Dienstag, 4. Oktober 2011

Alle Busse stehen still


Solidarität ist, wenn kein Bus mehr fährt.

Wie jetzt, Generalstreik? Mitnichten. Sondern:

Wie hier berichtet, hatte die New Yorker Polizei (NYPD) am Wochenende zum Zwecke des Abtransports von 700 verhafteten #occupywallstreet-Demonstranten zehn Gefangenen-Transportbusse geordert. Bei einem Fassungsvermögen von 20 Insassen pro Bus und 700 Verhafteten trat - wie leicht nachzurechnen ist - ein akuter Engpass an Abtransportfahrzeugen auf, weshalb die Einsatzleitung der Polizei zu einer spontanen Notmaßnahme griff: Kurzerhand wurden fünf Busse des New Yorker öffentlichen Nahverkehrsmittelsystems (MTA) abkommandiert. Busse also, die ganz normal unterwegs waren, um ganz normale Leute ganz normal von A nach B zu befördern.

Muss man sich so vorstellen: Man fährt ganz normal, nichts Böses ahnend, in einem öffentlichen Bus, um von A nach B zu kommen; plötzlich kommt eine Lautsprecherdurchsage, und der ahnungslose Beförderungskunde wird aufgefordert, das Fahrzeug zu verlassen, weil dieses zu dringenderen Zwecken gebraucht werde - eben zum Abtransport von verhafteten Demonstranten. "Bitte aussteigen und auf den nächsten Bus warten", hatte es geheißen, und die Busfahrer sahen sich zu außerfahrplanmäßigen Gefangenentransporten genötigt, statt ihrem Job nachzugehen, nämlich ganz normale Leute von A nach B zu transportieren.

Dummerweise hat die NYPD dabei die Rechnung (Zugriff auf öffentliche Transportmittel) ohne den Wirt (TWU Local 100, die Gewerkschaft der NYC Bus- und U-Bahnarbeiter) gemacht. Dummerweise hatte sich nämlich die Gewerkschaft tags zuvor mit #occupywallstreet solidarisiert:
"There's a sense of desperation for working people and working families in the country, that the folks in government just don't get."
- und es hatten sich bereits ein paar Hundert kämpferische Mitglieder der Transit Workers Union 100 unter die Wall-Street-Besetzer gemischt. TWU-Präsident John Samuelsen begründet die Solidarisierungsaktion bei einem Interview in Keith Olbermann's Show:


Samuelsen ist es nun auch, der den spontanen Zugriff der Polizei auf die öffentlichen Busse als einen willkürlichen Übergriff bezeichnet. Mit Folgen: Die eigenmächtige Bus-Konfiszierung seitens NYPD kommt vor Gericht. Wegen "Nötigung" ("forced use") der TWU Local 100's bus driver.
"Our mission is to provide transit service to the riding public, not transport people who were arrested."
Ein klares Jobprofil und ein ebenso klares Zeichen der Solidarität. Schließlich gehört es nicht zum Job der New Yorker Busfahrer, der New Yorker Polizei den Job zu erleichtern. Wäre ja auch grotesk, wenn die Busfahrer die Wall-Street-Besetzer erst politisch unterstützen und sie dann im gleichen Atemzug ins Gefängnis fahren.

Samuelsen scheute sich nicht vor weiteren klaren Worten, als er der NYPD - mit Blick auf Bürgermeister Mike Bloomberg - unterstellte, bei der zweckentfremdeten und daher widerrechtlichen Busnutzung handele es sich eine unverhohlene politische Vergeltungsmaßnahme ("a blatant act of political retaliation"), um nicht zu sagen: einen Racheakt dafür, dass die Gewerkschaft es wagt, Farbe zu bekennen und sich mit #occupywallstreet zu solidarisieren.

Richtig spannend wird es am Mittwoch werden: Die TWU plant einen Protest- und Solidaritätsmarsch in die besetzte Wall Street. Sollten bei dieser Gelegenheit irgendwelche Gewerkschaftsmitglieder von der Polizei verhaftet werden, ist mehr als zweifelhaft, ob ihre busfahrenden Kollegen sie in den Knast fahren werden. Wäre ja noch grotesker.


3 Kommentare:

  1. Normalerweise müsste sowas in jeder Zeitung stehen und jeder müsste schreiben, dass das himmelschreiendes Unrecht, staatliche Willkür, nicht mehr annähernd Demokratie ist. Würde da ja auch genauso stehn, wenn sowas jetzt im Iran passieren würde.

    Manchmal möchte man ja direkt morgens schon die Welt umtauschen.

    Aber dein Blog und die Bewegungen, über die du berichtest, geben doch wenigstens ein bisschen Hoffnung. Hier wird es allerdings sowas wohl nicht geben. Natürlich aus rein ästhetischen Gründen, "occupy Börsenplatz" klingt halt sehr bescheiden...

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  2. also die Gefangenen mussten aus Gründen der Sicherheit schnellstmöglich enfernt werden. Eine Art "Notstand" sozusagen, weiss nicht, welches Gesetzt da Anwendung findet. Ist halt noch alles neu für beide Seiten... aber die drehen das vermutlich so hin. Gab es denn seitens der Regierenden auch positive statements? Interesse? Anteilnahme?

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  3. "Gab es denn seitens der Regierenden auch positive statements? Interesse? Anteilnahme?"

    Mike Bloombergs Statement.

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