang mit der Verstorbenen anmahnen:

"Über Tote redet man nicht schlecht!"
"Wie könnt ihr nur so grausam sein?"
"Keinerlei Feingefühl!"
"Wie unsensibel!"
"Euch geht jedes Gefühl von Mitmenschlichkeit ab!"
"Habt ihr denn kein Mitleid?"

Mitten in das aufgeregte Zetergeschrei meldet sich aus den Tiefen der Gruft eine Stimme zu Wort, eine Stimme in vertrauter Tonlage, die keinen Widerspruch duldet und das klar vernehmliche Statement abgibt:

"Alles Geschwätz. Mangel an Mitleid und Menschlichkeit? Unsensibel? Kein Feingefühl? Genau in meinem Sinne! So und nicht anders wollte ich es haben. Immer und ewig! Oder glaubt ihr etwa, ich sei ein Weichei geworden, bloß weil ich gestorben bin?"

Betroffenes Schweigen am Grab. Einer fragt leise seinen Nachbarn:

"Huch, ich dachte, die sei endgültig tot?"

Stimme aus der Gruft:

"Quatsch. Mein Geist lebt weiter. Der ist nicht totzukriegen."

Sonntag, 7. April 2013

Schöne neue Klassengesellschaft


Die Meldung ließ zunächst Schlimmstes befürchten. Kam sie doch aus Großbritannien, wo seit dem 1. April 2013 ein flächendeckender, von langer Hand vorbereiteter sozialer Kahlschlag sondergleichen stattfindet.

Wird also aus einem Land wie Großbritannien gemeldet, die herkömmliche Verschubladisierung der Gesellschaft in Ober-, Mittel- und Unterschicht sei obsolet, weil empirisch nicht mehr vorfindbar, wird jeder, der sie noch halbwegs alle hat, denken: Aha, der Mittelschicht hat das Todesglöcklein endgültig geschlagen, von nun an gibt es nur noch ein Oben (schmal) und Unten (breit), so wie irgendwann mal früher, als die Dinge noch übersichtlicher waren. Zurück zur guten alten Zweiklassengesellschaft, wird er erleichtert aufatmen - uff!, endlich Schluss mit den ganzen soziologischen Verrenkungen und hirnverbrannten Wortneuschöpfungen, erfunden einzig zu dem Zweck, nicht mehr 'Unterschicht' sagen zu müssen.

Also keine Mittelschicht mehr, nirgends, ja, darf das denn wahr sein? Nein, darf es natürlich nicht. Wenn es also der alten Mittelschicht an den Kragen geht, muss dringend eine neue Mittelschicht erfunden werden, damit die Mittelschicht nicht denkt, es ginge ihr an den Kragen. Und weil bei der Mittelschicht nichts die Alarmglocken so heftig schrillen lässt wie das Stichwort Zweiklassengesellschaft, musste flugs ein neues Schubladensystem her, nämlich die - Tusch! -Siebenklassengesellschaft. Das macht die ganze Sache natürlich wieder extrem unübersichtlich, aber was soll's, genau dies dürfte ja Zweck der Übung sein.

In der schönen neuen Siebenklassengesellschaft bekommt die Mittelschicht ein extrem breites Podest eingeräumt, auf dem sie sich mit breitem Hintern und im Hochgefühl der eigenen Unkaputtbarkeit niederlassen darf:
"In der Tat ist die stabile Mittelschicht eine große Gruppe in der britischen Gesellschaft. Sie (die Mittelschicht) muss verstanden werden als abgesichert und etabliert."
- während der ehedem breite Hintern der traditionellen Arbeiterklasse längst nicht mehr das ist, was er mal war, nämlich breit -
"Das überlebende Hinterteil der traditionellen Arbeiterklasse umfasst nur noch 14 Prozent der Gesamtbevölkerung und ist außerdem ziemlich alt mit einem Durchschnittsalter von 65 Jahren."
- mithin akut vom Aussterben bedroht, jener abgemagerte proletarische Hintern, der sich schon immer als Arsch der Mittelschicht fühlte und dies jetzt von Forscherseite bestätigt bekommt:
"Insofern verschwindet die traditionelle Arbeiterklasse aus dem Fokus zeitgemäßen Stellenwertes und ist ganz klar weniger bedeutend als die etablierte Mittelschicht."
Dafür darf sich der Steiß der Mittelschicht jetzt extrem verbreitern auf satte vier neugeschaffene Klassen:

