Samstag, 18. Dezember 2010

Räumungsprozess



So ungefähr sah es draußen vor meiner Balkontür aus bei meiner Rückkehr von den sieben verschneiten Bergen. Leider Gottes ohne den wärmenden Inhalt.

Dazu muss man wissen, dass ich im Dachgeschoss wohne in einer sehr kleinen Wohnung mit einem sehr großen Balkon. Dieser sehr große Balkon ist an keiner Stelle überdacht, was im Sommer seine Reize hat, im Winter jedoch seine Last mit sich bringt. Eine gewaltige Schneelast nämlich. Kommt der Wind (wie vorgestern abend) aus Sibirien, also von Osten, schneit und weht und presst es die weiße Pracht direkt in die Nische vor der Balkontür. Dort bleibt sie stehen, baut sich auf und wartet heimtückisch darauf, dass ich den gleichen Fehler begehe wie neulich, als ich schlaftrunken die Tür von innen aufriss und einem lawinösen Schneetsunami Einlass gewährte.

Passiert mir kein zweites Mal. Diesmal habe ich die Balkontür supersensibel (Erschütterungen verschlimmern die Lawinengefahr, weiß jeder) nur einen Spaltbreit geöffnet, einen Besen durchgequetscht, mit dem Besen das Schneemonster von oben nach unten weggeschubst, dabei mit dem Knie die Balkontür am weiteren Öffnen gehindert, so dass schließlich aller Schnee - draußen! - am Boden lag und die Tür wieder frei war. Ist mir wirklich gut gelungen, so weit.

Doch dann erhob sich die Frage aller Fragen: Wohin mit dem ganzen Schnee? Auf so einem unbedachten Großbalkon bleibt ja einiges liegen, und was einen im abgehobenen Mittelgebirge in meditative Ruhe versenken kann, verursacht auf dem heimischen Balkon eher klaustrophobe Zustände. Weil, man sieht ja überhaupt nichts mehr vor lauter Schnee. So stand ich also da, räumwillig mit der Schneeschippe im Anschlag, und war ratlos.

Ratsuchend rief ich bei der Hausverwaltung an: Wohin mit dem ganzen Schnee? Offenbar war ich an einen Sachbearbeiter geraten, dem die Ausmaße meines Balkons sowie der dort befindlichen Schneemassen unbekannt waren und der meine Anfrage auf die humorig-lässige Schulter nahm, er sagte nämlich: "Bauen Sie doch einen schönen Schneemann!" Er hörte mich nach Luft schnappen und setzte gutgelaunt hinterher: "Oder wie wär's mit Ebay?" Mir verschlug es die Sprache, worauf er den pragmatischen Gang einschaltete und mir allen Ernstes riet: "Warum geben Sie den Schnee nicht einfach in die Badewanne?" Hat man Töne?

Ich rang nach Fassung und antwortete ihm, ich wisse ja nicht, wieviele Badewannen er bei sich zuhause habe, ich jedenfalls hätte nur eine, und ob er vielleicht mal so 20, 30 Badewannen hier vorbeibringen könnte? Da begann es allmählich bei ihm zu dämmern, dass die Mieterin im Dachgeschoss wohl vor einem veritablen Problem steht. Er versprach, Rücksprache zu halten "mit jemandem, der sich da besser auskennt als ich" und sich dann - wie heißt es immer so beunruhigend? - wieder bei mir zu melden.

Da man ja nie weiß, wieviele Schaltjahre so eine versprochene Rückmeldung dauert und mir an einem raumangstfreien Wochenende gelegen war, schritt ich zur Tat. Natürlich wäre es am einfachsten gewesen, die paar Tonnen Schnee mit der Schippe zum Balkon runterzuschmeißen; nur, an dessen Längsseite führt unten ein Gehweg vorbei, und Schneeabwurf auf Gehweg geht mal gar nicht, versteht sich von selbst. Schon gar nicht aus dem vierten Stock. Ich inspizierte die Schmalseite: Unten befindet sich eine Spielwiese, auf der gerade ein paar Kinder im Schnee tollten. Lieber wäre es mir ohne Kinder gewesen, aber man kann es sich halt nicht immer aussuchen. Es folgte eine lautstarke Lagebesprechung von oben mit den Knirpsen unten, mit dem Ziel einer gefahrfreien Balkonräumung.

