Nein, Holyoke ist kein Gospel-Karaoke.
Holyoke ist ein heruntergewirtschafteter Vorort der ebenfalls heruntergewirtschafteten Stadt Springfield in Massachusetts, Amerika. Heruntergewirtschaftet im doppelten Sinne: Wie überall im Land hat auch in Holyoke die Wirtschaftskrise ihre Spuren hinterlassen - ausgestorbene Innenstadt, steigende Kriminalität, hochgeklappte Bürgersteige und Bürger, die sich abends lieber zuhause verschanzen als in eines der wenigen verbliebenen Restaurants essen zu gehen. Weil ihnen das Reservieren zwei Monate im voraus auf den Wecker geht. Oder weil es ihnen zu teuer ist. Mit anderen Worten, auch die gastronomische Bewirtschaftung scheint in Holyoke auf den Hund gekommen zu sein.
Und was tun die Bürger von Holyoke? Sie klappen einfach die Bürgersteige wieder runter. Sie packen Geschirr, Stühle, Tische, sogar Tischtücher ins Auto, suchen sich ein nettes öffentliches Plätzchen und fangen dort an zu tafeln. Es handelt sich um keine Party, keine Clique, keinen Insiderclub; jeder ist willkommen, sofern er etwas zu essen und eine Sitzgelegenheit mitbringt.
Sie nennen es "Bring Your Own Restaurant!" (BYOR) und bringen damit Leben in die öffentliche Tristesse von downtown Holyoke. Jeden zweiten Freitagabend suchen sie sich eine verhältnismäßig abgefahrene Location - eine Tankstelle außer Betrieb oder eine stillgelegte Fahrspur auf einer Brücke. Informiert wird übers Internet. Wer will, zieht sich schick an oder lässt es bleiben, "Dress to impress or dress to de-stress".
Überhaupt legt das Open-Air-Bürgerrestaurant Wert auf stressfreie Partizipation: "No reservations". Einfach vorbeikommen. Es ist Platz für alle* da. Stuhl nicht vergessen.
*großklicken!
Sowas könnte ich mir in der Dresdner Neustadt auch gut vorstellen! Cool!
AntwortenLöschenEinfach nur Klasse.Schön, mal etwas positives aus den USA zu hören,die sonstigen Nachrichten(die echten, nicht die aus dem TV ;-)) machen mir langsam wirklich Angst(ob es die Tea Party ist, oder diverse "Gestalten" die mit Hilfe von Millionen an die Macht wollen...)
AntwortenLöschenLiebe Mrs Mop, toller Text - wie immer!
AntwortenLöschenJa, das ist wirklich das Tafel-Prinzip einmal anders. Nämlich nicht als Ausdruck des Suppenküchenstaates, sondern als geselliges Miteinander, das offenbar die Misere zumindest temporär aufhebt. Hut ab!
Würde man sich hierzulande auch wünschen.
Herzlich, Elke
@Mary Malloy
AntwortenLöschenNa ja, wobei die Dresdner Neustadt ja ein Szeneviertel ist, wenn ich richtig informiert bin, oder? Die Bewohner würden so was wohl eher lifestylemäßig und mit Designerpicknickkörben betreiben, weniger aus einem krisenbedingten Notstand heraus.
@Amato (wie kriege ich denn diesen Schnörkel aufs O?)
Genau ;).
@Elke
Danke!
Inzwischen wird der Begriff 'Tafel' in der Öffentlichkeit ja praktisch nur noch in seiner Bedeutung als "Suppenküchenstaat" wahrgenommen - das Wort ist irgendwie kontaminiert. Ans gemeinsame Tafeln denkt dabei kaum einer mehr. Mich stört das.
"Würde man sich hierzulande auch wünschen": Es ist ja die Not, die erfinderisch macht. Kommt alles noch, bin ich überzeugt.