Montag, 23. Mai 2011

Ach, Demokratie!


¡Ay Democrácia!

"Ich mag dich, Demokratie,
weil du irgendwie gar nicht richtig anwesend bist
in deiner parlamentarischen Kostümierung.

Ich mag dich - ich sagte es dir bereits -,
nur manchmal
hätte ich dich gern etwas präsenter
und würde dich gern anfassen, abtasten
und mit ein wenig Phantasie ausstatten.
In letzter Zeit habe ich dich so selten berührt.

Aber gut, nun bist du schon mal da,
was immer noch besser ist,
als wenn du einfach abhauen würdest,
wie in früheren Zeiten.

Ach, deine gewählten Repräsentanten, Demokratie!
Deine Parteigänger und Hofschranzen!
Jeden Tag, der vergeht, machen sie mir weniger Spass,
ihre Sprechblasen machen nur für Rindviecher einen Sinn.
Ich spüre deine Abneigung,
deine Mängel zu beheben,
und das ermüdet mich so.
Ich bin es so leid.

Und wie es mich langweilt,
dir ständig sagen zu müssen:
"Das stand aber nicht im Programm!"
Du rechnest gar nicht mehr damit,
dass ich alle vier Jahre mal bei dir vorbeischaue,
längst teilen wir kein Bett mehr miteinander.
Komm, wir trennen uns auf zivilisierte Weise,
und du, mach' weiter so,
zehre von deinem Ansehen.

Wenn du erkennst,
wie einsilbig ich geworden bin
auf meinem Lebensweg als Staatsbürger,
dann wirst du auch erkennen,
dass dieser Weg
mich deiner Urne nicht näher bringt.

Lass' uns den Abschied nicht noch mehr in die Länge ziehen."

Ein wundervolles Stimmungsbild von dem, was auf Spaniens Straßen geschieht, unterlegt mit dem Song ¡Ay Democrácia! (Ach, Demokratie!) des spanischen Liedermachers und Satirikers Javier Krahe. Er singt ihn wie ein kleines Liebeslied, beiläufig und verspielt im Stil einer fröhlichen Habanera; aber seine Worte sind voller ätzendem Spott gegenüber seiner ehemaligen "Geliebten", der spanischen "Demokratie", wie sie sich ihm heute darstellt. Warum ehemalig? Man hat sich auseinandergelebt, findet Javier Krahe und plädiert für einen Schlusstrich in beiderseitigem Einvernehmen. Ob die beiden Freunde bleiben, darf bezweifelt werden.

Javier Krahe in concert

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