Samstag, 31. Dezember 2011

Wahlverwandtschaften



Um drei Ecken verschwägerter Camp-Kumpel
wünscht einen frohen Silvesterabend
und alles Bessere fürs neue Jahr.

Freitag, 30. Dezember 2011

Dann mal Prost


Was juckt mich eine Partei wie die FDP? Oder deren am Boden herumliegende sterbliche Hülle? Ganz recht. Juckt mich nicht die leiseste Bohne.

Warum beschäftige ich mich dann trotzdem mit dem Dreiviertelkadaver FDP? Tue ich ja gar nicht. Andere tun es. Warum beschäftigen sich andere mit der FDP? Weil sich zu solcherart Beschäftigung der englische Begriff occupy anbietet. Und weil occupy das Trendwort des Jahres 2011 zu werden verspricht, haben sich ein paar Parteileichenfledderer gedacht: Da können wir den Begriff occupy gleich mitfleddern, und wo wir schon dabei sind, fleddern wir die Bewegung occupy in einem Aufwasch gleich mit. Weil, was juckt uns die Bewegung?
Aha. Und weil einige Besetzer des Frankfurter Bankenviertels diese Idee affengeil fanden, rumort es seither bei #occupyfrankfurt. Hätte man als cleverer Camper auch schon viel früher drauf kommen können, aber man war ja beschäftigt - und damit gut abgelenkt - mit anderen Ideen. Zum Beispiel mit der fixen, zum medialen Aufregerthema hochgepushten Idee, irgendeine durchgeknallte Sekte könnte die occupy-Bewegung unterwandern.

Hach ja. Was waren das noch für Zeiten, als wir dachten, wir würden 'von außen' unterwandert. Und jetzt? Gehen wir uns erst mal betrinken. Und danach? Sind wir wieder nüchtern. Und dann? Dann sehen wir weiter.

Donnerstag, 29. Dezember 2011

Begegnung zwischen den Jahren


Zwischen den Jahren, dachte sich Alice, wäre es doch keine schlechte Idee, mal ein wenig im Wald spazieren zu gehen. Denn tagein, tagaus immer nur Camp - so sinnierte sie weiter - macht ja auf Dauer ein bisschen plemplem. Zumindest bestand die Gefahr. Also nichts wie raus in den Wald.

Wie sie so zwischen den Bäumen einherstapfte, erkannte Alice plötzlich in der Ferne ein Ei. Nicht irgendein Ei, sondern ein menschliches Ei; genauer gesagt, ein riesengroßes menschliches Ei. Zunächst dachte Alice, das kann ja wohl nicht wahr sein - wie kann ein Ei einem Menschen so ähnlich sehen, oder vielmehr, wie kann bloß ein Mensch einem Ei so ähneln? Ich glaube, ich spinne, sagte Alice zu sich selbst.

Jedoch, das Ei wurde groß und größer, je mehr sie sich ihm näherte, und nicht nur das - es wurde immer menschlicher. Auf ein paar Meter Entfernung konnte sie an dem Eierkopf deutlich zwei Augen, eine Nase und einen Mund erkennen. Als sie schließlich dicht vor ihm stand, sah sie, dass es sich um niemand anderen handelte als um Humpty Dumpty höchstpersönlich. Das muss Humpty Dumpty sein, wer sonst?, murmelte Alice und stellte befriedigt fest, dass sie keineswegs eine Spinnerin war, sondern ganz normal tickte.


Humpty Dumpty saß mit überkreuzten Beinen auf einer hohen Mauer, so hoch, dass Alice zu ihm hinaufschauen musste, um ihn anzusprechen. Gleichzeitig fiel ihr auf, dass die Mauer sehr schmal war, so schmal, dass Alice sich wunderte, wie der Eierkopf sich dort oben ausbalancieren konnte. Während ihr ein verblüfftes "Mensch, der sieht ja exakt aus wie ein Ei!" entfuhr, streckte sie instinktiv die Hände nach vorne aus, um ihn aufzufangen, weil sie erwartete, er könnte jeden Augenblick von der Mauer herunterfallen.

"Das war jetzt sehr despektierlich", erwiderte nach langem Schweigen Humpty Dumpty, der immer alles hörte, obwohl er immer so tat, als ob er weghörte, "wer will schon gern ein Ei genannt werden?", worauf Alice freundlich meinte, sie habe ja nur gesagt, er sehe aus wie ein Ei, und außerdem gebe es einige Eier, die sehr hübsch aussähen, mithin keinen Grund, beleidigt zu reagieren. Humpty Dumpty, der immer noch so tat, als ob er weghörte und es vermied, Alice anzuschauen oder sie gar direkt anzusprechen, antwortete grummelnd: "Manche Leute haben nicht mehr Verstand als ein Kleinkind!"

Da Alice nicht wusste, ob diese Bemerkung nun an sie oder an den nächsten Baum gerichtet war, finge sie leise an, ein altes Kinderlied vor sich hin zu singen:
"Humpty Dumpty saß auf dem Eck,
Humpty Dumpty fiel in den Dreck,
und auch der König mit seinem Heer
rettete Humpty Dumpty nicht mehr."
Humpty Dumpty unterbrach sie ungeduldig, sie solle aufhören mit diesem kindischen Geschwätz. Ob ihr nichts Intelligenteres einfalle? Doch, gab Alice zurück und fragte ihn, ob er es nicht im Interesse seiner eigenen Sicherheit für sinnvoller halte, von der hohen Mauer herunterzusteigen auf den Boden, noch dazu, wo diese Mauer doch bedenklich schmal sei?

"Was für eine extrem dumme Bemerkung", befand der Eierkopf in knurrigem Ton, "natürlich nicht! Denn selbst wenn ich je von der Mauer herunterfallen sollte, was allerdings völlig ausgeschlossen ist - aber nur mal angenommen, ich würde fallen - ", hier nahm er eine gravitätische Pose ein, so gravitätisch, wie es einem Eierkopf nur eben möglich ist, "für diesen Fall hat der König mir versprochen, jawohl, er selbst hat es mir höchstpersönlich versprochen, in seinen eigenen Worten hat er mir versprochen, dass, ähm, ja, also dass er, ähm..."

"... dir sein Heer vorbeischicken würde, um dir zu helfen?", versuchte Alice, ihm bei der Satzvervollständigung behilflich zu sein.

"Genau so ist es", schnaubte Humpty Dumpty, "sein komplettes Heer mit all seinen Pferden und Soldaten! Im Handumdrehen werden sie mich vom Boden wieder aufheben!", rief er voller Überzeugung aus, korrigierte sich aber schnell, "würden, wohlgemerkt, würden! Weil einer wie ich ja, wie gesagt, gar nicht von der Mauer fallen kann!"

Huch, dachte Alice, ich glaub, ich steh im Camp - korrigierte sich aber schnell und dachte, ich glaub, ich steh im Wald, was ja durchaus der Wahrheit entsprach.

Die beiden diskutierten dann noch eine Weile über Semantik, wobei Alice auffiel, dass Humpty Dumpty ein Faible für semantische Spitzfindigkeiten an den Tag legte.

