Dienstag, 16. August 2011

Blauäugig


Dies ist ein blaues Auge:

Shepard Fairey

Ein blaues Auge holt sich, wer sich aus opportunistischen Gründen zu weit aus dem Fenster hängt, bei den Falschen anbiedert und am Ende sagt, er habe es doch bloß gut gemeint. Wer so blauäugig ist, kann eigentlich froh sein, mit einem blauen Auge davonzukommen. Hat er erst mal diesen Schaden erlitten, braucht er für den Spott nicht zu sorgen; das übernehmen andere:


Kommt uns das zweite Bild irgendwie bekannt vor? Das ist doch, ja, wer war das gleich noch mal, an wen erinnert uns das? Genau, an den hier. Shepard Fairey wurde im Jahr 2008 berühmt und erfolgreich mit seiner zeitgemäßen ikonischen ("punk-kulturellen", hieß das damals) Visualisierung des seinerzeitigen Hoffnungsträgers Obama. Letzterer hatte dem Künstler überschwenglich gedankt für dessen konstruktiven Beitrag zur gelungenen Präsidentschaftswahl-Operation, und der ehemalige Straßenkünstler wurde zu dem, was man mainstream nennt.

Kürzlich segelte Fairey unter ähnlicher Flagge - peace, we believe in - nach Dänemark, wo er sich mit einem künstlerischen mainstream-Manöver eher unbeliebt machte:


Links:
Faireys ornamentale Friedenstaube an der verbliebenen Mauer des 2007 zwangsgeräumten und abgerissenen Jugendkulturzentrums Ungdomshuset im Kopenhagener Jagtvej 69; ein unmissverständlicher Appell an die Jugend Kopenhagens, es doch endlich mal gut sein zu lassen mit dem alten Groll. Die war nämlich sauer, dass ihr Kulturhaus samt Grundstück nach der Räumung von der rechtsgerichteten Stadtverwaltung verkauft worden war an eine rechtsgerichtete christliche Organisation. Nach dem Abriss kam es 2007 zu einem gewaltigen Aufstand (Copenhagen December Riot).

Rechts:
Ganz offenkundig geriet die Friedensmission einigen jungen Kulturhaus-Aktivisten in den falschen Hals: "No peace!" und "Go home, Yankee hipster!" lauteten (via Farbbeutel) die unmissverständlichen Antworten auf Faireys monumentale Versöhnungssymbolik. Damit war der Konflikt auf dem Tisch - peace, we don't believe in.

Zu dem Zeitpunkt hätte Fairey - eingeschnappt, aber ohne Gesichtsverlust, also ohne blaues Auge - sich mit einem ehrenhaften Rückzieher aus der Affäre retten können. Was muss ein 'gemachter Mann' und mainstream-Hipster sich auch an eine ins Mark getroffene Alternativszene ranschmeißen mit der (verdächtig nach Obama klingenden) Botschaft, dass wir ja doch alle Brüder sind, irgendwie oder so?

Jedoch, er zog sich nicht zurück, denn wer einmal mainstream ist, will immer noch mehr mainstream werden. Kennt man ja. Ist wie mit dem Geldverdienen und dem Berühmtwerden. Können den Hals nicht voll kriegen, die Platzhirsche dieser Welt. Apropos Geldverdienen: Bei Faireys Außenfassade handelte es sich um eine Auftragsarbeit der Kopenhagener Stadtverwaltung - derselben Stadtverwaltung, die für Zwangsräumung und Verkauf des Jugendkulturhauses verantwortlich ist -, dotiert mit 250.000 dänischen Kronen. Die muss er sich erst mal verdienen, wird Fairey sich gedacht haben, und machte sich an die Überarbeitung seines verunstalteten Murals:


Links:
Das opportunistische "Peace" wurde opportunistisch übermalt. Kommt nicht so gut, das mit dem peace, in Zeiten sozialer Konflikte, wird Fairey sich gedacht haben, und verpasste stattdessen dem Oeuvre eine trendige Straßenkampfszene, künstlerisch aufgewertet durch ein lichterloh brennendes Auto und einen Polizeihubschrauber.

