Donnerstag, 19. Dezember 2013

Abschied von der Schrebergartenkultur


Ich habe mich aus der Blogwelt verabschiedet, ohne die Gründe zu benennen, die mich dazu bewegt haben. Dies möchte ich nachholen.

Die Gründe liegen in einem wachsenden Unwohlsein gegenüber dem Status quo, wie ich ihn in der Szene deutscher politischer Blogs wahrnehme. Ausdrücklich nicht gemeint sind einzelne politische Blogbeiträge von hoher oder höchster Qualität, denen meine uneingeschränkte Anerkennung gilt; gemeint ist vielmehr das weitgehend beziehungslose, unverbindliche, mich selbstreferentiell dünkende Nebeneinander in der hiesigen Szene.

Dieses beziehungslose Nebeneinander halte ich nicht für zufällig, sondern von den je individuellen Bloggern - aus welchen Gründen auch immer - so gewollt, denn sonst, so denke ich, wäre aus dem beziehungslosen Nebeneinanderherdümpeln längst ein intensiver agierendes Geflecht des Miteinander geworden, bei aller Wahrung individueller Unterschiede, Eigenheiten und - nicht nur, aber auch: politischer - Interessen.

Mir drängt sich das Bild einer Schrebergartenkolonie auf, wo jeder sich in seiner eigenen Parzelle eingebunkert, um sich herum einen wehrhaften Zaun gezogen hat - fest verschlossen von einer vergitterten, nur selten einladend offenstehenden Gartentür - und misstrauisch die Nachbarparzellen beäugt, stets in Sorge, wer hat den längeren, den längsten, pardon, den dicksten Zucchini gezüchtet.

Die Kommunikation der einzelnen Parzellen untereinander geht gegen Null, wenn ich einmal absehe von sporadischen, mir eher belanglos denn substantiell erscheinenden Kommentaren. Hin und wieder, alle paar Schaltjahre mal, ein anderes Blog zu verlinken, erlebe ich nicht als Kommunikation, höchstens als Pflichtübung nach dem Motto: muss sein, weil, wie sieht das denn sonst aus? Miteinander geredet - im Sinne eines gemeinsamen politischen Anliegens, geboren aus dem unerträglich wachsenden Druck um uns herum - wird nicht. Mag sein, das passiert hinter den Kulissen, aber was hinter den Kulissen passiert, zählt nicht; was zählt, ist das Bild vorne auf der Bühne, dort, wo der Vorhang hoch- und notorisch das Visier runtergelassen wird.

Still und starr ruhen die Parzellen nebeneinander. Niemand kommt niemandem in die Quere. Niemand hat mit niemandem etwas zu schaffen. 'Bleib mir bloß vom Leib', scheint in unsichtbarer Schrift über den vergitterten Gartentüren zu stehen, '... und vergreif dich ja nicht an meinen Zucchini, sonst kommt mein Hund, der ist scharf und beißt dich, ist viel größer und schärfer und bissiger als dein Hund und außerdem mindestens genauso dick wie meine Zucchini, da kommst du mit deinem Scheißköter und deinen Micker-Zucchini nie ran, nie im Leben, also versuch's erst gar nicht.' Still und starr ruhen die Parzellen nebeneinander.

Niemand kommt niemandem in die Quere. Die Zucchini wachsen, die Zäune wachsen, die Hunde wachsen - was will man mehr. Gewachsene Strukturen. Funktioniert doch alles bestens. Funktioniert sogar von ganz allein. Funktioniert sogar regelrecht autonom und selbstbestimmt - weil von allen so gewollt - und ohne jeglichen vereinsmeierischen Wasserkopf.

Wobei, andererseits, jeder durchschnittliche, echte, deutsche, voll spießige Schrebergartenverein mehr Kooperation und Kommunikation pflegt und mehr Gemeinschaftssinn drauf hat als die vereinslose deutsche Polit-Schrebergartenkolonie. Still und starr ruhen die Parzellen nebeneinander. Auf keinen Fall - Allmächt! - die Zäune stutzen oder gar - horribile dictu! - einreißen. Stutzen? Einreißen? Wenn das jeder täte! Geht gar nicht. Bleib mir bloß vom Leib. Hast du meine neuen Zaunlatten gesehen? Noch länger als deine. Bildest dir ein, du hättest die dickeren Zucchini? Pah, guck dir meine Zaunlatten an. Länger geht nicht.

Still und starr ruht das Bühnenbild.

In den letzten Jahren haben mich - bloggend und überhaupt - vorwiegend die Ereignisse und Entwicklungen im Ausland beschäftigt. Hauptsächlich südeuropäisches Ausland. Spanien. Griechenland. Auch Naher Osten, Nordafrika. Viel (Nord)Amerika. Gelegentlich England. Die überall stattfindende Radikalisierung brannte mir unter den Nägeln: die Radikalisierung von Menschen, von Bewegungen, von Protesten, von Widerstand; die Radikalisierung immer unmenschlicher werdender, immer unmenschlicher zurückschlagender Systeme, deren Totalitarisierung, deren Degenerieren zu polizeistaatlichen Regimes, deren immer nackter zutage tretender Gewalt gegen Menschen, die eigentlich nur eines möchten: leben, und zwar voller Lebensfreude und ohne hungern zu müssen.

Naturgemäß stillte ich mein Informationsbedürfnis durch das systematische Suchen und Aufsuchen ausländischer Informationsquellen, in erster Linie englischsprachiger, international orientierter Blogs. Weil mein Interesse an den Entwicklungen im Ausland immer stärker wuchs, tauchte ich immer tiefer ein in die Welt dieser nichtdeutschen politischen Blogs, ihrer Art der Informationsweitergabe, ihrer Professionalität, ihrer selbstverständlichen Vernetztheit untereinander. War beeindruckt, mitunter überwältigt von der diskursiven Offenheit; von der stillschweigenden oder expliziten Übereinkunft, dem Bewusstsein, dass da ein großes, bedrohlich wachsendes Problemfeld nicht nur individuell, sondern zugleich kollektiv zu beackern ist; von dem wechselseitigen Durchdringen, Einmischen und Anregen; von den niedrigen Zäunen und den ständig offenstehenden Gartentüren. Dauernd reden die miteinander, besuchen sich in einer Tour gegenseitig, bringen irgendwas mit oder kommen mit leeren Händen, um mit vollen Händen zurückzukehren in den eigenen, mit frischem Gedankengut zu bewirtschaftenden Garten.

Diese fruchtbare, weil sich wechselseitig befruchtende, lebendige politische Diskurskultur hat mich ungemein befeuert und inspiriert.

Jedesmal, wenn ich von meinen ausgiebigen Streifzügen zurückkehrte und mich in der hiesigen Schrebergartenkolonie umschaute, befiel mich ein Gefühl klaustrophobischer Enge. Ich begann mich wie ein Fremdkörper zu fühlen und fing an zu frösteln angesichts der still und starr nebeneinander ruhenden Parzellen. Was für ein ungesunder Dauerfrostzustand der selbstgewählten Vereinzelung, des manischen Sich-Abgrenzens und -Abschottens der individuellen Profilierung zuliebe, dachte ich und zog meinen Mantel fester um mich.

Irgendwann bekam ich das Gefühl, dass in der permagefrosteten Schrebergartenkolonie immer größere Eiszapfen wachsen. Eiszapfen, die es an Länge locker aufnehmen können mit den längsten, größten, dicksten, tollsten Zucchini. Ich spürte den Frost klirren.

Eines Tages fror es mich so sehr, dass ich dachte, gleich frieren mir die Finger über der Tastatur ab.

Da beschloss ich, die Flucht nach vorne anzutreten.


Freitag, 13. Dezember 2013

Feierabend


Ich höre mit der Bloggerei auf.

Zum Abschied gibt es ein stimmungsvolles Video von dem wunderbaren, aus Puerto Rico stammenden, wunderbar frechen, wunderbar schrägen, wunderbar kratzbürstigen anarchistischen Filmemacher Frank Lopez alias The Simulator, der auf submedia.tv seine subversive "news show" produziert.

Hier kommt die neueste Folge von
"It's the End of the World as We Know It and I Feel Fine":

Front End Loader Dreams from the stimulator on Vimeo.

War noch was? Ja klar:
"Love and Tacos!"
(Frank Lopez)
Auf deutsch: Good bye!

Samstag, 7. Dezember 2013

Thanks Mandela


Die Kaskaden der Seligsprechung Nelson Mandelas seitens des kapitalistischen Westens - der schon immer gegen Ausbeutung, rassistische Gewalt und Apartheid war - haben heute ihren (vorläufigen) visuellen Höhepunkt erreicht:

Zu Ehren Nelson Mandelas 
wurde das Empire State Building (New York City) 
in den Farben der südafrikanischen Nationalflagge illuminiert.

Wegen all des verlogenen süßlichen Politkitsches, der sich da stündlich eruptiv entlädt, drohe ich jeden Moment in ein gefährliches Insulinkoma zu verfallen und muss dringend gegensteuern:

Ruppiger Reggae, roh und so funky, als ob er direkt aus der Tiefe irgendeiner Mülltonne in Soweto gekrochen kommt, kämpft gegen Ausbeutung, rassistische Gewalt und Apartheid, und am Ende reichen zwei Worte:

Thanks Mandela



Freitag, 6. Dezember 2013

Mandela zum Anfassen


Hier gibt es einen unglaublich guten, unglaublich gut geschriebenen "Rückblick auf Nelson Mandela als Pop-Phänomen" zu lesen, verfasst von Robert Rotifer, einem in London lebenden Wiener.