Was soll ich sagen? Kinder können unglaublich vernünftig reagieren, wenn sie das, worum es geht, verstehen. Sie hielten respektvolle Distanz zu der Abwurfstelle, brüllten jedesmal, wenn die beladene Schneeschippe über der Balkonbrüstung zu sehen war: "Und freiii!", brüllten noch lauter und mit wachsender Begeisterung: "Uaaah!", sobald eine Ladung mit dumpfem Pflu-hummmpf unten im tiefen Schnee landete, schirmten sogar den Tatort weiträumig ab (in Windeseile hatte sich die Operation Pflu-hummmpf bei den Nachbarskindern herumgesprochen und fand regen Zulauf), alles wurde gut und mein Balkon frei.

Die zuallerletzt abgeworfene Ladung bestand aus einer Schokoladenbombe, nämlich lauter kleinen Schokonikoläusen, die ich von der Anstalts-Weihnachtsfeier mitgebracht hatte und nun endlich einer pädagogisch sinnvollen Verwendung zuführen konnte. Kamen alle heil unten an, lebten aber nicht mehr lange.

Vor einer Stunde habe ich zur Balkonbrüstung (Schmalseite) hinabgeschaut: Da stehen jetzt lauter Schneemänner, große, kleine, dicke, krumme. Interessanterweise stehen die Schneemänner nicht einfach irgendwie so herum, sondern fein säuberlich im Kreis angeordnet, die Kreismitte wurde freigelassen. Fast wie Feuerwehrleute, die ein rundes Sprungtuch halten.
Schon irre. Kinder halt.

5 Kommentare:

  1. So ähnlich sah das bei uns in den letzten Wochen (!) auch aus. Aber das ist natürlich schlau gelöst!

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  2. Willkommen zurück im Flachland! Ist es nicht erschreckend, wie sehr sich unser Verhältnis zum Winter von den äußeren Umständen beeinflussen lässt? "Aufm Land" können selbst wir "Städter" die schönen Seiten dieser Jahreszeit genießen, in der Stadt gehts ja eigentlich nur darum, den weißen Mist schnellstmöglich los zu werden...Schade eigentlich! Find ich aber sehr sympathisch, dass du nicht nur über den Schnee fluchst, sondern kreative (und kinderfreundliche) Lösungen findest ;-)

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  3. Na ja...einerseits hast du schon recht mit der Stadt-Land-'Doppelmoral' in puncto Schnee. Andererseits, Stichwort "erschreckend" - für mich fühlt es sich tatsächlich erschreckend an, wenn sich vor der Tür eine Schneewand aufbaut, mir die Sicht nimmt und mich nicht mehr ins Freie rauslässt.

    Ich denke allerdings intensiv drüber nach, wie sich die Schneemassen (schon wieder alles voll, Neuschnee heute nacht!) energiekostensenkend zweitverwerten lassen => Kühlschrank ausschalten, alles raus schaffen. Cool, oder?

    Ist ja schon kurios, da zahlt man einen Haufen Energiegeld für eine warme Wohnung und dann noch mal einen Haufen Energiegeld, um in der warmen Wohnung gekühlte Getränke u.ä. bereit zu halten...;)

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  4. Dass dir beim Anblick der Schneewand der Atem stockt, kann ich nach deinem frühmorgendlichen Trauma durchaus verstehen... Bau dir doch einfach einen dicken Balkonschneemann. Zusätzlich ist der Kühleffekt wirklich nicht zu vernachlässigen, bei meinen Eltern gibts im Winter auch immer den "großen Kühlschrank" aka Balkon...anders könnten die Massen auch gar nicht gelagert werden, die wir vernichten ;-)
    Blöd nur, wenn es über Nacht ganz plötzlich taut...

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  5. Jetzt kommst du auch schon und rätst mir zum Bau eines Balkonschneemannes - steckst du mit meinem Hausverwalter unter einer Decke ;)?

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