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Mittwoch, 26. Dezember 2012

Hast du Eier oder was


Es liegt was in der Luft. Was ist das bloß?

Zwar weihnachtet es aus allen Rohren, aber irgend etwas stimmt da nicht. Die Tage beginnen mit lärmendem Vogelgezwitscher, fröhlichem Hundegebell und hyperaktivem Insektengebrumme, erst gestern hat mich ein Krokus geküsst, die Sonne scheint unbekümmert zum Fenster rein, so dass es offen steht, linde Lüfte hereinwehen und ich - ohne Socken - auf dem Sofa lümmele, in milder (für die Jahreszeit zu milder) Stimmung Jahresendzeitfiguren aus Schokolade verzehre und anfange zu halluzinieren: Sind das am Ende gar die Ohren eines Schokohasen, in die ich beiße?

Ein Blick in die Schütten des globalen Einzelhandels lehrt mich, dass alles ganz normal, nämlich im frühlingsgrünen Bereich ist und ich mir keine Sorgen machen muss: Pünktlich zum 2. Dezember 2012 wurden die ersten Schokoladenostereier feilgeboten, unter dem Slogan:

"Die Eier sind da!
Der Frühling liegt in der Luft"


- und weil im durchgeknallten Kapitalismus der Frühling nun mal im Dezember in der Luft liegt, haben durchgeknallte Einzelhändler auch die Eier, synchron zur vorzeitigen Ostereierausschüttung festliche Weiße-Weihnachts-Musik vom Band abzunudeln, welchem Band?
Na, von jenem:

's Christkind lässt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte.

Wie, was flattert wann? Na, zu Ostern natürlich, wann denn sonst, dem Zeitpunkt, wo es anfängt, so lecker zu riechen:

Süße, wohlbekannte Düfte
streifen ahnungsvoll das Land.

Wie, nach was riecht's an Ostern? Nach Adventsbäckerei, wonach denn sonst:

Plätzchen träumen schon,
wollen balde kommen.

Eben, spätestens am Gründonnerstag müssen die Adventsplätzchen backfrisch in den Schütten liegen, damit das klar ist, da kann dieser olle Mörike sich im Grab drehen, wie er will -

Horch, von fern ein leiser Glockenton!

Glocke, wieso Glocke? Na, weil bald Ostern ist, und nicht eher wird der Einzelhandel ruh'n, bis er es geschafft haben wird, Ostern und Weihnachten endgültig zu synchronisieren -

Christkind, ja du bist's!

- also was jetzt?

Ostern ist gekommen!

Er will es nämlich so. Wer? Na, der Verbraucher, wer denn sonst.

Gut, dass morgen die Läden wieder geöffnet haben. Kann keine Nikoläuse mehr sehen. Muss dringend Schokoladenostereier besorgen.

Samstag, 28. April 2012

Seuchenbekämpfung


Was für ein herrlicher Frühlingstag. Der Himmel nur blau und sonst gar nichts, Vögel trällern seit dem frühen Morgen, das Thermometer hat bereits vor drei Stunden die 20-Grad-Marke gerissen und mich hat's eben kreuzelend vom Hocker gerissen. Weil mir schlecht wurde, so schlecht.

Wie neulich schon kurz erwähnt:
Seit heute (Mittwoch) früh finden in Athen umfangreiche Polizeieinsätze statt. Polizeibusse mit Hunderten von Polizisten beginnen, komplette Gebäudeblocks zu blockieren und in Häuser einzudringen. Sie halten jeden fest und durchsuchen jeden, der wie ein Ausländer aussieht. Die Menschen ohne Papiere, die verhaftet wurden, werden in die neu errichteten Internierungslager abtransportiert.
Zu diesem Vorgang äußerte der griechische Minister für Zivilschutz, Michalis Chrysochoidis:
Athen wird innerhalb weniger Tage gesäubert (bzw. geräumt, im O-Ton: "will be cleared") sein. Wir müssen den öffentlichen Raum zurückerobern.
Das war am Mittwoch. Da fühlte ich mich schon leicht unpässlich. Heute ist im Detail zu lesen, welche akute Gefahr droht, wenn der öffentliche Raum nicht schleunigst zurückerobert wird:
Auch heute (27. April 2012) wurden die behördlichen Kontrollen in mit Ausländern überbelegten Athener Wohnungen mit der Begründung fortgesetzt, dass diese Seuchenherde darstellen.
Seuchenherde. Ausländer. Überbelegt. Die Assoziationsmaschinerie rattert. Flaues Gefühl im Magen.

Die festgenommenen Menschen
... wurden von den Ärzten des KELPNO ('Nationaler Träger für Ansteckungskrankheiten', war bei der Räumungsaktion anwesend) untersucht um festzustellen, ob sie an Infektions-, übertragbaren oder sonstigen Ansteckungskrankheiten leiden.
Ansteckung. Krank. Ansteckungsgefahr. Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Wieso fühle ich mich im Magen-Darm-Trakt auf einmal so ungesund?
Wie von der Polizei bekannt gegeben wurde, werden Wohnungskontrollen in verschiedenen Gebieten Athens durch gemischte Einsatzgruppen auf alltäglicher Basis erfolgen,
Gemischte Einsatzgruppen. In verschiedenen Gebieten. Auf alltäglicher Basis. Damit ihr euch schon mal dran gewöhnt, Leute. Ist doch was ganz Normales. Mir dreht sich der Magen herum.
... während an die Bürger, welche die überzählige Unterbringung von Immigranten in Wohnungen feststellen, appelliert wird, sich telefonisch oder per SMS an die Rufnummer 100 an die Einsatzzentrale der Polizei zu wenden.
Immigranten untersuchen, räumen, verhaften. An Bürger appellieren.
Liebe Bürger, Ausländer sind keine Bürger. Falls ihr das noch nicht gemerkt habt, sagen wir euch das jetzt mit allem Nachdruck.
Bürger, wehrt euch gegen Ausländer.
Bürger, unterstützt die Polizei.
Bürger, meldet alle verdächtigen Elemente der Polizei.
Bürger, helft der Polizei, den öffentlichen Raum zurückzuerobern.
Bürger, holt euch keine ansteckenden Krankheiten bei den Ausländern.
Bürger, lasst euch anstecken von unserer Kampagne im Dienste der Volksgesundheit.