Gut, weil sehr, sehr kenntnisreich und ausdifferenziert.
Gut geschrieben, weil überaus lebendig und engagiert erzählt, von den eigenen biografischen Erfahrungen mit dem Mandela-Phänomen plastisch durchwoben sowie von keinerlei abgehobenem musikakademischem Fachsprech getrübt.

Ich liebe es, wenn profunder musikalischer Sachverstand verschmilzt mit einer so beseelten, körperlich spürbaren Schreibe, wenn der Schreiber - statt auf fachsimpelnde Distanz zu gehen - mich anfasst und rüberbringt, dass er es mag, angefasst zu werden.

21 years in captivity
Shoes too small to fit his feet
His body abused but his mind is still free
Are you so blind that you cannot see? I said...
Free Nelson Mandela, I'm begging you
Free Nelson Mandela
Als ich diese Zeilen als 14- oder 15-jähriger zum ersten Mal hörte, war das meine erste Begegnung mit dem Namen Mandelas. Und ich war ganz sicher nicht der unpolitischste Mensch in meinem Alter. Es war die Zeit der großen Boykott-Bewegung gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Welche Orangen oder Bananen man kaufte, wurde zum großen Politikum. Aber wie jeder Aktivismus, der sich über einen Konsumboykott äußert, hatte auch dieser aus der jugendlichen Perspektive des Taschengeldempfängers betrachtet einen eher abstrakten Anstrich.
Der Autor erzählt von seiner Begegnung mit der Band The Special AKA und deren Titel "Nelson Mandela" und fährt fort:
"Nelson Mandela" von The Special AKA dagegen machte das Anti-Apartheid-Thema nachfühl- und (wichtig) tanzbar. Die erste Zeile nahm einen sofort mit: 21 Jahre in zu kleinen Schuhen gehen zu müssen, das war so ziemlich das unwichtigste Detail, das es über Nelson Mandelas Haft in Robben Island zu wissen gab, aber man spürte es förmlich in den eigenen Zehen. ... (weiterlesen)
Das Weiterlesen lohnt sich. Es kommt einer Reise gleich, einer Reise durch das Lebensschicksal Mandelas und dessen An- und Enteignung in der schwarzen und weißen Popgeschichte, einer Reise durch die persönliche Lebensgeschichte des Autors, seiner Anteilnahme und seines kritischen Beobachtens besonders des weißen Pop-Phänomens "Nelson Mandela".

Am Schluss seiner Reise lässt Rotifer den Schreibgriffel fallen und tut das einzig Richtige:
Ich für meinen Teil lege jetzt wieder die Special AKA-Maxi auf und warte auf die Stelle, wo alles andere aussetzt bis auf eine einsame, mächtige Bassdrum, die, von Echo beflügelt, die Bodenbretter zum Schwingen bringt.
Spätestens hier fühle ich mich unwiderstehlich angefasst, tue es ihm gleich, lege die Scheibe auf -
Und dann springe ich dazu durchs Zimmer like it's 1984.
- mach' ich genauso, hier stehe ich und kann nicht anders als zu tanzen, weil, "man spürt es auch heute noch förmlich in den Zehen", was kein Wunder ist bei so vielen ekstatischen Zehen, Füßen, Beinen, Armen, Körpern und Gesichtern:



Begging you, begging you, begging you.
You've got to free him, yeah.

Yeah. 
Zum Anfassen.
Singing, playing, dancing. 
Bodenbretter zum Schwingen gebracht.
Do it in the spirit of Nelson Mandela.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Bring Him Back Home



Mandela, Bring Him Back Home

Performed by Hugh Masekela:



Mittwoch, 4. Dezember 2013

Moderne Zeiten


Die Tage dürften gezählt sein, wo japanische Demonstranten ungeschoren davonkommen mit Protestplakaten wie diesem:


Demonstranten, wieso Demonstranten? Terroristen, allesamt.


Und in einer U-Bahnstation in Tokyo ein Plakat anzubringen, auf dem der japanische Premierminister Shinzo Abe in einem Atemzug mit Adenoid Hynkel genannt wird, dürfte, obwohl es der Wahrheit entspricht, ebenfalls großen Ärger geben, eben weil es der Wahrheit entspricht, wie das japanische Wahrheitsministerium unlängst bekannt gab.
Was geheim gehalten wird, ist geheim.
Warum es geheim gehalten wird, ist ebenfalls geheim.
Die (geheim gehaltene) Information wird erst 60 Jahre später veröffentlicht werden (nachdem alle Betroffenen tot sind).
Geheimnisträger, ihre Familien und Bekannten stehen alle unter Beobachtung.
Wer das Geheimnis lüften will, wird ins Gefängnis geworfen.
Whistleblowers kommen für zehn Jahre ins Gefängnis.
Dies ist das "Staatsgeheimnis-Gesetz".
(Plakattext via Japan Today)

Moderne Zeiten halt, irgendwie.

Dienstag, 3. Dezember 2013

Keep Bitchin' in Mop's Kitchen


Ich bin ja, erstens, ziemlich verfressen,

koche, zweitens, für mein Leben gern,

rege mich, drittens, dauernd auf über Sachen, die passieren,

komme, viertens, meistens nicht nach mit dem Aufregen, weil viel zu viel passiert, was mich aufregt,

gehe dann, fünftens, in die Küche, um mich wieder ab- und mit was Sinnvollerem anzuregen,

fahre, sechstens, deshalb tierisch ab auf cocina indignada, zu deutsch: Kochen für Leute, die sich dauernd aufregen,

finde dort, siebtens, unsagbar köstliche, bösartige Rezepte zum Nachkochen, zum Beispiel "Korrupter Kochtopf nach Art Canal 9" (Olla corrupta estilo Canal 9)

obendrein liebe ich, achtens, gegen den Mainstream gebürstete geile Musik,

und zwar, neuntens, über alles andere,

weshalb es mich, zehntens, restlos begeistert, wenn bösartige Rezepte zum Nachkochen für Leute, die sich dauernd aufregen, flankiert werden von absolut geiler, gegen den Mainstream gebürsteter Musik:



Hit the Road Jack: Becca Krueger covers Ray Charles.

Diagnostische Kompetenz



Montag, 2. Dezember 2013

Der Wahrheit auf der Spur


Es geht voran. Es bewegt sich was. Doch, tatsächlich.

Deshalb wird ab sofort die Serie 'Was wir uns schon immer gedacht haben, aber stets nur hinter vorgehaltener Hand wagten undsoweiterundsobrabbelundsonörgel ...' eingestellt.
Grund: Sie ist überflüssig. Gemacht worden. Von der Gegenseite.

Weil, mittlerweile rückt die Gegenseite dermaßen offenherzig, ungeschminkt und unbeschönigt mit der Sprache heraus, dass es schon fast wieder an Wahrheit grenzt, nackte Wahrheit und nichts als die Wahrheit, allenfalls notdürftig ummäntelt von einem lasziv-schleierdünnen Paranoia-Fummel, der mehr von der Wahrheit freilegt als diese zu verhüllen, und wo früher propagandistische Feldzüge unter raffiniertesten Sprachverrenkungen um drei Ecken herum von hinten durch die kalte Küche schlichen, trampelt heute der Gegner in genagelten Kampfstiefeln ohne Umschweife durch den Vorgarten direkt zur Haustür, tritt - selbstverständlich ohne zu klingeln, so viel Subtilität war gestern - dagegen, sodass der Feind ganz ungeniert mitsamt der Tür ins Haus fallen und hochgeklappten Visieres lauthals, damit auch wirklich jeder weiß, was Sache ist, durch die Räume brüllen kann:
"Wenn Sie Ihre Ideen und Prinzipien verwirklichen wollen, sollten Sie demokratischen Prinzipien folgen, indem Sie so viel Unterstützung wie möglich gewinnen. Ich denke, die Strategie, seine Meinung lediglich aus voller Lunge herauszuschreien, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von einem Akt des Terrorismus."
Haben das alle? Nein? Immer noch nicht? Na gut, dann nochmal unverhüllt und so nackt, wie Gott die Wahrheit schuf:
Bürger, die gegen das kontroverse staatliche Geheimhaltungsgesetz demonstrieren, machen sich eines Aktes des Terrorismus schuldig, gemäß dem Generalsekretär der (japanischen) Liberaldemokratischen Partei, Shigeru Ishiba.
Mir scheint, der Lack ist ab. Das System beginnt, Tacheles zu reden. Und kommt endlich auf den Punkt. Wird auch langsam Zeit.

Samstag, 30. November 2013

Japanische Peinlichkeiten


Wer weiß - womöglich gehört das Verbreiten solcher Nachrichten bald der Vergangenheit an. Weil nämlich das Verbreiten solcher und ähnlicher "nuclear-related" Nachrichten gerade vom japanischen Parlament per Gesetz kriminalisiert wird (via Washingtons's Blog):
Justizminister Masako Muri erklärte, nuclear-related Informationen seien künftig höchstwahrscheinlich als Verschlusssache einzustufen.
Warum? Zu gefährlich. Oder besser: zu "peinlich". Also, das Verbreiten solcher Informationen, nicht etwa das, worüber informiert wird:
"... um sicherzustellen, dass das Nukleardesaster in Fukushima keinen Anlass mehr bietet für Peinlichkeiten im Vorfeld der Olympischen Spiele."
Und deshalb muss ein neues Geheimhaltungsgesetz her.
Für die Regierung Abe wäre dies ein phantastischer Weg, das Problem der Tonnen verstrahlten Wassers in den Griff zu bekommen, die aus dem Fukushima Daichi Nuclear Power Plant seit der dreifachen Kernschmelze im März 2011 austreten. Zwar ist offenbar kein Ende in Sicht, wie das Austreten des giftigen Abfalls zu verhindern ist, aber die neue Gesetzgebung würde es der Regierung erlauben, das Austreten von Informationen zu verhindern.
- und, bei Zuwiderhandlung, mit bis zu zehn Jahren Gefängnis zu bestrafen.