"Wenn ich ein Wort verwende", sagte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, "dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes." Komisch, dachte Alice, kommt mir irgendwie bekannt vor, und wagte einzuwenden: "Die Frage ist doch, ob du den Worten einfach so viele Bedeutungen geben kannst." Da war sie an den Falschen geraten. "Die Frage ist", erwiderte Humpty Dumpty, "wer die Macht hat - und das ist alles."

Tough shit, dachte Alice, als sie später aus dem Wald wieder herausspazierte, und ihr fiel ein, was sie irgendwann mal gelesen hatte: 'Als Humpty-Dumpty-Argumente werden Behauptungen bezeichnet, die in einer Diskussion als gültig angeführt werden, ohne dass eine andere Begründung für sie angegeben wird als die Berufung auf faktische Macht, die es erlaubt, auf wirkliche Argumente zu verzichten.' Kein Zweifel, sie war mitten im Wald an einen machtbesessenen Eierkopf geraten.

Beim Verlassen des Waldes konnte Alice nicht umhin, laut zu sich selbst zu sagen: "Von allen unbefriedigenden ..." (das letzte Wort wiederholte sie genüsslich, weil es sich so schön in sechs abgehackte Silben zerlegen ließ) "... von allen unbefriedigenden Leuten, die mir je in meinem Leben begegnet sind..." - weiter kam sie nicht, denn genau in diesem Moment erschütterte ein irres Getöse den hinter ihr liegenden Wald.

Wie, ist schon Silvester?, fragte sich Alice überrascht, ist doch noch viel zu früh, ist doch erst zwischen den Jahren? Sie beruhigte sich, nachdem ihr klar wurde, dass nichts weiter Schlimmes passiert war. Es war nur ein menschlicher Eierkopf lärmend von seinem Podest gefallen. Zwischen den Jahren hatte Alice mal eben hinter die Spiegel geguckt.

Sonntag, 25. Dezember 2011

Come on, cry with me



You ain't alone, so why you lonely?
there you go on the dark end of the street
are you scared to tell somebody how you feel about somebody?
Are you scared what somebody's gonna think?
Or, are you scared to wear your heart out on your sleeve?

Cry, if you gonna cry
come on, cry with me.

You ain't alone,
just let me be your ticket home...

Es gibt wohl keinen Tag im Jahr, der so durchritualisiert und durchreglementiert ist wie Weihnachten. In der Regel läuft Weihnachten auf ein soziales Beisammensein im kleinen Kreis hinaus, meistens familiär, manchmal mit ein paar Freunden, aber doch stets: kleiner Kreis, überschaubar, abgegrenzt und irgendwie 'unter sich'.

Gestern abend habe ich zum ersten Mal 'offene Weihnachten' erlebt. Offen heißt: offene Türen, offen für jeden, offen für das, was passiert - die ganze Nacht durch, ohne Sperrstunde, mit "Nachtmusik von der Straße". Es war die "Lange Nacht am Heiligabend" in der Frankfurter Weißfrauenkirche, um die Ecke vom Camp #occupyfrankfurt.

Es hat mich ein wenig überwältigt: die unglaublich freundliche, unsentimentale Atmosphäre und der selbstverständliche, lockere Umgang wildfremder Menschen miteinander - Menschen, die an vollbesetzten, langen, gedeckten Tischen in dem riesigen Kirchenraum saßen und aßen und tranken und lachten und redeten und schwiegen. Und weinten.

Ja, immer mal wieder brach jemand an einem der langen Tische in Tränen aus und weinte eine Weile. Er oder sie weinte, bekam von einem Tischgenossen eine Papierserviette gereicht, erleichterte sich schneuzend, hörte irgendwann auf zu weinen, beteiligte sich wieder an den Gesprächen und lachte und scherzte weiter mit den anderen. Mal eben kurz zu weinen schien das Selbstverständlichste der Welt zu sein; sowohl für den Weinenden als auch für die Nichtweinenden. Keiner sprang auf, um den Weinenden zu trösten, zu beschwichtigen, zu beruhigen oder sonstwie vom Weinen abzuhalten. Keiner zeigte sich in irgendeiner Weise peinlich berührt. Das Weinen schien - genau wie das Lachen, Reden und Schweigen - eine selbstverständlich akzeptierte Form menschlicher Kommunikation zu sein.

Ich habe schon viele Weihnachtsabende 'im kleinen Kreis' erlebt; an keinem war es statthaft, einfach so draufloszuweinen, wenn jemandem danach war, egal aus welchen Gründen.
Are you scared what somebody's gonna think?
Weil, wer wird denn schon weinen, ausgerechnet an Weihnachten, noch dazu im kleinen, abgegrenzten Kreis?
Or, are you scared to wear your heart out on your sleeve?
Offenbar bedarf es eines großen, offenen, unabgegrenzten Kreises, um die Tränen laufen zu lassen, wenn sie hochsteigen. Gänzlich ungeniert und völlig selbstverständlich. Hat mich ein wenig überwältigt, das zu erleben.
Cry, if you gonna cry
come on, cry with me.

Samstag, 24. Dezember 2011

Weihnachtskämp(f)er



Bisschen verwackelt, aber von Herzen. Passt schon.

TheOccupyGroove


Es mögen manche ja das Camp von #occupyfrankfurt für einen wüsten, desolaten, chaotischen, verwahrlosten, desorganisierten Haufen von Menschen und Zelten halten, aber eins muss man ihm lassen: In diesem Camp wurde heute nacht spontan eine der steilsten Clubnights organisiert, die ich seit langem erlebt habe. Vielleicht sogar die allersteil..., na gut, mit Superlativen sollte man sparsam umgehen. Jedenfalls war es grandios.

Gegen ein Uhr war es losgegangen, und so ab halb zwei lugten Nachtschwärmer aus dem Bahnhofsviertel, angezogen von der erstklassigen Housemusic, ins Zelt hinein, beschlossen zu bleiben und mit uns abzutanzen. Jawohl, in unser gutes altes Festzelt! Das bereits in vollweihnachtlichem Deko-Pomp aufgeschnatzt war (alles Secondhand-Spendenware), zwischen bieder und liebenswert provisorisch. Für ein angemessenes Party-Flashlight sorgte einer mit so einem grünen Lasertaschenlämpchen. Der Wahnsinn.

Gegen halb drei betrat ein schick angezogener, leicht verdrossen dreinblickender Nachtvogel das Zelt, schaute sich ungläubig um, begann übers ganze Gesicht zu strahlen, rief fassungslos "Hey, hier sind ja endlich mal ganz normale Leute!" und fing an zu grooven. Tut ja auch mal irgendwie gut, wenn unrasierte Camper, verpackt in abenteuerlich-rustikalem Mehrfachschichtenlook, Daunenjacken und Schlammstiefeln als Normalos wahrgenommen werden.

Mir qualmen jetzt noch die Socken. Ich hätte nie gedacht, dass ich je in diesem tiefgekühlten Festzelt mal ins Schwitzen komme. War aber so. War ein echtes Sahneteil, diese Fete. Danke, Camp-DJ Peter!