Und, Bürger, vergesst nicht: Es herrscht Wahlkampf.
Mit allen Mitteln. Auch den dreckigsten.
Macht mit beim Säubern unserer Stadt.
Wir versprechen, euch nach der Wahl fürstlich zu belohnen. Mit noch mehr Reformen. Noch mehr Einschnitten. Noch mehr Verarmung. Noch mehr Hunger. Noch mehr Elend.
Aber dafür mit weniger Ausländern.

Mann, ist mir kotzübel.


Donnerstag, 15. März 2012

Frühlingsglaube


(oder war es blau-weiß?)
wieder flattern durch die Lüfte
(oder war es Europa?):
Süße, wohlbekannte Düfte
(oder waren es linde, oder gar lindernde?)
Streifen ahnungsvoll das Land
(also, Griechenland):
In Brüssel haben die Minister der Eurozone das griechische Bailout-Paket unterzeichnet. Der Internationale Währungsfond wird morgen (also heute) seinen eigenen Beitrag zum lindernden Hilfspaket bestätigen.
Veilchen träumen schon
Wollen balde kommen
(oder waren es Kredite, also noch mehr Schulden?):
Eine Zustimmung zur Stärkung des Bailout-Funds der Eurozone ist noch diesen Monat zu erwarten. Mit einer Billion Euro unterstützt die Europäische Zentralbank die Zahlungsfähigkeit und wendet damit eine drohende Bankenkrise auf dem Kontinent ab.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
("Peace in Greece", gereimte Harmonie!):
Die Finanzmärkte haben sich beruhigt.
Frühling, ja, du bist's!
(Nun wird sich alles, alles wenden):
Einige Europapolitiker wagen es gar, von einem Wendepunkt in der Langzeitkrise zu sprechen.
Dich hab ich vernommen!

(Harfen- und Schalmeienklänge, und jetzt bitte die Streicher!)

Doch horch, von fern ein lautes Grollen
("Pain in Spain", gereimte Diskordanz!):
Jedoch, in einem Winkel dieses hoffnungsfrohen Szenarios braut sich eine düstere, unheilvolle Wolke zusammen, in Gestalt Spaniens.
Krrawumms!, verderben uns unsere Frühlingsgefühle, diese Spanier, wo wir gerade so schön am Delirieren waren. Ein Viertel von ihnen ist arbeitslos; die Hälfte der unter 25-Jährigen ist ohne Job. Schlimmer noch: Sie begehren auch noch gegen die geplante (hallo Fiskalpaket!) segensreiche Liberalisierung, ähm, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, ähm, also gegen die kommende Strategie der Versklavung auf.

Das Satiremagazin eljueves hat eine aktuelle Umfrage vor spanischen Arbeitsämtern durchgeführt und präsentiert uns den neuesten Frühjahrstrend auf dem Arbeitsmarkt:

"Anstieg von 4,2 Prozent bei Priesteramtskandidaten und Nonnen"

Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Spanien, vergiss der Qual!
Nun wird sich alles, alles wenden.

Samstag, 10. März 2012

Schwabinggrad in Bankfurt


Ah, es riecht nach Frühling.

Kaum steigen die Temperaturen und regt sich zaghaftes Knospen, liegt ein Zauber von Zuversicht in der Luft und der Mensch fällt dem törichten Glauben anheim, alles könnte irgendwie gut werden. Weil - so denkt der frühlingshungrige Mensch - ab einem bestimmten Punkt die ganze Malaise keinesfalls mehr schlimmer und daher nur besser werden kann. Schließlich macht der Frühling es uns vor, also macht der Mensch es sich ebenfalls gern vor; dabei in seiner Zuversicht vergessend, dass alles, was schlecht läuft, stets noch schlechter laufen kann. Ähnlich einem Naturgesetz, dem ja auch der Frühling folgt, insofern als jedem hoffnungsgeschwängerten Frühling absehbar die nächste beschissene Kältewelle folgt.

Jetzt aber erst mal Frühlingsgefühle.

Die wird man ja wohl noch haben dürfen, dachte sich gestern auch IMF-Chefin Lagarde und frohlockte angesichts des griechischen PSI-Deals: "Es riecht nach Frühling!", im Verbund mit euphorischem Schnuppern der griechischen Regierung, allen voran des griechischen Finanzministers Venizelos, der befriedigt von einem "guten Tag" trötete, welcher "alle Erwartungen übertroffen" habe. Wessen Erwartungen, ließ er dabei offen, was im Überschwang von Frühlingsgefühlen schon mal vorkommen kann. Weil, sonst hätte er ja hinzufügen müssen, dass die griechische Bevölkerung erwartungsfroh noch mehr Arbeitslosigkeit, noch mehr Gehaltskürzungen, noch mehr Armut, noch mehr Hunger, noch mehr Obdachlosigkeit, kurz: noch mehr Rezession entgegenblickt. Siehe oben, jedem Frühling wohnt der Zauber der nächsten Kältewelle inne.

Derweil die einen vom Frühling schwelgen, ziehen die anderen, die Fröstelnden, sich warm an: "Greece is saved, Greeks are bankrupt." Griechenland ist gerettet, nur die Griechen sind bankrott, weshalb letztere sich abgewöhnt haben, um Hilfe zu rufen. Vielmehr sehen sich die ums Überleben kämpfenden Griechen veranlasst zu dem kollektiven Aufschrei: "Hört endlich auf uns zu retten!"

Schwabinggrad Ballett, 9. März vor der EZB in Frankfurt

Die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission schnürt die Rettungspakete, von denen unsere Kronzeugen sagen: "Stop saving us!" Es ist ein Regime, das der griechische Ökonom Yanis Varoufakis "Bankrottokratie" nennt: Um zu verschleiern, dass die europäischen Banken sich verspekuliert haben und pleite sind, inszeniert die Troika ein großes Schuld-und-Sühne-Spektakel, in dem "die Griechen" die Rolle der reuigen Sünder und "die Deutschen" die der gestrengen Finanz-Zuchtmeister spielen sollen.
Das Schwabinggrad Ballett ist ein Hamburger Künstlerkollektiv, ein "mobiles Einsatzkommando von AktivistInnen, das immer dort mit politischen Aktionen, Performances oder auch als Demo-Marsch-Kapelle in Erscheinung tritt, wo sich der urbane Raum zum öffentlichen Verhandlungsort wandelt", um "jenseits ritualisierter linker Protestformen unerwartete Situationen herzustellen".

