Samstag, 2. Oktober 2010

Unterstützung


Es gibt Dinge, die gehören sich einfach nicht. Die man nicht macht, einfach weil man sie nicht macht. Und dann macht man sie trotzdem. Und dann geht es einem besser, weil man sie gemacht hat, statt sie zu unterlassen, wie es sich gehört hätte. Gut geht es mir deshalb noch lange nicht, aber tausendmal besser, als wenn ich geschwiegen hätte.

Natürlich gehört es sich nicht, sich in fremde Gespräche einzumischen; wie es ja eh ungehörig ist, fremden Gesprächen überhaupt zu lauschen. Was geht mich der Mist an, den andere Leute sich erzählen? Wenn also am Nebentisch Unsinn verzapft wird, ist das die Sache des Nebentisches und nicht meine. Selbst dann, wenn der Nebentisch nur um Haaresbreite von dem Tisch entfernt ist, an dem ich sitze, mir gegenüber ein netter Mensch, der mich zum Frühstücken eingeladen hat.

Mein Rührei erkaltete, als ich hörte, wie die beiden Frauen am Nebentisch sich über ihr Dienstpersonal austauschten: Putzfrauen aus Osteuropa, dienstbereit, gewissenhaft, fleißig und so preiswert, "dass man es sich ohne schlechtes Gewissen leisten kann". Das Rührei zitterte auf der Gabel. Ohne schlechtes Gewissen? Wem gegenüber? Dem eigenen Geldbeutel? Wie preiswert? Sechs Euro die Stunde. Bei zweimal drei Stunden die Woche. Kann man sich echt leisten. Weil, mehr verlangen die nicht. Die sind froh über das Geld, ja "dankbar für jeden Cent, den sie bekommen" und bringen ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, indem sie "auch mal 'ne halbe Stunde länger arbeiten, wenn es sein muss, und dafür kein Geld zusätzlich wollen". Ganz tolle Putzfrauen seien das. Halt ohne Papiere. Aber gerade deshalb sei es ja so wichtig, dass man sie unterstütze, denn die ohne Papiere seien ja besonders arm dran.

"Wie, unterstützen - mit sechs Euro die Stunde?", zischte ich quer über den Tisch. Das Rührei plumpste von der Gabel, der nette Mensch warf mir beschwörende Blicke zu, die Herrschaften am Nebentisch schauten indigniert. War mir alles egal. Wer voller Stolz durchs Lokal trompetet, wie gut er sich dabei fühlt, menschliche Arbeitskraft auszubeuten, weil er sich diese Arbeitskraft anders als ausbeuterisch gar nicht leisten könnte, der hat es nicht besser verdient. Sechs Euro die Stunde, wiederholte ich kopfschüttelnd, diesmal an das Rührei gerichtet, während ich es auf dem Teller zusammenkratzte.

"Ich bitte Sie", fing sich die eine Herrschaft, "sechs Euro ist für diese Menschen viel Geld!" Die andere Herrschaft nickte: "Eben - Sie dürfen das nicht mit deutschen Maßstäben messen." Ich maß es aber mit deutschen Maßstäben, verriet jedoch nicht, wieso.

"Außerdem", kam es vom Nebentisch, "sind das eh Jobs, die kein Deutscher machen würde." Die deutsche Putzfrau erstarrte. Der nette Mensch trat unterm Tisch sanft gegen mein Schienbein. Half nichts. Dem Rührei war auch nicht mehr zu helfen. "Sie meinen Jobs, die kein Deutscher für einen Sklavenlohn machen würde?", fragte ich interessiert. "Was heißt denn Sklavenlohn", antwortete der Nebentisch, "immer noch besser als beim Amt die Hand aufzuhalten und den Staat zu plündern..." Klare Ansage. "...oder kennen Sie etwa eine deutsche Putzfrau?" Na klar, meinte der nette Mensch, manchmal gehe er sogar mit einer deutschen Putzfrau frühstücken.

Irritiert schaute der Nebentisch von ihm zu mir und wieder zu ihm und wieder zu mir. "Wie, Sie gehen mit Ihrer Putzfrau frühstücken?", fragten die Herrschaften ungläubig. Nein, wo denken Sie hin, antwortete der nette Mensch, "das ist doch nicht meine Putzfrau." Jetzt verstand der Nebentisch gar nichts mehr, sagte aber trotzdem zu mir "Ach so, Entschuldigung" und wollte dann wissen, wieviel der nette Mensch denn so seiner Putzfrau bezahle.