Donnerstag, 22. Dezember 2011

Wünsch' dir was


"Merry Crisis..."

"...and a Happy New Fear"


Dienstag, 20. Dezember 2011

Ja und Nein



Da spricht mir einer aus der Seele:
"Oh, da ensteht ja was Wundervolles! Dieser Freiraum, der dort geschaffen wird. Dieser Freiraum zum Freidenken, zum Handeln, zum Miteinanderarbeiten. Das Autonome, was dort entstanden ist.

Das nicht von Geld Beeinflusste. Dieser Raum ist einfach frei von der Totalität des Geldes. Da stehen sich die Menschen halt Aug' in Auge gegenüber.

Das ist ein Pool für Ideen und ein Pool für eine Revolution, ein Pool für eine Veränderung in der Gesellschaft, wo sich Menschen treffen, sich zum Nachdenken, zum Analysieren, zum Reflektieren treffen können.

Das Wichtigste ist, bis zum Frühjahr durchzuhalten. Das im Inneren zu stabilisieren."
In wenigen Sätzen fasst Niko im Video zusammen, was mich selbst bei Occupy Frankfurt vorantreibt, weshalb ich mich in dieser Bewegung engagiere, warum ich mit staunenden Augen erlebe, wie mein bisheriges Leben und meine sozialen Gewohnheiten durch das Leben im Camp auf den Kopf gestellt werden.

Der Freiraum. Das Freidenken. Das Miteinanderarbeiten. Ein Pool für Veränderung in der Gesellschaft, wo sich Menschen treffen, sich zum Nachdenken, Analysieren, Reflektieren treffen können. In einem Raum, der frei ist von der Totalität des Geldes. Wo sich Menschen Auge in Auge gegenüberstehen.

Ja.

Aber dann gibt es andernorts Sätze wie diese:
"Die meisten, die Occupy:Frankfurt aktiv voranbringen, haben keine Zeit für das Forum, für Asambleas oder für generelles Gelaber. Die machen draußen die eigentliche Arbeit."
Machersprache. Machersprüche. Aktiv voranbringen. Draußen. Eigentliche Arbeit. Keine Zeit. Weder für das Forum, noch für Asambleas, noch für Gelaber. Keine Zeit für den Freiraum, das Freidenken, das Sichtreffen, das Reflektieren. Keine Zeit für das Camp. Keine Zeit für jenen Raum, der frei ist von der Totalität des Geldes. Keine Zeit für das Drinnen, dafür umso mehr Zeit für das Draußen. Dort, wo die Totalität des Geldes und der Macht ihre Freiheit genießt.

Nein.


(wird fortgesetzt)

Samstag, 17. Dezember 2011

Como si fuera esta noche la ultima vez


Die kapverdische Sängerin Cesaria Evora ist heute gestorben.


Besame
Besame mucho
Como si fuera esta noche la ultima vez
Besame
Besame mucho
Que tengo miedo tenerte, y perderte otra vez
Quiero tenerte muy cerca
mirarme en tus ojos
verte junto a mi
Pienso que tal vez manana yo ya estare lejo
muy lejo de ti.
Besame
Besame mucho
Como si fuera esta noche la ultima vez
Besame
Besame mucho
Que tengo miedo tenerte, y perderte despues.

Adios, Cesaria.

Und jedem Ende wohnt ein Anfang inne


"I will promise you this, that if we have not gotten our troops out by the time I am president, it is the first thing I will do. I will get our troops home. We will bring an end to this war. You can take that to the bank."
Präsidentschaftskandidat Barack Obama, 27. Oktober 2007
Okay. Gemeint hatte er wahrscheinlich:
"Es ist das letzte Ding, was ich in meiner ersten Amtszeit drehen werde. Danach sehen wir weiter."

Danach wird er ein neues Problem am Hals haben:

Wohin mit all den Heimkehrern? Was tun mit einer Horde von Tausenden frischgebacken arbeitsloser, kriegstraumatisierter, professionell ausgebildeter Killern, sprich: our troops? Arbeitslos, einkommenslos, womöglich obdachlos - die heimkehren in Obamas Reich der legendären 'jobless recovery'?

Wer weiß, vielleicht werden die auf ihre letzten Tage im Irak ja bereits umgedrillt auf eine neue Form der Kriegsführung, diesmal auf vaterländischem Boden ("United States of Gitmo"). Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders.

Vielleicht kommen ja die arbeitslosen Profikiller nach ihrer Heimkehr auf dumme Gedanken. Auf Gedanken, die der neuen NDAA Legislative gar nicht gefallen werden. Danach sehen wir weiter.

Yoshitomo Nara, Declaration of War

Freitag, 16. Dezember 2011

Aufgeräumte Anarchisten


"An anarchistischen Standards gemessen, sind die Frankfurter Aktivisten ein aufgeräumter Haufen."
Befindet die New York Times, die neulich im Camp #occupyfrankfurt zu Besuch war.

Danke, liebe Zeitung, das ist sehr nett gesagt; wobei ich die anarchistischen Standards - die ja immer im Auge des Betrachters liegen - der New York Times nicht kenne, allenfalls erahne, wenn ich als Begründung lese:
"Sie haben eine Freiluftküche mit Mahlzeiten aus Lebensmittelspenden, eine Website und eine professionelle Public Relations Funktion, sowie ein Zelt für Gemeinschaftstreffen."
Um letzteres scheint die NYT geflissentlich einen großen Bogen gemacht zu haben.

Dort geht es nämlich bei der allabendlichen Asamblea - fallweise und je nach Tagesordnung sowie in Abhängigkeit der Teilnehmerzusammensetzung - derart anarchistisch zu, dass entkräftete Diskutanten nächtens die Freiluftküche stürmen auf der Suche nach Essbarem, worauf in der Freiluftküche ebenfalls anarchistische Zustände ausbrechen, weil sich ein unaufgeräumter Haufen um die letzten Pizzareste kloppt, die Küchenmitarbeiter die Nachtwache zu Hilfe rufen, deren - partiell anarchistisch eingestelltes - Ordnungspersonal der Meinung ist, dass Pizza zwar im Prinzip für alle, im Konfliktfall jedoch primär als kulinarische Gefahrenzulage für Nachtwächter da zu sein hat, was regelmäßig Exponenten der Public Relation Funktion auf den Plan ruft, die schlichtend den unaufgeräumten Haufen samt Ordnungspersonal zur Ordnung rufen ("ts, denkt doch bitte mal an die Außenwirkung!"), allerdings weitgehend erfolglos, was vermutlich daran liegt, dass die Public Relation Funktion anarchistisch unterwandert ist, sie es nur selbst noch nicht gemerkt hat, derweil im blau-weißen Versammlungszelt weiter die Fetzen fliegen, so lange, bis irgendein kluger, aufgeräumter, besonnener Diskussionsteilnehmer anregt, die Debatte abzubrechen und auf den nächsten Abend zu verschieben oder vorerst im kleinen gemütlichen Kreis ("bei uns im Anarcho-Zelt gibt's noch Schokolebkuchen!") zu vertiefen.