Wenn schon die Löcher in den Reaktoren nicht zu stopfen sind, dann muss den Überbringern der schlechten Nachrichten das Maul gestopft werden. Dass dieser Vorgang ganz wörtlich zu verstehen ist, machten die Sicherheitskräfte im japanischen Parlament unmissverständlich klar. Dort bot der demnächst zu verhängende Maulkorb einigen Anlass zu Peinlichkeiten -
Ein Bürger wurde gewaltsam von der Zuschauertribüne des Parlaments, von wo aus er die Debatte des State Secrecy Protection Law im Unterhaus verfolgt hatte, entfernt, als er seinen Widerspruch zu dem Gesetz laut artikuliert hatte. Sein Mund wurde mit Tüchern zugestopft, um ihn an weiteren Ausrufen zu hindern, während er von einigen Sicherheitsbeamten gegen seinen Willen abgeführt wurde.

Tokyo Shinbun/twitter via exskf.blog

- Peinlichkeiten, die allerdings von den übrigen Zuschauern auf der Tribüne geflissentlich ignoriert wurden. Der Sitznachbar des Mannes, dem das Maul gewaltsam gestopft wurde, entzieht sich der Peinlichkeit des Zuschauens durch Wegschauen, genau in die andere Richtung.

Wegschauen war auch die Devise eines Abgeordneten, der es vorzog, seine Emails zu checken, um sich den peinlichen Anblick eines geknebelten, abgeführten Mitbürgers zu ersparen. Mir wiederum fehlen die Worte um auszudrücken, wie peinlich mir das Verhalten der wegschauenden Anwesenden ist.

Noch gibt es in Japan ungestopfte Mäuler. Hier ist ein lohnendes Video einer Pressekonferenz, wo der japanische Schauspieler und Anti-Atomkraft-Aktivist Taro Yamamoto seine kritischen Einschätzungen der aktuellen politischen Lage in Japan abgibt, ungeschminkt und ohne Maulkorb. Besonders augenöffnend sind die letzten zwei bis drei Minuten (auf japanisch, es wird alles präzise und gut verständlich ins Englische übersetzt, allerdings nicht simultan, sondern zeitversetzt, also geduldig sein!):


"Der Weg, den Japan beschreitet, ist die Neuschöpfung des faschistischen Staates."
Noch kann ein Yamamoto sich solche öffentlichen Statements erlauben, ohne drastisch bestraft zu werden. Die Frage ist, wie lange noch. Schließlich rückt Olympia (2020) näher und "im Vorfeld" der Zeitpunkt, wo sich die japanische Regierung derartige Peinlichkeiten nicht mehr bieten lassen wird.
Es scheint, das Land der aufgehenden Sonne bewegt sich auf finstere Zeiten zu.
Dunkle, mehr als nur peinliche Erinnerungen werden wach. Wer weiß - womöglich wird es rechtzeitig zu den Spielen Lager geben für Leute, die den Mund nicht halten können. Und Speziallager für solche, die den Mund nicht halten wollen.

Killing Me Kindly


Das Gute, dieser Satz steht fest,
ist stets so böse wie der Rest.

Wird schon keiner merken, hat sich der Guteste aller Bösen gedacht,
als er zum Auftakt der Thanksgiving-Woche die folgende, alle Herzen wärmende Grußbotschaft vom Stapel ließ:
"Güte bestimmt all meine politischen Überzeugungen."
("Kindness covers all my political beliefs.")
- verkündet am Dienstag, jenem Wochentag, an welchem es dem Herrn über Gut und Böse zur lieben Gewohnheit geworden ist, das regular Tuesday counterterrorism meeting im Weißen Haus abzuhalten.

Jeden Dienstag gibt sich der Herr über Gut und Böse einen routinierten Ruck, schwingt sich zum Herrn über Leben und Tod auf und verabschiedet seine sogenannte kill list, auf der alles Böse dieser Welt aufgelistet wird, was es schleunigst zu töten gilt. Per ferngesteuerter Drohne, des Herrn humaneres und darum gütigeres Tötungsinstrument, das oft die Falschen trifft, nämlich diejenigen, die das Pech haben, zum falschen Zeitpunkt sich am falschen Ort aufzuhalten.

In solchen Fällen manifestiert sich die partielle Güte des Herrn über Gut und Böse, indem er sich "überrascht", ja "bestürzt" gibt, ohne sich jedoch in seiner universellen Güte beirren, vielmehr fortgesetzt ferngesteuerte Bomben auf die Falschen fallen zu lassen.

So geschehen auch am Donnerstag, dem amerikanischen Thanksgiving Day, als die Nation sich im Kreise der Familie zum traditionellen Truthahnessen versammelte, was der GüMaZ (Gütigster Mörder aller Zeiten) für den perfekten Zeitpunkt hielt, mittels eines ferngesteuerten Raketenangriffs in Afghanistan ein Kind zu töten und zwei Zivilistinnen schwer zu verletzen.

Wird schon keiner merken, hat er sich gedacht, sind ja zuhause alle vollauf mit Feiern beschäftigt, außerdem hab' ich gerade einen Truthahn begnadigt, was hinreichend beweist, dass meine politischen Überzeugungen von Güte, reiner Güte und nichts als Güte bestimmt sind, und hätten, im übrigen, diese komischen Afghanen sich an Thanksgiving ein paar Truthahnfedern um den Leib gehängt und sich als "Popcorn" und "Caramel" getarnt, dann wären sie jetzt noch am Leben, und ich müsste nicht schon wieder so tun, als wäre ich bestürzt, nur für den Fall, dass doch irgendjemand was gemerkt hat.

Herr, wir danken Dir.

Grundgütiger.



Freitag, 29. November 2013

The Turkeys Strike Back


Die Truthähne sind sauer. Verständlich. Jahr für Jahr werden ihre Kumpels am Großen Truthahntag (irrtümlich auch Thanksgiving genannt) in Massen beim festlichen Abendessen niedergemacht.

Jedoch, das Blatt scheint sich zu wenden. Die noch nicht verspeisten Truthähne haben die Faxen offenbar dicke. Nicht länger wollen sie sich bis auf die Eingeweide ausplündern und ihren Verfolgern zum Fraß vorwerfen lassen. Endlich gehen die unterdrückten Viecher auf die Straße. Lassen dort ihrer jahrzehntelang aufgestauten Wut freien Lauf und kämpfen mit allen Mitteln ums Überleben.

Wenn nicht alles täuscht, hält das militante Geflügel wenig von gewaltfreiem Widerstand.

Von Truthähnen lernen heißt siegen lernen:



Mittwoch, 27. November 2013

If I had a Hammer


Eine drängende Frage, die den Kapitalismus in seiner hochentwickelten Form umtreibt, lautet: Wohin mit den Überschüssen? Namentlich den menschlichen? Wohin mit dem ganzen Pack, das nutzlos abhängt, die Sozialkassen plündert und der Gesellschaft - zu welcher besagtes Pack bekanntlich nicht gehört - ein ästhetischer Dorn im Auge ist?

Die Antwort ist so simpel wie überzeugend: Das Pack muss weg.

Nächste Frage: aber wie?

Hier scheiden sich die Entsorgungsgeister im Jahr 2013. Während die einen auf die Holzhammermethode schwören, setzen die anderen auf smartere, sprich: profitablere Lösungen.

Sagte ich Holzhammer? Unsinn, viel zu harmlos - wozu mit einem albernen Holzhammer hantieren, wo doch weitaus wirksamere, brachialere Werkzeuge zur Verfügung stehen? Ein Vorschlaghammer zum Beispiel. Mit einem Vorschlaghammer lässt sich alles ruckzuck zertrümmern, was andere Menschen zum Überleben benötigen, sofern jene zur Gattung 'unerwünschtes Pack' zählen. Zum Beispiel ein Einkaufswagen, mit dem viele obdachlose Menschen ihr kleines Hab und Gut von einer ungewissen Bleibe zur nächsten transportieren.
"Wenn ich Einkaufswagen herumstehen sehe, die ich nicht identifizieren kann, zerstöre ich sie, damit sie nicht mehr durch die Straßen geschoben werden können."
- bekundet der Mann mit dem Vorschlaghammer, der nach eigener Aussage "angewidert" ist von obdachlosen Menschen. Derart gestrichen hat er die Schnauze voll vom Anblick armer Leute ohne ein Dach über dem Kopf, dass
"... ich etwas Praktisches tun möchte, um die Straßen gründlich zu säubern."
In nur zwei Wochen hat der Praktiker es geschafft, 30 Einkaufswagen kurz und klein zu schlagen. Bislang beschränkte sich der praktisch veranlagte Schlägertyp auf herumstehende Einkaufswagen; noch hat er sich an keinem Wagen vergriffen, der gerade von jemandem geschoben wurde. Noch, wie er selbst sagt, "aber das könnte noch kommen". Noch vertreibt er Menschen, die auf den Sitzen einer Bushaltestelle schlafen, nur mit Worten wie "Setz deinen Arsch in Bewegung und verschwinde!", aber seinen Vorschlaghammer hat er immer dabei, weil ein Vorschlaghammer im Anschlag nun mal Wirkung zeige:
"Wenn du auf dem Bürgersteig entlang gehst mit einem Vorschlaghammer, gehen dir die Leute aus dem Weg."
Übrigens handelt es sich bei dem Super-Rambo keineswegs um irgendeinen wildgewordenen Nobody mit individuellem Hang zur Selbstjustiz, sondern um einen ganz normalen Abgeordneten im US-Bundesstaat Hawaii, der möchte, dass sein Beispiel - er nennt es "Kampagne" - Schule macht. Und übrigens handelt es sich bei dem Kommunalpolitiker keineswegs um einen abgefeimten Bösewicht von Republikaner, sondern um einen rechtschaffenen Demokraten.

