Die Geschichte ist schnell erzählt:
Ein Mann, 48 Jahre alt, von Beruf Spüler in einer Restaurantküche in St. Petersburg, Florida (USA), fährt am 12. September 2010 nach Beendigung seiner Nachtschicht auf seinem Fahrrad nach Hause, wird von einem unbekannten Autofahrer gestreift und vom Rad geworfen. Das Auto hält nicht an; der Fahrer begeht Fahrerflucht und wurde bis heute nicht identifiziert. Sechs Tage später erliegt Neil Alan Smith seinen schweren Kopfverletzungen, drei Tage vor seinem 49. Geburtstag.
Kurz nachdem der Unfall, die Fahrerflucht und der Tod des Unfallopfers auf der Website der Zeitung St. Petersburg Times gemeldet worden war, besaß ein anonymer Leser die Charaktergröße, den folgenden Kommentar zu posten:
"Ein Mann, der im Alter von 48 Jahren als Spüler bei Crab Shack (Name des Restaurants) arbeitet, ist mit Sicherheit tot besser dran als lebendig."Tough shit, dachte ich beim Lesen. Ob dieser Kommentator sich zu mehr Sensibilität hätte aufschwingen können, wenn der zu Tode gefahrene Spüler erst 38 oder 28 Jahre alt gewesen wäre? Was, wenn der Mann bereits 58 Jahre alt gewesen wäre? Wäre es um ihn dann weniger schade gewesen als um, sagen wir, eine totgefahrene und liegengelassene Katze? Was ist das für ein Mensch, der von seinem Computer aus die Welt wissen lässt, dass ein Niedriglohnjob schlimmer ist als der Tod?
Charakter zeigt sich darin, wie jemand sich verhält, wenn niemand zuschaut (zum Beispiel beim nächtlichen Umfahren eines Radfahrers), oder auch darin, wie jemand anonym kommentiert.
Oder darin, wie jemand reagiert auf Täter, die im Schutze der Anonymität handeln. Gestern hat die St. Petersburg Times (via MetaFilter) Charakter bewiesen: Sie veröffentlichte einen ausführlichen, feinfühligen Nachruf auf den 48-jährigen Spüler Neil Alan Smith, aus dem deutlich hervorgeht, warum es eine Reihe von Menschen gibt, die den Verstorbenen schmerzlich vermissen. Respekt vor dem Autor, vor dem Toten, vor den Hinterbliebenen.
"Etwas Besseres als den Tod findest du überall", sprach der altersschwache Esel, der vom Hof verjagt wurde und auf den alten Hund traf, der fortlief von seinem Herrn, da dieser ihn wegen seiner Schwäche totschlagen wollte; dann der alten Katze begegnete, die wegen ihrer stumpfen Zähne keine Mäuse mehr fangen konnte und darum ersäuft werden sollte; dann dem alten Hahn, der für den Festtagsbraten geschlachtet werden sollte. Und so kam es zum Märchen von den vier Bremer Stadtmusikanten. Wenn sie nicht gestorben sind, überleben sie noch heute.
"Charakter zeigt sich ..."Yep. Tu' ich's für mich oder für die annern? Ich glaube, Dein Beispiel iss so schlimm, das man sagen kann: Weder noch! Da iss noch nich 'mal Stroh in den Köpfen, im Gefühl, im Charackter noch nich 'mal Vakuum - noch weniger!
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