- die "etablierte Mittelschicht" (25 Prozent) mit Hochschulabschluss, die es zu etwas gebracht hat (typisches Berufsbild: Stadtplaner oder Beschäftigungstherapeut);

- die "technische Mittelschicht" (6 Prozent), erfolgreich und gut abgesichert (typisches Berufsbild: Röntgenassistent oder Pharmazeut);

- die "neuen Gutsituierten" (15 Prozent), zwar ohne höhere Bildung, aber in gesicherter Position (typisches Berufsbild: Installateur, Elektriker, Vertriebsassistent);

- die "aufstrebenden Servicearbeiter" (19 Prozent), oft mit Hochschulabschluss, nicht eben materiell begütert, dafür jung und kompromissbereit (typisches Berufsbild: Gastronomiearbeiter, Callcenter-Angestellte).

Man merkt schon beim Lesen der Charts von oben nach unten, dass es hier klassentechnisch von oben nach unten geht, und das soll man ja auch merken, denn wozu taugte ein siebenstufiges Klassenmodell, welches seinen Klasseninsassen nicht hinreichend Gelegenheit böte, sich als etwas Besseres als die nächstuntere Klasse zu fühlen?

Und damit keiner der aufstrebenden Gastro-, Callcenter- und sonstigen Niedriglohnsklaven sich als der ultimative Arsch auf der nach unten offenen sozialen Rangtabelle fühlen muss, findet sich an deren vorläufigem Ende, quasi als sedimentäre Ablagerungsschicht, das "Prekariat", jener nach Abschaum riechende Bodensatz, zu dem keiner gehören will, zu dem jedoch 15 Prozent der Gesamtbevölkerung gehören, Tendenz steigend:

- das "Prekariat" (15 Prozent), das wirtschaftlich, sozial, bildungs- und gebisstechnisch auf der Verliererseite steht und völlig kultur- und interesselos irgendwie vor sich hindümpelt (typisches Berufsbild: Putzfrauen, Hausmeister, Kassierer oder arbeitslos),

im Gegensatz zum oberen Ende:

- der "Elite" (6 Prozent), "sich über alle anderen sechs Klassen meilenweit erhebend", da stinkreich (typisches Berufsbild: Firmendirektor, Rechtsanwalt, und - ahem! - Zahnarzt, wobei letzterer sich bestimmt meilenweit über die Reparatur der Gebisse von mindestens vier der niederen Klassen erhebt).

Übrigens bietet die BBC einen praktischen Online-Taschenrechner ("The Great British class calculator") an, auf dem sich jeder seine individuelle Klassenzugehörigkeit zusammendaddeln kann. Natürlich ließ mir die Neugierde keine Ruhe. Niederschmetterndes Testergebnis: trotz Hochschulabschluss, breitgefächerter kultureller Interessen und eines Gebisses, das (noch) als Mittelschicht durchgeht, kam der gnadenlose Befund "You are precariat" - also das, was ich schon die ganze Zeit wusste, aber endlich mal von der BBC offiziell bestätigt haben wollte.

Wer allerdings das vernichtende Testurteil nicht auf sich sitzen lassen möchte, muss nur den class calculator hier und da ein wenig manipulieren, zum Beispiel

- eingeben, dass sich im eigenen sozialen Umfeld mehr Rechtsanwälte und Zahnärzte tummeln als Taxifahrer, Putzfrauen, Hausmeister und Gastro-Schlampen (auch leitende Angestellte im Bekanntenkreis führen zur Aufwertung),

- behaupten, dass er/sie nicht nur gern Musik hört und Bücher liest, sondern sich häufige Theater-, Konzert- und Museumsbesuche leisten kann,

- leugnen, dass er/sie zur Miete wohnt,

- vorgeben, er/sie habe etwas auf der hohen Kante,

- behaupten, dass er/sie sich mit Vorliebe in Schlössern und herrschaftlichen Anwesen aufhält (natürlich nicht als Putzfrau oder Hausmeister, ist ja klar),

- und überhaupt so tun, als ob er/sie Geld wie Heu hätte.