Als Pack-Entsorgungsmaßnahme ist die Vorschlaghammer-Methode natürlich stümperhaft und spottet jeder systematischen neoliberalen Verwertungslogik. Schon allein deshalb, weil sie nur zerstört, ohne Profit abzuwerfen. Im japanischen Fukushima sind sie da weiter. Dort wird das unnütze Pack erst dann endgültig entsorgt, wenn es der maroden Atomindustrie die Kohlen aus dem Feuer, will sagen: die defekten Brennstäbe aus der verseuchten Reaktorumgebung geholt hat und danach derart verstrahlt und vergiftet ist, dass es als das, wofür es ohnehin gilt - menschlicher Abfall - auf den Endmüll geworfen werden kann.

Obdachlos? Arbeitslos? Psychisch krank?

Jobwunder Fukushima:

Offiziellen Zahlen zufolge gibt es dort sagenhafte 25 Prozent mehr Stellenausschreibungen als Stellenbewerber. Mut zur Lücke, sagte sich Tepco: Jobs, die niemand haben will? - die Chance schlechthin auf Reintegration der Zielgruppe 'Steck das Pack in den Sack und weg damit'! Arbeitslose, obdachlose und psychisch kranke Menschen dürfen - oder müssen, denn es ist von Zwangsarbeitsmaßnahmen die Rede - die Drecksarbeit des "clean-up" verrichten. Teils ohne Schutzkleidung, teils ohne Bezahlung, ohne Strahlenmessgeräte, ohne Krankenversicherung, ohne Aufklärung über die Risiken des Arbeitens in verstrahlter Umgebung.
"Wir wurden behandelt wie ein Nichts, wie Wegwerfware - sie versprachen uns alles mögliche, und nachdem wir hohe Strahlendosen abbekommen hatten, schmissen sie uns raus."
Es wurde sogar schon ein Name kreiert für den billigen Einweg-Menschenmüll von Fukushima: "nuclear gypsies". Typischerweise existieren keine genauen Zahlen, wie viele nuclear gypsies bislang bei den cleanup operations eingesetzt wurden. Grobe Schätzungen gehen von bis zu 125.000 - wegen grenzwertiger Strahlenbelastung nach nur wenigen Tagen wieder ausgemusterten - nuclear gypsies aus.

Also innerhalb von nur zweieinhalb Jahren eine Viertelmillion verschlissene, nach zwangsweiser Zwischenlagerung im Katastrophenreaktor zur finalen Entsorgung freigegebene arbeitslose, obdachlose, psychisch kranke Menschen. Hey, das rechnet sich für die Betreiber! Und erst für die Gesellschaft - wann ist man so kostengünstig in so kurzer Zeit so viele nutzlose, unästhetische Randexistenzen losgeworden? Aber da geht noch mehr.

Wir rechnen jetzt ein bisschen hoch: Nach Experteneinschätzung wird es mindestens weitere 40 Jahre dauern, bis "die Nachfolgen des Desasters von Fukushima abgewickelt sein werden". Ja, da kommen wir, mit nur wenig Kopfrechnen, auf locker zwei, vielleicht sogar auf 2,5 Millionen - hey, 2,5 Millionen! - profitabel abgewickelter Einweg-Wegwerf-Menschenware. Wenn das kein effizientes Geschäftsmodell ist! Und da protzt dieser Schlägertyp aus Hawaii mit 30 kaputtgeschlagenen Obdachlosen-Einkaufswagen in zwei Wochen. Amateur. Lachhaft.

Wie es heißt, wird in Hawaii derzeit mit Hochdruck an einer neuen, smarteren Lösung des dortigen Obdachlosenproblems gearbeitet. Einer Lösung, die sich auch unter humanitärem Gesichtspunkt viel besser - womöglich sogar international - verkaufen ließe als die grobschlächtige Haudrauf-Methode des demokratischen sledgehammer guy: Im Gespräch ist eine spendable Sozialmaßnahme großen Stils, nämlich ein one way ticket für alle Menschen ohne festen Wohnsitz in Hawaii. Gratis, selbstredend. Ein paar Wochen bezahlter Urlaub.
In Fukushima, wo sonst.

Dienstag, 26. November 2013

Now what is this?


What Is This?

Schwer einzuordnen.

Fest steht, es stammt aus der musikalischen Küche des Brasilianers Sergio Mendes, der sich einen Teufel um Genregrenzen schert, es vielmehr liebt, Bossa Nova, Samba, Jazz und Funk in einen großen Topf zu schmeißen und das Gebräu mit einem grobschlächtigen Holzlöffel ein paar Mal umzurühren, nicht allzu oft, nicht allzu sublim, nur grade so viel, dass die einzelnen Brocken noch gut rauszuschmecken sind und am Ende ein dampfender bodenständiger Crossover-Eintopf aufgetischt wird. An dem ich mich halbtot fressen könnte.

Hier lässt er eine urige Batucada durch die Landschaft rumpeln. Krawallig, stampfend, ungezogen. Eine Frau - Carmen Alice - liegt in der Hängematte und denkt laut vor sich hin, dass alles ganz anders sein könnte, wenn nicht alles so beschissen wäre.

You know those days when you don't feel good
And everything looks so sad
When you get up from your bed
It's in your left foot not knowing what to do with your life

Yeah. Solche Tage gibt es. Solche Tage kommen. Einfach so.
Gehen tun sie nicht unbedingt einfach so. Ziehen es vielmehr vor zu bleiben. Tage, an denen der linke Fuß keine Ahnung hat, was mit dem Leben anzufangen ist.

So you turn on the radio looking for music
But you can only hear waste, waste, only waste

Beschissen, mit einem Wort.

Then you return to bed

- oder in die Hängematte, whatever -

And decide to pay a visit for the places you've never seen before

Und dann nimmt die Frau in der Hängematte dich mit ihrem träge verträumten Rap-Singsang an der Hand oder, na ja, am Ohr und sagt dir, was als nächstes zu tun ist.

And so you walk, you walk
So you walk and walk, and walk, and walk

Ein langer, langer Fußmarsch. An einen Ort,

You've never been before, before, before, before

Alles zu Fuß, wohlgemerkt.
Und was soll jetzt bitte das Ganze?

And so you ask, ask, ask
I answer, brothers
And so you ask, ask me
What does it mean?
What is this?

Die Antwort kommt aus der Hängematte.



Samstag, 23. November 2013

Sag's doch gleich



Wenn ich auf etwas stehe, dann auf Komplexitätsreduktion.

Also die Fähigkeit, 
angeblich hochkomplizierte Zusammenhänge, 
die angeblich kein Normalsterblicher versteht, 
am allerwenigsten diejenigen,
die am allermeisten davon betroffen sind,
so prägnant einzudampfen, 
dass sie auf einen Bierdeckel passen.


Oder auf ein -Shirt.

"Austerity - The T-Shirt"

The Revolution Will Be Privatized


Unser lustiges Quiz zum Wochenende:

Wo werden die feuchtesten neoliberalen Träume wahr?

Ein Blick nach Griechenland lohnt immer.

Das griechische Nachrichtenblog Greek Reporter fragt:
Gehören die Rechte an der griechischen Nationalhymne einem privaten Unternehmen?
Die Frage muss offenbar bejaht werden. Denn wie von Abgeordneten im griechischen Parlament
... angekündigt wurde, muss jeder, der von der Nationalhymne auf Online-Plattformen Gebrauch macht, an ein privates Unternehmen bezahlen, das die Urheberrechte an der griechischen Nationalhymne hält.
Ich warte jetzt bloß noch auf den Tag, an dem für das Absingen von "Wacht auf, Verdammte dieser Erde" eine Nutzungsgebühr an ein privates Unternehmen zu entrichten sein wird.


Donnerstag, 21. November 2013

Super-sized Bullshit


Keine Ahnung, was neuerdings in diese asozialen Pfeffersäcke gefahren ist. Vielleicht kann mir das mal jemand erklären?
Einstweilen neige ich zu einer ganz übelriechenden Verschwörungstheorie, und die geht so:

Diese räudigen Typen haben sich zusammengerottet zu einer Art spätkapitalistischem Grand Prix, zu einem hochleistungssportlichen Soziopathen-Turnier in der Disziplin "Wer kackt den größten Bullshithaufen?", in der jeder auf den Haufen seines Vorgängers einen noch größeren Haufen türmt.