Letzteres ist dem Schwabinggrad Ballett gestern abend grandios gelungen: Bei einbrechender Dunkelheit und kalten, auf einen lauen Frühlingstag folgenden Temperaturen legte das Künstlerkollektiv eine unkonventionelle Polit-Performance hin, die alles bot, wonach das Herz sich jenseits ritualisierter linker Protestformen sehnt - Aufklärung im Agitprop-Stil, Aktionskunst, ruppige Live-Musik, Gesang, Videos aus Athen (auf große Leinwand projiziert und bissig kommentiert). Anfang Februar hatte die Künstlergruppe zehn Tage lang in Athen das Geschehen verfolgt, "um dort die Dinge, die das Gemeinwesen betreffen, auf der Straße zu suchen und die aktuellen Krisenproteste mit eigenen Aktionen zu begleiten".
Demonstranten, die die "Kakerlaken"-Strategie anwenden, ältere Damen, die Polizisten und Politiker beschimpfen, die "Generation 500 Euro", die Stadtteilversammlungen, in denen die Leute Selbsthilfe organisieren, das Stunde-Null-Gefühl, das bald-kommt-der-Aufstand-Gefühl, die Debatten und Depressionen: Wir tragen unsere Eindrücke vom Kampf der griechischen Bevölkerung mit dem Spardiktat dorthin, wo man über das Land zu Gericht sitzt.
- nämlich vor die Europäische Zentralbank in Frankfurt. Obwohl es bitter kalt war, lag ein Hauch von frühlingshafter Aufbruchstimmung in der Luft; eine Ahnung davon, was politische Aufklärungs- und Protestkultur zu leisten vermag, wenn sie ausgetretene Pfade verlässt und man sich von ihr überraschen, überrumpeln und einfangen lässt: kalte Füße, warmes Herz und waches Hirn. Stehender Applaus.

Dienstag, 7. Februar 2012

Moderne Eiszeiten


Vielleicht ist es ja einfach nur dieser endlose Winter.

Mit seiner spezifisch deutschen Kälte.
"Merkel demands action..."

"German Chancellor Angela Merkel told Greece Monday to make up its mind fast on accepting the painful terms for a new EU/IMF bailout..."

"Speaking in Paris, Merkel expressed the exasperation spreading among euro zone leaders at seemingly endlless arguing in Athens that has yet to produce a definitive acceptance of the austerity..."

"Merkel made clear that her patience was wearing thin on a deal..."

"In a fresh sign of mistrust, the German leader said...'We want Greece stay in the euro," - but! - 'I want to make clear once again that here can be no deal if the troika proposals are not implemented...they are on the table...something needs to happen quickly...'"
Griechenland soll jetzt bitte gefälligst spuren (Merkel: "Die Zeit drängt!") und noch dieses Jahr 15.000 staatliche Jobs streichen (cut) sowie bis 2015 weitere 150.000 Menschen auf die Straße setzen (cut), und das, wo die gesamte griechische Bevölkerung aus kaum mehr als 10 Millionen Menschen besteht. Egal, Greece is to cut..., wie es auf Troika-Sprech immer heißt, und also to be cut sind die Mindestlöhne und die Renten und, wenn das so weiter geht, vermutlich auch die Hälse jener Politiker, die sich Merkels rhetorischer Kaltfront beugen.


Aber was ist schon ein Frösteln im Vergleich zum Frieren. Erbärmliches, bitterkaltes Frieren an Herz und Hirn beim Lesen propagandistischer Zeilen vom 05. Februar, dass nämlich Angela Merkel "traumhafte Zustimmung im Volk genießt" (Kälteschauder), ja, sie ist "die Königin Europas" (Gänsehaut), denn "die Wähler spüren, dass Angela Merkel eine Position der Stärke mit Fingerspitzengefühl statt Brachialgewalt erworben hat" (akuter Frostbeulenbefall), nur müsse sie halt "in Europa unglaublich aufpassen, denn wenn Berlin Stärke zeigt, sind alte Urteile, die keineswegs nur Vorurteile sind, wieder da" (anhaltender Kälteschock).


Es muss wohl der anhaltende Kälteschock gewesen sein, der wütend protestierende Griechen heute in Athen dazu veranlasst hat, die deutsche Flagge mitsamt einer Hakenkreuzflagge unter lautem "Nazi!"-Sprechchorgesang zu verbrennen.

Der Kälteschock wich einer sich fast taub anfühlenden Gefrierstarre bei der Lektüre eines amerikanischen Blogs, dessen Autor kürzlich in Deutschland weilte, dort die Gelegenheit hatte "to meet with and question senior members of economics establishment within the German government and the broader German intelligentsia" und aus diesen Treffen ziemlich verärgert ("quite chagrined") hervorging, was seiner Zusammenfassung der gewonnenen Eindrücke deutlich anzumerken ist, wofür er sich vorab entschuldigt ("my apologies if the below evidences some degree of frustration"), um dann das vorzutragen, "what appears to be the pretty universally held German policy position":
"Yes, yes, we studied Brüning and the deflation of the early 1930s that you say really brought about the National Socialism that nearly destroyed us and resulted in global horror, but we nevertheless attribute the trouble to the Weimar inflation.

Don't blame us for being incredibly productive and economically abstemious, we can't help it if we make the best cars and everyone wants to buy them. And it is not our fault that the countries of the periphery are unproductive anachronisms that make nothing anyone wants to buy at the prices they want to sell their goods for.

There will be no exiting of any country from the Euro System. The System was only designed as part of a continuum leading to the full unification of greater Germ-...uh...Europe.

But we are not yet in a position to support transfer of national authorities, we Germans are not prepared to surrender national sovereignty (but we really think that the suggestion for installing an Oberführer to supervise Greece was a nifty idea and aren't sure why it got people so upset).

Finally, we believe in the written word - in law and in treaty. We can make more promises to each other and - unlike the last two times - we can this time honor them. Why do you doubt that?"
Eine Art German common sense, der, so der Autor, den Grundstein lege für das lauthals geführte deutsche Plädoyer für 'expansiven Sparzwang' ("expansionary austerity") ohne Rücksicht auf Verluste, Flächenarmut und Massenobdachlosigkeit.

