Donnerstag, 11. August 2011

Damn it!


Ah! Endlich geht eine Welle der Empörung durchs Land.

Indignados quer durch die Bevölkerungsschichten beklagen und verdammen auf höchstem moralischem Niveau die Barbarei auf Englands Straßen sowie - mit dieser Barbarei einhergehend - das Ende von Menschlichkeit und Zivilisiertheit. Wer sich den wohlig konsensgeschwängerten Verdammungsritualen nicht anschließt, weil er sie für moralisch-narzisstisches Schaulaufen hält, wird in einem Aufwasch gleich mit verdammt und der amoralischen Barbarei bezichtigt.

Fast jeder scheint sich in diesen Tagen im Verdammungsmodus sauwohl zu fühlen. Fast jeder scheint zu meinen, das Absondern von selbstgefälligen, verurteilenden, über andere (englische Riots) richtenden Gesinnungssprechblasen sei von irgendeiner Relevanz. Mir gelingt es nicht, darin auch nur die geringste Relevanz zu entdecken. Deshalb enthalte ich mich des Verdammens und des Verurteilens jener Gewalt- und Plünderungsaktionen, was mir insofern nicht schwer fällt, als ich gar kein Bedürfnis danach verspüre.

Dagegen ist es mir ein starkes Bedürfnis zu verdammen und zu verurteilen, was an Gewalt- und Plünderungsaktionen großen Stils seit Jahren an der Tagesordnung ist und wogegen sich ein paar Riots in ein paar Stadtteilen über ein paar Tage hinweg ausnehmen wie hirnlose Kinderstreiche.

Wurden wir nicht erst kürzlich erneut Zeuge von ein paar Plünderungsaktionen gigantischen Ausmaßes? Ausgeführt von den mächtigsten, reichsten, respektabelsten und, nun ja, "zivilisiertesten" Eliten dieser Welt? Wer ist denn - nur so als Beispiel - gerade dabei, mit sogenannten Austerity-Bomben ausgewählte Länder (es werden täglich mehr) zu bewerfen; mit anderen Worten: Klassenkampf von oben herab zu führen? Weiß jemand für Austerity eine bessere Übersetzung als Plünderung? Ich nicht.

"Grab 'n' go mentality" heißt es derzeit gern in der englischen Presse, um den Abscheu gegenüber plündernden antisozialen Jugendlichen angemessen zum Ausdruck zu bringen. Hey, grab 'n' go, hallo? Wer hat den Jugendlichen das beigebracht? Vorgelebt? Wer hat ihnen diese Idee in die Hirne gepflanzt seit dem Tag ihrer Geburt? Sind es nicht die Enkelkinder von Thatcher, die Omas ideologisches Gift perfekt verinnerlicht haben? I wonder, don't you? Wer verdammt hier wen? What you reap, is what you sow.

Händeringend wurde in der britischen Tageszeitung Guardian der paralysierte Zustand der westlichen Gesellschaften beklagt. Die Finanzkrise. Der phone-hacking-Skandal. Die "Impotenz" des "demokratisch gewählten Führungspersonals". Und jetzt das: riots on the streets - wildgewordene, plündernde, brandschatzende Horden ohne Sinn und Verstand! - Empörung pur:
"...(who) have no apparent drive beyond the opportunistic desire to steal and get away with it."
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:
"von nichts anderem angetrieben als von dem opportunistischen Wunsch zu stehlen und damit ungestraft davonzukommen".
Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Fällt uns dazu mehr nicht ein? Doch, mir schon: Immerhin haben diese jugendlichen Plünderer keine 17 Milliarden Bailout-Euro geplündert. Oder Dollar. Oder Billionen. Oder noch mehr. Mein' ja nur. Wird man ja wohl noch sagen dürfen.

Womit ich abschließend betonen möchte, dass ich keine Art von Plünderung gutheiße, egal welche. Nur, der Kontrast zwischen dem tödlichen Schweigen, wenn antisoziale Banker im großen Stil plündern, und der geräuschvollen moralisch-empörten Aufwallung, wenn antisoziale Jugendliche ein paar Turnschuhe plündern, der ist schon...wie soll ich sagen? Lehrreich.

