Montag, 11. Oktober 2010

Im Unterleib der Gesellschaft


Im Unterleib der Gesellschaft.

Wo soll das denn bitte sein? Da, wo sich fortgepflanzt wird? Oder wo verdaut wird? Oder ausgeschieden wird? Doch nicht etwa da, wo Lust empfunden wird? Auf jeden Fall irgendwo da unten, wo die Säfte walten und es bekanntlich animalischer zugeht als im Rest des vollaufgeklärten Organismus. Im Unterleib der Gesellschaft. Wo die Metapher zuschlägt, wächst kein Hirn nach. Fast ist man geneigt, sich auf eine deftige Reportage über die Bordellkultur unserer Gesellschaft zu freuen. Doch weit gefehlt.

Den Unterleib im gegebenen metaphorischen Kontext hat man sich nämlich nicht als Zentrum von Fruchtbarkeit und Freude vorzustellen, vielmehr - im Gegenteil - als Epizentrum der Freudlosigkeit. Gesellschaftlicher Unterleib, das ist Hauptschulabschluss mit Niedriglohn. Sagt ein Professor in der Sonntags-TAZ (*). Ich wünschte, er könnte mir sagen, wo das Hirn der Gesellschaft steckt und - dringlicher - ob jenes überhaupt noch richtig tickt? Auch über den Verbleib des Herzens der Gesellschaft wüsste ich gern Näheres. Und wo wir schon dabei sind: Wenn die Unterschicht den Unterleib bewohnt, in welchem mittleren Segment hat sich dann die Mittelschicht angesiedelt? Sollte der Professor jetzt behaupten: im Zwerchfellbereich, dann lache ich mich tot.

Allerdings hat er das mit dem Unterleib nur in einem Nebensatz gesagt; eigentlich ging es ihm um die Partei Die Grünen - deren aktuelle Sympathiewerte sollten nicht darüber hinweg täuschen, dass die Partei bei denen ganz unten eher unbeliebt sei:
"Denn die Grünen sind nicht im Unterleib der Gesellschaft präsent, bei denen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und schlecht bezahlten Jobs."
Da hat er, rein empirisch gesehen, durchaus recht. Denn sofern man den Hintern anatomisch zum Unterleib zählt, bin ich mit einer Pobacke (=schlecht bezahlte Jobs) Teil der gesellschaftlichen Kiste und kann bestätigen, dass die Grünen 'da unten' tatsächlich nicht besonders gut ankommen. Was ja wiederum ganz im Sinne der Grünen ist, wenn man so will.

Aber egal. Mir geht's ja nicht um das Oberwasser der Grünen, sondern um den Unterleib der Gesellschaft. Um dieses Wort. Diese Terminologie. Für einen Moment bin ich versucht, den assoziativen Faden weiterzuspinnen und dem Unterleib zu raten, sich warm anzuziehen; Blasenschwäche wäre wirklich das Letzte, was man ihm in Zeiten wie diesen wünscht.

Gleiches könnte man natürlich dem Gesamtorganismus zurufen: Geh' pfleglich mit deinem Unterleib um, sonst könnte es der Gesellschaft den Beckenboden unter den Füßen wegziehen.


(*) Leider nur in der gedruckten Sonntags-TAZ. Die "Sonntaz-Frage" lautete "Ist Deutschland jetzt grün?". Zu denen, die verneinten, gehörte der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer (der mit dem Unterleib).

4 Kommentare:

  1. Ach, Herrje. Die taz und die Grünen, und das auch noch in einem wissenschaftlichen Kontext. Ja, da ist Hopfen und Malz lange verloren, und es bringt auch nichts, sich über eine missglückte professorale Metapher zu mockieren ... dem Mann geht es nicht um den Unterleib, auch nicht um Lust, um Ausscheidungen oder Verdauungsfragen - sondern einzig darum, wie Du auch schon richtig bemerkst, dass die Grünen im neoliberalen Reigen längst mitmischen und von den üblichen Verdächtigen der rot-schwarz-gelben Bande längst nicht mehr zu unterscheiden sind.

    Die taz - das Sprachrohr dieser Öko-FDP - kann ja schon genauso lange nicht mehr ernst genommen werden. Wenn wir im Sprachbild des Herrm Neugebauer bleiben wollen, können wir getrost feststellen: Die Grünen sind die Rosette des FDP-Enddarms, der die braunen Rückstände der Wirtschaft in die soziale Mitte der Gesellschaft entlässt.

    Und die taz nennt das dann "links". Ich möchte in diesem Bild bleiben und darf mich geflissentlich über diese Groteske erbrechen. Man verstehe das als einen Kommentar des Oberleibes - das Gehirn ist ja schließlich nicht so arg weit vom Mund entfernt.

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  2. ...das war jetzt aber arg naturalistisch ;).

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  3. Ach was, das sind bloß naturalistische Metaphern - gleichsam der locus amoenus der heutigen Zeit.

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  4. Echt jetzt? Da erübrigt sich ja glatt die Konstruktion eines locus terribilis der Gegenwart.

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