Abgerundet wurde der unerfreuliche Zustand chronischer Unterkühlung dann durch die neueste Schlagzeile aus der griechischen Zeitung Kathimerini:
"Funds found to help Greece's homeless"
(Ein Fonds wurde gegründet, um Griechenlands Obdachlosen zu helfen)

"Greece is to spend 800.000 euros on housing and feeding homeless people amid concern about the growing number of people living on the streets of Athens and Thessaloniki in wet and cold conditions."
Kommentar von zerohedge:
"Forget farce. Forget tragicomedy. Frankly, we are out of words to describe what is happening in Greece, Europe, and, actually - the world.

Actually, we are still out of words."
Mir geht es ebenso: Ich bin sprachlos. Mir fehlen die Worte ob der alles gefrierenden, schneidenden Kälte der Ereignisse und der Schlagzeilen. Vielleicht leben wir bereits in einer neuen Eiszeit, wissen es nur noch nicht. Vielleicht kommt aber auch bald der Frühling. Weil, mir geht da so ein heiteres Frühlingslied durch den kaltgefrorenen Kopf:


Donnerstag, 26. Mai 2011

Prager Frühling


Es ist Mai. Es ist Frühling. Es ist Prag.

Im Prager Stadtviertel Karlín machen sich kulturrevolutionäre Umtriebe bemerkbar:

Ein Auto wird in einen öffentlichen Blumentopf verwandelt. Ein voll funktionstüchtiges Auto mit gültigen Fahrzeugpapieren und Nummernschild wurde komplett zersägt, mit Erde befüllt und einem Baum bepflanzt und als öffentliche Installation auf einen legalen Dauerparkplatz gestellt.
"Wir halten uns an die Spielregeln, aber unser Spiel geht anders. Für uns ist es ein subversiver Akt gegen den Materialismus, ein Schlag gegen die Schwachstelle der Vernunft. Zwar stecken die Schlüssel noch im Zündschloss, aber die Antriebswelle ist begraben unter Tonnen von Dreck."
Die Prager Aktivisten haben schon ganz andere subversive Sachen mit Autos angestellt, zum Beispiel einen fetten Buick, Baujahr '86, in ein fahrendes Tretboot transformiert mit einer Spitzengeschwindigkeit von 15 km/h ("Dieses Fahrzeug leistet der automobilen Angeberkultur Widerstand auf beispiellosem Niveau.").

Noch ist es nur ein Baum in Prag. Vielleicht wird daraus ein Wald. Lasst tausend Bäume aus Autos blühen!

Samstag, 21. Mai 2011

Die Kunst des Stierkampfes


Ich bin beeindruckt von der Professionalität der Öffentlichkeitsarbeit von Democracía Real Ya. Denn sie gehen gezielt an die Öffentlichkeit; sie korrigieren konsequent und unmissverständlich alle Falschmeldungen, Fehleinschätzungen und Unterstellungen, zu denen Medien und Politiker in den letzten Tagen gegriffen haben; sie packen den Stier bei den Hörnern; und sie tun es professionell.

"Zehn Lügen über Democracía Real Ya

Es ist falsch, dass sie nur protestieren, aber keine Vorschläge zu machen haben.
Wahr ist, dass ihre Vorschläge im Internet zu finden sind. Wahr ist ferner, dass diese Vorschläge konkreter sind als eine ganze Reihe von Wahlprogrammen der politischen Parteien.

Es ist falsch, dass sie gegen die Politiker sind.
Wahr ist, dass sie sich verantwortungsvolle Politiker wünschen, die sich nicht gegen die Gesellschaft stellen; Institutionen sind für alle da und nicht dafür, dass Politiker sie für ihre Interessen benutzen.

Es ist falsch, dass sie die Demokratie ablehnen.
Wahr ist, dass sie mehr Demokratie wünschen, dass die Souveränität beim Volk liegt und weder bei den Aktienmärkten noch bei den Bankern.

Es ist falsch, dass sie Wahlen ablehnen.
Wahr ist, dass sie eine Wahlreform fordern, damit jede einzelne Stimme jedes einzelnen Bürgers gleichwertig behandelt wird.

Es ist falsch, dass sie systemfeindlich sind.
Wahr ist, dass Korruption, Rechtlosigkeit und Straffreiheit systemfeindlich sind.

Es ist falsch, dass sie Gewalt befürworten.
Wahr ist, dass es bislang kaum zu Zwischenfällen gekommen ist trotz der Menschenmassen, die sich an den Kundgebungen beteiligen.

Es ist falsch, dass sie unpolitisch sind.
Wahr ist, dass sie keine parteipolitische Bewegung darstellen, was nicht dasselbe ist.

Es ist falsch, dass sie sich nur aus Jugendlichen zusammensetzen.
Wahr ist, dass es viele Jugendliche auf den Kundgebungen gibt; allerdings Jugendliche, die sich nicht disqualifizieren lassen als "unreif" oder "angepasst". Im übrigen gehören Bürger jeden Alters zu der Bewegung.

Es ist falsch, dass sie zur Wahlenthaltung aufrufen.
Wahr ist, dass sie zu einer verantwortungsbewussten Stimmabgabe aufrufen - was, gemäß den haarsträubenden Kriterien der Junta Electoral (Wahlleitung) in Madrid, "gegen die Freiheit" verstößt.

Es ist namentlich falsch, dass diese Bewegung am Sonntag nach den Wahlen enden wird.
Wahr ist, dass Demokratie sich nicht erschöpft in Stimmabgabe und Schweigen. Denn am Montag, wenn diese Wahlen zu Ende gegangen sind, wird der Mai 2011 weitergehen."

"Diez mentiras sobre Democracía Real Ya", escolar.net

Wer das Anliegen von Democracía Real Ya jetzt noch missversteht, der will es missverstehen.

Mittwoch, 20. April 2011

Auf der Straße sitzen


Es ist Frühling, die Sonne lacht, da sitzt der Mensch gern im Freien. Die Frage ist: Wo setzt er sich drauf? Auf seinen Hintern natürlich, schon klar, nur: Wo setzt er seinen Hintern drauf? Gar nicht so einfach zu beantworten.


