Samstag, 9. Juli 2011

Selbstmord in Raten


Es ist noch keine zwei Wochen her, da machte ein unfrohes Wort fröhlich die Runde, wenn es um Griechenland ging. Niemand genierte sich, es auszusprechen, weil es so schön griffig-apokalyptisch zum Ausdruck brachte, dass die über Griechenland verhängten Sparmaßnahmen angeblich alternativlos seien. Das Unwort hieß fiscal suicide*, also: finanzpolitischer Selbstmord, der dem verschuldeten Land drohe, sofern das griechische Parlament nicht mehrheitlich sein Votum für jene von der Troika IMF, EZB und EU geforderten Sparmaßnahmen abgebe.

Inzwischen ist bekanntlich der griechische Haushalt aus der suizidalen Zone gerettet, das Sparpaket beschlossen, die Tränengasindustrie in den schwarzen Zahlen und es geht aufwärts. Merklich aufgehellt hat sich auch die Stimmung auf Seiten der Banker, denn Banker sind schlau und wissen, dass es sich bei dem Parlamentsvotum um ein Bailout für Banken gehandelt hat; alternativlose "Sparmaßnahmen" - das hat sich herumgesprochen - ist nur ein gefälligeres Wort für alternativloses Banken-aus-der-Klemme-hauen. Alternativlos war das Raushauen schon allein deshalb, weil aus dem Fenster springende Banker nun mal keine attraktive Schlagzeile abgeben.

Alles in bester Ordnung also, der IMF schiebt die Kohle rüber, die Banker haben gute Laune, der Haushalt läuft wie geschmiert und überhaupt, alles könnte ein so harmonisches Bild vermitteln, wenn da nicht so ein paar griechische Spassverderber unter den Sparpaket-Empfängern wären, die den Abstimmungsgewinnern, sprich Krisenprofiteuren in die Suppe spucken.

Es ist nämlich so, dass die kriseninduzierte Selbstmordrate in der griechischen Bevölkerung sprunghaft angestiegen ist. Nein, keine Sorge, nicht die armen griechischen Banker haben sich heimlich aus den Fenstern gestürzt - wozu sie ja (bislang) gar keinen Grund hätten - vielmehr beenden immer mehr verarmte griechische Bürger aus Verzweiflung und Perspektivlosigkeit eigenhändig ihr Leben, wie eine soeben veröffentlichte Studie der britischen Cambridge University berichtet.

Bedauernd wird von David Stuckler, dem Studienverantwortlichen, vermerkt:
"Obwohl wir erste Anzeichen einer fiskalischen Erholung aus der Krise erkennen, müssen wir leider eine menschliche Krise zur Kenntnis nehmen."
Ja, das ist in höchstem Maße bedauerlich, wo doch in letzter Minute der fiskalische Selbstmord abgewendet wurde - was müssen die fiskalisch betroffenen Leute sich ausgerechnet jetzt umbringen? Mit einfühlsamen Worten kommt Stuckler zu der Erkenntnis, dass der (vergangenen, verstanden?) Krise nun ein "Rattenschwanz" an menschlichem Leid folgen werde:
"There is likely to be a long tail of human suffering following the downturn."
- eine Formulierung (Hervorhebung von mir), die uns um die Erkenntnis reicher macht, dass es sich bei den Hand an sich legenden griechischen Bürgern eher um ein Ladenhüter-ähnliches Langzeit-Folgeproblem mit Nischencharakter handelt.

Also alles halb so wild, irgendwie. Noch hat keine Studie aufgeschlüsselt, was die bevorzugten Wege ins freigewählte Jenseits sind - Hochhausfenster? Brücken? Hungertod? - aber zu hoffen bleibt, dass auch die griechischen Hersteller von Stricken und Seilen künftig schwarze Zahlen schreiben können, um die fiskalische Selbstmordgefahr endgültig zu bannen.

Tröstlich ist einstweilen, dass der Suizidsoziologe Stuckler den Blick aufs große Ganze nicht verloren hat: Während die Selbstmordrate unter Griechen (übrigens auch unter Iren) im Zuge der Krise markant gestiegen sei, sei die Zahl der (Verkehrs)Unfalltoten im Zuge der Krise relativ und absolut erfreulich gesunken, was ja, wenn ich Stucklers Ausdrucksweise richtig deute, darauf hinweist, dass alles im Lot ist, irgendwie:
"...the higher death rates from suicides appear to be balanced out by the lower fatalities on the roads, which fell substantially."
In anderen Worten (Hervorhebung von mir): Das eine wiegt das andere auf. Der Begriff 'ausbalanciert' wird gemeinhin angewendet auf Konten, Budgets und Bilanzen, und zwar immer dann, wenn jene einen beruhigend ausgeglichenen Eindruck machen. Was will man mehr?