Von all diesen Umtrieben dringt selbstverständlich nichts an die Öffentlichkeit. Geschweige denn an die New York Times. Schließlich verfügen wir über eine professionelle Public Relation Funktion.


Donnerstag, 15. Dezember 2011

Moderne Kriegsführung


Der Systemwahn organisiert sich, aber gewaltig.

Widerständige Bürger sind mit allen Waffen zu bekämpfen, und wo es keine Waffen gibt, werden welche entwickelt. An seinem Waffenarsenal sollt ihr es erkennen, das System, das blind um sich schlägt, wenn es sich bedroht fühlt, und um sich bedroht zu fühlen, reicht es bereits, wenn es sich in Frage gestellt sieht.

Während die britische Polizei ihre sehenden Kritiker mit Blindheit zu schlagen plant, ziehen die amerikanischen Kollegen es vor, den Aufständischen was auf die Ohren zu geben. Setzt sich das eine System mit einer Laser-Lichtwand ("wall of light") gegen Massenproteste zur Wehr, bekämpft das andere System den "inneren Terror" mit einer Schallwand ("wall of sound"), eingebaut in jene Instrumente, die als polizeiliche "Schutzschilder" ("riot shields") bezeichnet werden.
"Riot shields, die eine Schallwand projizieren, um Menschenmengen zu vertreiben, dienen dazu, gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei zu reduzieren. ... Die Waffe ähnelt optisch den herkömmlichen Schutzschildern, hat jedoch ein akustische Hupe integriert, die einen Druckpuls erzeugt. Akustische Waffen, die einen lauten, unangenehmen Lärm absondern, werden von der amerikanischen Polizei bereits zu Massenkontrollzwecken verwendet."
Bisschen Krach kann ja nicht schaden, oder? Um die Massen unter Kontrolle zu bringen, besonders dann, wenn die Massen anfangen, unangenehm Krach zu schlagen.
"Das neuartige Schutzschild ... erzeugt einen niedrig-frequentigen Sound, der im Atmungstrakt resoniert und somit Atembeschwerden hervorruft. Gemäß dem Patent kann die Intensität des Sounds gesteigert werden, beginnend von Unbehagen an der Schmerzgrenze bis hin zu dem Punkt, wo die Zielobjekte vorübergehend außer Gefecht gesetzt sind."
Ah ja - Zielobjekte, die außer Gefecht gesetzt, in anderen Worten: unschädlich gemacht sind. An seiner Sprache sollt ihr das System erkennen. Die Herstellerfirma hat es übrigens bis gestern abgelehnt, sich zu der potentiellen Schädlichkeit ihrer akustischen Waffen zu äußern.

Andere tun es, wenn auch mit gebotener Vorsicht:
"Wir verfügen über zu wenig technisches Detailwissen, um irgendwelche verborgenen gesundheitlichen Folgeerscheinungen zu bestimmen,"
kommentiert ein britischer Forscher,
"die (solche Folgeerscheinungen) sind immer ein Problem wegen des Risikos, dem sensible Körperfunktionen wie das Gehör ausgesetzt sind, oder des Risikos, dass bei Asthmatikern Panikattacken ausgelöst werden könnten."
Solcherart sensible Risikoabwägungen von Forscherseite werden jedoch überlagert von der Warnung vor der "größeren Gefahr", dass die akustische Kriegsführung zur "politischen Kontrolle" eingesetzt werden könnte. Zur politischen Kontrolle wo? Nei-ein, nicht doch, keinesfalls in westlich-demokratischen Systemen, sondern:
"Falls die Machthaber in Ägypten oder Syrien (die Technologie) in Händen hätten, wofür würden sie sie einsetzen? Um Menschenmengen zu vertreiben oder um ihnen potentiell tödliche körperliche Schäden zuzufügen?"
Derweil wird im freien Westen schon fleißig geübt mit der modernen akustischen Kriegsführung. So fleißig, dass die Verkaufszahlen für "sonic blasters" in die Höhe schnellen und der Volksmund den martialischen Lärmwaffen bereits einen eigenen Namen verpasst hat: Sound-Kanonen ("sound cannons"). Die Dinger sind lauter als ein startendes Jet-Flugzeug auf 100 Meter Entfernung, aber immerhin leiser als die Schmerzgrenze von 140 Dezibel. Beruhigend. Zwar gibt es schon Gerichtsklagen wegen dauerhafter Hörschäden, aber die müssen uns nicht beunruhigen, denn die Behörden weisen sie von sich, weil sie "nicht nachweislich" von den Sound-Kanonen verursacht seien.

Beruhigend auch die Marketingstrategie der Anwenderseite:
"LRAD (Long Range Acoustic Device) betont, seine Produkte böten der Polizei eine Anwendung, die lauter sei als ein Megaphon und harmloser als Gummigeschosse und Tränengas, um Menschenmengen in den Griff zu bekommen ("for managing crowds"), Geiselnahmen zu entschärfen und Verhaftungen von gefährlichen Verdächtigen zu gewährleisten."
Wer sich jetzt immer noch beunruhigt über die modernen Methoden westlicher Demokratien, ihre Systemkritiker mundtot, blind oder gehörlos zu machen, dem schreibt der Direktor des Pittsburgh Office of Emergency Management and Homeland Security was hinter die Ohren. Der erzählt uns nämlich, er habe noch nie "eine bessere Waffe gesehen, um mit einer widerspenstigen Menschenmenge zu kommunizieren":
"Was wäre euch lieber - dass wir die alte 1964er-Methode anwenden, mit Feuerwehrschläuchen und Schlagstöcken ("billy clubs")? Ich denke, es ist sehr viel humaner, den Leuten Unwohlsein zu bereiten, weil ihnen die Ohren wehtun, so dass sie einfach abhauen."
Wenn der Systemwahn sich organisiert, fliegt er uns krachend um die Ohren. Während er sich um Leib und Leben der protestierenden Ägypter und Syrer sorgt, besorgt er es den protestierenden Einheimischen mit humaner akustischer Kommunikation. Mithilfe ein und derselben Technologie.


Mittwoch, 14. Dezember 2011

Blinder Systemeifer


Eins muss man der britischen Polizei zugestehen: Die lassen nichts anbrennen. Kaum haben sie das wahre inländische Terroristenpotential identifiziert, schon kümmern sie sich darum, sich waffentechnisch entsprechend aufzurüsten. Nach dem Motto: Die werden noch dumm gucken, diese systembedrohenden Occupy-Terroristen.