Denn zum Sitzen braucht der Mensch einen Sitz, gern auch eine Bank. In der unwirtlich gestalteten Großstadt sind jedoch Bänke und andere Sitzgelegenheiten zur Mangelware geworden; zumindest solche, die dem non-kommerziellen Sitzen dienen. Ausruhen? Innehalten? Nichtstun? In die Sonne blinzeln? Einfach mal ein paar entspannte Löcher in die Luft gucken? Wo kommen wir da hin? Großstädte sind nun mal keine Kurorte.


Sitzen im öffentlichen Raum - sofern es seine Existenzberechtigung nicht aus straßengastronomischem Verzehrszwang ableitet - gilt Stadtplanern offenbar als Problemfall, dem am effektivsten zu begegnen ist, indem altmodische Sitzbänke flächendeckend entfernt und neumodische so konzipiert werden, dass einem schon beim Hinschauen die Lust vergeht, sich länger als fünf Minuten darauf niederzulassen. Hauptsache unbequem; wem das nicht passt, kann sein Eis im Stehen schlecken, weitergehen oder gleich ganz wegbleiben.


Als erklärter Freund der zwanglosen Draußensitzkultur werde ich daher hellhörig, wenn das Stichwort von der "Rückeroberung des öffentlichen Raumes" fällt:

"Space is a rare commodity in cities, and so called 'Public Space' have been increasingly privatized, 'No Trespassing'. Public seating or rest areas are only created where consumption is offered."

Klingt vielversprechend. Weiter:

"undpartner is tired of this. Tired and in the mood to sit down, right here, right now. undpartner is ready to re-conquer public space: City residents are being given the opportunity to re-conquer room for communication and create a spot for everyday living..."

Klingt ja fast gegenkulturell, um nicht zu sagen subkulturell, ach was, subversiv! Klingt beinahe nach einem Aufruf zu widerständigem Handeln, zu urban-zivilem Ungehorsam, nach einem gut organisierten, wild picknickenden Innenstadt-Flashmob. Zu schön um wahr zu sein - an einem lauen Frühlingsabend findet quer durch die City ein fröhliches kollektives Open-Air-Grillen statt! Das olle Campingsitzkissen in den Rucksack und los geht's!


Halt, erst fertiglesen:

"...with 'wear-it-yourself' furniture."

Wie, Möbelstücke zum Selbertragen? Ich dachte eigentlich eher an so etwas Improvisiertes, was nichts kostet. Aber hier geht es um Design, und das kostet, auch wenn das Design den Charme des Improvisierten verströmen soll.



Und ein massives Metallgestell um den Hals zu schleppen finde ich auch nicht besonders gegenkulturell, wenn ich an einem heißen Sommertag die Stadt erobern gehe.

War jetzt nicht exakt das, was ich unter nicht-kommerziellem Sitzen verstehe.



Dann schon eher das.


Sonntag, 10. April 2011

Schaulustig


Sonntagnachmittag. Ich gucke zum Fenster raus, was auf der Straße so los ist. Nichts Besonderes. Ist ja Sonntagnachmittag.

Mein Blick wandert zum gegenüberliegenden Haus. Vier Stockwerke, Balkone zur Straße. Auf dem obersten Balkon steht eine rundliche ältere Frau mit grauem Kopftuch. Nichts Besonderes. Ohren, Schläfen und Hals sind vom Kopftuch bedeckt. Auch nichts Besonderes.

Die Frau lehnt sich an das Balkongeländer, blinzelt behaglich der Sonne entgegen und raucht eine Zigarette. Nichts Besonderes, sage ich mir, finde jedoch gleichzeitig, dass das schon ein besonderer Anblick ist, irgendwie, weshalb ich mich in den Anblick vertiefe und es zumindest bemerkenswert finde, dass die rundliche ältere Frau mit Kopftuch nicht etwa pafft, sondern genüsslich inhaliert und den ausgestoßenen Rauchwölkchen mit einem Ausdruck tiefen Wohlbehagens hinterherschaut.

Nach einer Weile bewegen sich die knallbunten Strippen der offenen Balkontür, ein rundlicher älterer Mann mit Schnauzbart tritt auf den Balkon und stellt sich neben die Frau ans Geländer. Beide blinzeln behaglich in die Sonne und schweigen. Dann dreht der Mann den Kopf zur Frau und schaut sie an, die Frau dreht den Kopftuchkopf zum Mann und schaut ihn an. Wortlos überreicht sie ihm die brennende Zigarette.

Während der Mann genüsslich inhaliert, schauen beide versonnen den Rauchwölkchen hinterher. Kurz darauf überreicht er der Frau wortlos die brennende Zigarette.

Gaffenderweise denke ich: Das ist jetzt aber wirklich etwas Besonderes!, und frage mich, ob meine Vorstellungswelt bezüglich älterer Menschen - ob mit oder ohne Kopftuch oder Schnauzbart - vielleicht etwas zu stereotyp ist? Schließlich pflege ich auch eine gewisse Abneigung gegen das Stereotyp des spießigen Fenstergaffers und betätige mich gerade selbst hingebungsvoll als solcher.

Wie ich so gaffe und vor mich hin denke, sagt der Mann etwas zu der Frau. Es muss etwas Lustiges gewesen sein, denn beide fangen an zu lachen, so sehr, dass sie sich am Balkongeländer festhalten müssen. Sie können gar nicht mehr aufhören zu lachen. Die Frau krümmt sich vor Vergnügen, der Mann haut ausgelassen aufs Geländer. Die Zigarette wandert weiterhin vom einen zum andern.

Ich gucke und gaffe und habe keine Ahnung, worüber die beiden lachen, habe auch weder eine Zigarette noch sonst etwas geraucht, muss aber bei dem Anblick so lachen, dass mein Bauch anfängt wehzutun. Zur Erleichterung stütze ich meinen Kopf in beide Hände und gluckse unkontrolliert übers Fensterbrett.

Grinsend und mit ausgestrecktem Finger zeigt der schnauzbärtige Mann auf die glucksende Frau aus dem gegenüberliegenden Fenster; die Frau mit dem Kopftuch schaut dem Finger nach und beginnt erneut zu kichern. Der Mann sagt etwas, sie kichert noch mehr. Die glucksende Frau gluckst noch mehr. Der Mann haut aufs Geländer. Der Sonntagnachmittag ist gerettet.

Obwohl eigentlich gar nichts Besonderes war.

Sonntag, 3. April 2011

Der letzte Tango in Frankfurt


Geklaute Überschrift, ich geb's zu.

