Freitag, 31. Dezember 2010

Walk Your Talk



Ich bin schwer übernächtigt, aber ohne Katzenjammer. Es gibt vermutlich in meiner misslichen Lage und kurz vor Jahrestorschluss kaum etwas Befreienderes, als sich - wenn der Zufall es so will - mit anderen gestrandeten Existenzen zusammenzusetzen und Pläne zu schmieden. Pläne, die verrückt sind, vielleicht ohne Bodenhaftung und womöglich keiner harten Realitätsprüfung standhaltend. Aber nur durch Pläne, die der wilden Kreativität der Gestrandeten freien Lauf lassen, bekommt man den eigenen Kopf wieder frei.

Ich wünsche allen Lesern - besonders den Gestrandeten unter ihnen - einen freien Kopf, robustes Schuhwerk und kreativen Eigensinn für das nächste Jahr.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Fräulein Smilla steht Schmiere


Es gibt ein wunderbares Buch, das ich liebe und immer mal wieder lese, obwohl mir die Handlung inzwischen so vertraut ist wie meine Hosentasche: Fräulein Smillas Gespür für Schnee von dem dänischen Schriftsteller Peter Hoeg. Hoeg gehört zu den Autoren, zu denen ich eine fast irritierende Nähe empfinde, weil er Saiten in mir anschlägt, denen ich - ohne sein Zutun - vielleicht nie Gehör geschenkt hätte (Verlagsvideo mit Peter Hoeg). Zum Beispiel lässt er die Figur Fräulein Smilla irgendwann sagen: "Schneelesen ist wie Musikhören." Solche Sätze sacken beim Lesen in die Tiefe und brennen sich dort ein.

Neulich, als der große Schneefall mich zeitweise vom Rest der Welt getrennt hatte, tauchte dieser Satz aus der Tiefe ungefragt auf an die Oberfläche und blieb dort eine Weile ganz ruhig in der Luft liegen. Während ich dem Schnee lauschte, meinte ich einen markanten Einschnitt in mein Leben zu vernehmen, ließ jedoch das Gehörte nach meiner Rückkehr ins Normalleben in die Tiefe des vermeintlich Bedeutungslosen zurücksacken.

Jetzt ist er da, der Einschnitt. Seit heute bin ich meinen Job los; dank Fräulein Smillas Gespür traf der Verlust mich nicht völlig unvorbereitet, aber dennoch hart. Zwar wird man als Putzfrau notgedrungen zur Fachfrau für jede erdenkliche Schmiere, staunt aber letzten Endes doch, wie geschmiert alles laufen kann, wenn man ihm nur seinen Lauf lässt.

Vielleicht wird es in den nächsten Tagen hier ein wenig einsilbig werden; vielleicht - hoffe ich - auch nicht. Es muss jetzt einiges neu sortiert werden. Wenn ich, nur als Beispiel, allein an den Namen Mrs. Mop denke - nun hat es sich ja erstmal ausgemoppt. Andererseits gehört zum Neusortieren auch das Aufräumen und Großreinemachen; außerdem habe ich mich einfach an Mrs. Mop gewöhnt.

Vielleicht sollte ich bald mal Fräulein Smilla zu Rate ziehen. Ich habe, wenn ich's mir recht überlege, das Buch schon lange nicht mehr gelesen.

Dienstag, 28. Dezember 2010

Zieht euch warm an


Der Bulle an der New Yorker Wall Street hat ein wärmendes Häkelkleid verpasst bekommen.

via LolFed

Es reicht ja schon, wenn in Frankreich zur Zeit pro Nacht ein Obdachloser erfriert.

Montag, 27. Dezember 2010

Clap Hands


Da hat er mich wieder, der frühe harte Alltag, nach einer Woche Erkältung in der gemütlich warmen Hütte, nach neuerlichem nächtlichem Neuschnee, nach gerade im Radio gehörtem "dieses Winterwetter wird uns bis Mitte März bleiben", nach weihnachtlichen Völlereien und überall liegt noch so ein schwacher gebratener-Gans-Geruch in der Wohnung...alles nicht exakt so, wie man sich das Leben wünscht.

Aber dann am frühen harten Morgen griesgrämig über so ein Video stolpern. Clap hands. Nicht nur die Hände, nein, die Messer, die Gabeln, die Teller, die Kerle, die Puppen, ich glaube, sogar der Truthahn auf dem Tisch hat gegroovt. Oder war es eine Gans? Egal. Clap hands. Yo.

PS. Wieso der Post jetzt so weit nach unten gerutscht ist und nicht mehr hochzurutschen geht, ist mir schleierhaft. Auch auch egal. Irgendwie. Clap hands.

Sonntag, 26. Dezember 2010

Run Banks, run


Ein Blick in die neuesten Nachrichten, und schon ist es vorbei mit der friedvollen Jahresendstimmung.

Am 23.12. (also an dem Tag des Jahres, wo eh keiner so richtig aufpasst, weil er alle Hände voll damit zu tun hat, sich auf eine friedvolle Jahresendstimmung einzustimmen) verlautbarte die niederländische Regierung, dass es da einen Gesetzesentwurf gebe, der es künftig unter Strafe stellen werde, zu einem Bank Run aufzurufen.

Über Weihnachten (stille Zeit, heilige Zeit...) werden vermutlich die Niederländer diesen unheiligen Gesetzesentwurf prüfen und ihn dann kurz vor Silvester (alles lacht, alles kracht...) verabschiedet haben, auf dass das neue Jahr vielversprechend beginnen kann und keiner hat was gemerkt.

Wenn also zum Beispiel ich (oder irgendjemand anderes) zu seinen Nachbarn und Bekannten geht und ihnen rät, sicherheitshalber sein Bankkonto leerzuräumen, dann mache ich mich eines kriminellen Vergehens schuldig und kann mit maximal vier Jahren Knast rechnen oder einer Geldstrafe von 19.000 Euro. Mir scheint, mit einem konventionellen Bankraub könnte ich fast billiger wegkommen als mit einem Aufruf zum Bank Run.

In den niederländischen Ministerien für Sicherheit und Finanzen wird die angeblich dringende Notwendigkeit eines solchen Gesetzes kommentiert mit den Worten: "Weil die Banken sich gegen solche Akte der Bedrohung" (ich dachte immer, Geld abheben vom eigenen Konto sei ein legaler Akt?) "nicht verteidigen können, müssen sie von der Gesetzgebung geschützt werden." Aus Sicht der Banken also ein Akt der Selbstverteidigung, und der Bankkunde darf sich am zweiten Weihnachtsfeiertag schon mal unfriedliche Gedanken zur Selbstverteidigung seiner individuellen Freiheitsrechte machen.

Allerdings, andersrum gedacht - wenn es schon so weit ist, dass das freie Verfügen über das eigene Bankguthaben kriminalisiert wird, kann das doch kaum etwas anderes bedeuten, als dass die (Banken, Regierungen...) die Hosen gestrichen voll haben.

Wird auch langsam Zeit.

Samstag, 25. Dezember 2010

Fauna im Vollrausch


Ich weiß jetzt nicht, ob ich einem Aprilscherz aufgesessen bin, aber wir haben doch wohl Ende Dezember, oder? Noch dazu Weihnachten, da macht man doch keine Aprilscherze, oder? Ich meine, was gibt es Ernsteres als das heilige Fest der Liebe, also kann das doch wohl kein Witz sein, oder wie.

Völlig durcheinander bin ich, ohne dass ich irgendetwas Verkehrtes zu mir genommen hätte, ich schwöre es. Vielmehr sieht es so aus, als ob gewisse Tiere gewisse Stoffe zu sich nehmen, was dann dazu führt, dass sie abheben. Die Tiere. Doch, wirklich. Um genau zu sein, die Rentiere. Also diese Viecher, die um Weihnachten herum immer mit Schlitten und Weihnachtsmann im Schlepptau durch die Lüfte fliegen - und jetzt weiß man endlich, warum Rentiere fliegen können. Hat man ja bislang nicht wirklich für möglich gehalten, aber es halt den Kindern erzählt, okay, fliegende Rentiere, warum nicht - es soll ja auch fliegende Untertassen geben. Wer's glaubte, wurde selig.

Nun hat die alberne Fantasy-Märchenerzählung ein beinhartes wissenschaftliches Backup bekommen: Wie gesagt, Rentiere können tatsächlich fliegen! Obwohl das jetzt auch wieder nicht so ganz stimmt, richtig müsste es heißen: Rentiere bilden sich ein, fliegen zu können. So sieht's aus. Ihre Einbildungskraft verleiht ihnen Flügel, und diese Einbildungskraft wiederum wird den Rentieren verliehen durch halluzinogene Pilze, die sie für ihr Leben gern futtern. Also, die Rentiere futtern die Pilze, nicht umgekehrt.

Und zwar knabbern sie besonders gern am Amanita muscaria, englisch: fly agaric mushroom, deutsch: Fliegenpilz - jener Pilz mit dem lustigen weißgepunkteten roten Hütchen, auf dem die deutschen Gartenzwerge immer so gern rumsitzen. Kennt ja jeder hierzulande. Und davon, dass der Fliegenpilz irgendwelche psychoaktiven Substanzen enthält und dem Konsumenten den Kopf verdreht, hat ja auch fast jeder schon mal was gehört. Also bitte.

Ganz ähnlich wie beim Menschen verfällt das Rentier nach Fliegenpilzgenuss in eine Art trunkenen, tollwutähnlichen Zustand, rennt aufgekratzt durch die Gegend, hebt irgendwann ab und macht dabei seltsame Geräusche.


Jedoch, im Unterschied zum Menschen kann das geweihte Säugetier die toxischen Stoffe im Fliegenpilz problemlos verstoffwechseln; allein die psychoaktiven Substanzen bleiben, nun ja, aktiv eben und werden schlussendlich mit dem Urin ausgeschieden. Hat das Rentier dann gepinkelt, setzt sich ein wundersamer Rezyklisierungkreislauf in Gang: Schon vor langer Zeit haben nämlich die Hirten von Rentierherden in Europa und Asien gelernt, den Rentierurin zu sammeln und ihn als relativ bekömmliche, sprich gesundheitsunschädliche Quelle des Fliegenpilz-Halluzinogens zu nutzen. Wie die Hirten das im einzelnen angestellt haben, kann sich jeder selber denken. Wohl bekomm's.