Vielmehr, die werden überhaupt nicht mehr gucken. Weil sie nämlich einfach blindgeschossen werden - mit einem "neu entwickelten" Lasergeschütz namens SMU 100, Kostenpunkt pro Stück 25.000 Pfund.
"Ein neu entwickeltes Lasergeschütz, das zur vorübergehenden Erblindung von Menschen führt, wird von der Polizei getestet werden. ...(das Geschütz) schießt eine drei Meter hohe Lichtwand ("wall of light"), die jeden, der von ihr getroffen wird, kurzzeitig sehunfähig hinterlässt."
So ganz neu scheint die hochwirksame Breitbandwaffe nicht zu sein, denn sie ist von einem ehemaligen Royal Marine Commando entwickelt worden, und zwar
"...ursprünglich, um sie gegen somalische Piraten einzusetzen",
was - rein kriegstechnisch - Neusprech vom Feinsten ist, denn die Formulierung lässt großzügig offen, ob das blindmachende Lasergewehr tatsächlich je in Somalia zum Einsatz gekommen ist. Höchstwahrscheinlich schon, schließlich wurde es ja "ursprünglich" genau zu diesem Zweck entwickelt. Insofern ist zu schlussfolgern, dass die Waffe bereits hinlänglich im feindlichen Ausland getestet worden ist und nunmehr getrost im feindlichen Inland eingesetzt werden kann.

Aber, wie gesagt, dessenungeachtet ist die britische Polizei der Meinung, das scharfe Teil müsse getestet werden:
"Die Hersteller behaupten, eine namentlich nicht genannte Polizeieinheit sei angehalten, die Waffe, die gegen Aufständische einsetzbar wäre, zu testen."
Wohlgemerkt, gegen inländische Aufständische.

Jetzt gucke und frage ich mal ganz dumm: Wie läuft so ein Waffentest eigentlich ab? Stellen sich dafür, ähnlich einem Medikamententest, Freiwillige zur Verfügung? Denen dafür eine Art Risiko-Aufwandsentschädigung angeboten wird? Oder kriegen die Testpersonen nur dann eine Entschädigung gezahlt, wenn der Test danebengeht und sie versehentlich dauerhaft erblinden? Was, wenn von hundert Testpersonen zwei dauerhaft erblinden? Gilt das Testergebnis dann immer noch als positiv, weil - bitte! - was sind schon zwei dauerhaft Erblindete gegen 98 erfolgreich kurzzeitig Erblindete? Und ganz nebenbei, jetzt würde mich doch die jüngste (dauerhafte) Erblindungsrate in einem Land wie Somalia interessieren.

Alles dumme Fragen, ich weiß. BBC gibt dumme Antworten:
"Zwar ist der Erblindungseffekt nur temporärer Natur, dennoch wird Bestandteil des Tests sein, dass Wissenschaftler weitere Forschungen bezüglich etwaiger möglicher Nebenwirkungen durchführen."
Ah, Nebenwirkungen. Mögliche. Etwaige. Forschungen. Wissenschaftler. Yeah. Und dann?
"Erst wenn (für die Laserwaffe) Entwarnung gegeben wird, wird sie dem Innenministerium vorgelegt werden, der sie dann zum Gebrauch freigibt."
Nach so viel angekündigten - wohlige Sicherheit verströmenden - intensiven Testläufen und wissenschaftlich flankierenden Forschungsmaßnahmen sollten eigentlich alle dummen Fragen hinlänglich beantwortet sein.

Nur - dann lese ich am Schluss des Artikels:
"Es ist nicht das erste Mal, dass ein Lasergeschütz eingesetzt wurde zur vorübergehenden Erblindung von Menschen."
Wie jetzt? Also doch bereits ein erfolgreich erfolgter Testlauf in Somalia? Warum sagt ihr das nicht gleich?

Alles falsch:
"Vergleichbare Waffen wurden bereits von britischen und amerikanischen Truppen in Afghanistan eingesetzt, um Konvois vor Angriffen zu schützen."
Aha. Leider weiß ich über die jüngste Erblindungsrate in Afghanistan genauso wenig wie über die in Somalia. Jedenfalls scheinen reichhaltige Testergebnisse, äh, Erfahrungswerte mit dem altbewährten, neuentwickelten Lasergeschütz SMU 100 bereits vorzuliegen.

Friends of Occupy, setzt schon mal eure Sonnenbrillen auf!

Wer terrorisiert wen?


Endlich klare Verhältnisse:
Polizei stellt Occupy Bewegung auf die Terrorliste
Schlechter Scherz? Mitnichten. Allerbeste Realsatire.
"Mit der Herausgabe einer Rechtssache löste die City of London Police eine Kontroverse aus: Darin wird die Occupy London Bewegung aufgelistet unter inländischem Terrorismus/Extremismus, der die Geschäfte der City (City of London = eines der Hauptzentren des globalen Finanzwesens) bedroht."
Tja. Man wird schneller zum Terroristen als manch einer denkt. Spätestens dann, wenn sich die international nicht gesuchten Terroristen des globalen Finanzwesens bedroht fühlen.

Bedroht fühlen letztere sich offenbar durch die Besetzung eines leerstehenden ehemaligen Geschäftsgebäudes des Schweizer Finanzunternehmens UBS in der Londoner Sun Street. Okkupiert durch Londoner Occupy-Aktivsten, die das nutzlose Bankhaus zu einer "Bank of Ideas" umfunktioniert hatten.

Ebendiese "Bank of Ideas" brachte die City of London Police auf die Idee, hier breche sich möglicherweise ein terroristisches Netzwerk Bahn, das den Finanzkapitalismus auf dem Kieker hat:
"Es ist wahrscheinlich, dass Aktivisten noch weitere Locations identifizieren werden, um diese zu besetzen, insbesondere solche, die sie mit dem Kapitalismus identifizieren."
Yo, natürlich solche - welche denn sonst?

Nicht genug, dass die Besetzer ein Haus besetzen; nein, sie setzen sich auch noch in das Haus rein, um darin zu - na, was zu tun? Na, um weitere terroristische Umtriebe zu organisieren:
"Der Geheimdienst geht davon aus, dass die Besetzer in dem besetzten Sun Street Gebäude Diskussionen führen."
Die diskutieren dort miteinander! Wäre ich jetzt von alleine nicht drauf gekommen. Gut, dass es Geheimdienste gibt. Weiter, dem Terror auf der Spur:
"Dies (nämlich jene Diskussionen) könnte zu einer Zunahme von Besetzungsaktivitäten führen in leerstehenden oder prominenten ("high profile") Gebäuden der Hauptstadt."
Die Einlassungen des Sprechers von Occupy London, Spyro Van Leemnen,
"Dieses Gebäude hat jetzt ein paar Jahre lang leergestanden, und wir denken, es ist verrückt von einer Bank, es weiterhin ungenutzt leerstehen zu lassen, wo es so viele Familienhäuser gibt, die zwangsgeräumt wurden."
- dürften den Verdacht auf grassierenden inländischen Terrorismus nur noch erhärten. Weshalb die Polizei es für dringend geboten erachtet, die Occupy Bewegung in einem Atemzug aufzulisten neben der FARC (Revolutionary Armed Forces of Columbia) und Al Qaeda.
Keep the system's panic grooving.

Bildquelle: Occupy LSX

#OccupyChristmas



Halleluja!

