Eines steht fest: Mit leerem Magen kämpft es sich schlecht. Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen, auch und gerade die leibseelische Einheit des Revolutionärs. Da nützen keine politischen "Programme", nach denen jetzt allerorts geschrieen wird, denn ein Zweites steht fest: Vor dem Programm kommt das Essen, sonst geht das Programm auf wackligen Beinen, der Blutzuckerspiegel in den Keller und die Revolution den Bach runter.
Dauercampen in spanischen Großstädten - da kann man nicht mal schnell ein Lagerfeuerchen entfachen und seine Würstchen drüberhalten. Da bedarf es eines situationsgerechten, zielgruppenaffinen Ernährungsplanes: billig, gesund, ausgewogen und vor allem: wohlschmeckend (wir sind in Spanien!). Denn es geht beim Kampf um eine bessere Welt nicht nur um Menschenrechte und Menschenwürde, sondern auch um "das Recht auf eine würdevolle Esskultur" ("Que la dignidad gastronómica también es un derecho,
digo yo.")
Dankenswerterweise hat sich der Food-Blogger Mikel López Itturiaga der prekären Ernährungssituation an der Puerta del Sol in Madrid angenommen. In seinem Blog El Comidista (auf deutsch etwa: der lustvolle Esser) der spanischen Tageszeitung El Pais zaubert Mikel mit viel Humor und unverhohlener Sympathie für die ausgehungerten Indignados (die Empörten) ein paar Rezepte auf den Tisch, die selbst die phlegmatischste Sofakartoffel zu einem glühenden Revolutionär werden lassen.
Mikel nennt seine mundgerechten Tapas liebevoll Comida indignada (deutsch: empörtes Essen) und hat damit die Herzen seiner Leser im Sturm erobert: Es hagelt Liebeserklärungen von Acampadas y Protestas (Campern und Protestlern) an den Autor; viele bedanken sich in ihren Kommentaren mit kulinarischen Gegengaben - einer Flut von bereits straßenerprobten, revolutionstauglichen Rezepten. Nicht nur Spanier, auch Mexikaner, Kolombianer, Puertoricaner, kurzum, der gesamte Latino-Kosmos feiert den Blogger für seine tatkräftige, kreative Beihilfe zum Überleben auf besetzten Plätzen. "Tu eres una máquina, Mikel!", jubelt einer enthusiastisch, was auf deutsch ein ewig seltsam klingen mag, auf spanisch jedoch als Kompliment aus tiefstem Herzen zu verstehen ist, "Du bist ein Gerät, Mikel!"
Mikels Rezepte tragen Namen, die jedem verfressenen Indignado das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Ein paar Kostproben:
Gazpacho de fresas 'yeswecamp'(kalte Gazpachosuppe aus Erdbeeren 'yeswecamp'):"lässt sich gut in Eimern oder Thermoskannen transportieren, vorzügliche Vitaminzufuhr, stärkt die Widerstandskräfte, schützt den Indignado vor dem Dehydrieren"Bocata 'Imaginación al poder'(belegtes Brötchen 'Phantasie an die Macht'):"Ein trockenes Schinken- oder Käsebrötchen ist nicht schlecht, aber mindestens so langweilig wie eine Konferenz von Zapatero und Rajoy, auf der keine Fragen erlaubt sind. Meine Alternative: Brot mit Olivenöl beschmieren, wie es die Entrechteten dieses Landes schon ihr ganzes Leben lang getan haben, Anchovis oder Sardellen drauf, hartgekochtes Ei, Essiggurke und gefüllte Oliven. Und, bitte!, richtiges echtes Brot, denn dies kann in Zeiten von mehligem Kaugummi, geformt zu einer Baguette, bereits als revolutionär bezeichnet werden."Ensalada 'Cristina' de arroz y verduras(gemischter Salat 'Cristina' aus Reis und Gemüse):(Cristina ist eine inzwischen fast legendär gewordene spanische Radiohörerin, die während einer Rundfunksendung Revolutions-schmähenden Inhalts beim Sender angerufen und die Verantwortlichen im Studio zur Schnecke gemacht hat - alles live on air!)"Eine Hommage an diese Heldin der #spanishrevolution, die beim Radiohören aus ihrem Sessel aufgefahren ist und den unerfreulichen Meinungsmachern die Meinung gesagt hat." (Naturgemäß eine ziemlich scharf gewürzte Salatkreation mit Zwiebeln, schwarzem und gemahlenem grünem Pfeffer)
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Land zur Revolution prädestiniert ist; verfügt Spanien doch über die drei wichtigsten Zutaten revolutionären Gelingens: solide verankerte Empörung, ausgeprägter Sinn für Humor und gutes Essen - das magische Rezept, um zu erreichen, was sie erreichen wollen. Weil ich (nicht erst) nach Lektüre von Mikels Blogbeitrag erstens einen Riesenhunger und zweitens ein unüberwindbares Bedürfnis nach Solidaritätsbekundung verspüre, möchte ich an dieser Stelle unbedingt mein kulinarisches Scherflein beitragen:
Ensalada Rebelde
(Rebellions-Salat)
¡Mucho ánimo, indignados!
Demnächst gibt es da vielleicht auch tschechische Knedli "Grüß die Brüder & Schwestern".
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