Nachzulesen ist das Ganze im hochseriösen britischen Pharmaceutical Journal (via Jr. Deputy Accountant), die renommierte Huffington Post hat sich ebenfalls an die Story gehängt, also wird wohl irgendwas dran sein. Der Autor des Artikels (Überschrift: "The animal world has its junkies too") heißt Andrew Haynes. Er hat herausgefunden, dass nicht nur die in nördlicher Einöde sich langweilenden Rentiere ständig auf der Suche nach dem stimulierenden Kick sind, sondern eine ganze Reihe weiterer Säugetiere rund um den Erdball (eigentlich sind es sogar so viele, dass man sich wundert, ob die globale Fauna überhaupt je aus ihren naturbelassenen Rauschzuständen wieder herauskommt):

Zum Beispiel buddeln afrikanische Wild- und Stachelschweine sowie Gorillas mit Vorliebe die Pflanze Tabernanthe iboga aus, deren Wurzeln hochgradig halluzinogene Räusche induzieren. In Kanada klettern robuste Dickhornschafe waghalsig auf Felsen herum, um von dort wachsenden psychotropen Flechten zu naschen, die die Schafe völlig high machen; abgestürzt ist allerdings noch keins der zugedröhnten Klettertiere. In den südwestamerikanischen Prärien wurde beobachtet, wie Pferde und andere Weidetiere Suchtsyndrome entwickelten, nachdem sie einmal von den Pflanzen Astragalus und Oxytropis - englisch: locoweed(!) - probiert hatten; stets kehrten die Tiere zum Fundort zurück. Im südamerikanischen Regenwald wurden ausgewachsene Jaguare gefilmt, die sich plötzlich wie verspielte Miezekätzchen benahmen, nachdem sie an der Rinde der halluzinogenen Rebenpflanze Banisteriopsis caapi herumgenagt hatten. Bären und Elche agieren betrunken nach dem Genuss von fermentierten wilden Früchten. Und seit der Mensch das Kultivieren von Mohnblumen begonnen hat, weiß offenbar der südostasiatische Wasserbüffel zu schätzen, wie sich ein veritables Opiumräuscherl anfühlt.

Um dem tierischen Drogenfass die Krone aufzusetzen: Erst kürzlich wurde aus einer indischen Stadt berichtet, die von einer Horde zugeknallter Affen heimgesucht worden ist; die Zweibeiner (Menschenaffen übrigens) torkelten völlig breit aus einer Fabrik für opiumbasierte Arzneimittel heraus, in die sie eingebrochen waren, um Opium zu klauen. Man fragt sich, wer da von wem gelernt hat, und wer oder was eigentlich unter der vielzitierten 'Krone der Schöpfung' zu verstehen ist.

All dies lese und schreibe ich, während ich damit beschäftigt bin, zwei Gänsekeulen beim Auftauen zuzuschauen. Was ja so seine Zeit dauert. Weshalb man schon mal auf dumme Gedanken kommen kann. Weil, ganz am Rande erwähnt der fachkundige Autor des Artikels, dass neben den Säugetieren auch Vögel empfänglich sein können fürs Rauschhafte: So berichtet er von sturzbesoffenen Finken und Staren, die ihre Schnäbel nicht von fermentiertem Getreide lassen konnten. Den Vogel schießt der sogenannte Seidenschwanzvogel ab; diese Gattung neigt offenbar dazu, sich dermaßen einen anzuzwitschern, dass bereits Massen von ihnen tot neben Gebüschen von fermentierten Vogelbeeren gefunden wurden. Obduktionen erbrachten akute Leberschäden, Todesursache: Alkoholvergiftung.

Jetzt frage ich mich natürlich, wo jene Gans sich zu Lebzeiten überall herumgetrieben haben mag? Gut, es sind nur zwei Keulen; Gänseleber ist immerhin keine dabei. Trotzdem möchte ich verhindern, dass heute abend irgend jemand beim Gansessen in ein multihalluzinogenes Koma fällt. Drum habe ich soeben beschlossen, die Keulen nicht mit dem dafür vorgesehenen Rotwein, sondern mit Gemüsebrühe zu begießen, und den Rotwein stattdessen woanders draufzugießen, zum Beispiel auf die eine oder andere Nase. Passt ja dann auch wieder, irgendwie, schließlich läuft Rudolph, das Rentier, auch ständig mit einer roten Nase durch die Gegend.

Freitag, 24. Dezember 2010

Blow Up



Ein Sergeant der US-amerikanischen Air Force mit lustiger Nikolausmütze beim Sprengen von, nun ja, Sprengstoff, konkret: "selbstgebasteltem Sprengstoff und abgelaufener (= überschrittenes Haltbarkeitsdatum) Munition", irgendwo außerhalb des Flugplatzes von Kandahar in Afghanistan, aufgenommen am 22. Dezember 2010.

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Doodle-Li-Boop


Santa and the Doodle-li-Boop

Es war einmal ein kleiner Junge namens Tommy, der wünschte sich zu Weihnachten sehnlichst einen Doodle-li-Boop. Also schrieb er einen Brief zum Nordpol, wo der Weihnachtsmann wohnt, und teilte diesem seinen Herzenswunsch mit: Lieber Santa, ich war das ganze Jahr ein braver Junge, drum möchte ich zu Weihnachten einen Doodle-li-Boop.

Als der Weihnachtsmann den Brief von Tommy erhält, kratzt er sich am Kopf und kommt in große Verlegenheit, weil er keine Ahnung hat, wo zum Teufel er einen Doodle-li-Boop auftreiben könnte. Egal, wo er auch hinfährt - fast bis zum Südpol! - weit und breit kein Doodle-li-Boop.

Frustriert kommt der Weihnachtsmann schließlich nach Hause, wo er von seiner Gemahlin, der Frau Weihnachtsmannfrau, mitfühlend gefragt wird: "Mann, Santa, was ist los mit dir, was guckst du denn so traurig drein?" "Ach," sagt Santa, "da gibt es einen kleinen Jungen - Tommy heißt er - der sich einen Doodle-li-Boop wünscht, und jetzt wird der kleine Tommy wohl leer ausgehen, denn ich konnte landauf, landab nirgends einen Doodle-li-Boop finden. Das wird den kleinen Tommy sehr traurig machen, und deswegen bin ich auch traurig."

Weil Frauen schon immer dem praktisch-pragmatischen Denken zugewandt waren, weiß Frau Weihnachtsmannfrau umgehend Rats: "Kopf hoch, Santa, wer wird denn gleich verzweifeln? Schau doch einfach mal im Schrank nach, ob du dort nicht einen Doodle-li-Boop finden kannst!"

"Wie, im Schrank," fragt der Weihnachtsmann fassungslos, "aber wieso denn im Schrank?" Schließlich war er auf der Suche nach dem Doodle-li-Boop erfolglos um die halbe Welt gereist und hatte also ein Recht auf Vollfrust, weswegen er schon drauf und dran war, zu der großen bauchigen Glühweinflasche zu greifen. Weil, so dachte der Weihnachtsmann, wer den Vollfrust hat, der hat auch ein Recht auf Vollrausch.

"Nix da", donnert Frau Weihnachtsmannfrau ihren Gatten an, "Frustsaufen läuft nicht - du lässt gefälligst die Flasche stehen! Bevor du nicht im Schrank nachgeschaut hast, wird kein Tropfen angerührt!", und wer Frau Santa kennt, der weiß, dass auf dem Weg zur Glühweinflasche kein Weg an ihr, der Frau Santa, vorbeigeht.

"In Gottes Namen", seufzt der Weihnachtsmann und macht sich auf den Weg zum Schrank, obwohl er bei sich denkt: Was verstehen Frauen schon von Doodle-li-Boops, die verstehen doch höchstens was von Schränken, und wieso soll ausgerechnet dort, wo die Bettwäsche und die Handtücher und die Schürzen gestapelt liegen, ein Doodle-li-Boop sein? Natürlich behält er das für sich, sonst hätte es Ärger mit der Ehefrau gegeben, und den will er vermeiden, denn schließlich hat er ja die Glühweinflasche im Auge.

Als er jedoch die Schranktür öffnet, erlebt der Weihnachtsmann sein blaues Wunder: Ein Trommelwirbel kommt ihm entgegen! Und was für einer! Ein riesengroßes wildes monströses Ungetüm von Trommelwirbel, das auf den Namen Be-Bop hört - und mit dem riesengroßen Be-Bop fallen Hunderte von klitzekleinen Doodle-li-Boops aus dem Schrank heraus.

"Heißa!" ruft der Weihnachtsmann, "Bump-billy-bee-ala, Doodle-li-Boop", schnappt sich einen Doodle-li-Boop, stopft ihn schnell in seinen Sack und düst los (es ist ein Tag vor Weihnachten), nicht ohne vorher einen guten Schluck aus der bauchigen Glühweinflasche zu nehmen, und bevor der Tag rum ist, wird Santa einen kleinen Jungen und ein großes Mädchen glücklich gemacht haben.

Sam "Santa" Ulano


Mittwoch, 22. Dezember 2010

Rotlichtradfahren



Wenigstens für eine Nacht konnten sich Madrids Radfahrer gefahrlos auf die Straßen trauen. In der spanischen Hauptstadt ist Radfahren nämlich nicht vorgesehen, zumindest nicht auf einigermaßen gesicherten Radwegen - offenbar gibt es in der Innenstadt überhaupt keine Radwege.

Die Madrider Künstlergruppe Luzinterruptus sann auf Abhilfe. Mit ihrer nächtlichen Aktion Pedaleo Seguro erschuf sie die "kurzlebigen Radwege": Hunderte von blinkenden roten Fahrradrücklichtern wurden ausgelegt und mit Fahrradsymbolen gekennzeichnet, so dass eine Spur in der Mitte der Straßen entstand.

(Kurzlebig war die Installation auch deshalb, weil sich die Madrider Nachtschwärmer begeistert auf die Blinklämpchen gestürzt und sie als Souvenir mit nach Hause genommen haben - ganz im Sinne von Luzinterruptus, die ihre Aktionen samt deren Komponenten als "Geschenk an die Öffentlichkeit" verstehen.)


Dienstag, 21. Dezember 2010

Knochenarbeit


Seit heute früh beschäftigt mich das Thema Ambivalenzen. Oder besser: das Ertragen von Ambivalenzen.