Flasht (sorry, saublödes Wort) aber und hat den Vorteil, dass ich ohne Umschweife zur Sache kommen kann:

Tango

In Frankfurt.

An der Deutschen Börse.

Ist das jetzt ein Flashmob?

Noch nicht.

Könnte vielleicht einer werden.

Sieht fast so aus.

Doch.

Das wurde einer.

Und was für einer.

Es war zauberhaft.

Donnerstag, 24. März 2011

Finden ohne Suchen


Frühmorgens auf den Balkon treten und die noch kalte Frühlingsluft schnüffeln.

Mehr ahnen als wissen, dass sie sich geschwind erwärmen wird.

Irgendeine Sehnsucht spüren, ohne sich zu kümmern, wonach.

Etwas finden, was der Sehnsucht eine Gestalt gibt:



Der katalanische Künstler Juan Miró und der amerikanische Jazzmusiker Duke Ellington begegnen sich zum ersten Mal für eine improvisierte Jazz-Session während einer Miró-Ausstellung in Südfrankreich.

Miró erzählt Ellington etwas über seine Skulpturen. Er tut es auf Französisch, und der Duke versteht kein Wort. Der Duke antwortet auf Englisch, und Miró versteht kein Wort. Beide verstehen sich großartig.

Inspiriert setzt sich der Duke ans Klavier und fängt an zu spielen. Der Schlagzeuger Sam Woodyard und der Bassist John Lamb lauschen und fallen ein. Lauschend lehnt sich Miró an eine Skulptur, genießt die Frühlingssonne und freut sich. Selbst die Skulpturen lauschen und freuen sich. Am Ende der Session ist die Luft so voller Energie, dass man die Knospen bersten hören kann.

Manchmal geschehen wundervolle Dinge, einfach so, wie aus dem Nichts.

Montag, 14. März 2011

Dem Lenin sein Moped


Sprache an sich ist ja etwas Schönes, Sprachverarmung hingegen ein eher unschönes Phänomen. Wo doch unsere Sprache für alles und jedes ein prägnantes Wort bereit hält und damit besonders die mündliche Kommunikation so sinnstiftend wie schmückend bereichert.

Nun gibt es jedoch Situationen, wo das Schmückende den Kommunizierenden sonstwo vorbeigeht, und wo gerade das Sinnstiftende nach wenig elaboriertem Duktus und möglichst knappen Sätzen verlangt. Alles andere liefe in solchen Situationen auf Ressourcenverschwendung hinaus. Ein typisches Beispiel ist die Situation des Renovierens eines Ladenlokals; wo also ein bestehendes Chaos über den Zwischenstatus des Sekundärchaos gezielt in den Endzustand der frisch gestrichenen Neuordnung transformiert werden soll. Das Ganze bei maximaler Zeitknappheit, was schon für sich ein effizientes Kommunizieren via knapper Sätze rechtfertigt.

Kein Wort zu viel, hieß also am Wochenende die Devise. Als hilfreich hat sich der Gebrauch von Schlüsselwörtern erwiesen; Wörter also, die mit einem Schlag jedem Beteiligten klar machen, worum es geht; Wörter, die umgehend Reaktionen auslösen; Wörter, die dem Handwerkelnden den zeitraubenden intellektuellen Prozess der Wortfindung ersparen. Aber eben auch Wörter, die aussagekräftiger und plastischer rüberkommen als das traditionelle Dingsda.

Im vorliegenden Fall hieß das Schlüsselwort: Moped. Und zwar kurz ausgesprochen, so als ob es mit zwei P geschrieben wird. Mir persönlich war dieses Wort völlig neu (sofern seine Bedeutung über die eines motorbetriebenen, stinkenden, lärmenden Zweirades hinausgeht). Aber obwohl ich noch nie zuvor etwas davon gehört hatte, habe ich das Moped seit diesem Wochenende unverzüglich in meinen aktiven Wortschatz aufgenommen.

Es ging schon am Freitagabend los mit der pragmatischen Sprachverhunzung. Denn um am Samstag die Decke streichen zu können, mussten am Freitag alle zu Dekorationszwecken von der Decke hängenden Objekte - Liebhaber-Segelflugzeuge, schmiedeeiserne Kerzenhalter, antike Kinderfahrräder, ein monströser goldener Putto und einiges mehr - abgenommen werden.
"Kann mal einer die ganzen Mopeds von da oben runterholen?" Das war Freitagabend, und da guckte ich noch ziemlich begriffsstutzig.

Ab Samstagmorgen fing ich an, mich an die Entkomplexisierung der deutschen Sprache zu gewöhnen. Fragte mich einer nach "dem Moped da drüben", wusste ich sofort, es kann sich nur um Pinsel, Spachtel oder Malrolle handeln, im Einzelfall auch um einen Hammer. Reichte ich statt des gewünschten Schleifgerätes irrtümlich die Bohrmaschine rüber, hieß es: "Nein, ich meine das andere Moped!", und der Fall war klar.

Später, als ich auf dem rollbaren Bistrotisch stand, um die Deckenbordüre zu streichen, ging mir ganz selbstverständlich von den Lippen: "Kann mal einer mein Moped weiterschieben?" Ohne weiteres überflüssiges Wortvergeuden wurde ich geschoben.

Irgendwann maulte ein Streicher:
"Kann mal einer das Moped (=Radio) ausmachen?"
"Wieso das denn?"
"Weil ich dieses blöde Moped (=Musik von Modern Talking) nicht mehr hören kann."
Alternativ wurde eine CD mit dem Köln Konzert von Keith Jarrett eingelegt. Als die Stelle kam, wo der Pianist seinen Kopf gegen den Flügel schlägt, entfuhr es einem der Streicher: "Mann, das ist ja 'n Moped!", wobei unklar war, was er genau damit meinte - den Flügel, den Kopf oder den musikalischen Geniestreich -, aber alle waren sich einig, dass der Streicher recht hatte und das Köln Konzert mopedmäßig gut zum Streichen passte.