Sieger nach Punkten, dachte ich erst kürzlich, ist vorläufig der Pfeffersackchampion Walmart, weil ich dachte, dessen dampfende Haufenhinterlassenschaft würde so schnell nicht zu toppen sein.

Wieder mal voll daneben gelegen.

Weil, der Globalkacker, ähm, -player McDonalds hat noch eine Schippe draufgepackt. Man muss nur seiner Nase nach gehen, dann riecht man sofort, aus welcher Ecke die nächste ultimative Stinkbombe gefeuert wird. Jetzt hat also Mäckdo seinen neuesten weltmeisterlichen Auswurf in aller Öffentlichkeit plaziert, und was ist? Bei jedem wild in der Gegend herumkackenden Köter würde man empört einschreiten und sagen, ey, geh gefälligst aufs Hundeklo statt den Bürgersteig vollzusauen - aber der Mäckdo, der darf das, platsch, einfach so, wollt ihr alle mal an meinem neuen großen Aso-Haufen schnuppern?

Also bitte, Nase zuhalten und durch, sonst droht demnächst das finale Bullshitkoma:
McDonalds' McResource Line,
(McResource Line, Achtung, bereits an dieser Stelle sollte die Bullshitalarm-Klammer fest auf der Nase sitzen!)
eine engagierte Website, betrieben von der weltweit größten Fast-Food-Kette, um ihre 1,8 Millionen Angestellten mit finanz- und gesundheitsrelevanten Tipps zu versorgen, bietet eine ganzseitige Ratgeberrubrik namens "Wie man sich am eigenen Schopf aus weihnachtlichen Engpässen herausziehen kann".
Also, ich wüsste ja einen brillianten finanzrelevanten Tipp, wie man gar nicht erst in einen weihnachtlichen Engpass reinkommt, aber mich fragt ja keiner. Dabei wäre der Trick ein ganz simpler: Zahlt euren Leuten einen Lohn, von dem sie leben können, dann müsstet ihr sie nicht kurz vor Weihnachten zukacken mit hanebüchenen Auswegen aus irgendwelchen Engpässen. Aber gut.

Es weihnachtet, da menschelt's. Da muss Nächstenliebe haufenweise ausgeschieden werden - schließlich hat Walmart die Latte hochgelegt -, da sind die Konzerneingeweide so zum Bersten gefüllt mit Empathie gegenüber ihren Niedriglohnsklaven, dass es zu einer nicht mehr kontrollierbaren Bullshit-Inkontinenz kommt. Gesundheitsrelevante Kostprobe gefällig?
"Sing den Stress einfach weg: Das Mitsingen von Lieblingssongs kann deinen Blutdruck senken."
Großartig. Ich hab sofort angefangen 'Oh du fröhliche' zu trällern, wenn auch etwas nasal klingend, aber das kommt von den Risiken und Nebenwirkungen eines zugehaltenen Riechkolbens. Blutdruck im Keller, leider  auch das Weihnachtsbudget, darum ebenfalls die Stimmung. Was tun?
"Hör auf zu jammern: Die Stresshormonwerte steigen um 15 Prozent an nach nur zehn Minuten Jammern."
Au weia. Nach fünf Minuten habe ich schleunigst das Jammern eingestellt, weil, niedriger Blutdruck bei hohen Stresshormonwerten, das kann nicht gut gehen, damit vergraule ich den Weihnachtsmann, no go!, ich brauche doch dringend dem seine Geschenke - und damit zu den finanzrelevanten Tipps:
"Verkaufe deine unwillkommenen Weihnachtsgeschenke bei Ebay, damit kannst du schnell zu Geld kommen."
Meine Stimmung bessert sich merklich. Zack, rein mit Tante Ottilies Häkeltopflappen ins verkaufsoffene Internet, ruck-zuck raus aus dem finanziellen Engpass! Ja-ha, ihr selbstgehäkelten Jammerlappen, so schnell kommt ihr zu einem Extrataschengeld, mit dem ihr euch dann was Nettes, Feines, Kleines zum Naschen leisten könnt. Wie, keine Sau war an den blöden Häkeldingern interessiert? Na, na, nicht gleich wieder jammern! Ihr werdet trotzdem nicht darben müssen, versprochen! Euer freundlicher McRatgeber weiß, wie's geht, selbst wenn Flaute in Kühlschrank und Geldbeutel herrscht - und damit zum ultimativen, alle Rekorde brechenden super-size-Bullshithaufen.

Nase immer noch fest zu? Gut:
"Lebensmittel in kleine Stückchen zu zerteilen führt dazu, dass du weniger isst und dich trotzdem satt fühlst."
Ist das ein Wort? Let them eat small pieces of cake. Zur Not kannst du auch herzhaft in ein Stück Doppelwhopper-Verpackungskarton beißen, gut einspeicheln, lange darauf herumkauen, in kleinen Stückchen runterwürgen - sättigt ungemein. Versprochen.

Was ich befürchte: Bis Weihnachten sind es immerhin noch gut vier Wochen. Viel, viel Zeit für die dauerkackenden Marathonpfeffersäcke, ihren humanitären Bullshit in kleine Stückchen zu zerteilen und uns häppchenweise damit durchzufüttern, was dazu führt, dass mir bereits jetzt vor lauter Sättigungsgefühl zum Kotzen zumute und noch nicht mal Advent ist.

Nicht jammern. Weitersingen. Brot brechen. Oh du fröhliche.

Mittwoch, 20. November 2013

Ein Wettbewerber mehr


Ich liebe Cartoons.
Weil sie mit wenigen genialen Strichen mehr sagen als tausend Worte.

wurde über Nacht angemessen visualisiert:


Die Konkurrenz schläft nicht.
Nirgends.
Der Markt wird's richten.
Wer sonst.

Dienstag, 19. November 2013

Wir tun was


Wer gedacht hat, an der Qualitäts-Bullshit-Front wäre jetzt erst mal für eine Weile Ruh', der hat falsch gedacht. Hier kommt ein Stück ausgereiften Premium-Bullshits vom Allerfeinsten, frisch serviert von der amerikanischen Firma Walmart.

Zur Erinnerung: Das Unternehmen Walmart hat einen Börsenwert von 260 Milliarden Dollar und machte im letzten Jahr 17 Milliarden Dollar Profit.

Und damit zum premiumverdächtigen Bullshit des Tages - der neueste Coup jenes Lebensmittelkonzerns, der bekannt dafür ist, seinen Angestellten weniger Lohn zu bezahlen als zum Überleben erforderlich ist:
Walmart fordert seine Mitarbeiter auf, Lebensmittel zu spenden. 
Eine Meldung, die das Bullshit-o-Meter bereits heftig ausschlagen lässt - weil, wieso schreitet der Lebensmittel-Handels-Milliardär nicht selbst zur Tat und spendet Lebensmittel? Er hat doch wohl genug? Sowohl Lebensmittel als auch Geld, um sich eine karitative Spendenaktion im großen Stil leisten zu können? Ist das nicht Grund genug, sich tierisch aufzuregen? Nö.

Und zwar deshalb, weil es, einerseits, zwar zunächst eine ärgerliche Meldung ist, andererseits als Meldung lediglich Bullshit mediokrer Qualität repräsentiert - wozu sich über Standard-Kuhmist aufregen? Wo wir doch beschlossen haben, uns nur noch über echten Premium-Bullshit aufzuregen? Also nur noch dann, wenn die Bullshit-Tachonadel im obersten Segment zittert? Voilà:
Walmart fordert seine Mitarbeiter auf, Lebensmittel an andere Walmart-Mitarbeiter zu spenden.
Hey, da bebt die Tachonadel, da rockt die Kuhmist-Orgel in den höchsten Tönen! Können wir den Bullshit mal kurz rückübersetzen? Klar doch:
Walmart fordert seine unterbezahlten Mitarbeiter auf, Lebensmittel an andere, noch schlechter bezahlte Walmart-Mitarbeiter zu spenden.
Habe ich zu viel versprochen? Da lacht das Herz des high-end-Bullshit-Liebhabers! Wie, hat einer den Qualitätswitz nicht verstanden? Okay, zum Mitschreiben: Walmart, "America's real welfare queen" (wie übrigens auch McDonalds), bietet seit einiger Zeit eine firmeninterne telefonische Hotline an, wo die eigenen Mitarbeiter fachkundig beraten werden, wie sie einen Antrag auf food stamps (steuerfinanzierte Lebensmittelmarken für unter der Armutsgrenze lebende Menschen) zu stellen haben, um von ihrem Walmart-Hungerlohn nicht zu verhungern.

Und weil die Walmart-Mitarbeiter trotz food stamps und wegen Hungerlohns nicht satt werden, öffnet der Handelsgigant sein großes soziales Herz und ruft seine hungernden Mitarbeiter auf, ihren hungernden Kollegen mit einer Lebensmittelspende unter die abgemagerten Arme zu greifen. Imagekampagne, you know, à la 'Wir tun was für unsere notleidenden Mitarbeiter', also, um genau zu sein, nicht wir, nämlich der Walmart-Konzern, sondern die mittleren Walmart-Sklaven-Galeeren tun was für die armen Schlucker im untersten Sklavendeck.