Meine Güte, ist das schwer, Ambivalenzen zu ertragen. Will heißen, einer Sache oder einem Menschen aus vollem Herzen zuzustimmen und im nächsten Augenblick völlig über Kreuz mit ihm zu liegen; ihm trotzdem weiter zuzuhören, ohne ihn zu verdammen; nicht wegzulaufen, sondern im Dableiben den angemessenen Abstand zu finden; und bei allem kritischen Abstand ein kritisches Gefühl dafür zu bewahren, wann aus der eigenen Kritik eine Abwehrhaltung wird. Verdammt schwer finde ich das.

Fast bin ich versucht, dies eine intellektuelle Knochenarbeit zu nennen. Schuld daran ist ein Buch mit dem Titel Knochenarbeit von Frank Hertel. Dabei habe ich das Buch noch nicht mal gelesen. Ich bin nur einfach heute früh über eine Besprechung dieses Buches gestolpert (via Perlentaucher), und seither haben das Werk und sein Autor mich nicht mehr losgelassen. Er, der Autor, nennt sein Buch im Untertitel einen Frontbericht aus der Wohlstandsgesellschaft, was mir zunächst alle Haare einzeln aufstellte, weil mir solche reißerischen Metaphern (Frontbericht? Kriegsheimkehrer, oder was?) zum Zwecke der Verkaufsförderung suspekt sind.

Aber egal, nachdem der Rezensent das Buch einführte mit den Worten:
Frank Hertel hat schon als Winzerhelfer, Leiharbeiter, Volontär, Christbaumverkäufer, Möbelpacker, Literaturkritiker und Regalauffüller gearbeitet. Nun versucht er sich als Buchautor und verteidigt in Knochenarbeit körperlich anstrengende Erwerbsarbeit.
- war es um mich geschehen; ich wollte mehr wissen, lesen, hören. Weil besagte Rezension meinen Wissensdurst unbefriedigt ließ, stöberte ich mich querbeet durch alle möglichen Quellen und hörte irgendwann die Stimme des Autoren im O-Ton (im Rahmen eines Rundfunkinterviews) folgendes sagen:
"Wenn ich jetzt Kulturberichte im Radio höre und das Feuilleton der Süddeutschen lese, denke ich mir oft, wie klein, unbedeutend und ahnungslos das alles doch ist, obwohl es mir vorher viel bedeutete. Die Probleme der Mittelschicht und des Bildungsbürgertums kommen mir farblos und erfunden vor. Die Beziehungskisten der Spass- und Singlegesellschaft erscheinen mir wie eingebildete Kinderkrankheiten, gegen die nur ein hartes Wort hilft. Die Mittelschicht, zu der ich gehöre, kommt mir infantil und unreif vor."
Beim Zuhören wurde mir Satz für Satz irgendwie so déjà-vu-mäßig zumute. Hoppla, dachte ich, ein Bruder im Geiste, vielmehr im Leibe, oder vielmehr in den Knochen, wie man's nimmt. Als studierter, wenn auch arbeitsloser Soziologe, der Hertel ist, rechnet er sich der Mittelschicht zu; zumindest hinsichtlich seines Bildungsstandes - ganz gewiss jedoch nicht hinsichtlich seiner Tätigkeit am Fließband in einer Brotfabrik für acht Euro zehn die Stunde. Ich kann seine Gefühle der Entfremdung gegenüber gewissen Mittelschichtsphänomenen nachvollziehen.

Irgendwie unsympathisch war mir dagegen die Sache mit dem "harten Wort". Hart schlucken musste ich auch bei der Bemerkung, man könne da unten ("Da unten ist nicht die Hölle!") durchaus glücklicher sein als jemand, der vom Staat fürs Zuhausehocken bezahlt werde. Hertel neigt zu negativen Stereotypen von Sozialgeldempfängern, findet dieses Pauschalisieren selber falsch und relativiert, tut es aber im gleichen Atemzug trotzdem. Das ist zum Teil haarsträubend und zieht mir beim Hören/Lesen die Socken aus, ist mir andererseits jedoch wohlvertraut aus Kurzgesprächen mit anderen Malochern aus dem gastronomischen Umfeld. Diese feindselige Denke ist "da unten" weitverbreitet, und es ist ihr - zumindest meiner Erfahrung nach - mit Argumenten so gut wie nicht beizukommen. Womit dann? Ich weiß es nicht.

Später landete ich bei einem weiteren Rezensenten, dem Chefenthüller und proletarisierten Intellektuellen vom Dienst Günter Wallraff, der dem unbekannten Newcomer Hertel die Leviten liest, weil letzterem bei seinem Erlebnisbericht das große strukturelle Ganze des kapitalistischen Systems aus dem Blick gerutscht sei, wobei es Wallraff aus dem Blick gerutscht zu sein scheint, dass Hertel nicht aus journalistischem Enthüllungsethos im Prekariat unterwegs war, sondern aus schnödem Geldmangel. Platzhirsch, alter.

Sympathisch wiederum, dass Wallraff für seinen Wegbeißreflex hier die Leviten gelesen bekommt:
"...das alte Frontschwein der gesellschaftskritischen Sozialreportage, Günter Wallraff ... hielt dem Autoren (Hertel) vor, die Strukturen hinter den Arbeitsbedingungen nicht ergründet zu haben. Dabei sollten wir doch alle wissen, wie das funktioniert mit den Strukturen: zuerst ergründen, dann entlarven, dann kassieren und zur nächsten lukrativen Baustelle für sozialromantische Mohrenköpfe weiterziehen. (Wir erinnern uns, im letzten Jahr hatte Wallraff sich schwarz anmalen lassen, um zwecks Ergründung des real existierenden Rassismus durch Deutschland zu wandern.)"
Sympathisch, wie gesagt.

Irgendwie mulmig wurde mir dann wieder, als ich Frank Hertel in einem weiteren Radiointerview zum Thema 'Herren und Knechte' zuhörte. Mulmig deshalb, weil seine Rede alles andere als ressentimentfrei daherkommt; andererseits aber auch wieder unmulmig, weil, ja, warum? Wohl weil ich selbst nicht frei von Ressentiments bin (und sei es nur, weil ich zur Zeit erkältet bin, darum nicht zur Arbeit gehe und darum kein Geld verdiene):
"Ich sehe im Fernsehen die Gewerkschaftsdemonstrationen, und da seh' ich praktisch die normalen deutschen Arbeiter mit ihren Fähnchen demonstrieren, und die kamen mir alle so wohlgenährt und gesund vor im Vergleich zu den Leuten, mit denen ich in meiner Fabrik gearbeitet hab'. Und ich seh' da praktisch 'nen Unterschied zwischen den prekär Beschäftigten, die diese ungesicherten Arbeiten machen - das sind für mich die Knechte.
Und dann seh' ich irgendwie die Leute, die praktisch Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Betriebskindergarten und eben in so gesicherten Positionen sind - und das sind für mich Herren...aber die Begrifflichkeit ist natürlich vielleicht ein bisschen altmodisch."
Man kann das alles zerpflücken und zerfetzen und nach Strich und Faden auseinandernehmen, um es sodann in die Tonne fürs ideologisch Schwererträgliche zu treten. Man kann aber auch einfach dieser Stimme von Frank Hertel zuhören, einer rauhen, medial ungeschliffenen Stimme mit rauhem fränkischem Dialekt und einer schleppenden, mitunter fast stammelnden, gelegentlich schweratmenden Redeweise.

An dieser Stimme und an dem, was sie sagt, kann - wer das aushält - sich stundenlang reiben. Das meine ich mit Ambivalenz.

Montag, 20. Dezember 2010

Alles stockt


Wenn alles fließt, führt der Weg zurück ins Bett. Das schien zunächst eine gesunde Entscheidung zu sein, erwies sich jedoch nach mehrstündigem Aufenthalt in der Horizontalen als kontraproduktiv. Weil, es hörte alsbald alles auf zu fließen und begann gewaltig zu stocken. Bestimmt hat die Schnupfenwissenschaft längst herausgefunden, warum geschwollene Nasenschleimhäute im Liegen noch mehr zuschwellen und das Atmen noch beschwerlicher machen und der Hals noch mehr austrocknet und überhaupt. Jedenfalls fühlt sich Atemnot im Bett noch kranker (kränker?) an als ich tatsächlich bin. Also entnervt wieder raus aus dem Bett.

Tee trinken, heißes Bad (man sollte unbedingt mehr als zweimal täglich in ein heißes Bad steigen, das aktiviert die ins Stocken geratenen Fließkräfte), Salbei inhalieren, Hühnersuppe kochen, niesen ohne Ende, schneuzen ohn' Unterlass, aber immerhin, ich kriegte wieder Luft. Setzte mich schnaubend an den Computer, um die neuesten Weltnachrichten zu lesen - da stockte mir schon wieder der Atem.

Hat doch die schweizerische Bank UBS unlängst eine 43 Seiten umfassende Kostümierungsordnung (via CareerDiva) für ihre Mitarbeiter erlassen, und irgendwie sickerte - leakte sagt man in der Wikileaks-Ära - dieser (nur für interne Maßregelungszwecke gedachte) Klamottenerlass durch in die Medien.

Richtig gelesen - über 43(!) gedruckte Seiten hinweg erstrecken sich strenge Richtlinien von Do's and Dont's hinsichtlich Outfit, Erscheinungsbild sowie Körperpflege jener Frauen und Männer, die in der privilegierten Position sind, dem eidgenössischen Finanzunternehmen dienen zu dürfen.

Um ein paar Highlights herauszugreifen:

Die Fingernägel der männlichen Angestellten dürfen eine maximale Länge von 1,5 Millimetern nicht übersteigen.

Weibliche Mitarbeiter mögen ihr Parfum direkt nach dem Duschen auftragen, keinesfalls nach dem Mittagessen.

Tägliches Wechseln der Schuhe ist ein Muss, um ein höheres Niveau an Ruhe und Gelassenheit zu erreichen ("...shoes be changed daily to bring greater levels of 'peace and serenity'" - vielleicht fällt jemandem hierzu eine sinnvollere Übersetzung ein, ich persönlich stehe vor einem Rätsel).

