Mir ist heute schon den ganzen Tag so zebramäßig zumute. So mal so, mal so. Also ziemlich kontrastreich, ständig vom Hellen ins Dunkle wechselnd und dann wieder retour. Manchmal sind das Helle und das Dunkle sogar gleichzeitig da, was mich irgendwie verwirrt. Weil, wie kann das gehen, entweder es ist dunkel oder es ist hell, beides zusammen kann ja gar nicht, aber offensichtlich doch. Wie die Existenz des Zebras beweist.
Anders kann ich mir nicht erklären, wieso mich ein kleiner Film derart in Bann gezogen hat, dass ich ihn seit heute früh bestimmt schon an die zehn Mal angeschaut habe. So: Trägst du mal den Müll runter, aber vorher guckst du nochmal schnell das Video. Oder so: Klingelt das Telefon, während du zum schätzungsweise siebten Mal das Video anschaust, und du denkst, lass klingeln, erst musst du zu Ende gucken. Ja doch, zum siebten Mal. Beim achten Mal dachte ich, komisch, wieso bist du nur so junkiehaft drauf, dass du den Finger nicht von der Replay-Taste weg kriegst? Tja. Antwort: Das Zebra-Syndrom.
Das Zebrahaus heißt so, weil in diesem Haus alles zebra ist. Alles. Konsequent bis ins letzte Detail. Sogar die Sauna namens 'Kenia', die einen Zebra-Pool beherbergt samt Zebrapolstern auf den Saunaliegen und wahrscheinlich zebragestreifter Seife aus dem zebragestreiften Seifenspender. Nein, wohnen möchte ich in dem Zebrahaus nicht; man ist ja nicht aller Tage in Zebrastimmung - wäre ja noch schöner, oder vielmehr schlimmer -, aber zauberhaft ist das Haus trotzdem. Mich bezaubert, wenn ein Mensch seinen persönlichen Vorlieben hemmungslos freien Lauf lässt und dabei zu einer ganz eigenen Gestalt und Formsprache findet. Und sich einen Teufel drum schert, ob sein Umfeld ihn schrullig oder genial findet.
Nun ist das Zebrahaus das eine, der Film darüber das andere. Das Zebrahaus steht nämlich nicht in Afrika, sondern im allerhintersten Winkel des Schweizer Emmentals. Dort herrscht tiefster Winter. Die hügelige Landschaft ist schneevermummt, überall liegen fette weiße Polster, auch auf dem Dach des Zebrahauses. Aus den weißen Polstern ragen schwarz und markant Kirchtürme, Schlote, mächtige Tannen und kahle Bäume. Zebrahaus vor Schweizer Zebra-Winterlandschaft, an einem sonnigen Wintertag gefilmt unter einem Himmel, wie er blauer in Afrika nicht sein könnte.
Nichts ist drinnen, nicht ist draußen,
Denn was innen, das ist außen,
was von Goethe, fast möchte ich es beschwören, auf diesen Film gemünzt war. Gedreht hat ihn der
Bugsierer aka Christian Röthlisberger. Er muss von einer ähnlichen Liebe zum gestalterischen Detail besessen sein wie der Zebrahausbauer Erich Fankhauser: Dort, wo sich Drinnen und Draußen berühren - also an den Fenstern des Hauses - ruht sich die Kamera kurz auf den beschlagenen Scheiben mit den hellen Gardinen aus, die mit ihren dunklen Schattenwürfen das winterliche Schwarzweiß ebenso einfangen wie das helldunkle Interieur. Meisterhaft. Der Blick auf die schwarzweißgetupften Außenwände und Gehwege vor dem Haus ist grade lang genug, um den Zuschauer zu verwirren, aber zu kurz, als dass jener klar erkennen könnte: Sind das jetzt echte Fußabdrücke im Schnee von braven Menschen und wilden Tieren, oder gehören die Tupfen zum Zebra-Look? (Gut, beim fünften, sechsten Anschauen wird's klarer, aber dieses zauberhafte Verwirrtsein bleibt.)
Seine starke Sogkraft entwickelt das Video aus der Musik: zwei Akkordeonstücke, zwei grundverschiedene Stimmungen. Das Zebra-Prinzip eben.
Zuerst spielt
Richard Galliano verhangen-verträumt die
Gnossienne No. 1 von Erik Satie; ein wenig müde schleppt sich sein Instrument dahin, schwer atmend (oder ist es der kalte Wind?), sich manchmal an der Nähe zum Tango verschluckend, hier und da dunkel im Moll hängen bleibend.
Dann hüpft
Michel Besson wild drauflos. Alle Wehmut ist wie weggeatmet. Sein 'Örgeli', wie die Schweizer dieses Verzauberungsinstrument nennen, schnauft und tanzt und will sich kaum bändigen lassen, schnappt nach Luft, überspringt mal eine Note, um sich schräg auf die nächste draufzusetzen, und man erfährt, dass der Zebrahausbesitzer ein virtuoser Akkordeonspieler und -bauer war, der sein Örgeli auch mal im Sitzen hinter den eigenen Knien gespielt hat, vor lauter Übermut.
Jetzt lass' ich mich zum elften Mal verzaubern.