Mittwoch, 25. Mai 2011

Marginale Importneigung


Sachen gibt's. Kaum hatte ich vorher aufs Knöpfchen gedrückt, um den Beitrag über die Evolution im Callcenterwesen zu veröffentlichen, kam die Revolution zur Tür herein. Vielmehr durchs Telefon. Dieses klingelte, und am anderen Ende meldete sich ein liebenswürdiger Mensch aus einem Callcenter. Ob er mir ein paar Fragen zum Weintrinken stellen dürfe. Weil er liebenswürdig war, stand ich Rede und Antwort. Nach zwei Minuten waren alle Fragen beantwortet.

Weil er liebenswürdig war und mit starkem Akzent sprach, fragte ich ihn nach seiner Herkunft. Tunesien, antwortete er, worauf ich begeistert ins Telefon trompetete: Viva la revolución!, worauf er nicht minder begeistert ausrief: Eh bien, vive la révolution tunésienne!, worauf wir uns eine geschlagene Viertelstunde über die Revolution unterhielten. Höchst angeregt.

Eine halbe Stunde später klingelte wieder das Telefon. Der Tunesier aus dem Callcenter war dran. Ob er mir eine Flasche Wein schenken dürfe, edelsten Chardonnay? Nur zu, antwortete ich, zu welchen Konditionen? Wie sich herausstellte, gehörte zu dem Gratisangebot die Abnahme von sechs Flaschen edelstem Grauburgunder zum (Zitat) "revolutionären Sonderpreis von 44 Euro". Ich sagte, nö danke, kein Geld, außerdem könne ich in der Gastronomie so viel Wein trinken wie ich wolle.

Ach so, meinte er, aber es komme doch bestimmt vor, dass ich mal einen romantischen Abend zu zweit genießen wollte, flankiert von einem edlen Fläschchen? In solchen Fällen, erwiderte ich, würde ich erwarten, dass das edle Fläschchen mitgebracht werde. Ach so, meinte er, "jetzt geb' ich's auf." Worauf wir uns wieder ergiebigeren Themen zuwandten, nämlich - wen wundert's - der Revolution.

Er erzählte, dass er nächste Woche für zwei Monate nach Tunesien fahren und sich riesig darauf freuen würde, weil erstens: Heimat, zweitens: Revolution. Und dass es ihn ärgern würde, dass die deutschen Medien kein Wort über die tunesische Revolution verlören, "dass die so tun, als ob das nur mal so ein Event gewesen sei". Naturgemäß nahm das Gespräch an Fahrt auf, wir redeten über Tunesien, Ägypten, Spanien, Griechenland, und am Ende fragte er, ob er mir aus Tunesien etwas mitbringen könne. Klar, sagte ich, er solle bitte die Revolution mitbringen!

Da lachte der Tunesier und meinte, ja, da sei was dran, Deutschland sei zwar Exportweltmeister, aber die Revolution müsse man nach Deutschland importieren, weil "die Deutschen dafür keine eigenen Produktionsstätten besitzen" und in dieser Beziehung "extrem importabhängig von den Südländern" seien.

Ein wirklich ergiebiges Gespräch.

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