Speziell bei Schuhen scheint ein verschärfter Regulierungsbedarf zu bestehen: Männer ziehen ihre Schuhe gefälligst mit einem Schuhlöffel an; Frauen unterlassen es, mit neuen Schuhen am Bankschalter zu erscheinen.

Blickdichte Strümpfe? Geht überhaupt nicht. Transparente Strumpfhosen bitte, Mädels.

Den Frauen ist das Tragen von maximal sieben Schmuckstücken erlaubt, den Männern nicht mehr als drei.

Das Tragen von Halstüchern (Damen) ist Pflicht, und zwar nicht irgendwie nach persönlichem Gusto, sondern nach vorgeschriebener Verknotungstechnik.

Die für Banker (geschlechtsübergreifend) angemessene Unterwäsche hat hautfarben und von feinster Textilqualität zu sein ("'always made of superior quality textiles'").

Spätestens bei der letzten Vorschriftsmaßnahme geriet ich in gefährliche Schnappatmung und musste erst mal am Boden nach meiner Kinnlade suchen, bevor ich mir besorgt die Frage stellte, was um alles in der Welt in den Großbanken dieser Welt so getrieben wird? Gut, 1,5 Millimeter mögen die optimale Fingernagellänge sein, um im Akkordtempo Banknoten zu zählen. Aber hautfarbene Unterwäsche aus feinster, am besten Schweizer Qualitätstrikotware? Strippen die an den Schaltern der UBS? Haben die bei der UBS einen Unterhosen-Controller, der den Mitarbeitern jeden Morgen an die Wäsche geht?

Eins muss man den Großbankern lassen: Regulieren können sie, wenn auch vielleicht nicht an genau jenen Hebeln, wo man es sich gewünscht hätte bei anhaltender weltumspannender Finanzkrise. Offenbar agiert die interne Regulierungswut gegenüber den Mitarbeitern umso strikter, je schwächer sich die Wirtschaft zeigt:
"Die Bekleidungsvorschriften werden immer rigider", sagt Dick Lerner, Autor des Buches Dress Like The Big Fish, "Was von der Rezession in den meisten Unternehmen hängen bleibt, ist das Prinzip 'doing more with less'. Für sie ist es zur Überlebensfrage geworden, den Gürtel immer enger zu schnallen, daher achten die Firmen auf sämtliche Bereiche ihres Geschäftes, und das bedeutet nun mal: Wer wird seinen Job behalten und wer nicht? ... Saloppe Bekleidung am Arbeitsplatz gehört der Vergangenheit an. Die Unternehmen können sich weder saloppe Bekleidung noch saloppe Arbeit noch saloppe Mitarbeiterhaltungen leisten."
Oder, in den Worten des UBS-Managements, das von seinen Angestellten erwartet, nach außen hin ein stimmiges, das heißt präzise wie ein Schweizer Uhrwerk funktionierendes Unternehmensimage zu verkörpern:
"Wahrheit, Klarheit ... Respekt ... unsere Werte, unsere Kultur"
Oder aber, in den Worten der amerikanischen Beraterin Michelle Randall, die in dem rezessionsbedingt einengenden Klamottenkorsett nichts anderes erkennt als "faules Management":
"Diese Kleiderordnungen für Mitarbeiter laufen darauf hinaus, jegliche Individualität auszumerzen und sind zu bewerten als physischer Reflex eines Managements, das unfähig ist, eine lebendige, bewegliche Organisation zu führen. Kleiderordnungen senden an Mitarbeiter die Botschaft, sie mögen ihre Persönlichkeit und ihre Individualität für den Job preisgeben. In gewisser Weise kastriert dies den Arbeitsplatz und höhlt ihn bis zur Geistlosigkeit aus."
Oder aber, in meinen bescheidenen Worten: außen hui, innen pfui.

Alles fließt


Schniefen, Niesen, Röcheln, Halskratzen...alles wie gehabt. Die Krankheitsbilder gleichen sich, nicht jedoch die Therapien. Diesmal spiele ich nicht die Heldin, sondern bleibe zuhause.
Gleich mit jedem Regengusse
Ändert sich dein holdes Tal,
Ach, und in demselben Flusse
Schwimmst du nicht zum zweitenmal.
Goethe hatte recht. Man sollte nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Drum steige ich jetzt zurück ins Bett.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Calypso Cooldown


Schon wieder schneit es aus allen Rohren, das Jahresendfest naht mit Riesenschritten, letzter Sonntag vor der großen Party, ich bunkere mich gemütlich ein mit einer Kiste allerbester Plätzchen - gebacken von Herrn (jawohl! Herrn!!) Übermop - nebst süffigem Glühwein und gebe mich besinnlicher Musik aus fernen Ländern hin:

Lord Beginner

Darf ich vorstellen: Lord Beginner (eigentlich: Egbert Moore) aus Trinidad mit einem uralten weihnachtlichen Calypso, eingespielt im Jahre 1939, weshalb die Aufnahme arg scheppert und nölt - Schellack lässt grüßen -, aber grade das Nölige unterstreicht charmant das Thema des Songs:
On Christmas Morning the Overnight Rum Had Me Yawning...
...soll heißen: Am Weihnachtsmorgen ist mir zum Gähnen, weil der viele Rum gestern nacht mir den Rest gegeben hat (oder so ähnlich), was der Stimme des Lords deutlich anzuhören ist.

Es muss recht unheilig zugegangen sein auf der nächtlichen Party, es wurde wild und ausschweifend auf den Straßen getanzt, eine gewisse Gwendolyn "was waggin' she dustbin" (unübersetzbar), "rollin' that t'ing all over the street" (ebenfalls unübersetzbar, nur so viel: mit dustbin ist keineswegs ein Mülleimer gemeint) - kurzum: Es geht um Sex, Drugs and Rock'n Roll im Calypso-Style, und solange meine Jugendschutzbeauftragte mir nicht das Okay gibt, werde ich kein weiteres Wort darüber verlieren. Just listen. And shake that dustbin.


Samstag, 18. Dezember 2010

Räumungsprozess



So ungefähr sah es draußen vor meiner Balkontür aus bei meiner Rückkehr von den sieben verschneiten Bergen. Leider Gottes ohne den wärmenden Inhalt.

Dazu muss man wissen, dass ich im Dachgeschoss wohne in einer sehr kleinen Wohnung mit einem sehr großen Balkon. Dieser sehr große Balkon ist an keiner Stelle überdacht, was im Sommer seine Reize hat, im Winter jedoch seine Last mit sich bringt. Eine gewaltige Schneelast nämlich. Kommt der Wind (wie vorgestern abend) aus Sibirien, also von Osten, schneit und weht und presst es die weiße Pracht direkt in die Nische vor der Balkontür. Dort bleibt sie stehen, baut sich auf und wartet heimtückisch darauf, dass ich den gleichen Fehler begehe wie neulich, als ich schlaftrunken die Tür von innen aufriss und einem lawinösen Schneetsunami Einlass gewährte.

Passiert mir kein zweites Mal. Diesmal habe ich die Balkontür supersensibel (Erschütterungen verschlimmern die Lawinengefahr, weiß jeder) nur einen Spaltbreit geöffnet, einen Besen durchgequetscht, mit dem Besen das Schneemonster von oben nach unten weggeschubst, dabei mit dem Knie die Balkontür am weiteren Öffnen gehindert, so dass schließlich aller Schnee - draußen! - am Boden lag und die Tür wieder frei war. Ist mir wirklich gut gelungen, so weit.

Doch dann erhob sich die Frage aller Fragen: Wohin mit dem ganzen Schnee? Auf so einem unbedachten Großbalkon bleibt ja einiges liegen, und was einen im abgehobenen Mittelgebirge in meditative Ruhe versenken kann, verursacht auf dem heimischen Balkon eher klaustrophobe Zustände. Weil, man sieht ja überhaupt nichts mehr vor lauter Schnee. So stand ich also da, räumwillig mit der Schneeschippe im Anschlag, und war ratlos.

Ratsuchend rief ich bei der Hausverwaltung an: Wohin mit dem ganzen Schnee? Offenbar war ich an einen Sachbearbeiter geraten, dem die Ausmaße meines Balkons sowie der dort befindlichen Schneemassen unbekannt waren und der meine Anfrage auf die humorig-lässige Schulter nahm, er sagte nämlich: "Bauen Sie doch einen schönen Schneemann!" Er hörte mich nach Luft schnappen und setzte gutgelaunt hinterher: "Oder wie wär's mit Ebay?" Mir verschlug es die Sprache, worauf er den pragmatischen Gang einschaltete und mir allen Ernstes riet: "Warum geben Sie den Schnee nicht einfach in die Badewanne?" Hat man Töne?

Ich rang nach Fassung und antwortete ihm, ich wisse ja nicht, wieviele Badewannen er bei sich zuhause habe, ich jedenfalls hätte nur eine, und ob er vielleicht mal so 20, 30 Badewannen hier vorbeibringen könnte? Da begann es allmählich bei ihm zu dämmern, dass die Mieterin im Dachgeschoss wohl vor einem veritablen Problem steht. Er versprach, Rücksprache zu halten "mit jemandem, der sich da besser auskennt als ich" und sich dann - wie heißt es immer so beunruhigend? - wieder bei mir zu melden.

Da man ja nie weiß, wieviele Schaltjahre so eine versprochene Rückmeldung dauert und mir an einem raumangstfreien Wochenende gelegen war, schritt ich zur Tat. Natürlich wäre es am einfachsten gewesen, die paar Tonnen Schnee mit der Schippe zum Balkon runterzuschmeißen; nur, an dessen Längsseite führt unten ein Gehweg vorbei, und Schneeabwurf auf Gehweg geht mal gar nicht, versteht sich von selbst. Schon gar nicht aus dem vierten Stock. Ich inspizierte die Schmalseite: Unten befindet sich eine Spielwiese, auf der gerade ein paar Kinder im Schnee tollten. Lieber wäre es mir ohne Kinder gewesen, aber man kann es sich halt nicht immer aussuchen. Es folgte eine lautstarke Lagebesprechung von oben mit den Knirpsen unten, mit dem Ziel einer gefahrfreien Balkonräumung.