(Gefunden bei Naked Capitalism)

Montag, 12. Dezember 2011

Gut geplatzt


Fulminant:


Heiner Flassbeck platzt ein wenig der Kragen. Er holt den neoliberalen Krisen-Spin auf den Boden der Tatsachen zurück und macht das böse K-Wort wieder salonfähig:
It's about Klassenkampf, stupid.
"Der große Kampf, der in unserer Welt stattfindet, ist weder der zwischen Deutschland und den anderen Europäern, noch der zwischen dem Süden und dem Norden, noch der zwischen China und Deutschland oder sonst jemandem - der große Kampf, ob Sie es glauben oder nicht, ist immer noch der zwischen Arbeit und Kapital."
Der Kapitalismus, sagt er, ist gerade dabei, grandios und mit viel Getöse gegen die Wand zu fahren. Warum?
"Wenn es den Arbeitenden verwehrt bleibt, am Produktivitätszuwachs systematisch teilzuhaben - wir sprechen übrigens von den 99 Prozent -, dann fährt der Kapitalismus gegen die Wand. Und zwar dramatisch. Weil keine Wirtschaft erfolgreich wachsen kann, wenn ihrer Bevölkerung weisgemacht wird, einzig auf Blasen zu vertrauen, auf Blasen, die früher oder später platzen."
Gut gebrüllt. Mir scheint, derzeit platzt weltweit die größte aller Blasen - die propagandistisch sorgfältig und von langer Hand aufgebaute Illusionsblase. Platzende Illusionsblasen sind unschwer daran zu erkennen, dass den Menschen weltweit der Kragen platzt.


Sonntag, 11. Dezember 2011

War da was?


War da was?

Wie nicht anders zu erwarten, findet sich weit und breit kein Bericht über die gestrige Besetzung des Roten Platzes in Moskau.

Dafür ein schönes, wenn auch bereits zwei Tage altes Bild -

(Klick auf Link macht Bild groß)

- das zeigt, wie wir uns den sogenannten freien Westen schon immer vorgestellt haben.

Update:

Doch, da war was.

20.000 Leute auf den Straßen Moskaus.

Präsentiert von Russia TV (so viel zum sogenannten freien Westen):


Samstag, 10. Dezember 2011

Occupy Red Square!



Aufruf zur Besetzung des Roten Platzes in Moskau
heute, am 10. Dezember um 14 Uhr
(in russischer, spanischer Sprache; in englischer Kurzübersetzung)

twitter: #redsquareoccupy (auf russisch)


Freitag, 9. Dezember 2011

#OccupyAdvent


Macht hoch die Tür, es ist Advent.


Jeden Tag öffnet sich eine Tür, durch die ein Blick auf OccupyFrankfurt und das Camp geworfen werden kann. Für alle, die sich interessieren für das Leben und die Menschen im Camp, für die Erfolge, die Probleme, die Ideen, die Bewegung und das Lebensgefühl, ist der Video-Adventskalender eine wahre Fundgrube.


Täglich kommt ein Frankfurter Occupier oder ein Unterstützer der Occupy-Bewegung vor der Kamera zu Wort, schildert seine Beweggründe, gibt seiner Kritik am bestehenden System Ausdruck und versucht, seine Vorstellung von einer anderen Art des Zusammenlebens zu formulieren.

Mein Lieblingstürchen ist von heute, dem 9. Dezember.
"Das haut mich echt hinterm Ofen hervor, diese Finanzkrise, und ich finde diese Bewegung so schön."
Die Frau, die das sagt, habe ich letzte Woche kennengelernt, als sie im Camp gemeinsam mit einer Runde Freunden und Verwandten Geburtstag feierte. Was für eine tolle Idee! Menschen aus der Bevölkerung, die occupyFrankfurt unterstützen, tragen ihre Unterstützung mit großen Mengen selbstgebackenem Kuchen und Kaffee ins Camp, setzen sich, dick vermummt, mit der Festtafel mitten auf den Rasen, feiern dort Geburtstag, und jeder Camper war herzlich eingeladen mitzufeiern. Die Sonne schien, die Ingwerplätzchen waren ein Gedicht, die Stimmung war großartig, das Herz wurde warm.
"Was würde ich mir wünschen? Ganz viele Leute hier! Mehr erst mal nicht. Ich glaube, das würde ganz viel bewegen. Weil, es betrifft jeden. Meine Mutter ist 88 und hat einen Kuchen fürs Camp gebacken!"
Mir wird schon wieder ganz warm ums Herz.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Prellungen


Es geht nichts über ein perfektes Timing.

Gestern meldete die FAZ (Print) aus SPD-Kreisen:
"Steinbrück hatte ... am Dienstagmorgen die Delegierten aufgefordert, nicht zu übertreiben. Die SPD müsse ein Bündnis zwischen den Starken und den Schwachen organisieren, dabei dürfe man die Starken nicht verprellen, warnte Steinbrück."
Ebenfalls gestern meldete sich einer der Starken zu Wort: Jamie Dimon, Chef der JP Morgan Chase Bank:
JP Morgan CEO Jamie Dimon: Stop Bashing the Rich

"Acting like everyone who's been successful is bad and that everyone who is rich is bad - I just don't get it,"
jammerte Dimon während einer Goldman Sachs Konferenz:
Big banks, and CEOs like Dimon, have come under fire from Occupy Wall Street and other protesters who are disgruntled about income inequality and feel that big corporations - financial institutions in particular - have undue influence on government. In fact, last month, the protesters in New York targeted Dimon specifically, marching to his apartment and the residences of other wealthy New Yorkers.
Kein Zweifel, dieser starke Typ fühlt sich "verprellt", wie es ein Steinbrück - der die Nähe zu starken Typen sucht und liebt - ausdrücken würde. Bashing the rich! Geht gar nicht! Steinbrück lässt grüßen.

Wie, die Starken darf man nicht verprellen? Stop bashing the rich? Okay, aber nur unter einer Bedingung: Stop trashing the world, the economy and the democracy, you financial terrorists! Occupy lässt grüßen.

Wie es der Zufall und das perfekte Timing wollen, meldete Reuters, ebenfalls gestern, ein weiterer starker Typ sei unter Beschuss geraten. Na ja, was heißt Beschuss. An Josef Ackermann, CEO der Deutschen Bank, wurde ein dubioses Päckchen möglicherweise explosiven Inhaltes geschickt. Die Sprengstoffexperten untersuchen noch, unter Hochdruck. Na ja, was heißt Hochdruck. Vielleicht das falsche Wort in diesem Kontext. Egal. Meinetwegen fieberhaft.

Sweet irony: Als Absender stand auf dem Päckchen wer drauf? Na? Nee, nee, Quatsch, nicht Occupy - nein, ein paar Etagen höher gelegen als #occupyfrankfurt, nämlich: die EZB. Echt jetzt. Versucht die EZB den Ackermann zu verprellen! Sachen gibt's.

Mal ehrlich, irgendwie ist es mir ganz recht, nicht zu den Starken zu gehören. Nicht bloß, dass man da in einer Tour verprellt wird - man muss auch noch um Leib und Leben fürchten! Weil, ich meine, einen Haufen Kohle zu machen ist die eine Sache. Die Sonne am nächsten Morgen aufgehen zu sehen, die andere.

Winterreise


Welcome to Occupy Anchorage, Alaska.

Was dem einen sein Iglu, ist dem andern sein Zelt.