Weil das Renovierungswochenende im Zeichen des Frühlings stand, blieb die Eingangstür meist geöffnet, obwohl der Laden geschlossen war, was manchen Frühlingsspaziergänger veranlasste, neugierig das Chaos zu betreten. Sehr zum Gefallen von Fräulein Jekyll, die das Gefühl bekam, endlich auch etwas zu tun zu haben: Genervt von all den Räum- und Renovierungshyperaktivitäten beschloss sie, jedem unbefugten Betreter ihres Reviers die Hölle heiß zu machen. Respektvoll wichen die Eindringlinge zurück.
"Huch. Wie heißt denn das Hundchen?"
Antwort: "Moped."
Als wenig später aus anderen Gründen Fräulein Jekyll ein wenig renitent wurde, hieß es:
"Wer geht mit dem schwarzen Moped Gassi?"
Fräulein Jekyll fühlte sich aufgewertet.

Natürlich gab es auch befugte Betreter (sprich Stammgäste), die daran zu erkennen waren, dass das schwarze Moped vertraulich an ihnen hochsprang und jegliches Randalieren unterließ. Einer von ihnen musterte mich und fragte:
"Ich kenne Sie gar nicht, sind Sie neu hier?"
und bekam höflich zur Antwort:
"Darf ich bekannt machen, das ist die Mrs. Moped."
Merke: Ein Moped sagt mehr als tausend Worte.

Am Sonntagabend schließlich war es Zeit, all die Mopeds wieder an die frisch gestrichene Decke zu hängen. Ein besonders rares Sammlerstück wurde vom Chefsammler aufsehenerregend kommentiert:
"Das ist das Original-Dreirad vom kleinen Lenin! Ich schwör's."
Es folgte eine spannend erzählte Räuberpistole, wonach ein russischer Gast vor Jahren das hölzerne Raumschiff des längst verblichenen Politpromis dem Chefsammler als Geschenk verehrt habe. Die Sache ist nicht verbürgt, klang aber geschichtsträchtig.

Der Jüngste in der Renovierungs-Combo - offenbar zu jung, um russische Revolutionäre zu kennen - machte runde Augen und fragte: "Lenin? Nie gehört. Was soll der denn für'n Moped gewesen sein?" Die ältere Generation machte rollende Augen und gab Geschichtsnachhilfe. Der Junior pfiff beeindruckt durch die Zähne, sagte: "Nee, echt jetzt? Ist ja voll der Wahnsinn!", und fuhr fort:
"Schickes Moped."

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dem Lenin sein Moped

Samstag, 8. Januar 2011

Schillernde Zeit



Eins steht fest: Jobsuche essen Zeit auf.

Wenn es nur die Zeit wäre - nicht nur die Zeit, sondern auch das Zeitgefühl ist kurzzeitig auf der Strecke geblieben. Zu meinem großen Erstaunen habe ich grade eben festgestellt, dass bereits Samstag ist, und hätte doch beschwören können, dass heute Freitag ist. Wo ist bloß dieser eine Tag geblieben?

Wenn es nur der Tag wäre - nicht nur der Tag, sondern das Gefühl für Jahreszeiten hinkt gewaltig hinterher. Seit heute früh frage ich mich: Wo ist bloß der Winter geblieben? Ich saß auf dem Fahrrad und musste absteigen, um mir ein paar viel zu warme Klamotten vom Leib zu reißen, sonst hätte mich ein frühlingshafter Schweißausbruch ereilt. Stieg also ab, lehnte das Rad an eine gerade herumstehende Litfaßsäule, warf Mütze, Schal, Handschuhe sowie Anorak von mir und dabei einen Blick auf den dicken runden Werbeträger, wo in dicken bunten Farben ein Volksmusikkonzert angekündigt wurde.

Inmitten all der volkstümelnden Buntigkeit klebte, notdürftig drangepappt, ein ehemals weißes, inzwischen reichlich verschmuddeltes Din-A-4-Blatt. Auch dieses schien sich irgendwie ans Volk zu richten, wenn auch anders - je nachdem, wie man Volk definiert. Offenen Mundes blieb ich stehen und las. Las einmal, zweimal, dachte nach über das, was ich las, las ein drittes Mal, während die Zeit verstrich, ich sie vergaß, aus ihr herausfiel und vermutlich just zu diesem Zeitpunkt den Samstag zum Freitag machte, ohne es zu merken.

Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit fing ich an, das Blatt von der Litfaßsäule abzupuhlen. Teils aus Mitleid, denn das Dokument mit dem Text aus einer anderen Zeit hätte den nächsten Regenguss bestimmt nicht überstanden, jedenfalls nicht so heil, dass irgend jemand aus dem vorbeilaufenden Volk es noch hätte entziffern können. Teils aber auch aus dem Bedürfnis, die Zeit für einen Augenblick anzuhalten, und sei es nur, um jenen Augenblick festzuhalten, in dem ich die Zeit aus den Augen verloren hatte.

Außerdem, so ein Blog ist ja auch eine Art Litfaßsäule, irgendwie. Passt.

Montag, 1. November 2010

Zweiter Frühling


Das Herbstwetter ist großartig zur Zeit, sagen alle. Ich auch. Reinstes Biergartenwetter. Ein strahlend warmer Nachmittag, die Sonne scheint zur weit geöffneten Balkontür herein, T-Shirt-Time, und die Temperaturen machen Lust auf einen entspannten Grillabend, wenn nicht die früh einsetzende Dunkelheit so verwirrend wäre. Wer hat schon Lust, den Grill gegen 17 Uhr wieder zusammenzupacken und eine Stunde später Heizkissen zu verteilen? Tagsüber Frühling, abends Herbst. Gestern Oktober, heute November.

Seit gestern wird es verdammt früh dunkel. Das kann ans Gemüt gehen, muss aber nicht, denn andererseits wird es verdammt früh hell. Also, morgens. Als ich heute um zwanzig nach sechs aufs Rad stieg, war es deutlich heller als sonst: Es dämmerte bereits vielversprechend; wenig später waren die Kaninchen mit bloßem Auge, ohne Fahrradflutlicht und auf zehn Meter Entfernung gut zu erkennen. Toll. Dann wurde es schnell immer heller. Kurz vor sieben deutliche Anzeichen von Sonnenaufgang. Am ersten November. Den ganzen Oktober bin ich um diese Uhrzeit durch stockdunkle Nacht gefahren. Darum hat sich das heute morgen angefühlt wie ein astreiner Frühlingsschub und mich urplötzlich in ein merkwürdiges Stimmungshoch katapultiert, das jeglicher lebensrealistischen Basis entbehrte, aber trotzdem sehr real und dem gegenüber ich machtlos war. Ich fing doch glatt an auf dem Fahrrad zu singen. Zweiter Frühling, sozusagen.