Abschließend ließe sich noch herumsoziologisieren, ob vielleicht die weniger Unfalltoten einerseits die mehr Freitoten andererseits im Verhältnis 1:1 abbilden? Denn mit Sicherheit verdankt sich die stark gesunkene Unfalltotenrate den krisenbedingt gestiegenen Benzinpreisen sowie den krisenbedingt gesunkenen Einkommen der griechischen Bevölkerung, der die Lust am Autofahren gründlich vergangen ist.

Bezüglich der oben erwähnten Selbstmordarten darf also von der erfreulichen Hypothese ausgegangen werden, dass die Zahl der Suizidgeneigten, die mit ihrem Auto mutwillig gegen den nächsten Baum fahren, künftig deutlich sinken wird. Und das ist doch auch schon mal was.


*Der inflationäre Gebrauch des Begriffes fiscal suicide geht zurück auf eine Äußerung des Direktors der Bank of Greece, George Provopoulos gegenüber der Financial Times: "Es wäre ein Verbrechen, wenn das Parlament gegen das Sparpaket stimmen würde - das Land würde für seinen eigenen Selbstmord abstimmen."

2 Kommentare:

  1. Sowas kommt dabei heraus, wenn aus Eitelkeit Gesellschafts- und Wirtschaftslehre mit dem Etikett "exakte Wissenschaft" beklebt werden.

    Mediziner, Soziologen und Wirtschaftler haben es doch für gewöhnlich mit "Menschen oder menschlichem" zu tun. Warum verfallen sie in die

    abstrakte Sprache der Physik zur Deutung menschlicher Verhältnisse? Siehe oben, vielleicht Eitelkeit.
    In der Physik gilt das Gesetz der sogenannten Nachvollziehbarkeit, also jede Theorie, Aussage muß unter gleichen Bedingungen, das selbe

    Ergebnis liefern.
    Dem ist halt in BWL und Soziologie nicht so, deswegen wird dorten wohl auch gerne so herumgesponnen, daß es gar den Kaffeesatzleser

    beeindruckt.
    Gut, daß Du das mal am Beispiel einer Studie aus Cambridge zum Suizid in derFinanzkriese darstellst.
    Der Kerl schreibt so, wie ein Mensch ohne jegliche Spur von Empathie. So ganz banal will er seine "Studie" ja nicht angesehen wissen.
    Daher seine alberne Abstraktion. Aber! Jeder gesunde Mensch weiß, daß in Zeiten größter Not, schweren Elends, Unterdrückung, Nötigung und übelster Gewalt, Suizid, nicht Selbstmord, der Ausdruck ist falsch, Selbsttötung eben alltäglich ist. Leider!
    Über die Fälle von Selbsttötungen im Zuge der Hartz IV Reform gibt es noch keine Erhebungungen. Also hat eine wohl angestiegene Suizidrate in der Bevölkerung nichts mit den "Arbeitsmarktreformen" zu tun, so einfach ist das.

    Aber mal zurück zur genialen Erkenntnis des Herrn Stuckler....

    Mag sein der ist ein neoliberaler Roboter oder Schreibautomat.
    Ich vermute, der ist in ein Loch gefallen, welches er aus Eigenverblendung nicht mehr sehen konnte und wollte. Gegebenenfalls auch gar nicht mehr

    in der Lage dazu war.
    Früher hab ich mich gefragt, warum werden so gänzlich unsinnige, ich meine jetzt nicht banale, Studien veröffentlicht?
    Die Antwort war mir schnell klar, aus Interesse, also die Studie bzw. die Forschungsarbeit war blanke PR, resp. Auftragsarbeit für potente

    Zasterzinser.

    Wirklich wichtig war in den zurückliegende Jahren für mich, ob sie lügen oder ihren eigenen Sermon glauben.

    Sie lügen nicht! Die sind dorten angekommen, in ihrem Ausklang des Spannungsfeldes der gesellschaftlichen Dialektik, vielleicht auch schon

    synthetisiert als "Deppen", jedenfalls dem gesunden Menschenverstand abgewandt.
    Der Witz dabei ist, es handelt sich bei jenen ja nicht um Handarbeiter, sondern um Studierte, schlimmstenfalls gar um Intelektuelle.
    Einer meiner "Bekannten" ist PR-Manager und Schreiber. Er hat's geschafft. Den reichlichen Unsinn den er selbst schreibt, glaubt er nach

    späterer Lektüre seiner eigenen Ergüsse selber. Das ist kein Teufelskreis mehr, das ist der blanke Wahn, aber er hat System.

    Tja...ADO hat recht......es gibt kein richtiges Leben im falschen, auf der Basis dieser Wahrheit genemige ich mir jetzt reichlich Alkoholisches.

    AntwortenLöschen
  2. Hei Mrs. Mop!
    Wieso macht Dein CMS so eigenartige Zeilenumbrüche?
    Gruß
    carlo

    AntwortenLöschen