13 Kommentare:

  1. Hier sitz ich und nicke beim Lesen vor mich hin.

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  2. @Amike: Frau Mop hat möglicherweise (ganz selten) ein kleines Problemchen mit der korrekten Anwendung des Konjunktivs im Spanischen. Inhaltlich konnte ich ihr immer zustimmen.

    Hier noch etwas zum schmunzeln: "An Open Letter to David Cameron’s Parents"

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  3. @Mrs Mop
    Im Grunde ignorieren die rebellierenden Jugendlichen nur die "offiziellen" Regeln und handeln strikt nach den neoliberalen Grundsätzen: "raffe soviel du kannst, wenn du stark genug bist, tut dir eh keiner was!" Was ich sagen möchte: die Eliten müssten die Chavs am besten verstehen, sie sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.
    Tja, und die Mittelschicht hat jetzt oben und unten nix anderes als Verbrecher. Wird eine lustige Zukunft.

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  4. Stimmt, die arme Mittelschicht... vor lauter Steuernzahlen kann die sich kaum noch die unversicherte Putzfrau zu 10€ die Stunde leisten!
    Geschenkt...

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  5. @Amike
    Ich meinte damit, bald wird das wahre Gesicht der Mittelschicht sichtbar. Das ist kein Geschenk, ehrlich!

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  6. Verzeihung, da hab ich dich wohl falsch gelesen...

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  7. Wat? Geschenke? Steuern?
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    http://www.zeit.de/news/2011-08/steuern-unmut-ueber-steuerabkommen-waechst-11173012

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  8. @Marc
    "Tja, und die Mittelschicht hat jetzt oben und unten nix anderes als Verbrecher."

    Die sie auch noch finanzieren muss, die Verbrecher oben und unten, mit ihren Steuern! Chavs und Banker leben in Saus und Braus auf Kosten der Mittelschicht - da ist ja klar, dass der irgendwann die Gesichtszüge entgleisen. Wird ja von oben und unten ausgenommen wie ein Suppenhuhn.

    Wirklich übelnehmen tut sie das aber nur denen da unten, ah!, macht das Spass, nach den Ungewaschenen zu treten! Und entschädigt auf so herrlich entlastende Weise vom mühseligen Hamsterradfahren auf dem Weg nach oben! Moment, oben? Wo war nochmal oben?

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  9. @Mrs. Mop

    Die wahren Gewinner dieses Irrsinns sind grob geschätzt 0,01 % von unserer Gesellschaft. Sie schaffen es, dass in einer Demokratie alle nach ihrer Pfeife tanzen. Im ernst, das ist schon eine Leistung.
    Wenn die Mittelschicht das Spiel durchschauen würde und sich nur für seine eigenen egoistischen Interessen einsetzen würde, wäre der ganze Spuk vorbei.
    Das würde ich gerne erleben :D

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  10. "Wenn die Mittelschicht das Spiel durchschauen würde und sich nur für seine eigenen egoistischen Interessen einsetzen würde, wäre der ganze Spuk vorbei."
    ---------
    haben sie das nicht getan? Welche Partei ist in der Regierung? Ich hoffe, der Spuk ist bald vorbei!

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  11. @Marc, Kaluptikus
    Die Intelligenzbestie Mittelschicht scheint, was ihre "eigenen egoistischen Interessen" angeht, ziemlich auf dem Schlauch zu stehen, sonst würde sie sich nicht hierzulande von Schwarzgelb und andernorts von der Teaparty gut vertreten fühlen. Weil sie - hüben wie drüben - der (polit)rhetorischen Diffamierung der Unterschicht auf den Leim geht, im treudoofen Glauben, darin seien ihre "eigenen egoistischen Interessen" repräsentiert.

    "Das Spiel durchschauen" (Marc) wird sie vermutlich erst, wenn es größere Erdrutsche von Mittel- nach Unterschicht geben wird und sie merkt, dass nichts auf dieser Welt von Dauer ist - am allerwenigsten die Zugehörigkeit zu einer eigens für sie erfundenen 'Mittelschicht'.

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