Rechts:
Hat alles nichts genützt. Auch das aktualisierte Zeitgemälde wurde verwüstet; diesmal mit - sage keiner, Vandalen hätten keinen Sinn für Ironie - grünstichigem Schaum aus einem Feuerlöschgerät, immerhin so punktgenau plaziert, dass die symbolträchtige Zahl "69" (in Kopenhagen eine Chiffre für den Konflikt und Kampf um das Jugendkulturhaus) halb gelöscht erscheint.

Daraufhin war Fairey endgültig eingeschnappt, hatte keine Lust mehr und zog sich - mit beleidigtem Ego, aber immer noch ohne blaues Auge - zurück, und zwar mit den Worten:
"My overall global vision is too great for me to get bogged down in local complexities."
(Meine gesamt-globale Vision ist zu groß für mich, um mich in lokalen Komplexitäten aufreiben zu lassen.)
Ein Statement, das von Größe zeugt. Warum sich in lokales Klein-Klein verheddern, wenn es in Wahrheit ums große Ganze der eigenen Bedeutungshuberei geht?

Folgerichtig wandte sich Fairey den wirklich bedeutenden Dingen im Leben eines großen Weltkünstlers zu, nämlich seiner eben eröffneten Ausstellung mit dem sinnschwangeren Titel "Your Ad Here" ("Werben Sie hier") in einer Kopenhagener Galerie. Die Vernissage soll super gelaufen sein, denn danach ließ sich Fairey auf einer rauschenden After Party in einem Kopenhagener Nachtklub gebührend feiern. Das war letzten Samstag. Und jetzt kommt's.

Beim Verlassen des Nachtklubs wurde Fairey von drei finsteren Gestalten vermöbelt. Drei, wie Fairey behauptet, "jungen linken Anarchisten". Ein gezielter Schwinger hinterließ ein Mordsveilchen auf Faireys linkem - vermutlich auch dies nicht völlig ironiefrei gewählt - Auge; sodann hinterließen die drei Angreifer den Blauäugigen mit dem unfreundlichen Kommentar "Obama illuminati, fuck you, go back to America!"

Auf seiner Website liefert Shepard Fairey ein brettlanges mäkeliges Statement zu dem Vorfall ab. Unter anderem beschwert er sich über die dänischen Medien, die fälschlicherweise berichtet hätten, er habe Auftragskunst im Dienste der Stadtverwaltung - vulgo: kommerzielle Friedens-Propaganda - verrichtet. Stimmt doch gar nicht!, empört sich das Veilchen, schweigt sich allerdings darüber aus, woher die 250.000 Möpse Auftragshonorar stammen. Ebenso vergisst der geschäftstüchtige Macher zu erwähnen, dass er Drucke seines Kopenhagener Murals gewinnbringend verkauft (zu 9o Dollar das Stück). Doch, es lässt sich gut verdienen an Zeiten latenter oder offener sozialer Unruhen!

Nach wie vor zeigt sich der Friedenskünstler unfähig zu begreifen, warum Betroffene sauer reagieren, wenn ein ungelöster, schmorender lokalpolitischer Konflikt weißgewaschen wird, ob mit oder ohne Auftrag. (Etwas ausgewogener berichtet der britische Guardian.) Nur eines - außer dem blauen Auge natürlich - quält den verkannten Ex-Street-Artist, dessen letzter Rest an street credibility wohl endgültig dahin sein dürfte: Wo bleibt, fragt er, der Respekt für seine "street art"? Er habe, so beteuert er, ja nichts gegen Kritik an seiner Kunst, aber wenn schon, dann doch bitte mit "künstlerischen Mitteln", oder?

Foto: Scanpix

Na ja. Die sind halt nicht jedem gegeben, die künstlerischen Mittel, und werden auch nicht jedem dahergelaufenen Graffitimaler von der Stadtverwaltung oder irgend einem dubiosen Sponsor finanziert.

Dafür holt sich der gemeine Graffitimaler auch keine blaues Auge.


Er malt lieber welche.

1 Kommentar:

  1. Chapeau Mrs. Mop! You made my day!
    Ich mußte so lachen, daß mir das Rotweinglas
    über die Tastatur gekippt ist.
    Kein Problem, ich hab ja immer etwa 5 gebrauchte in Reserve, was man so private Vorsorge nennt.
    Tja....da fällt mir nur noch ein:
    "Der Applaus ist der Lohn des Künstlers!"..;-)

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