Was soll ich sagen? Kinder können unglaublich vernünftig reagieren, wenn sie das, worum es geht, verstehen. Sie hielten respektvolle Distanz zu der Abwurfstelle, brüllten jedesmal, wenn die beladene Schneeschippe über der Balkonbrüstung zu sehen war: "Und freiii!", brüllten noch lauter und mit wachsender Begeisterung: "Uaaah!", sobald eine Ladung mit dumpfem Pflu-hummmpf unten im tiefen Schnee landete, schirmten sogar den Tatort weiträumig ab (in Windeseile hatte sich die Operation Pflu-hummmpf bei den Nachbarskindern herumgesprochen und fand regen Zulauf), alles wurde gut und mein Balkon frei.

Die zuallerletzt abgeworfene Ladung bestand aus einer Schokoladenbombe, nämlich lauter kleinen Schokonikoläusen, die ich von der Anstalts-Weihnachtsfeier mitgebracht hatte und nun endlich einer pädagogisch sinnvollen Verwendung zuführen konnte. Kamen alle heil unten an, lebten aber nicht mehr lange.

Vor einer Stunde habe ich zur Balkonbrüstung (Schmalseite) hinabgeschaut: Da stehen jetzt lauter Schneemänner, große, kleine, dicke, krumme. Interessanterweise stehen die Schneemänner nicht einfach irgendwie so herum, sondern fein säuberlich im Kreis angeordnet, die Kreismitte wurde freigelassen. Fast wie Feuerwehrleute, die ein rundes Sprungtuch halten.
Schon irre. Kinder halt.

Freitag, 17. Dezember 2010

Neues aus der Anstalt


Das Flachland hat mich wieder in seinen Klauen. Schade eigentlich - denn im Nachhinein betrachtet, hat so eine winterliche Zwangsisolation doch ihr Gutes. Hört man nämlich nach längerem sinnlosen Kämpfen auf, sich gegen sie zu wehren, macht sich - nach anfänglicher Resignation - große innere Ruhe breit.

Diesen Punkt erreichte ich gestern abend kurz vor Mitternacht, als ich draußen unter einer Pergola stand, der Schneesturm über die Höhen tobte und mir immer mal wieder eine Gischt aus eisigen Teilchen ins Gesicht wehte, die Schneemassen kontinuierlich wucherten und die paar Gebäude allmählich unter ihnen zu verschwinden schienen. Dort oben ruft kein Mensch nach Räumfahrzeugen oder Streusalz, und ob das da drüben einmal eine Straße oder ein Gehweg oder eine Wiese war, interessiert auch keinen.

Ich stand also unter der Pergola und hörte dem wilden Schneien zu - mit anderen Worten, ich lauschte der absoluten Stille. Spürte, wie sich in mir ein Hebel umlegte, verstand zunächst gar nicht, was da passierte, so sehr hatte ich mich bereits an dieses sorgenvolle Wie-komm-ich-bloß-nachhause-Rumgestresse gewöhnt. Dann trat ein Mitarbeiter des Krankenhauses nach draußen, stellte sich neben mich, rauchte seelenruhig eine Zigarette, sog genüsslich die kalte Luft ein und schwieg.

Eine ganze Zeitlang schwiegen wie gemeinsam den Schnee an und der Schnee schwieg uns an - es könnte eine Ewigkeit gewesen sein, vielleicht waren es auch nur fünf Minuten. Endlich sagte er, nach einem langgezogenen Seufzer: "Ja." Mehr nicht. Eine weitere kleine Ewigkeit verstrich.

Auf einmal hatte ich das sichere Gefühl, eines tiefen Einschnittes in mein Leben gewahr zu werden, hätte allerdings nicht beschwören können, ob es sich nicht doch um eine grandiose schneebedingte Halluzination handelte und hätte - wäre ich nach dem Unterschied zwischen beidem gefragt worden - vermutlich geantwortet, dass es keinen gibt und falls doch, mir dies völlig wurscht sei. Gefragt hat mich aber keiner; nur der Mann neben mir stieß einen zweiten befriedigten Seufzer aus: "Ja." Lange Pause. Und dann: "Hier oben gehen die Uhren anders."

In dem Moment war der Hebel endgültig umgelegt. Ich fügte mich der großen Ruhe. Alles andere war sehr, sehr weit weg.

Physisch wohlbehalten, jedoch mit leichtem mentalem Hangover kehrte ich ins Land der genormten Uhren zurück. Irgendwie habe ich den heutigen Tag sehr verlangsamt verbracht. Irgendwie merke ich auch, dass es im Flachland schwierig ist, die angemessenen Worte zu finden für die große Ruhe auf den schneeverwehten Berghöhen. Es will alles nicht so recht passen. Aber es wirkt nach. Passt schon, irgendwie.

Schnee flog übers Kuckucksnest


Bin eingeschneit. In einem psychiatrischen Krankenhaus. Gelegen auf dem Hochplateau eines deutschen Mittelgebirges. Dabei wollte ich hier bloß einer Weihnachtsfeier beiwohnen. Die war sehr schön. Tja. Jetzt sitze ich fest. Gute Nacht allerseits.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Untergrund-Poesie



Schwer aktiv ist die Frau Holle,
und mein Fahrrad steht dumm rum.
Trägt ein Kleid aus Schafschurwolle,
ich fahr' U-Bahn, didel dum.

Ist jetzt nicht der alleroriginellste Musenkuss, der mich da ereilt hat, aber was soll man machen - Mann, ist U-Bahnfahren langweilig! Besonders morgens um halb sieben. Steh' ich halt dumm in der U-Bahn rum und warte, dass mir etwas Gereimtes einfällt.

U-Bahn in der Frühe ist ein bisschen wie trostlose Kneipe am späten Abend, wohin sich ausschließlich Solisten verirren, die unbedingt solo bleiben und trübe vor sich hin gucken wollen mit einem Sprich-mich-bloß-nicht-an-Gesicht. Ganz wichtig: Jeder hat seinen festen Stammplatz. Jeden Morgen dieselben Leute auf jeweils demselben Sitz. Ich persönlich bleibe lieber stehen, denn im Sitzen würde ich in diesen überheizten Wagen sofort wieder einschlafen. Aber, ganz wichtig: Auch ich habe meinen festen Stammstehplatz, nämlich dort, wo ich von schräg hinten bei einer Frau mit kurzen auberginefarbenen Stoppelhaaren, die sich Tag für Tag in ihre Zeitung vertieft, mitlesen kann.

Die ganze Zeit habe ich mir eingebildet, dies sehr diskret zu tun; schließlich gibt es viele Leute, die es nicht leiden können, wenn ihnen jemand über die Schulter ins Blatt starrt. Wie man sich täuschen kann. Heute früh saß die Auberginefarbene wieder auf ihrem Stammplatz und las, ich stand an meinem Stammplatz und las mit, und plötzlich, ohne sich umzudrehen, nahm sie den Lokalteil aus ihrer Zeitung raus und reichte ihn mir schweigend über ihre rechte Schulter. Einfach so. Und las ungerührt weiter. Irre. Als ich begeistert ein Dankeschön trompetete, nickte der Stoppelkopf nicht unfreundlich, machte jedoch zugleich eine abwinkende Sprich-mich-bloß-nicht-an-Handbewegung. Auch gut.

Nachdem ich den Lokalteil fertiggelesen hatte, fing ich wieder an, mich zu mopsen und hielt links und rechts Ausschau nach etwas Interessantem. War aber nix. Genau das sind die Situationen, in denen dümmliche Reime produziert werden. Wie ich so vor mich hin reimte und dümmelte, fiel mir auf einmal auf, dass in der U-Bahn unglaublich viele Menschen fortgeschrittenen Alters saßen. Mit fortgeschritten meine ich jetzt: ziemlich weit fortgeschrittenes Rentenalter. Komisch, dachte ich. Was machen die ganzen Rentner so früh in der U-Bahn? Wo doch noch kein einziger Supermarkt geöffnet hat? Ich wunderte mich und dümmelte weiter.

Erst als ich merkte, dass sich auf 'Rentner' beim besten Willen kein Reim finden ließ außer vielleicht 'Zentner', erfasste mich ein Gefühl der Beschämung ob meines eigenen dümmlichen Klischeedenkens. Weil, egal wie alt jemand ist - wohin fährt er oder sie um halb sieben in der Frühe? Natürlich zur Arbeit, wohin sonst. Als ich zur nächsten U-Bahn umstieg, stand hinter mir auf der Rolltreppe einer dieser älteren Mitfahrer und begrüßte gerade einen anderen älteren Kumpel. Ich hörte den beiden kurz zu.

"Feierabend?", fragte der eine.
"Endlich", seufzte der andere.
"Hast du's gut", erwiderte der erste.
"Sei froh, dass du keine Nachtschicht hast", entgegnete der zweite.
"Man ist froh, dass man überhaupt was hat", antwortete der erste.
Ich drehte mich auf der Rolltreppe um und fragte, was sie arbeiteten.
"Pförtner", sagten beide wie aus einem Munde, sahen einander an und mussten lachen.
"Nachtschicht", sagte der zweite.
"Gestatten, Frühschicht", grinste schief der erste.

Beide schauten mich freundlich an. Müde, aber freundlich. Keine Spur von Sprich-mich-bloß-nicht-an-Gesichter. Wie man sich doch täuschen kann.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Loser Bär


Weihnachtszeit ist Naschzeit.

Es begab sich aber zu der Zeit, dass der Internationale Tag des Gummibärchens begangen wurde (bereits gestern, aber da war ich zu sehr mit anderweitigen Naschereien beschäftigt). Um korrekt zu sein, der Gummibär feierte gestern seinen 90. Geburtstag, was mir glatt entgangen wäre, hätte nicht der Deutschlandfunk um kurz nach fünf Uhr (morgens!) ein Gummibärchen-Featurchen gesendet, das mein Herz erwärmt und meine Sinne wachgekaut hat.