Alles paletti.

Alles Türklinke oder was.

Alles trocken.

Alles warm.

Alles sturmfreie Bude.

Welcome to Occupy Frankfurt, Germany.

Dienstag, 6. Dezember 2011

Systemschwäche: Humorlosigkeit


Welcome to Occupy Melbourne, Australien.

In Australien ist es gesetzlich verboten, öffentlich zu Protestzwecken zu zelten. Hingegen verbietet kein australisches Gesetz, sich als Zelt zu verkleiden und dies in aller Öffentlichkeit zu tun.

Stehen da eines Tages ein paar Zelte in einem Park von Melbourne herum. Einfach so. Obwohl es doch verboten ist. Marschiert die Polizei in Mannschaftsstärke auf. Nähert sich in gesetzeshüterischer Absicht den paar Zelten.

Fangen die Zelte plötzlich an zu wackeln, unter ihnen wachsen je zwei menschliche Füße heraus und oben zum Zeltdach ein menschlicher Kopf. Hüpfen die zweibeinigen Zelte fröhlich um die konsternierten Polizisten herum und erzeugen ratlose Gesichter, amtliches Kopfkratzen und verlegene Körpersprache.

Zieht die Polizei - irgendwie peinlich berührt - wieder ab, weil, was soll sie machen? Kein australisches Gesetz verbietet es, sich als Zelt zu verkleiden. Hüpfen die menschlichen Zelte den Polizisten hinterher und haben jede Menge Spass dabei.

Teil 1:


Teil 2:

Tags darauf rückte die Polizei erneut in Mannschaftsstärke an und demonstrierte auf martialische Weise, dass Spass so ziemlich das Letzte ist, wovon die Polizei etwas versteht. Eine Zelt'bewohnerin' wurde gewaltsam festgehalten, ihr das Zeltkostüm mithilfe eines Messers vom Leib gerissen und halbnackt am Boden kauernd zurückgelassen.


Ein System, das sich selbst so lächerlich macht, dass es Humor mit Gewalt bekämpfen muss, sollte so lange ausgelacht werden, bis es, totgelacht, zusammengekauert am Boden liegt und keinen Ton mehr von sich gibt.

Stelle ich mir unglaublich befreiend vor.

Montag, 5. Dezember 2011

Polizeischutz


Wenn der Staat im Sinne des Kapitals agiert:


Mehr muss eigentlich nicht gesagt werden.

Strukturell dumm


Gestern war ja, sozusagen, Intellektuellentag bei occupyFrankfurt. Oder besser gesagt, gegenüber von occupyFrankfurt. Im Schauspiel Frankfurt fanden nämlich die traditionellen 39. Römerberggespräche statt.
"Ob Stuttgart 21, Demonstranten in Madrid und Jerusalem oder die occupy-Bewegung: Gegenüber einer Politik, die zunehmend ratlos und überfordert wirkt, erheben sich an vielen Orten Menschen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen und Partizipation einzufordern. Auch das klassische Bürgertum der Mitte..."
- welches, mit spürbar linksliberalem Einschlag, bei den Frankfurter Römerberggesprächen zahlreich und debattierfreudig zu erscheinen pflegt -
"...empfindet Unbehagen, da alte Sicherheiten Makulatur geworden sind.
Nicht immer ist die neue Lust an der Einmischung dabei mit ausformulierten Manifesten verbunden. Im Gegenteil, gerade die sichtbare Abstinenz von politischen Programmen irritiert viele Beobachter. Liegt dies daran, dass eine getriebene Politik ohne klare Konturen eben auch keine Gegenentwürfe provoziert? Oder ist die ästhetische Praxis dieses Widerstands, der oft ohne intellektuelle Programme auskommt, doch als politisches Handeln zu begreifen?"
- wobei den "beobachtenden" Besuchern der gestrigen Veranstaltung "die ästhetische Praxis dieses Widerstandes" in neblig-nasskalter Gestalt quasi zu Füßen lag.


Sonderlich irritiert von der "sichtbaren Abstinenz von politischen Programmen" schien das Publikum nicht zu sein; deutlich irritierter dagegen von dem Eröffnungsvortrag des Soziologen Heinz Bude, weshalb ich mich in guter Gesellschaft fühlte, denn der Vortragstitel "Empörung in einer Welt ohne Alternative" hatte bei mir bereits im Vorfeld beträchtliche Irritationen ausgelöst. Wie kann ausgerechnet ein Soziologe von einer Welt ohne Alternative sprechen? Einem Ideologen mag dies mühelos gelingen, aber einem Soziologen? Na gut, es muss auch Ideologieliebhaber unter den Soziologen geben, und Heinz Bude gehört ohne Zweifel zu ihnen.

Vor zweieinhalb Jahren nämlich hatte er im Rahmen eines Rundfunkinterviews den Begriff Unterschicht dahingehend umgedeutet, dass die heutige Unterschicht keinesfalls charakterisiert sei "durch materielles Schlechtergestelltsein, sondern aufgegeben (habe), mitzukommen, den sozialen Aufstieg zu wollen", im Gegensatz zu jenen, "die mit dem Takt der gesellschaftlichen Entwicklung mitgehen und dadurch sogar ihre Chancen mehren", die anderen hingegen, diejenigen, "die aus dem Takt geraten sind, plötzlich zurückbleiben", als "bedauernswerte Population" bezeichnet, "die eben nicht verstanden hat, worum es geht." Mit anderen Worten: Die Unterschicht hat im Jahr 2009, als Bude die Welt noch voller Alternativen sah, halt den Anschluss verpasst. Pech gehabt, Unterschicht.

Im Jahr 2011 spricht der Soziologe Bude in der Vergangenheitsform von einer Finanzkrise als einer (mit der Lehman-Pleite) "zu Ende gegangenen Periode", als "einer riesigen Veranstaltung zur Veränderung der Vermögensverhältnisse in unserer Gesellschaft", aus der er die "bewegende Bilanz" zieht, es gebe daraus "keinen transzendentalen Ausweg". Keinen Ausweg für wen? Für "uns". Ja, im Jahr 2011 spricht Bude gern, ausdauernd und pathetisch von "wir" und "uns" anstatt von "jenen" und "denjenigen" und meint mit "uns" offenbar alle - die Unterschicht, die Mittelschicht, die Oberschicht, die politische Klasse, die mediale Klasse, die Finanzelite, die occupy-Bewegung, die Intellektuellen, die Soziologen und anscheinend auch sich selbst.

Wobei ihm selbst in Gestalt seines Professorengehaltes sowie seiner Referentenhonorare mit Sicherheit ein - wenn schon nicht transzendentaler, so doch komfortabler - Ausweg zur Verfügung steht. Was ihn nicht daran hinderte, jedem, der einen Ausweg, eine Alternative in einer "Welt ohne Alternative" für möglich hält, markig entgegenzuschmettern: "der spinnt", beziehungsweise, der sei - elaborierter gewendet - "strukturell dumm". Gut möglich, dass er die occupy-Bewegung für Spinner beziehungsweise deren Empörung für strukturell dumm hält.