Glückwunsch! Sie sind im erfolgreichen, gut abgesicherten Segment der stabilen Mittelschicht und können voller Genugtuung auf mal locker vier, wenn nicht fünf Unterschichten runterspucken! Wie, Ihnen sind vor lauter Scham über Ihre falschen Angaben noch nicht sämtliche Zähne rausgefallen? Bravo. Sie sind auf dem Weg nach ganz oben. Wer so gut lügen kann, hat einen Spitzenplatz in der Gesellschaft verdient. Machen Sie weiter so. Damit Sie auch morgen noch kraftvoll nach unten zubeißen können.

artwork by Nomerz

Freitag, 5. April 2013

Es läuft rund


Das Ministerium für Propaganda hat wieder mal die Wahrheit verkündet, und das mit voller Härte. Strahlend ließ das Spezialressort Kommunikationsmanagement (volkstümlich: "ARD-Deutschlandtrend") sein Umfrageergebnis verlauten, nach "erfolgreicher Lösung der Zypernkrise strahle der Stern der Kanzlerin wieder".

Weiter führte der Ressort-Krisensonderstab zur Verschleierung kognitiver Dissonanzen aus: Während (erstens) 68 Prozent der Deutschen mit dem Krisenmanagement der Kanzlerin zufrieden seien und fänden, Merkel habe "in der Eurokrise richtig und entschlossen gehandelt", rechneten (zweitens) 75 Prozent der Deutschen mit einer Verschlimmerung der Eurokrise.

Nachdem es bei der Ergebnispräsentation in Teilen der Öffentlichkeit zu vereinzelten "Hä??"-Reaktionen kam, gefolgt von Zweifeln an der Sinnhaftigkeit der von den ARD-Forschern gestellten Fragen wie überhaupt an der gesamten Methodik der jüngsten Umfrage, beschloss der Krisenstab zur Verschleierung kognitiver Dissonanzen in die Offensive zu gehen und die beiden ergebnisrelevanten Fragen zu veröffentlichen:

1. Finden Sie es nicht auch toll, wie entschlossen Frau Merkel den Eisberg vor Ihrer Nase in Angriff nimmt?

a. ganz toll
b. toll
c. ziemlich toll

Aufgrund der erwartbar hohen Zustimmungswerte zu Frage 1 habe man sicherheitshalber eine Kontrollfrage 2 eingebaut:

2. Gibt es sonst irgend etwas, was Ihnen derzeit Sorgen bereitet?

a. der Scheißfrühling
b. Sonstiges, was?

Spontan hätten drei Viertel der Befragten "Sonstiges" genannt und auf Nachfragen spezifiziert, es sei "dieses ungemütliche Titanic-Feeling", welches ihnen die zufriedene Grundstimmung versaue.

Eine mögliche Korrelation zwischen "Eisberg" und "Titanic-Feeling" wird von der Auswertungskommission des Krisensonderstabes ausgeschlossen, zumal die Zauberkräfte der Eisbergbändigerin von der überwiegenden Mehrheit der Deutschen ja bestätigt worden und somit keine Fragen mehr offen seien.

Wirklich wichtig, so ein Sprecher des Ressorts Kommunikationsmanagement, sei ohnehin das Kommunizieren des Kernbefundes der Umfrage: "Die Zypern-Krise ist vorerst gelöst - es läuft wieder rund für Bundeskanzlerin Merkel und die Union."

Wir schalten zurück ins Wahlkampfstudio.

Dienstag, 2. April 2013

Frisch vom Ticker


+++Rekordmeldungen am laufenden Meter+++

+++optimistische Stimmung an den Kapitalmärkten+++

+++Arbeitslosigkeit auf historischem Hoch+++

+++Wachstumsprognosen positiv+++

+++Hauptbörsen zeigen sich stimuliert+++

+++Jugendarbeitslosigkeit erreicht
rekordverdächtigen Höchststand+++

+++Investoren: auf steigende Tendenz spekulierend+++

+++Zahlen für Griechenland in Kürze erwartet:+++
+++60-Prozentmarke endlich geknackt?+++

+++Zahlen für Zypern:+++
+++Enttäuschend, da nur leicht über EU-Mittelwert+++

+++Optimistisches Signal aus Zypern:+++
+++"Keine Sorge, das wird schon, spätestens bis Sommer 2013
haben wir alle anderen abgehängt!"+++

+++Reaktion auf den Märkten: verhalten euphorisch+++

+++Und jetzt alle:+++
+++Weiter so!+++
+++Nicht nachlassen!+++
+++Keep austerity rocking!+++


Montag, 1. April 2013

Früchte des Zorns


Schauplatz:
Augusta im amerikanischen Bundesstaat Georgia.

