Nur, wie soll man sich jetzt in dieses Schema selbst einordnen, wenn das eigene Ekelprofil ein wenig komplexer gestrickt ist? Ich zum Beispiel stehe Spinnen völlig neutral gegenüber. Ich liebe sie nicht, aber mir gruselt auch nicht vor ihnen. Haifischskelette im Dunkeln wären gewiss ein anderes Thema, aber bei Spinnen bleibe ich stoisch. Nicht so die junge polnische Küchenhilfe: Heute vormittag entfuhr ihr ein langgezogener, gellender Schrei, und schon war sie aus der Küche gerannt. Sie rannte vor einer herumrennenden Spinne weg. In einer Kochmulde des Herdes drehte sie (die Spinne) ihre Runden. Die junge Frau zitterte am ganzen Leib, das Gesicht verzerrt von Ekel. Natürlich habe ich sofort interveniert und kam mir mächtig heroisch vor, während ich das mit fünf gekrümmten Fingern aufgeklaubte Insekt (lebend!) zum Fenster hinauswarf. Die anerkennende Reaktion auf polnischer Seite deutete ich dahingehend, dass deutsche Putzfrauen eventuell doch zu etwas zu gebrauchen sein könnten.
Ich ekle mich auch nicht vor schwulen Straßenfesten, im Gegenteil, vorgestern habe ich mich prächtig amüsiert. So weit, so liberal. Wenn da nur nicht dieser Küchengully wäre. Der hat mich geschafft am ersten Tag. Ich wurde auf der Stelle seekrank und dachte: Das kann nicht gut gehen, nie im Leben, da ist die Grenze, punktum. Strukturkonservativ bis in die Knochen. Der zweite Tag folgte und ich überlebte ihn. Ab dem dritten Tag nahm die Liberalisierung ihren Lauf: Ich stellte fest, dass das Gröfaz mir egal geworden ist. Der Ekelfaktor hatte sich verschlissen. Je egaler, desto liberaler? "Ich kann mich gar nicht satt ekeln", hat Fritz Kortner einmal so genial wie ätzend vermerkt. Er war kein Konservativer.
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