Da war nämlich zu hören, dass der Gummibär vor 90 Jahren in einer privaten Waschküche das Licht der Welt erblickt hatte. Jawohl, in einer Waschküche! Dort hatte der geniale Vater aller Gummibärchen in Ermangelung anderer Zutaten (Gelatine kam damals offenbar noch nicht aus der Steckdose) eine dubiose Zuckersudpampe zusammengebraut und siehe, ein kaubarer kultiger Bär ward geboren; zwar nicht auf Heu und auf Stroh, sondern im Waschkessel unter ständigem Umrühren, woraus wir lernen, dass der betagte Naschbär ganz früher mal ein junger Waschbär gewesen ist, der wiederum mit dem modernen Haschbär nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

Radiohören bildet. So war zu erfahren, dass der stets zu innovativen Spässen aufgelegte deutsche Traditionsbärenhersteller vor ein paar Jahren - just zur Weihnachtszeit - auf die schräge Idee gekommen ist (er muss wohl ein paar Bärchen zu viel genascht haben), die komplette Heilige Familie in Gummi nachzubauen, samt Krippe, Krippeninhalt, Ochs, Esel und allem Drum und Dran. Ist das nicht niedlich? Ist es nicht, jedenfalls nicht für die katholische Kirche, die das Gummikrippenspiel überhaupt nicht niedlich fand, sondern verwerflich und infolgedessen Sturm lief. Leider hat der Bärenvater mit weichen Gummiknien reagiert und den unheiligen süßen Stall ganz schnell wieder zu Zuckersud eingeschmolzen. Sonst wär' der Bär los gewesen - wie, die Heilige Familie zum Vernaschen? Geht gar nicht. Noch dazu aus Gummi, also bitte. Denn wie heißt es so treffend? Ihr Kinderlein, kommet.

Und Erwachsene ebenso.

Montag, 13. Dezember 2010

Essen


Meine Finger führen einen fast aussichtslosen Kampf mit der Tastatur. Sieben von zehn sind dick verpflastert; vier links, drei rechts. Wobei es an ein Wunder grenzt, dass überhaupt noch alle zehn Finger dran sind. Weil, es gibt Küchenmesser, die sind so scharf, dass sie derart butterzart ins Fleisch schneiden, dass man den Schnitt überhaupt nicht spürt (elend schlechter Satzbau, muss an den vielen Pflastern liegen). Womit ich sagen will, dass ich heute nicht zuhause gekocht habe, sondern an meinem Arbeitsplatz, im Restaurant.

Gegen elf Uhr las ich gemütlich die dort ausliegende Tageszeitung, trank Kaffee und war seelisch wie körperlich auf Feierabend gepolt, da klingelte das Telefon: Der Küchenchef bat mich händeringend, bei der Menüvorbereitung einzuspringen, denn die Küchenhilfe war erkrankt. Ob ich nicht einfach sitzen bleiben, Kaffee trinken und warten könne, bis er käme? Ich blieb sitzen, trank Kaffee und lernte die Tageszeitung auswendig. Dann kam der Küchenchef samt Koch und es ging rund.

Ich schälte drei mittelgroße Eimer Zwiebeln, putzte drei Großkisten Feldsalat, presste mindestens einen Zentner Zitronen aus, schnibbelte geschätzte 37 Stangen Lauch ("rautenförmig, fürs Auge!"), raspelte zwei Dutzend Möhren ("feinstiftig bitte, muss zart und luftig aussehen!"), zerkleinerte Unmengen von Staudensellerie ("kleine Halbmonde, nicht einfach so runtersäbeln!"), sparschälte 17 Salatgurken ("immer bisschen was vom Grünen dranlassen, wegen der Optik!"), bis das Blut tropfte und die Pflastervorräte zur Neige gingen.

Derweil widmeten sich Küchenchef und Koch den Kernaufgaben - Wildschweingulasch, Perlhühner, Gänsekeulen, Zanderfilets - sowie den Vor- und Nachspeisen. Ich muss sagen, es macht einen Riesenspass, mit kundigen, detailverliebten Männern zu kochen, womit ich keinesfalls sagen möchte, dass Kochen mit kundigen, detailverliebten Frauen keinen Spass macht, aber es waren halt nun mal Männer heute in der Küche (bis hierher ein völlig überflüssiger Satz, eigentlich, ich lass' ihn trotzdem stehen, bestimmt sind auch daran die vielen Pflaster schuld), und diese Kerle hatten derart lustige Sprüche auf Lager und steigerten sich in einen so ansteckenden, teils hypernervösen, teils hochgradig albernen Kochrausch (ohne Zuhilfenahme von Rauschmitteln) hinein, dass ich meine blutenden Finger mitsamt den ständig aufweichenden Pflastern ebenso vergaß wie die blitzschnell verstreichende Zeit - fünf Stunden waren im Nu vorüber.

In der Zeit habe ich von unglaublich vielen Köstlichkeiten genascht, wenn auch ein bisschen durcheinander - pikant gewürzter Apfel-Sellerie-Salat, erfrischende Avocado-Shrimps-Creme, mördergute Mousse au Chocolat, in Speck eingewickelte vollfleischige Datteln, überbackene scharf-wie-die Sünde-Chorizowürstchen mit Madrigalkäse - ist mir aber hervorragend bekommen, erstaunlicherweise, wo doch mein Magen an derlei lukullische Vielfalt schon lange nicht mehr gewöhnt ist. Ich habe diesen Nachmittag geliebt, wiewohl er saumäßig anstrengend war.

Bevor ich gleich wie ein müder Stein ins Bett falle, gibt es noch Wildschweingulasch in Madeirasauce mit (vom Küchenchef) selbstgezwirbelten Spätzle. Mein Gott, ist Essen was Schönes.

Sonntag, 12. Dezember 2010

Oh Tannenbaum


Geplant waren frohe Weihnachten, doch der Plan ging nicht auf und die Sache endete ausgesprochen unfroh: Ein findiger Mensch aus dem Westerwald mit Neigung zum Frohsinn hatte auf den Kauf eines Weihnachtsbaumes verzichtet (ob aus ökologischen oder finanziellen Erwägungen, war nicht in Erfahrung zu bringen) und stattdessen kurzerhand seine Zimmerpflanze zum Christbaum umfunktioniert.


Es handelte sich um eine stattliche, knapp zwei Meter hohe Hanfpflanze - stabil verankert in einem Christbaumständer, liebevoll geschmückt mit Lichterkette, Lametta und allem, was so dazugehört. Nach altem Brauchtum sollten an Heiligabend allerlei Geschenke unter dem Bäumchen arrangiert werden, auf dass eine fröhliche Bescherung stattfinde - man sieht förmlich die glänzenden Augen der Beschenkten vor sich.

Doch aus dem Plan wurde nichts, weil die rheinlandpfälzische Drogenfahndung dem Besitzer einen unfröhlichen Strich durch die Rechnung machte, wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Mann wurde festgenommen, die Dröhntanne konfisziert.

Nicht völlig humorfrei lautete die Überschrift des Polizeiprotokolles "All you need is love" - unklar, ob dies in Anspielung auf das sogenannte Fest der Liebe geschah oder ob der Musiker John Lennon dazu angestiftet hatte, an dessen 30. Todestag die Westerwälder Polizei zugeschlagen hatte. Wieso eigentlich All you need is love? Warum nicht Give peace a chance? Oder piece. Oder doch peace? Egal, am besten beides.

Samstag, 11. Dezember 2010

Wahn und Wirklichkeit


(zum Vergrößern anklicken)

Bei The Big Picture habe ich eine witzige Blogger-Typologie gefunden und mich augenblicklich in sie vertieft.

Während ich noch versuchte, mich selbst einer der vorgegebenen Kategorien zuzuordnen, schlug hier mit steigenden Drehzahlen und hohem Ausrastfaktor ein anonymer Kommentator auf, dessen Zielsetzung offenbar darin bestand, die Bude hier ordentlich aufzumischen.

Inzwischen fände ich es wesentlich witziger, wenn sich mal jemand den Spass machte, eine Kommentatoren-Typologie zu erstellen, unter besonderer Berücksichtigung jener Schreiberlinge, die das Ausleben ihres Geltungswahnes nur unter der schützenden Tarnkappe der Anonymität gebacken kriegen.

Weil ich auch noch ein paar andere Dinge zu tun habe als ständig den Erziehungsausfällen solcher Kommentatoren hinterher zu sprinten, und weil alle zehn Minuten die Löschtaste zu drücken irgendwann fad wird, habe ich nun den Kommentarbereich dieses Blogs vorübergehend auf den Modus Moderation eingestellt; das heißt, jeder eingehende Kommentar wird gecheckt, bevor er veröffentlicht wird. Ich bitte um Verständnis, wenn es dadurch zu Verzögerungen kommt.

Noch eine Bitte an jene Leser, die bevorzugt anonym kommentieren, dies jedoch in aller Unschuld und mit den lautersten Absichten tun: Macht euch bitte die kleine Mühe, euch einen Nickname zuzulegen. Das hat für alle Beteiligten nur Vorteile - sowohl die Leser als auch ich laufen dann keine Gefahr, euch mit anderen anonymen Kommentatoren zu verwechseln; im Zweifelsfall auch nicht mit solchen, die mir mittlerweile mit "kostenpflichtigen Abmahnungen" drohen, weil ich in meinem eigenen Blog von der Löschtaste Gebrauch mache.

Freitag, 10. Dezember 2010

Lachen macht frei


Die Welt ist voller Überraschungen. Am tollsten sind die Überraschungen, die freitags passieren, obwohl ich frühestens am nächsten Dienstag mit ihnen gerechnet hätte, und auch das nur in meinen kühnsten Träumen.

Kommt heute der jugoslawische Getränkelieferant zur Kneipe herein und ruft mir zu: "Mala, gleich kannst du was erleben!" Hinter ihm erklingen Schritte. Dann betritt die portugiesische Frohnatur (musste heute einen erkrankten Kollegen vertreten) das Lokal, knallt die Hacken zusammen, hebt den rechten Arm in die Höhe, ruft mit Donnerstimme: "Arbeit...", kriegt einen tierischen Lachanfall, kann vor lauter Lachen seinen Satz nicht beenden, bleibt trotzdem mit erhobenem Arm stehen - muss man sich mal vorstellen: da steht einer in Hitlergrußpose und lacht sich dabei halbtot - schnappt nach Luft und schafft es schließlich, unter Kichern hinzuzufügen: "...macht frei!"

Den rechten Arm immer noch erhoben, deutet er zu den letzten beiden Worten mit dem ausgestreckten linken Zeigefinger auf die Baseballkappe auf seinem Kopf - ein schickes beigefarbenes Modell mit eingesticktem knallrotem Logo: Hammer und Sichel.