Doch halt! Noch vibriert die Bullshit-Tachonadel nicht im wirklichen Premiumsegment. Da geht noch was - der saisonale Emo-Hyperbonus:

via twitter #WorkingAmerica

Thanksgiving! Das traditionelle amerikanische Familienfest Ende November, wo sich alle zum opulenten Truthahn-Dinner treffen! Wo keiner ausgeschlossen sein soll, wo alle mitfeiern, miteinander essen, trinken und für ein paar gemütliche Stunden im Familienkreis ihre Alltagssorgen vergessen sollen! Geht das ans Herz?
Bitte spendet Lebensmittel, um notleidende Kollegen in den Genuss eines Thanksgiving Dinner kommen zu lassen
Und wie das ans Herz geht. Und genau hier, Freunde des herzzerreißenden social marketing, liegt der Hund begraben, nämlich der Top-Premium-Bullshit-Faktor: Kürzlich hat nämlich der big social player Walmart entschieden, seine Filialen am Thanksgiving-Feiertag bis in die späten Abendstunden zu öffnen, damit alle, wirklich alle, selbst die schlechtestbezahlten Verkäufer im untersten Deck in den Genuss eines angemessenen Thanksgiving-Feelings kommen. 
Cold turkey, anyone?
Walmart verteidigte seine (Spenden)Aktion als einen Bestandteil seiner "Unternehmenskultur" der Nächstenliebe: "Wir sehen diese Aktion als ein Element der Unternehmenskultur, dass Kollegen sich untereinander solidarisieren und sich um diejenigen kümmern, die als extreme Härtefälle betroffen sind."
Yeah, Nächstenliebe. Sweet charity, God bless your souls.
Das war's für heute. Mehr Premium-Bullshit geht nicht. Morgen ist auch noch ein Tag.

Montag, 18. November 2013

Demütiger Dank den tatendurstigen Triebtätern


Wenn nicht alles täuscht, hat sich am heutigen Montag der Übergang vom Kapitalismus in den Feudalismus vollzogen. Also, jetzt mal so expressis verbis. Weil, wirklich neu ist die Erkenntnis ja nicht, dass der modernen, aufgeklärten Form von Skaverei immer mehr Reize abgewonnen werden; schließlich lässt sich mit schlecht oder gar nicht bezahlter prekärer Arbeit, gern auch unter Zwang verrichtet, ein Haufen Geld verdienen. Man muss es halt nur den unwashed masses attraktiv verkaufen, und genau dies wurde heute vollzogen, in Gestalt eines Artikels auf der ersten Seite des britischen Telegraphs.

Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson gab sich die Ehre:

Als Autor läutete er quasi offiziell den Anbruch des neuen feudalistischen Zeitalters ein, nachdem inzwischen die ollen neoliberalen Propaganda-Kamellen nicht mehr so richtig ziehen. Ab sofort, befahl Johnson den dauernörgelnden Untertanen, sei das notorische Bashing der Superreichen einzustellen:
"Die Leute müssen aufhören, auf die Superreichen einzuprügeln."
So gehe das nicht weiter, befand der Bürgermeister. Völlig verkehrtes Feindbild. Die Reichen seien keine Bösewichter, sondern Helden.
What the eff, Helden? Richtig:
"Sie (die Superreichen) sind die steuerzahlenden Helden."
Als solche verdienten sie Besseres als pausenlos beschimpft zu werden; vielmehr gehörten sie "bejubelt", ja "verehrt", mehr noch: Sie gehörten quasi
"... automatisch in den Adelsstand erhoben"
- statt, so Johnson weiter, "wie eine unterdrückte Minderheit" behandelt zu werden. Wie, unterdrückt? Ja. Doch. Johnson findet, die schwer bedrängte Minderheit der Superreichen sei "vergleichbarem Druck ausgesetzt wie die Minderheit der Obdachlosen", die ebenfalls ständig unter bösartigen Diskrimierungen zu leiden habe. Er, "als Bürgermeister von Amts wegen Freund und Helfer aller Minderheiten", werde es darum nicht länger tolerieren, wenn die superreiche Minderheit in einer Tour wie ein Außenseiter behandelt und schlecht gemacht werde.

Eindringlich ermahnte er das undankbare Volk, sich vor den heldenhaften superreichen Wohltätern untertänigst auf die Knie zu werfen, im Staub zu kriechen und ihnen das einzige Feedback zu geben, was diese tatsächlich "verdienten":
"Demütigen, von Herzen kommenden Dank."
Demut, Dank, what the effing eff? Wofür nochmal?
"... für deren unermüdliche, wollüstige Energie und schieren vermögensbildenden Tatendrang."
Hat er gesagt. Genau so. Alles im O-Ton nachzulesen. Im Telegraph.

Keine Ahnung, wie das zusammengestauchte, ausgeplünderte Inselvolk auf die Standpauke von oben reagiert. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass der eine oder die andere es nicht ungern sähe, wenn aus den geschmähten wollüstigen Neo-Feudalherren tatsächlich eine unterdrückte, verfolgte Minderheit würde; die erforderliche Infrastruktur ist im Norden Englands (Northumberland) vorhanden, in gut erhaltenem Zustand.

Wie sonst sollte man auf eine derart offene Kriegserklärung angemessen reagieren? Etwa strikt sachlich? Gut, von einigen britischen Bloggern wurde der Johnson'sche Ausfall nach Strich und Faden argumentativ zerpflückt; Scriptonite Daily zum Beispiel hat den feudalistischen Neusprech einem profunden Reality Check unterzogen. Das ist verdienstvoll, trifft jedoch, scheint mir, nicht den adäquaten Ton angesichts eines propagandistischen Großangriffes, den es (meines Wissens) in dieser unverblümten Form noch nicht gegeben hat.

Mir selber blieb jedenfalls vor Abscheu die Spucke weg.

Ein anderer hat seine gefunden und dagegen gehalten:

Laut. Zornig. Derb. Unsachlich. Adäquat.

The Artist Taxi Driver:



Samstag, 16. November 2013

Let them eat Wi-Fi


Nächste Woche kommt netter Besuch nach Deutschland. Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras wird erwartet.

Der griechische Staatschef ist ein ganz Netter, der es mag, wenn er nett behandelt wird. Er freut sich schon auf das gemeinsame Mittagessen mit Angela Merkel. Die nette Einladung, sagt er, habe ihn sehr ermutigt.

Außerdem, sagt der nette Samaras, habe neulich der Wolfgang Schäuble so nett über Griechenland gesprochen, beim Treffen der Eurogroup am Donnerstag. Auch das habe ihm Mut gemacht.

In diesen harten Zeiten brauche man netten Zuspruch, und deshalb, sagt Samaras, sei das Ziel seiner Deutschlandreise, "die trübselige Stimmung aufzumuntern, die sich über sein Land und dessen Zukunftperspektiven gesenkt" habe. Ein paar warme Worte der Kanzlerin sei genau das, wonach die trübseligen Griechen lechzen, mehr als nach Jobs, etwas zu essen und einem Dach über dem Kopf; darum "hoffe er, positive Äußerungen von Merkel könnten helfen, die Stimmung in Griechenland aufzuhellen".

Das griechische Volk ist schon voller Vorfreude und kann die netten, aufmunternden Worte der deutschen Kanzlerin kaum erwarten. Wird ja auch irgendwann langweilig, immer nur Trübsal zu blasen.

Der nette Ministerpräsident weiß das, weshalb er bereits im Vorfeld seiner Auslandsreise einen krachend netten Stimmungsaufheller unters arbeitslose Volk brachte, und zwar vornehmlich an die Adresse der jüngeren Generation; das sind diejenigen Griechen, die besonders heftig zum Trübsalblasen neigen:

Quelle: Eurostat via anticap

Denen hat der Ministerpräsident ein so tolles, ein so nettes Angebot gemacht zur Hebung ihres notorischen Trübsinns,
"Heute verspreche ich, dass es in ganz Griechenland kostenlosen Zugang zum Internet geben wird, freies kabelloses Wi-Fi-Internet. Bis nächstes Jahr. Wir machen das. Deshalb sage ich das. Es zeigt den jungen Leuten, dass sich jemand um sie kümmert. Dass Griechenland sich um diese Kids kümmert."
- dass die jüngere Generation in bodenlose Euphorie verfiel und sich seither nur noch schenkelklopfend am Boden wälzt, so großen Spass haben die jungen Leute mit dem Versprechen ihres netten Staatsoberhauptes. Wow!, krähten begeistert die Allerjüngsten der neuen, stets hungrigen griechischen Spassgeneration, da können wir uns ja ein leckeres Tsatsiki runterladen, oder ein schönes Gyros,


- oder, na ja, zur Not tut's auch Stückchen trockenes Brot zum Gratisdownload - hey, wie nett, die kümmern sich um uns! -, ein Zahn, der den naiven Kleinen ganz schnell gezogen wurde von der aufgeklärten Spassfraktion im studentischen Alter:

Psomi: Brot
Paideia: ethische Bildung mit dem Ziel eines mündigen Geistes
Eleftheria: Freiheit von Tyrannei und Unterdrückung

Dagegen erkannten die etwas Älteren, Erfahreneren unter den Griechen sofort den sättigenden Nährwert eines kostenlosen Internetzuganges:

"Verdammt, keine Knochen mehr in der ganzen Mülltonne, 
wo finde ich jetzt ein freies Wi-Fi?"

- während die ganz hartgesottenen Griechen es sich unter freiem Himmel, mit freiem Wi-Fi-Spot, bequem machten, zum ersten Mal seit langem in unbeschwerten Schlummer fielen und beim Einschlafen frohgemut dachten: Endlich kümmert sich jemand!