Offizielle Armutsquote in Augusta:
31,6 Prozent

Anteil der Bevölkerung, die mit weniger als 50 Prozent des als offizielle Armutsgrenze geltenden Einkommens leben:
11,8 Prozent

Kinderarmut in Augusta:
45 Prozent

Letzte Woche ging in Augusta ein Supermarkt bankrott. Die Nachricht von der Zwangsräumung des Lebensmittelgeschäftes verbreitete sich schnell in den verarmten Nachbarschaftsvierteln; und so strömten am vergangenen Dienstag rund 300 Bewohner Augustas, die meisten mit leeren Plastiktüten in den Händen, zu dem Geschäft - in der Hoffnung, dass die Lebensmittelrestbestände unbürokratisch und gratis an Bedürftige verteilt und damit (aus der Sicht des Betreibers) kostenlos "entsorgt"würden. Sie wurden in ihrer Hoffnung enttäuscht.

Zwar hätten, nach dem Willen des ehemaligen (jetzt bankrotten) Pächters, die verbliebenen Lebensmittel an die Bevölkerung gespendet werden sollen. Jedoch meldete der Eigentümer der Liegenschaft - eine Bank mit dem klangvollen Namen Sun Trust Bank - als Folge des Räumungstitels Besitzanspruch auf die Lebensmittelbestände an und verfügte deren umgehende Vernichtung. Dies geschah vor den ungläubigen Augen der mit leeren Plastiktüten wartenden Menschen: Unter Polizeischutz wurden sämtliche - sowohl frische als auch konservierte - Lebensmittel auf große Abfallcontainer geworfen und abtransportiert Richtung Müll- beziehungsweise Vernichtungsanlage.

Als Begründung für die gezielte Vernichtung der Lebensmittel gab der zuständige Einsatzleiter der Polizei an, erstens, auf Anordnung des Immobilieneigentümers, zweitens, im Namen von Gesetz, Recht und Ordnung gehandelt und, drittens, angesichts der hungrig dreinschauenden Menschenmassen
"... ein extrem hohes Potential für einen Volksaufstand (riot)"
erkannt zu haben, für dessen Verhütung eine im großen Stil angelegte Lebensmittelvernichtung als das Mittel der Wahl erkannt worden sei.

Das Wort hat Adam Kokesh, dem allerdings die Worte fehlen:



Mir fehlen sie auch.

Das letzte Wort hat John Steinbeck:
Lebensmittel wegzuwerfen vor den Augen hungernder Familien ruft die Worte John Steinbecks in Erinnerung, der eine ähnliche Szene in Früchte des Zorns (1939) beschrieben hat:
"Es gibt Verbrechen hier, die nicht zu schildern sind. Es gibt hier Leid, das Tränen selbst nicht sprechen lassen können. Es gibt hier Misserfolg, der all unsere Bemühungen zunichte macht. Die fruchtbare Erde, die geraden Baumreihen, die starken Stämme und die reife Frucht. Und Kinder müssen sterben, weil die Orange ihren Profit nicht verlieren darf. Und die Leichenbeschauer müssen in den Totenschein schreiben - 'starb an Unterernährung' -, weil Nahrungsmittel verrotten müssen, weil sie zum Verrotten gezwungen werden. Die Leute kommen mit Netzen, um die Kartoffeln aus dem Fluss zu fischen, aber die Wächter verbieten es ihnen ... und sie stehen still und sehen zu, wie die Kartoffeln vorbeischwimmen ... sehen die Orangenberge zu einem Fäulnisbrei zusammensinken, und in den Augen der Menschen liegt ein Scheitern; und in den Augen der Hungernden steht ein wachsender Zorn. In den Herzen der Menschen wachsen die Früchte des Zorns und werden schwer, schwer und reif zur Ernte."