Der spanische Hausmeister fiel beinahe unter den Tisch vor Lachen, ich verschluckte mich fast lebensgefährlich an meinem Kaffee, der Jugoslawe strahlte übers ganze Gesicht wegen der gelungenen Überraschung und der Portugiese freute sich wie ein Schneekönig. Ich kochte für alle noch eine Runde Kaffee, den wir in Hochstimmung tranken, dann kam ein Geschäftsführer zur Tür herein, verstand überhaupt nichts, fand es aber irgendwie gut, dass sein Restaurant vor guter Laune aus allen Nähten platzte, und ich fand insgeheim, dass es Tage gibt, wo ich meinen Job schwer in Ordnung finde.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Klare Worte


Lassen keine Fragen offen:


Die Iren.


Mittwoch, 8. Dezember 2010

Design fürs Dasein


Es muss ein erhebendes Gefühl sein, seine Notdurft hoch oben über den Köpfen des Fußvolkes zu verrichten. Erst recht, wenn die High-end-Urinalbenutzer sich zur Gattung der Wallstreet-Banker zählen dürfen. Hat dort unten auf der Straße irgendjemand "I'm so pissed off about those bankers!" gerufen?

(Blick von den Urinalen der Commerzbank-Hauptverwaltung
in New York City)

Dienstag, 7. Dezember 2010

Kühlwärme


Heute lief es mir kurzzeitig eiskalt den Rücken runter. Und das nicht nur, weil Dienstag der Tag des Kühlhauses (korrekt: Kühlhausputztag) ist, mithin der Tag der klammen Finger und der tiefgekühlten Laune.

An normalen Dienstagen pflegt ein quirliger, stets zu intelligenten Spässen aufgelegter Portugiese meine Laune vor dem Absturz ins Bodenlose zu retten. Immer dienstags wird nämlich der jugoslawische Getränkelieferant von einem portugiesischen Minijobber begleitet, der, wenn er mich im Kühlhaus rumoren hört, höflich an die dicke Tür klopft und fragt, wie es mir gehe. Er neigt dann immer zu makabren Scherzen rund um das Thema Kühlhaus, und genau diese situative Vorliebe fürs Makabre ist es, was meine Dienstagslaune wieder merklich über den Gefrierpunkt hebt. Normalerweise.

Heute streckte der Portugiese den Kopf ins Kühlhaus, sah mich Lammhaxen durch die Kälte wuchten und fragte liebenswürdig, ob er mich fragen dürfe, wie es mir ginge? Statt einer Antwort guckte ich knurrig, was ihn veranlasste, mir die schwere Lammhaxenkiste abzunehmen. Fand ich nett. Doch dann, als er die Kiste abgestellt und sich wieder aufgerichtet hatte, sagte er mit dem freundlichsten Gesicht der Welt etwas, was ich überhaupt nicht nett fand, nämlich: "Arbeit macht frei!"

Ich guckte ihn so böse an, wie es mir nur irgend möglich ist, worauf er erschrak und fragte, ob er etwas Falsches gesagt habe. Ich guckte noch böser. Seinem Gesicht war anzusehen, dass er die drei fatalen Worte völlig arglos und ohne Hintergedanken ausgesprochen hatte. "Was hast du denn?", fragte er mich besorgt, "genau dasselbe hat heute morgen mein Chef zu mir gesagt!" Mir schwante Übles. Ich fragte ihn, was für ein Landsmann sein Chef sei. "Eine Kartoffel, was sonst", antwortete er, "warum fragst du?"

Ich wurde stinksauer. Nicht auf den Portugiesen, sondern auf seinen deutschen Vorgesetzten. "Was deine deutsche Kartoffel heute morgen zu dir gesagt hat, hat vor 70 Jahren ein gewisser Adolf Hitler gesagt", zischte ich. Er verstand sofort. Und fing an zu lachen. "Gut, dass ich das jetzt weiß", gab er zurück, "weißt du, eigentlich sagt die Kartoffel das jeden Morgen zu uns." Mir verging das Lachen. Er grinste durchtrieben. "Ab morgen", fuhr er unbekümmert fort, "weiß ich, was ich der Kartoffel antworten werde."

Ich schaute ihn neugierig an. Statt etwas zu sagen, legte der kleinwüchsige drahtige Portugiese eine effektvolle Kunstpause ein, bevor er schweigend, aber zackig die Hacken zusammenschlug, sein Kreuz durchdrückte und den rechten Arm in unmissverständlicher Pose stramm nach oben zog. Für einen Moment war es, als ob Charlie Chaplin mich im Kühlhaus besucht hätte. Trotz klammer Finger wurde mir ganz warm ums Herz.

Montag, 6. Dezember 2010

Auf der deutschen Eisenbahn


Heute mache ich einfach da weiter, wo ich gestern aufgehört habe.
Also beim Orient-Express.


Alle Jahre wieder verwandelt sich mein Arbeitsplatz (das Restaurant) in einen Ort, wo Männer zu kleinen Jungs werden. Denn jedes Jahr zur Vorweihnachtszeit wird traditionell eine Modelleisenbahn überm Tresen installiert. Liebevoll von Hand gebastelt bis ins kleinste Detail: adrette Fachwerkhäuschen mit heimeliger Innenbeleuchtung, dunkelgrün strotzende Tannenbäumchen, gepflegte Gärtlein, glückliche kleine Kühe und Ochsen sowie ein niedliches Kirchlein, das stets im Dorf bleibt. Und, selbstverständlich, ein ausgeklügeltes Gleissystem, an dessen Bett noch nie eine menschliche Hand das Schottern gewagt hätte. Nicht zu vergessen das Allerwichtigste, das Eisenbähnlein: kein Personen-, sondern ein Güterzug, der gastronomisch stilechte Fracht mit sich führt, nämlich kleine dicke Fässchen mit der Aufschrift "Bordeaux".

Kurzum, ein Ort, wo die Welt noch in Ordnung ist. Krisenfest, könnte man sagen. Hier fahren auch im Winter die Züge pünktlich und erreichen unbeschadet ihr Ziel, auf dass der Bordeaux seiner natürlichen Bestimmung im Glase des Gastes zugeführt werde. Wobei Pünktlichkeit eine reine Ermessenssache des diensthabenden Geschäftsführers ist; irgendwann im Laufe des Abends - das Restaurant muss voll bis auf den letzten Platz sein, vorher läuft nichts - drückt er aufs Knöpfchen. Nein, nicht auf das Zuglosfahrknöpfchen, vielmehr auf die Starttaste am CD-Spieler, denn die ganze Show wird mit einem martialischen Soundtrack eingeläutet: Es ertönt der gellende Pfiff einer Lokomotive, danach fängt es träge an zu rumpeln und zu rattern, zu stampfen und zu schnauben (nostalgischer Dampflokbetrieb, was sonst, ICEs haben in diese Welt keinen Zutritt), dann erst wird die Zug-Starttaste gedrückt und das Säuferbähnlein setzt sich gemächlich in Bewegung, dreht vorsichtig seine erste Runde, nimmt an Fahrt auf und knattert sodann rasant über Berg und Tal, über Brücken und durch Tunnels wie Speedy Gonzalez höchstpersönlich.

Jeden Abend - so will es die Dramaturgie - erwischt es die Gäste eiskalt von hinten, nämlich dann, wenn alle auf ihr Wildschweinragout mit Preiselbeersauce fokussiert sind, denn dann durchdringt der schrille Lokpfiff Mark und Bein, alle fahren erschrocken zusammen, lassen Messer und Gabel fallen, starren gebannt nach oben, während die Kinnladen nach unten sinken und das Licht im Lokal effektvoll abgedimmt wird, das Züglein davonächzt und jedesmal, wenn es mit lautem Getüüt und Geblink wieder aus dem finsteren Tunnel auftaucht, geht eine Welle von Ooh und Aah durch die ganze Kneipe, die Wildschweine und Kaninchen werden kalt, die Gläser leer, und alle fragen: Wo bleibt denn bloß der Bordeaux?


Nun heißt es ja immer, diese Modelleisenbahnleidenschaft sei eine typische Obsession deutscher Männer, aber seit heute kann ich wissenschaftlich dagegenhalten, zumindest auf anekdotisch-empirischem Level. Weil nämlich heute morgen einträchtig in der Kneipe versammelt saßen: ein jugoslawischer Getränkelieferant, ein marokkanischer Gemüselieferant, ein italienischer Fleischlieferant sowie ein spanischer Hausmeister. Und weil ich neuerdings weiß, in welchem Timing welche Knöpfchen gedrückt werden müssen, um das fulminante Schienenspektakel loszutreten, machte ich die Probe aufs Exempel.

Ergebnis: Es handelt sich beileibe um kein urdeutsches Phänomen, sondern um ein universelle genetische Prägung. Denn mit dem schrillen Anpfiff verstummte das lautstarke Palaver um den Kneipentisch; vierschrötige Mannsbilder aus aller Herren Länder guckten selig mit runden, glücklichen Kinderaugen nach oben, die Kinnladen sanken kulturübergreifend nach unten, das Züglein raste durch den halbdunklen deutschen Tann, verschwand im Südtunnel, tauchte unter orientalischem Ooh und balkanesischem Aah wieder auf, kurvte kreischend über die Ost-West-Brücke, und aus Männern wurden Buben und aus der Kneipe ein Kinderzimmer.

Willkommen im Orient-Express-Universum.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Großes Kino


Fast sieht es so aus, als ob es zur Zeit keinen Grund gibt, ins Kino zu gehen. Es ist auch so genug los in der Welt. Und erst in Europa! Da fällt ja gerade so ziemlich alles auseinander, und als Europäer sitzt man in der ersten Reihe und bekommt die berüchtigte Genickstarre, weil man einfach zu nah dran sitzt und allmählich den Überblick verliert.

Etwas mehr Distanz tut da richtig gut, habe ich festgestellt; einfach mal nachschauen, wie das außereuropäische Ausland das hiesige Gerangel ums liebe Geld beobachtet, kommentiert und vergleicht - nämlich mit einem gewaltigen Dampfkochtopf:
"In der Gebrauchsanleitung steht, dass der Kochtopf explodieren wird, wenn der Druck zu groß wird...wieviel mehr an Druck der Topf noch aushält, sei dahingestellt, aber der Zeiger ist eindeutig im roten Bereich und der Topf droht jederzeit zu explodieren."