"No job? No money? No problem: 
Antonis Samaras promises free wi-fi"
via flickr: Teacher Dude's BBQ

Zu guter Letzt kam die frohe Botschaft des Ministerpräsidenten auch bei der Generation der armen alten Griechen an. Die hatten vielleicht einen Spass mit dem freien Wi-Fi! Alle Sorgen waren mit einem Schlag vergessen, von Hunger und Not keine Rede mehr, nur noch fröhliche Gesichter und das feste Gelöbnis der vergnügten Vier, künftig keinen anderen mehr als den netten Ministerpräsidenten von der netten Nea Demokratia Partei zu wählen.


Geschafft!, dachte der nette Samaras, Alt und Jung, die ganze Nation ist gut drauf, der Trübsal wie weggeblasen, steigende Popularitätswerte, Krise gemeistert, alles wird gut!

Packte seinen Koffer, bestieg wohlgemut den Flieger nach Deutschland, nicht ohne ein nettes kleines Mitbringsel einzustecken: Das, frohlockte er insgeheim, das soll mir die olle Merkel erst mal nachmachen:

Moufanet via protagon.gr

Donnerstag, 14. November 2013

Zum Davonlaufen


Oh là là.

Es gibt sie noch, die guten Dinge: die Frohsinn stiftenden Schlagzeilen, in diesen düster ausweglosen Zeiten. Schlagzeilen, da lacht das klassenkämpferische Herz und der krisenbedingt dümpelnde Kreislauf gerät in freudige Wallung:
Troika kriegt das Muffensausen in Griechenland
Wird aber auch langsam Zeit. Nachdem vier Jahre lang die kaltschnäuzigen Kapital-Kontrollettis weder durch Streiks noch Straßenbarrikaden noch Platzbesetzungen aus der menschenverachtenden Ruhe zu bringen waren, haben sie plötzlich vor Schiss die Hosen gestrichen voll.

Hatten sie jedenfalls, letzte Woche. Da ging denen derart die Muffe, dass sie, Hals über Kopf, die Flucht antreten mussten. Ganz recht:
Die Troika musste vor dem geballten Volkszorn fliehen. Der Fluchtweg führte hintenrum über die externe Feuerleiter des griechischen Finanzministeriums. Das Gebäude durch den repräsentativen Haupteingang zu verlassen hatten die Budget-Büttel sich nicht getraut - aus Angst vor den militanten Putzfrauen, die sich vor dem Finanzministerium versammelt und ein irres Theater veranstaltet hatten.

Stark, die Ladies. Die brüllten sich ihre Wut aus dem Leib, ihre Wut über die von der Troika geforderten Entlassungen in den unteren Chargen des öffentlichen Dienstes; brüllten ihre Wut so lauthals, so schrill, so kreischend, dass es mehrere Straßenzüge weit zu hören war und den Troika-Bürohengsten in den maßgeschneiderten Anzügen Hören und Sehen verging.

Der Rest war Feuerleiter.

"Bless their souls!", sympathisierte der griechische Ökonom Yanis Varoufakis. Gemeint waren die kämpferischen Seelen der griechischen Putzfrauen.

Wie erfreulicherweise zu lesen ist, erfolgte der fluchtartige Abstieg in kriechender Pose auf allen Vieren. Tja, das Leben kann hart sein - auch der weniger bühnenreife Abgang via Feuerleiter erfordert eine gewisse Übung. Vielleicht schaffen es ja die griechischen Putzfrauen, künftig auch die externen Feuerleitern zu blockieren? Dann bliebe den Troika-Knechten immer noch der interne Fluchtweg offen. Der über die Müllschlucker. Nur so als Beispiel.

Freitag, 8. November 2013

Mach dich flach, Bulle


Also, die Russen.
Vielmehr die russische Polizei.
Vielmehr der russische Polizeichor.
Egal, also jedenfalls die Russen.

Erst dachte ich, jetzt kommt Travolta.
Wegen des Loops am Anfang.

Zwischendrin hätte ich schwören können, es sind die BeeGees.
Wegen des betörenden Falsettgesanges.

Ein paar Mal dachte ich, unmöglich, das kann ja gar nicht die russische Polizei, das muss ein Fake sein.

Erstens wegen des Textes, Get Lucky, auf gut deutsch so viel wie das da.

Zweitens wegen der Fähigkeit zur Selbstironie, die einer so staatstragenden Institution wie einem Bulleriachor gegeben sein muss, um so was wie das da zu covern.

Drittens, weil ich mich fast weggeschmissen habe wegen der witzigen, nun ja, Rahmenhandlung des Videos.

Viertens, wegen meinen Knien. Hörten einfach nicht auf zu wippen.

Fünftens, weil es einfach gut gemacht ist.



Sechstens, jedenfalls tausendmal besser als dieser Coverversuch.

Muss man den Russen einfach lassen.

Mittwoch, 6. November 2013

Just a Junkie, just a Monkey


Es gab und gibt einen Riesenhype um den flamboyanten TV-Auftritt des britischen Schauspielers Russell Brand. Also, weniger hierzulande. Aber woanderszulande umso mehr.

Was dem Kerl einfällt! Setzt sich vor laufende Kameras und quasselt drauflos, über die Revolution, einfach so. Wann hat man so was schon mal erlebt? Noch nie. Wow. Nun hat man es erlebt. Nun hat dieser Typ es so richtig krachen lassen. Nun könnte man eigentlich zur Tagesordnung übergehen. Sprich, zur Revolution. Hat schließlich eine patente Steilvorlage geliefert, der Typ.

Ja, hat er. Hat ein riesengroßes Publikum erreicht. Die Leute diskutieren jetzt wie wild über die Revolution. Super.

Er hat aber noch ein zweites Publikum erreicht. Ein Publikum, das nicht über die Revolution, sondern lieber wie wild über Russell Brand diskutiert.

Ein Publikum, das lieber kübelweise ad-hominem-Unrat über den messenger auskippt statt sich mit dessen message auseinanderzusetzen: kleinkrämerische, paternalistische Krümelkackerei auf höchstem, manchmal niedrigstem Niveau.

Von allen Seiten.

Von konservativ bis rechtsaußen.
War zu erwarten.
Geschenkt.

Von linksliberal bis linksaußen.
War auch zu erwarten.
Nicht geschenkt.


Also nee, weißte. Wenn ich diesen Typen nur sehe.

Wie, nur sehe? Hast du ihm auch zugehört?

Sicher, aber guck dir den doch mal an.

Ja und?

Wie der schon aussieht.

Gut sieht der aus, findest du nicht?

Darum geht's doch gar nicht.

Um was dann?

Na, immer diese offenen Hemden.

Du meinst die schwarzen Brusthaare?

Einfach nur peinlich.

Geschmackssache.

Und wie theatralisch er seine lange Lockenmähne wirft.

Ist halt von Beruf Schauspieler.

Eben. Macht ständig auf Rampensau.

So what.

Nervt ohne Ende, dieses extrovertierte Getue.

Mir doch egal. Hauptsache, er sagt den Leuten, was Sache ist.

Sache? Hast du diese sexistische Bemerkung von ihm gehört?

War ein Witz. Ein schlechter.

Na bitte.

Hast du den Rest von ihm gehört?

Welchen Rest?

Was er die restlichen zehn Minuten gesagt hat?

Pfft. Hat halt über die Revolution gelabert.

Na bitte.

Pfft, völlig theorielos. Keinerlei Plan von der Materie.

Hä?

Keine Spur von detailliertem Plan über die stufenweise Abwicklung revolutionärer Aktion.

Warum sollte er? Wer erwartet von einem revolutionären Spulwurm, dass er theoretische Seide spinnt?

Der! Ist doch kein Revolutionär!

Sondern?

Ein Millionär! Ein stinkreicher selbstverliebter Promi, der Partei für die Armen ergreift.

Ja, darf der das?

Darf er nicht. Wo kommen wir sonst hin.

Immerhin in die BBC.

Ha! In die BBC! Hat sich dem Klassenfeind auf den Schoß gesetzt!

Hat dort aber ganz schön abgeräumt.

Klassenfeind bleibt Klassenfeind.

Ganz schön angepisst, was?

Zu recht.

Ginge es dir besser, wäre Russell Brand nicht in der BBC aufgetreten?

Ist jetzt echt eine saublöde Frage.

Neidisch, anyone?

Nie im Leben - auf so einen narzisstischen Gockel?

Notorischer Haar-in-der-Suppe-Sucher?

Da muss man nicht lange suchen, bei dem seiner affigen Frisur.

Siehst vor lauter Haaren keine Suppe mehr?

Suppe? Welche Suppe?

Die Suppe anderer Leute, in die du so gern spuckst.

Pfft, das ist keine Spucke, das ist ...

... Galle vielleicht, grüngelbe bittere Galle?

Unsinn. Wie kommst du darauf?

Klingst so verhärmt.

Dummes Zeug. 

Sondern?

Der Schnösel muss lernen, Kritik auszuhalten. Das ist alles.