Auch vergaß Bude im Eifer des ideologischen Wir-Gefühls zu erwähnen, dass es den Akteuren der Finanzkrise bravourös gelungen ist, durch "eine Veränderung der Vermögensverhältnisse in unserer Gesellschaft" einen transzendentalen Ausweg für all jene zu finden, die sich zu den '1%' rechnen können. Weshalb der Rest jetzt im Regen steht (oder zeltet) und strukturell schön dumm ist, wenn er sich einbildet, es gäbe Alternativen. Vor Gericht würde man so eine Argumentation, glaube ich, 'Täterschutz' nennen.

Nach derart beschworener Auswegs- beziehungsweise Alternativlosigkeit entblödete der Redner sich nicht, noch einen pathetisch draufzusetzen und seinem Publikum den aus seiner Sicht einzigen Ausweg aus der quasi naturhaft über uns gekommenen Finanzkrise zu weisen: Bude appellierte eindringlich an "unsere(!) kollektive Disziplin und Hoffnung". Wie, Disziplin? Ja freilich, weil "wir (jawohl, wir!) doch alle über unsere (jawohl, unsere!) Verhältnisse gelebt" hätten und damit endlich Schluss ein müsse. Wie, Hoffnung? Ja freilich, "Hoffnung auf Wachstum und die Chance zu partizipativer Teilhabe".

Hat man Töne? Während derzeit die Demokratie direkt bedroht, weil zügig abgewickelt oder vielmehr vom Finanzkapital schlicht abgeschafft wird, ermahnt uns(!) ein Soziologe, der früher mal Redenschreiber für Gerhard Schröder war, zu der "Hoffnung auf die Chance zu partizipativer Teilhabe". Und das, wo im Camp gegenüber auf partizipative Teilhabe nicht gehofft, sondern darum gekämpft wird; was jedoch, wenn ich richtig verstanden habe, ebendieser Soziologe einen Atemzug früher als "strukturell dumm" abgetan hatte. Übrigens, woher in einer "Welt ohne Alternative" - also einer Welt der Hoffnungslosigkeit - die Motivation zu egal welcher Hoffnung kommen sollte, ließ der Soziologe im Dunkeln.

Das Frankfurter Publikum machte seiner Irritation über so viel Sprechgebläse engagiert und temperamentvoll Luft, weil es sich für (und sei es strukturell) dumm verkauft fühlte. Zeitweilig ging es fast so tumulthaft zu wie auf einer gutbesuchten Sonntags-Asamblea von occupyFrankfurt. Gesagt hat es keiner, aber gedacht haben wird es mancher (darunter auch ich): ein ausgesucht strukturell dummer Vortrag eines soziologischen Ideologienverkäufers. Weniger elaboriert gewendet (sage ich jetzt): Der spinnt.


Donnerstag, 1. Dezember 2011

Unterdrückte Minderheiten, vereinigt euch!



Occupy Los Angeles und Occupy Philly wurden gestern nacht von der Polizei geräumt.

Der Terror der Mehrheit hat ein Ende.

Khalil Bendib (klick auf Link zum Vergrößern)

Endlich darf sich die unterdrückte Minderheit wieder zu Wort melden.

Pfft


Heute abend hat mich der Zufall in eine Fraktionssitzung der Linkspartei im Frankfurter Römer gespült: eine "informative" Einladung an uns, mal ein bisschen aus dem occupyfrankfurt-Nähkästchen zu plaudern. Wir waren zu fünft, gutgelaunt, vertilgten Unmengen von Keksen, fingen an zu plaudern, und die Fraktionslinken staunten Bauklötze über den frischen Wind, der da plötzlich durchs Parteibüro wehte.

Wie wir das bloß schafften, wollten sie wissen, innerhalb weniger Wochen so einen gewaltigen Rückhalt in der Bevölkerung zu bekommen - wo wir doch "irgendwie" und "eigentlich" ziemlich "unkonkret" in unserer "Zielsetzung", erst recht in unseren "Forderungen" seien. Tja. Was soll man dazu sagen? Vielleicht, brummte ich, läge es ja gerade daran, dass wir so unkonkret seien und eben keine Forderungen in die Welt posaunten. Hm, meinte die Linksfraktion, hm.

Weil, die Linkspartei leidet nämlich unter Mitgliederschwund und denkt womöglich, das habe irgendwas mit ihren Forderungen zu tun. Wir dagegen hängen einfach so vor der EZB rum, haben keine Forderungen und dafür irren Zulauf. Was ja irgendwie ungerecht ist, und wäre ich die Linkspartei, würde mich das auch wurmen. Weshalb ich ganz froh bin, nicht in der Linkspartei zu sein, sondern gutgelaunt drauflosquatschen zu können mit ein paar anderen gutgelaunten Kumpels vom Camp. Und endlich mal wieder auf eine anständige Toilette zu können.

Das Klopapier war kratzig, aber die Schokobrezeln waren gut und die Kaltgetränke gratis.

Danach hat es mich weiter gespült zur Podiumsdiskussion mit Oswald Metzger. Auch irgendwo im Frankfurter Römer, aber in einem schniekeren Department. Aalglatt, der Typ, und sehr gerissen. Muss man wohl sein, wenn man es von der SPD über die Grünen in die CDU geschafft hat. Die Occupy-Podiumstypen - mit Jackett und so - schlugen sich nicht schlecht, aber die Fragen aus dem Occupy-Publikum waren um Längen besser.


Einer forderte den Oswald auf, doch mal Stellung zu nehmen zur wachsenden Armut, was den Oswald zu langatmigem Geschwalle veranlasste über den Unterschied zwischen Einkommensgleichheit und Chancengleichheit, nach dem ihn keiner gefragt hatte. Darauf aufmerksam gemacht, schwallte der Oswald weiter über die - aus seiner Sicht - erfreulich positiven Erwerbstätigenstatistiken und die unerfreulich hohen Transferzahlungen an die Erwerbslosen. Er redete nicht über Armut, sondern über Zahlen. Schwer erträglich. Ich ging aufs Klo.

Das Klopapier war seidenweich und vierlagig, aber das Achtel Rotwein kostete 2,50 Euro und zu essen gab es nichts.

Wie ich das Ganze gefunden habe, fragte mich einer beim Rausgehen, und ich brummte: Pfft. Ich hätte nichts dagegen, brummte ich weiter, solche Typen wie den Oswald zum Podiumsgespräch einzuladen, aber nächstes Mal bitte nicht in einen sterilen, geheizten Sitzungssaal im Römer, sondern ins Camp. In unser ungeheiztes Sitzungszelt, da, wo immer die Asamblea stattfindet und allabendlich die Fetzen fliegen, weil keiner ein Blatt vor den Mund nimmt. Und wo die Occupy-Typen mit dick wattierten Anoraks in ausgefransten Sperrmüllsesseln rumhocken. Dem Oswald könnten wir ja eine warme Wolldecke anbieten, und ich, brummte ich, würde ihm sogar meine Wärmflasche ausleihen. Und dann könnten wir in aller Ruhe und Kälte mal über Armut diskutieren.

Pfft.