So kommt es mir auch vor. Nicht widersprechen würde ich auch dem Euro-Kommentar jenes Lesers bei Mish, der meint, "there is too much shit going on to even give a fuck any more. giving a fuck is becoming more difficult each day." Der Mann hat recht.

Wer nun als Europäer wirklich großes europäisches Kino sehen möchte, sollte unverzüglich seinen Blick über den Teich lenken. Von dort hat William Banzai das unselige Treiben in Euroland verfolgt - nicht nur verfolgt, sondern verfilmt. Herausgekommen ist eine furiose Reminiszenz an europäische Kinofilmklassiker; von Italowestern bis Deutscher Autorenfilm ist alles dabei. In der Hauptrolle: Angela Merkel.

Ein paar Kostproben:
"The Good, The Bad, and Italy"

"Angela Merkel in Greecarraldo...der Film von Werner Herzog...starring: Klaus Kinski, Claudia Cardinale, Nicolas Sarkozy"

"The Bailout Hack of Notre Dame"
Mein absoluter Favorit:
"Merkel on the Disoriented Express" (in Anlehnung an die Verfilmung des Kriminalromans 'Mord im Orient-Express' von Agatha Christie)
Muss man gesehen haben. Prädikat: wertvoll.


Samstag, 4. Dezember 2010

Let It Be


Mal ehrlich, ich habe nicht die leiseste Ahnung, was es mit diesem Video auf sich hat, und der Reformed Broker, bei dem ich es abgestaubt habe, scheint genauso ahnungslos zu sein. Fest steht, es spielt in Norwegen und hat wohl etwas mit dem dortigen Fernsehen zu tun, mehr weiß ich nicht und es ist mir auch egal. Ich mag es einfach. Und weiß noch nicht mal, warum.

Weil, ich meine, man klickt es an und dann steht da der gereifte Roger Moore an der vermutlich norwegischen Küste und rezitiert:
When I find myself in trouble
Mother Mary comes to me
Speaking words of wisdom:
Let it be
Let it be.
und dann kommen all die vielen, vielen anderen dazu und singen den gecoverten Beatles-Song: Schauspieler, Sportler, Sänger, bekannte und weniger bekannte Gesichter, manche sympathisch, andere weniger sympathisch, aber auch das ist völlig wurscht, und ob die jetzt wirklich alle singen oder nur die Lippen bewegen, wen kümmert's.

Es gibt Sachen, die hat man richtig gern und kann es sich nicht erklären. Mit Menschen geht es einem ja auch manchmal so. Selten genug. Let it be.


Freitag, 3. Dezember 2010

Verschärfte Rhetorik


Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als frühmorgens wehrlos im Bett zu liegen, während die stählerne, rasiermesserscharfe Stimme der Arbeitsministerin aus dem Radio auf meinen Nerven herumsägt. Es ist diese Stimme. Eine Stimme wie aus Hartmetall geschmiedet. Noch bevor ich überhaupt weiß, auf was die Rasierklinge hinaus will, suche ich im Dunkeln nach großkalibrigen Wurfgeschossen, um das Radio in tausend Teile zu zerschießen. Diese Stimme fräst sich derart gnadenlos durchdringend in die verschlafenen Gehörgänge, dass ich - urplötzlich hellwach und hyperaktiv - gar nicht schnell genug aus den Kissen springen kann, um der Off-Taste den K.o.-Schlag zu verpassen. So stelle ich mir das Weck-Kommando im Kasernenumfeld vor: Weiterdösen unerwünscht, strammgestanden!

Die eiserne Jungfrau dozierte zu ihrem Lieblingsthema, der Knebelung von Hartz-IV-Empfängern auf der nach unten offenen Schikane-Skala. Es ging, wenn meine gemarterten Schlafplüschohren das richtig mitbekommen haben, um die Neuberechnung des Regelsatzes (nach unten, wohin sonst). Zu diesem Zweck, so die Rasierklinge, gälte es, die "Referenzgruppe" für diese Berechnung neu zu definieren. Referenzgruppe? Ich dachte immer, die sei längst definiert durch das gebetsmühlenhafte Mantra 'Der Abstand zu den untersten Lohngruppen muss gehalten werden', vulgo Lohnabstandsgebot?

Von wegen - nichts ist so weit unten, dass es nicht noch tiefergelegt werden könnte: Statt wie bisher das untere Fünftel der Arbeitnehmer als Maßstab zugrunde zu legen, sollen es künftig nur noch rasierklingenscharfe 15 Prozent sein, die als Vergleichsrahmen dienen. Wohlgemerkt, die untersten 15 Prozent der Arbeitnehmer statt der bisherigen unteren 20 Prozent. Was ja schon einen kleinen Unterschied ausmacht für all jene, die es darauf anlegen, die entsprechenden Zahlen nach unten schön oder vielmehr hässlich zu rechnen.

Trotz meines Hechtsprunges aus dem Bett hämmerte mir kurz vor Erreichen der Ausschalttaste am Radio noch der in Kruppstahl gegossene Satz "...weil sonst der Abstand zur arbeitenden Bevölkerung zu gering wird" entgegen. Dieser Satz ist mir den ganzen Tag im Ohr hängengeblieben. Ein höchst bemerkenswerter Satz, wie ich finde - oder kursiert diese Rhetorik schon länger und nur ich habe es wieder mal verpasst? Zwischen dem Abstand zu den untersten Lohngruppen einerseits und dem Abstand zur arbeitenden Bevölkerung andererseits besteht doch wohl ein, so darf man sagen, gewaltiger Abstand, und zwar beileibe kein bloß rhetorischer, vielmehr ein gewaltiger qualitativer Abstand, oder nicht?

Die Rhetorik verschärft sich. Rasiermesserscharf.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Kaltstart


Die Katastrophenmeldungen reißen nicht ab. Und immer erwischt's einen am frühen Morgen, dann, wenn das Bett noch warm, der Kaffee noch am Durchlaufen und das Gemüt noch am Dümpeln ist in friedfertiger Verpenntheit - wer ahnt da schon, was ihm der junge Tag nur wenige Augenblicke später entgegenschleudern wird?

Jäh brach das Unheil zur geöffneten Balkontür herein. Dabei wollte ich bloß ein paar Schlückchen frische Luft nehmen. Doch was wälzt sich mir entgegen? Eine Lawine. Ungelogen. Offenbar war über Nacht ein Mordsbrett von Schnee gegen die Balkontür geweht und dort festgepresst worden und hatte nur auf den Moment gewartet, wo es sich in meine gemütlich warme Hütte hinein entladen konnte. Wrrmmpffh. Das typische dumpf-satte Lawinengeräusch eben, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Vielleicht nicht ganz so druckvoll wie am Matterhorn, aber meinem Gemüt hat's gereicht.

Da ich nicht zu den Leuten gehöre, die eine Schneeschippe in ihrer Wohnung aufbewahren, stand ich ziemlich dumm da. Wie sollte ich der Schneemassen Herr werden, und zwar bitte schnell, schließlich schmilzt das Zeug ruckzuck zu einer Riesensauerei? Zwar besitze ich eine Kehrschaufel mit Handbesen; leider Gottes befanden beide sich heute früh nicht in der Wohnung, sondern wo? Richtig, auf dem Balkon. Wo genau auf dem nicht kleinen Balkon, daran konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern, und zu sehen war von der Kehrschaufel absolut nichts, da begraben unter Neuschnee.

Sehr prekär das Ganze. In meiner Not griff ich zur Methode Suppenteller (Suppenteller = Kehrschaufel, hohle Hand = Handbesen). Ich weiß jetzt, woher die Redewendung aus dem Vollen schöpfen kommt. Viele Teller voll, viele Handvoll, sehr viel kalt.

Kaltstart nennt man das.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Wer flucht, lebt


Hab' ich schlecht geschlafen. Genauer gesagt, höchstens ein halbes Auge zugetan. Um präzise zu sein: Ich stand senkrecht in den Federn, nachdem ich gestern das und vieles mehr zum Thema gelesen hatte. Meine Alarmglocken schrillten. Sie schrillten nicht minder, als mir aus diversen Ecken der Blogwelt herablassend entgegenschrillte, das sei doch alles blanker Alarmismus. Den Hut vollends aufgesetzt hat es mir, als ich irgendwo lesen musste, das Ganze sei doch halb so wild und betreffe eh bloß kleine Blogger, die mutterseelenallein vor sich hinwurschteln und halt bedauerlicherweise nicht solvent seien. Das nenne ich mutmachende Zielgruppenansprache.

In den kurzen Alpträumen, die mir zwischen meinen nervösen Wachzuständen vergönnt waren, sah ich mein kleines, alleiniges, völlig insolventes Blögchen den Weg allen Irdischen gehen, sprich aus Notwehr im Orkus landen - aus, vorbei, danke für die schöne Zeit. Schwitzend aufgewacht, Panikattacken. Mein Blog! Mein Blog ist mein Standbein auf den Härtestrecken meines Lebens. Ich ziehe dieses harte Leben durch, zähnezusammenbeißend und einigermaßen zuversichtlich, aber nur, weil mir das Blog unglaublich viel Kraft und Energie gibt. Für mich fühlt sich mein Blog an wie so ein kleiner, kompakter Notstromgenerator in der leerstehenden Garage hinterm Haus, neben den eingelagerten Kartoffeln und Äpfeln für den langen strengen Winter. Ohne mein Blog würde es mich fürchterlich frieren, konkret: Es würde mir der Hintern ganz entsetzlich auf Grundeis gehen.

Ich habe jetzt extra 'Hintern' gesagt statt jenes A-Wortes. Weil, vielleicht habe ich ja noch minimale Chancen auf Weiterbloggen, solange ich auf strikt jugendfreien Inhalt achte. Vor ein paar Tagen tauchte hier das unschöne Wort 'fucked' auf - huch. Wird künftig nicht mehr vorkommen, versprochen. Läuft natürlich auf massive Eigenzensur raus, wo ich doch ein Mensch bin, der für sein Leben gern wilde Flüche ausstößt. Aber was hilft's - ab sofort hat es sich ausgefuckt.

Halt, nur noch ein Mal, ein einziges Mal, ein allerletztes Mal, das jedoch aus tiefstem Herzen: Fuck off, Ihr Grünen. Fuck the fuck off. Fuck yourself completely off, unter Zuhilfenahme sämtlicher euch zur Verfügung stehender parlamentarischer Zwänge.