Russell Brand (links) 
gestern abend auf dem Million Mask March in London
Bild: Twitter

"Es hat eine Menge Kritik gegeben an meinem Ausbruch, allerdings fanden sie (die Kritiken) auf einer merkwürdig persönlichen Ebene statt, einer Ebene, der jegliche Relevanz für die eigentliche Auseinandersetzung fehlt. Es ist leicht, mich anzugreifen und mir vorzuwerfen, ich sei eine olle Knalltüte, ich sei ein Junkie und ein dummdreister Affe, -  meinetwegen, aber das ändert nichts an der unbestreitbaren Tatsache, dass wir in einer Zeit gewaltiger wirtschaftlicher Missverhältnisse leben und einem ökologischen Desaster entgegenlaufen. Das ist es, was aktuell geschieht, egal was irgendjemand von meinen Haaren denkt - die Fakten sind die Fakten und das Problem ist das Problem. Lasst euch nicht ablenken. All diesen schreibenden Kumpels who give me aggro, nur weil ich keine fertigen Lösungen anbiete, geht es um nichts weiter als darum, ihr Revier abzupissen."
Russell Brand

Sonntag, 27. Oktober 2013

Walk on the Wild Side


"My bullshit is worth more than other people's diamonds."
Lou Reed, gestorben am 27. Oktober 2013


Samstag, 26. Oktober 2013

Die Revolution findet nicht im Keller statt


Eins steht fest: Der Typ macht Spass.

Es macht Spass, ihm im Schlagabtausch mit einem altgedienten Journalisten zuzuhören und zuzuschauen, sein Temperament, seinen Witz, seine Frische auf sich wirken zu lassen, sich von seiner Schlagfertigkeit, seinen scharfzüngigen Repliken auf nölige Altherrenfragen anregen zu lassen, Zeuge zu werden, wie er dem alten Medienschlachtschiff allen Wind aus den Segeln nimmt und, ganz am Schluss, auf die Frage, was ihm eigentlich das Recht gebe, als Revolutionär aufzutreten, wo er doch lediglich ein Schauspieler und Kabarettist und von keinerlei politischer Expertise gesegnet sei, unbekümmert zurückschießt:
"Wieso ist das nicht mein Recht, nur weil ich ein Schauspieler bin? Ich nehme mir das Recht! Ich muss mir dieses Recht nicht von Ihnen geben lassen. Ich muss es mir von niemandem geben lassen. Ich nehme es mir."
Es macht einfach Spass:


Der britische Schauspieler und Kabarettist 
Russell Brand 
im Interview 
mit dem Journalisten Jeremy Paxman

Wobei das mit dem Spass ja nicht jedermanns Sache ist. Wenn es um ein so ernstes Anliegen wie die Revolution geht. Russell Brand findet solche bierernsten Kämpfer um die gute Sache
"... a bit too fucking serious, actually. ... there is a tendency to confuse seriousness with solemnity. Serious causes can and must be approached with good humour, otherwise they're boring and can't compete with the Premier League and Grand Theft Auto. Social movements needn't lack razzmatazz. ... This moral superiority that is peculiar to the left is a great impediment to momentum. It is also a right drag when you're trying to enjoy a riot."
Doch, macht Spass. Ihm zuzuhören, ihm zuzuschauen und zu lesen, was der Typ so schreibt. Natürlich nur dann, wenn man als Revolutionär einen Sinn für leichtfüßigen Esprit und befreiendes Gelächter hat. Und dazu nicht meint in den Keller gehen zu müssen.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Sprühender Bullshit


Ta-taa.

Das ist nicht der handelsübliche, alltägliche Durchschnittsbullshit.

Das ist fortgeschrittener, weiterentwickelter, zukunftsweisender Bullshit auf höchstem Niveau:

John Pike, StopfCopaZ (stoischster pfeffersprayender Polizist aller Zeiten), wird mit 38.000 Dollar belohnt. Schadensersatz, you know. Für das Leiden unter seinem beschädigten Ruf. Für Depressionen und Angstzustände infolge seiner heroisch-stoisch ausgeführten Tat, die auf Video dokumentiert wurde, um die Welt ging und ihm nicht das positive Feedback einbrachte, das er für angemessen gehalten hatte. Für die breite öffentliche Ächtung, die ihm widerfuhr. Für Drohungen und angekündigte Racheakte. All dies hat das Seelenleben des Ordnungshüters derart derangiert, dass er auf Kompensation wegen "psychiatrischer Beeinträchtigung" geklagt hatte.

Erstaunlich.

Die menschliche Sprühmaschine wirkte keinesfalls übermäßig psychiatrisch beeinträchtigt, während sie zur Tat schritt, genüsslich-demonstrativ ihr Pfefferspraygerät auf und ab schüttelte - die Wirkung ihrer Drohgebärde voll auskostend -, ungerührt die Schreie und Angstzustände ihrer Opfer  zur Kenntnis nahm, zielte, sprühte, zwischendurch immer wieder stoisch das Sprühgerät schüttelte, weiter sprühte, als ob es flächendeckendes Unkraut zu vernichten gälte, um schließlich - seelisch völlig stabil - ihr Werk befriedigt zu begutachten (Video).

Jetzt macht der sensible Sprayer vom Dienst Kasse. Hat sich doch gelohnt.
Berni Goldsmith, ein Anwalt, der die protestierenden Studenten unterstützt, teilte Associated Press mit, der juristische Vergleich "sende eine klare Botschaft an den nächsten Polizisten, der angesichts einer Gruppe passiver, unbewaffneter Studenten nervös wird: Weiter so. Hau noch mehr drauf. Tritt ihre Rechte mit Füßen. Man wird dich pfleglich behandeln."
Sag' ich doch.

Fortgeschrittener Bullshit auf höchstem Präzedenzniveau.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Neues aus der Schusslinie


Wir üben für den Ernstfall I:

Kommt ein böser vermummter Mann, bis an die Zähne bewaffnet, auf den Schulhof. Betritt ungehindert das Schulgebäude. Läuft durch die Klassenräume. Knarre im Anschlag. Einfach so. Wie das halt so ist, im Ernstfall. Schießt wild um sich. Ernstfall, Kinder, ihr versteht? Todesangst. Noch mehr Schüsse. Gebrüll. Blut. Panik. Sich auf den Boden werfen. Überall Blut. Noch mehr Schüsse. Noch mehr Todesangst. Noch mehr Ernstfall.
Textnachricht an Eltern: Hilfe, sie haben meinen Kumpel abgeknallt, bin ich als nächster dran?
Eltern so: Panik. Die Kinder. Todesangst. Ernstfall.
Schulleitung so: Überraschung! Wir wollten doch nur spielen, äh, üben. Für den Ernstfall. Möglichst realistisch, ihr versteht? Stellt euch nicht so an:
"Es ist eine dynamische Todesschützen-Übung. Wir machen das ab und zu. Wenn man die Leute vorher warnt, verliert die Simulation ihre Wirkung." 

Wir üben für den Ernstfall II:

Ab sofort wird scharf geschossen, klar? Direkt auf den Körper des Feindes, klar? Nicht einfach bloß auf den Boden, damit das Gummigeschoss zurückschnellt auf die Beine und nur ein bisschen weh tut!


Ihr wollt die Leute doch nicht bloß erschrecken, ihr wollt ihnen doch nicht bloß ein bisschen Angst einjagen. Ihr wollt richtige, echte Angst sehen, Todesangst, versteht ihr? Gut auf den Körper zielen und abdrücken, fertig! Drum üben wir das jetzt. Auf unserem polizeilichen Übungsgelände. Mann gegen Mann. Also, beim Üben simulieren wir natürlich nur. Wir simulieren, dass eure Polizeischutzschilder die feindlichen Körper wären. Also, die Körper der Demonstranten. Und jetzt: eins, zwei, Schuss! Wie, das Schutzschild ist unter der Wucht des Aufpralls zerbrochen? Kann ja gar nicht sein. Schließlich gehören Gummigeschosse zu den nicht-tödlichen Waffen, das haben Studien belegt. Ihr müsst halt aus etwas mehr Abstand schießen, dann geht das Schutzschild auch nicht kaputt. Und der feindliche Demonstrant auch nicht. Müssen wir noch üben. Wird schon. Hauptsache Todesangst.

Was, die Polizeigewerkschaft protestiert? Hat sich schriftlich beim Innenminister beschwert? Das sei gegen das Gesetz in Spanien? Jetzt hört mal zu, ihr Heulsusen: Seid ihr Polizisten oder Weicheier?

Der Leiter der Trainingseinheiten "bestand unnachgiebig darauf, dass bei Polizeieinsätzen härter durchgegriffen werden müsse und drückte seine Missbilligung gegenüber 'zu sanfter' polizeilicher Performance aus". 
"Wollen Sie und Ihre Regierung Tote sehen unter denen, die gegen die Regierung protestieren?" hatte die Polizeigewerkschaft gefragt. Das Schreiben wurde vom Innenminister nicht beantwortet.

Genug geübt.

Ernstfall III:

Dieses ständige Protestieren gegen alles mögliche. Wird uns langsam zu bunt. Legen die sich doch in Nordkanada mit allen Mitteln quer, um ein gigantisches Bauprojekt zur Erschließung von Schiefergas zu verhindern. Bloß weil so ein paar Tiefbohrungen (fracking) in der Nähe ihrer Kommunen stattfinden sollen. Peanuts. Wird uns jetzt echt zu blöd. Ab sofort wir hart durchgegriffen. Mit allen Mitteln.

Twitter via The Globe and Mail

Wie, Gummigeschosse? Was seid ihr denn für Weicheier da drüben in Spanien? Nix da. Wenn, dann richtig. Mit richtigen, echten Scharfschützen aus dem Hinterhalt. Todesangst? War gestern. Viel zu sanft. Wir wollen Tote sehen. Richtige, echte Tote.


Nie war Kriegspielen schöner.