Mal sehen, was so gegen 17 Uhr passiert.

Samstag, 5. Juni 2010

Nichts bleibt, wie es war


Aus leicht...

...wird schwer.

Interessanterweise ist der Schornstein weg.
Fiel mir nur so auf.
Merkwürdig.

Sonntag, 23. Mai 2010

Pappelpalaver


Wieder was gelernt. Man hält sich ja für botanisch schlauer als man tatsächlich ist. Ich zum Beispiel war bis heute früh felsenfest davon überzeugt, dass es sich bei den derzeit marodierenden Wattemassen um Birkenpollen handelt. Keineswegs, klärte mich die Frau auf, deren neue Etagennachbarin ich bin: Es war die Pappel und nicht die Birke. "Wenn es aussieht wie fliegende Baumwolle, ist es die Pappel." Nun ist mir schleierhaft, wo all die vielen Pappelbäume stehen sollen, deren Absonderungen mich massiv heimsuchen; ich habe in meiner neuen Umgebung noch keine einzige Pappel gesichtet. Wo also kommt der ganze Pappelpollen her?

Ein Lob dem Treppenhausschwatz. Mit Pappelpollen würde ich wiederum danebenliegen, antwortete die Kennerin (bekommt seit langem um diese Jahreszeit ihre Terrasse vollgepappelt), vielmehr handele es sich um Pappelsamen. Und mit seinen feinen Pappelsamenhärchen könne der Pappelsamen ausgezeichnet fliegen und komme eben gut herum. Ein Langstreckenspezialist, sozusagen.

Kurzstrecken beherrscht der Pappelsamen sowieso mühelos, und wenn ich sage beherrscht, dann meine ich das wirklich. Das weiße Fluffi-Zeug beherrscht meine Wohnung. Kleine Wohnung, kurze Strecken. Unzählige Plätze zur Zwischenlandung hält der Pappelsamen besetzt; für die Endlagerung sucht er sich die am schwersten zugänglichen Winkel. Von draußen schwärmen stets neue Pappelsamengeschwader herein. Es gibt kaum eine sinnentleertere Tätigkeit als Pappelbaumwollmäusen hinterherzuputzen. Ich glaube, irgendwie so fühlt sich feindliche Übernahme an.

Hinzu kommt, dass die Baumwollmäuse innerhalb kürzester Zeit sich mit den gemeinen Hauswollmäusen heimtückisch paaren zum Zwecke unkontrollierbarer Nachwuchsproduktion. Heraus kommen dabei kindskopfgoße Staub-Watte-Mutanten, die, hat man mal einen von ihnen am Boden mit dem längsten Staubsaugerrohr ergattert, sich rächen mit verstärkter Flockenberieselung von oben herab, auf dass die Kaninchen erblassen vor Neid ob solch unbändiger Fortpflanzungslust.

Man zählt die kleinen Bastarde übrigens, botanisch-zoologisch betrachtet, zur Gattung der sogenannten Baumhaus-Wollmäuse, deren geheime Kommandozentrale sich in einem Garten ganz in meiner Nähe befindet:
Mich wundert nichts mehr.

Samstag, 22. Mai 2010

Es schneit


Endlich Sonne. Endlich warm. Endlich schneit es mal wieder. Hatten wir das nicht erst kürzlich? Das nicht endenwollende Schneien, meine ich.
Pille, palle, polle,
im Himmel wohnt Frau Holle,
schüttelt ihre Betten aus,
fallen lauter Pollen raus.
Oder so ähnlich. Millionen dicker, fetter Pollenflocken tanzen schwerelos durch die Luft, taumeln zögerlich nach unten, wo sie sich zusammenrotten zu weichen, faustgroßen Wattebällen und den Boden fast vollständig bedecken.
Heute früh mit Kaffeetasse
trat ich auf die Dachterrasse,
und mir sank die Kinnlade nach unten. Was ein Fehler war: Im Nu hatte ich den Mund voller Wattebäusche. Ebenso kontraindiziert ist herzhaftes Gähnen in der frischen Morgenluft - der Sog des Einatmens zieht die weißen Pelztierchen magnetisch an, und so federleicht sie in den geöffneten Mund hineinfliegen, so schwer bekommt man sie wieder heraus. Bis dahin ist der Kaffee längst kalt geworden.

Natürlich ließ ich während der nötigen Mundspülungen die Terrassentür offenstehen, weil es ja so schön warm ist, was aber ein Fehler war, denn augenblicklich fand eine Invasion von naturbelassenen weißen Wollmäusen ins Wohnzimmer statt. Den Biestern gefällt es drinnen mindestens so gut wie draußen, denn drinnen haben sie ihre Ruhe vor dem Wind und können sich nach Belieben zusammenrotten zu noch mehr faustgroßen Wattebällen, um sich sodann in die hintersten Ecken zu verdrücken und dort ungesehen weiteres Unheil anzuziehen. Dagegen sind klassische Wollmäuse die reinsten Waisenkinder.
Dicke dacke docke,
da kommt 'ne fette Flocke,
setzt sich auf das Fensterbrett,
denkt: Hier ist es aber nett.
Ruft herbei die andren Flocken,
Flock' tut sich an Flocken docken,
Flockenbrocken, oberfett.
Meine mühsam erarbeitete Putzexpertise versagt jämmerlich. Staubsaugen? Da lachen sich die Pollenbollen tot. Weil, kaum läuft der Staubsauger, ist es vorbei mit der Windstille und die Wattebälle zeigen, was gute Flugeigenschaften sind. Feucht wischen? Kann man machen, aber Feudel erzeugen nun mal Luftbewegungen, egal wie sensibel man sich an die hinteren Sofabeine heranpirscht - kann man also auch lassen.
Ritze rutze ratze,
wer Pollen hat, der hat'se.
Willst du nach den Pollen suchen?
Lass es, denn du wirst nur fluchen.
Oder willst das Zeug wegpusten?
Lass es, denn du wirst nur husten.
Pustekuchen, Pustekuchen.


Montag, 17. Mai 2010

Rapsodie


Sonne von unten, wenn schon oben keine scheint.

Montag, 19. April 2010

Saisongemüse


Weihnachtsbaum an Osterglocken

Samstag, 10. April 2010

Aprilsonne



Lichterketten