Die ersten beiden Nächte sind überstanden.
Schon ziemlich rustikal.
Zu kalt.
Zu hart.
Zu eng.
Zu laut.
Irgendwo ein bisschen exterrestrisch und durchgeknallt das Ganze.
Alles in allem: Zum Drangewöhnen.
Sofern jemand dem gewissen Durchknallfaktor etwas abgewinnen kann.
Ich kann.
Allein schon deshalb.
Aber auch deshalb:
morgens aufwachen und Zelte entdecken,
die am Abend vorher noch nicht dort gestanden sind.
Es sind inzwischen über dreißig Zelte.
Und natürlich deshalb...
...und deshalb:
sich wundern, wie schnell es geht, sich heimisch in einer kleinen, improvisierten Parallelwelt zu fühlen; alles nicht mehr so eng sehen (obwohl alles ziemlich eng ist, siehe oben); sich irgendwie durchwurschteln; auf Gewohntes verzichten; hinnehmen, dass das alles mit Veilchen und Lavendel wenig zu tun hat.
...und - damit in Zusammenhang - deshalb:
So erstaunlich leicht einerseits der Abschied von gewissen Standards fällt, die gemeinhin unter das Stichwort "Zivilisation" fallen - und dann andererseits entdecken, dass die guten alten Spießerreflexe nach wie vor aus der zwei Tage alten Wäsche und dem Zelt rausgucken: In der Nachbarschaft des eigenen Zeltes wird es immer enger, die fremden Zelte kommen näher, zwei Meter entfernt baut schon wieder ein Neuankömmling auf - abchecken, sprich: geiern&gaffen! Ist der Neue okay? Ist der in unmittelbarer physischer Nähe zu ertragen? Wie, auch noch mit Hund? Was, wenn die Töle nachts am Bellen ist? Jessas, der Köter wird sich doch nicht etwa im Zeltumkreis entleeren? Mann, könnte der sein Zelt nicht irgendwo anders, bitte, nur nicht grade hier?
Mitkriegen, dass der Neue schwer in Ordnung, sein Hund ein toller Aufpasser (die Zelt-Nachtwache funktioniert noch nicht so hundertprozentig) und sein Campingstühlchen erste Sahne ist.
Und dann diese verdammte Kälte. Abends. Nachts. Frühmorgens.
Kalt, so kalt kalt kalt.
Leere Tonne auftreiben.
Holz hacken. Palettenholz.
Alle zwei Minuten der Ausruf:
Hurra, schon wieder eine Europalette in der Tonne!
Ofen anwerfen.
Wärme. Abends. Morgens. Nachts.
So schön warm, warm, warm.
Keiner muss frieren. Irgendwann steht jeder mal an der Tonne und hält andächtig die Hände ans Feuer. Abends und nachts stehen alle dichtgedrängt - entweder tiefsinnig in die Flammen starrend oder politisierend, meistens beides. Das fabelhafte Wärmefässchen ist zu unserer Dorfkneipe 'Zur Tonne' geworden: Hier erfährt man alle Neuigkeiten, lernt die interessantesten und komischsten Leute kennen, hört zu, mischt sich ein, diskutiert engagiert, macht Platz für halberfrorene Neuankömmlinge, steht noch dichter, spürt, wie Bauch und Hände wohlig warm werden, dreht sich um, lässt den Hintern rösten, diskutiert dabei weiter - skurrile Bilder sind das, die ich nie vergesse: Zwei Stammgäste debattieren hitzig, der Tonne zugewandt, drehen sich um, wärmen sich die Körperrückseite, gebückte Haltung (Po friert am empfindlichsten), debattieren dabei ungebremst weiter, aber ohne Blickkontakt, weil das sonst mit dem Poaufheizen nicht mehr funktionieren würde. Ich liebe so etwas.
Wenn's um die Tonne zu voll wird und Bauch&Po aufgewärmt sind, wird auf den Rasen ausgewichen. Überall bilden sich Grüppchen mit sich wildfremden Menschen, die wie ausgehungert anfangen, miteinander zu reden und konzentriert zuzuhören.
Und ruckzuck machen Themenvielfalt und Gesprächsbedarf aus einer Gruppe zwei Gruppen:
Es pulsiert hier. Etwas vibriert.
Gegenüber vom Camp ist das Frankfurter Schauspiel (viertes Bild von oben). Nach der Abendvorstellung strömen Theaterbesucher heraus und schauen sich verdutzt das Camptreiben an. Die meisten bleiben am Rand stehen. Einer im feinen Zwirn meint mit spöttischem Lächeln und Blick auf die lodernde Dorftonne: "Wie, und soo wollt ihr den Kapitalismus besiegen?" Er findet keinen rechten Anschluss. Die Leute sind vollauf mit Händewärmen und Diskutieren beschäftigt. Der im Zwirn beobachtet längere Zeit die Tonne. Dann wendet er sich ab und verschwindet.
Wärmste Empfehlung an verdutzte Theatergänger: Der beste Gesprächseinstieg, um mit den Campern in Kontakt zu kommen (wenn es denn wirklich gewünscht wird), wäre der hier: "Kann ich dir ein warmes Getränk spendieren?", und dann: einfach sich an die Tonne stellen. Ohne große Umstände. Ohne Berührungsängste. Ohne distanzierende Sottisen. Ohne näselnde Besserwisserei. Und gut aufpassen, dass der Zwirn nicht Feuer fängt.
werde mich dafür einsetzen, den Oktober mehr in den Sommer zu verlegen. Das kann man ja garnicht mehr mitansehen wie unsere Mrs. Mop sich da einen abfriert!
AntwortenLöschenLove it ;-)
AntwortenLöschenBeautiful!
AntwortenLöschenIst da noch ein Platz für ein kleines Zelt frei?
AntwortenLöschenUnd noch wichtiger: Gibt es heißes Wasser für meinen Earl Grey?
Chapeau, Frau Mop, der Blog von occupy Frankfurt, wie ich Sie beneide. Wenn Sie noch eine Nacht durchhalten, bringe ich Ihnen und den anderen morgen Frühstück.
AntwortenLöschenNichtssagender Artikel in der FTD, mehr ein Stimmungsbild, aber wer denkt sich so eine bescheuerte headline aus ???
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http://www.ftd.de/politik/konjunktur/:occupy-protest-der-traum-von-liebe-und-mitgefuehl-in-der-bankenwelt/60117681.html
die Mrs. Mop bekommen wir vermutlich tiefgekühlt zurück. Hoffentlich sind ihr die Griffel zum Schreiben nicht komplett eingefroren ;-)) freue mich schon auf den Bericht am WE.