Samstag, 22. August 2009

Wickelvolontariat

Löwenzahnfladen heißt auf Türkisch natürlich nicht Löwenzahnfladen. Sondern Börek. Börek steht für Fladen. Das türkische Wort für Löwenzahn habe ich wieder vergessen, weil ich heute so viel von dem Löwenzahnbörek gegessen habe, dass ich kaum mehr geradeaus denken kann. Allmächtiger, war das köstlich.
Dabei hatte ich anfangs noch befürchtet, ich werde mit einem schnöden Marmeladebrot abgespeist. Als ich nämlich um zwölf bei meiner türkischen Gastgeberin im Schrebergarten eintraf, erwartete mich ein komplett eingedeckter Frühstückstisch. Deutsches Frühstück, wohlgemerkt. In diesem Fall also Weizenmischbrot, Marmelade, Butter und Käse. Das einzig Verdächtige waren die kleinen, runzeligen schwarzen Oliven. Die ich liebe. Am liebsten zu gefülltem Fladen. Nur, wo war der angekündigte Fladen?
Er versteckte sich unter einem Küchentuch. Sonst trockne der Börekteig zu schnell aus, erklärte die Küchenchefin. Offenbar hatte sie erwartet, dass ihr deutscher Gast sich als erstes auf ein deutsches Marmeladebrot stürzen würde.
Sie merkte schnell, dass dem nicht so war, lüpfte das Küchentuch und legte mir den ersten von vielen wohlduftenden Fladen auf den Teller. Hauchdünn der Teig, dennoch stabil und reißfest. Der dünne Fladen wird nämlich mit einer Sahnecreme bestrichen, sodann gewickelt und gefaltet, damit er gut in der Hand liegt und nichts herausläuft.
Auch das will geübt sein: Mein erster Selbstgewickelter lag perfekt auf dem Teller, jedoch keineswegs in der Hand. Egal, es schmeckte. Es schmeckte zehnmal besser als jene Böreks, die es als türkischen Fast Food fertig zu kaufen gibt, und es schmeckte hundertmal besser als jeder sogenannte Deli-Wrap für vier Euro fünfzig. Löwenzahn, Zwiebel, Schafskäse, Butter werden eingebacken in einen Teigfladen; in einem Schuppen steht zu diesem Zweck ein runder, niedriger schwarzer Kanonenofen, der mit Holz befeuert wird.
Gegen 14 Uhr kam die Tochter der Gastgeberin zum Frühstücken. Sie riss sich kleine Stückchen von den ungefüllten Fladen ab, fältelte sie mit einer Hand zurecht, tunkte sie zuerst in eine Schüssel tiefroten Traubensirup und tupfte danach etwas Sahnecreme darauf. Obwohl ich längst pappsatt war, überkam mich beim Zuschauen die Lust auf Süßes und aufs Herumspielen mit dem Fladen.
Das Kräuterweib ging in die Beete, pflückte Nachschub an Tomaten und Gurken, brachte eine Handvoll Löwenzahn und eine Schüssel Kürbiskerne, kochte frischen Tee. Inzwischen wirkte der Frühstückstisch ausgesprochen türkisch. Der Garten irgendwie auch. Hier wuchs alles. Mit bloßem Auge gesehen habe ich Tomaten, Gurken, Zucchini, Paprika, Peperoni, Kürbisse, diverse Krautsorten, Stangenbohnen, Pfirsiche, Weintrauben, Petersilie, Salbei, Minze. Alles ziemlich querbeet, aber mit System.

Das einzig Deutsche waren die winzigen Gartenzwerge an der Decke der Laube; genau genommen handelte es sich um saisonale, nämlich weihnachtswichtelnde Gartenzwerge.
Wie ein ironisches Zitat hing die folkloristische Plastiklichterkette dort oben im dichten Weinlaub, welches wiederum echt war, die schwer herabhängenden Trauben ebenfalls. Manche von ihnen wechselten bereits vom Grün ins Blau. Sobald sie prallgereift sind und blau, werden sie zu Traubensirup verarbeitet.
Auf dem Rückweg aus der riesigen Schrebergartenkolonie kam ich dann an echten Gartenzwergen vorbei:
Der Garten wirkte irgendwie untürkisch.

Ich fuhr mit einem Rucksack voll Löwenzahnbörek, Teigfladen, einem Glas Traubensirup, einem Kürbis, einem Giga-Zucchini sowie einer großen Tüte mit frischem Löwenzahn, Minze und Salbei nach Hause. Heute abend klappte das Rollen, Wickeln und Falten schon ganz gut.

6 Kommentare:

  1. einfach nur cool. neid - aber der gute, nicht der mißgünstige :)!

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  2. übrigens: ich habe schonmal wiesenkapern gegessen [post heißt kommune vegan, bin grad zu faul zum verlinken] - das sind löwenzahnblüten [nicht geöffnet], die mit butter und rohrohrzucker angebraten werden... hmmmmmmm - läcka!

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  3. Stichwort essbare Blüten: Die Kräuterhexe stand gestern vor einer Schale leuchtend orange-gelber Kürbisblüten und bereitete sie fürs Abendessen vor. Die Blüten werden mit einer pikanten Teigmasse gefüllt, oben zugewickelt und dann in Butter angebraten. Geht auch als süße Variante, sagte sie, mit Butter und Zucker.

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  4. ...übrigens genauso orange-gelb wie Ihr Blog ;)!

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  5. :) aber die stichworte hier sind leider '...bereitete sie ... vor.' es kostet meiner auffassung nach immer so viel zeit, die guten und leckeren sachen auszuführen! und da nützt es mir auch nichts, wenn mir jemand in einem kochblog [z.b. dem kuriositätenladen] sagt, daß es 'nur' 20 mins dauert - denn wenn ich nur eine viertelstunde für's essen oder tierischen hunger habe, ist selbst das zu lang. vielleicht sollte ich anfangen, daß als ein hobby zu betrachten. dann investiert man die zeit evtl. leichteren herzens.

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  6. Völlig richtig, es kostet Zeit, und je nach Gericht nicht wenig.
    Hobby...ich weiß nicht - bei der alten Frau wirkte es einfach wie eine Beschäftigung, der sie entspannt nachging, während der sie plauderte und die sie auch mal unterbrach, um was anderes zu erledigen. Klar, bei tierischem Hunger funktioniert die Methode schlecht :).

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