Er habe keine Putzfrau, gab der nette Mensch zurück, das könne er sich nicht leisten. Weil, fuhr er fort, eine Putzfrau käme für ihn nur in Frage, wenn er diese auch ordentlich bezahlen könne, und weil er sich das nicht leisten könne, verzichte er eben auf eine Putzfrau und putze seinen Dreck in Gottes Namen selbst weg. Dafür könne er es sich von dem so gesparten Geld leisten, hin und wieder eine nette deutsche Putzfrau zum Frühstücken einzuladen.

Irgendwie hat das den Nebentisch überfordert. Er verstummte und schien peinlich berührt zu sein, ohne genau zu wissen, warum. Ziemlich bald brachen dann die Herrschaften auf, nachdem sie die Rechnung hatten kommen lassen und die Summe von 28,90 Euro großzügig auf 30 Euro aufgerundet hatten. Auch für ein angemessenes Trinkgeld gilt, dass man es sich leisten können muss - wenn nicht, dann eben nicht.

Als die Herrschaften weg, die Luft wieder rein und das Rührei kalt waren, gab der nette Mensch eine Runde Federweißen aus, und dann noch eine, und dann noch eine. "Was glaubst du, wie froh ich bin, keine Putzfrau zu haben", seufzte er genießerisch, "sonst könnte ich mir das gar nicht leisten." Wir hoben die Gläser.

5 Kommentare:

  1. Ja...ja, keine Lust, selbst zu putzen und auch keine Lust, demjenigen, der bereit ist, es zu tun, durch angemessene Bezahlung zu danken, statt froh zu sein, dass man die so wenig geliebte Arbeit nicht selbst machen muss. Was sind das für lustlose Menschen? Gehören sie etwa auch zu der Gattung, die bedauernd auf "geistig verkümmernde Nur-Hausfrauen" herabsehen? Nicht ahnend, wieviel Spaß es machen kann,ohne Chef vor der Nase seinen Job zu machen. Am Besten mit guter Musik im Hintergrund und durch die Arbeit tanzend, den Staubwedel im Rhythmus schwingend...Oder beim Kochen feststellen, dass beim Umrühren der vor sich hinbrodelnden Mahlzeit ein Rhythmus entsteht und plötzlich findet man sich wieder, wie man mit Holzlöffel in der einen Hand, Topfdeckel in der anderen, ein kleines Percussion-Konzert gibt...
    Da überkommt auch mich die Lustlosigkeit, die Lustlosigkeit, o.g. Spezies auch nur einen Moment zu bedauern, obwohl es das Einzige ist, was mir zu ihnen einfallen sollte...

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  2. Was das für Menschen sind? Das sind Menschen, die halten sich für smarte Kleinstunternehmer, weil sie sich eine billige illegale Haushaltshilfe eingekauft haben, brüsten sich lauthals damit und schaffen es noch, den sozialen Wohltäter raushängen zu lassen ("...unterstützen").

    "...Staubwedel im Rhythmus schwingend..." etc. - klingt nicht schlecht. Wird der Job denn auch ordentlich bezahlt ;)?

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  3. Keine Diskussion: Arbeitszeit iss Lebenszeit, 1 Stunde Lebenszeit kann nich das Äquivalent für sechs Euro sein!

    Passt imho gut zu Deiner Märchenstunde über den Todfahrer und die ach so ehrliche Meinung aus dem Vakuum!

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  4. Das hast du nicht wirklich erlebt, oder? Maaan, haben die denn gar kein Hirn im Kopf und keinen Funken Anstand im Leib?! Unsere Putzfrau hier ist auch recht preiswert, wie ich finde. Macht ihren Job aber sehr gut und verdient eigentlich nix dabei. Chef sollte da mal was machen, finde ich.

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  5. @Vogel
    "Keine Diskussion"? Guter Witz. Tatsächlich wird im Niedriglohnsektor weder lange gefackelt noch groß diskutiert. Friss, Vogel (scusi!), oder stirb, heißt da die Devise.

    @Mary Malloy
    Doch, die hatten durchaus einiges Hirn im Kopf, es waren unzweifelhaft Damen aus dem gehobenen Bildungsbürgertum gewesen. Was lernen wir? Gebildet und unanständig muss sich keineswegs ausschließen.

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