Sonntag, 30. Juni 2013

30. Juni


Heute in Alexandria, Ägypten

Freitag, 28. Juni 2013

Im Rohr krepiert


Put the shit back where it came from!

Ich liebe ihn, diesen uralten, großartigen Spruch, anwendbar auf eine Vielzahl von Konfliktlagen, wo man von irgendwelchen zänkischen, von ihrer scheinbar gottgegebenen Überlegenheit überzeugten Mitmenschen rüde angerempelt, unter Druck gesetzt und mit Dreck beworfen wird, und wo der mit Druck und Dreck Beworfene sich nervös fragt, wie er sich am effektivsten gegen derart übergriffiges Verhalten zur Wehr setzen kann.

Put the shit back where it came from!

Geht eigentlich ganz einfach. Da der Beworfene in der Regel weiß, aus welcher Richtung der Dreck geflogen kam und die Dreckschleuder leicht zu identifizieren ist, braucht er nichts weiter zu tun als das Stück Dreck aufzuheben, es kraftvoll zurückzuschleudern, sich die Hände abzuwischen, und schon ist der eigene Vorgarten samt Händen wieder sauber. Geht wirklich ganz einfach. Alles, was man dazu braucht, ist ein wenig Mut sowie ein eingefleischter Widerwillen, sich von jedem dahergelaufenen Großkotz mutwillig einschüchtern zu lassen. Funktioniert garantiert. Und fühlt sich großartig an.

Put the shit back where it came from!

- hat sich die konfliktfreudige Regierung von Ecuador gedacht und ist gerade dabei, sich die Hände abzuwischen. Der zänkischen Dreckschleuder aus dem Norden hat sie klipp und klar gemacht, dass sie auf Handelserleichterungen pfeift, ihr darum jegliches Drohen mit Entzug von Handelserleichterungen sonstwo vorbeigeht und sie im übrigen sich durch keinerlei Provokationen weder aus der Ruhe noch aus dem Konzept und schon gar nicht zum Abrücken von selbstverpflichtenden Prinzipien bringen lässt. So, who flung dung?

Nachzulesen ist die Sache mit dem zurückgeworfenen Fehdehandschuh hier. Was in dem Bericht leider fehlt, ist dieses exquisite Stück Dreck, das von dem ecuadoranischen Informationsminister in hohem Bogen in den dauervermüllten US-Vorgarten geschleudert wurde:



Obendrein möchten wir den USA eine Wirtschaftshilfe in Höhe von jährlich 23 Millionen Dollar anbieten - ein Betrag, der ungefähr den uns gewährten Handelserleichterungen entspricht - um ihnen ein Training zu verpassen in Sachen Menschenrechte, ein Training, das ihnen helfen wird, Attacken auf die Privatsphäre von Individuen ebenso zu unterlassen wie außergerichtliche Hinrichtungen und sonstige Handlungen, welche die Menschenwürde verletzen.
Bum. Perfekt abgeschmettert. Das zischende Geräusch des durch die Luft zurückfliegenden Stück Drecks ist förmlich zu hören. Wie eine virtuose einhändige Rückhand auf dem politischen Court. Ich liebe es. Und möchte wetten, der Minister fühlt sich großartig.


Donnerstag, 27. Juni 2013

In aller Stille


Vorgestern, am 25. Juni, drehte sich ein gewisser George Orwell in seinem Grab. 

Er tat dies in aller Stille, um niemanden allzu sehr aufzuscheuchen oder gar hinter dessen Computer hervorzulocken, obwohl, dachte sich Orwell in seinem Grab, Gründe gäbe es ja weiß Gott genug, weshalb Orwell in seinem Grab seufzte "ach ja, tempora mutantur ...", was er aber nur ganz leise tat, um niemandem wegen des Wortes Doppelbedeutung auf die Füße zu treten.

Trotzdem, ein klein wenig gedreht hat der alte Orwell sich doch in seinem Grab, weil er sich gewundert hat, denn immerhin hatte er Geburtstag, noch dazu einen runden - 110 Jahre alt wäre er vorgestern geworden! Weil aber niemand davon Notiz zu nehmen schien, hat der Jubilar halt in aller Grabesstille sich ein bisschen hin- und hergedreht. 

Zumindest in der holländischen Provinz muss das leise unterirdische Gerumpel zu hören gewesen sein: Dort, in Utrecht, haben sie Orwell Geburtstag gebührend gefeiert. Dort haben sie die unzähligen öffentlichen Überwachungskameras mit lauter niedlichen kleinen Partyhütchen dekoriert und erklärt:
George Orwell ist bestens bekannt für sein Buch '1984', in dem er die Schreckensvision einer Gesellschaft beschreibt, wo die Bevölkerung ständig beobachtet wird vom Überwachungsstaat Big Brother. 
Wir wollen, dass diese unauffälligen Kameras, die wir in unserem Alltagsleben ignorieren, ins Auge fallen, um das Bewusstsein zu sensibilisieren, von wievielen Kameras wir heutzutage tatsächlich beobachtet werden und dass der von Orwell beschriebene Überwachungsstaat mehr und mehr zur Realität wird.

Lauter lustige Partyhütchen auf der Straße, um damit gegen den Überwachungsstaat zu demonstrieren -  das ist doch wenigstens etwas, sagte sich der alte Orwell. Also, zumindest besser als nichts.

Wieso allerdings keine Sau leibhaftig auf die Straße geht, um gegen den Überwachungsstaat zu demonstrieren - das hat sich der Orwell dann schon gefragt. Wie gesagt, nur ganz leise. Weil, aufschrecken wollte er ja niemanden. Er beließ es beim Seufzen.


Koinzidenz



Dienstag, 25. Juni 2013

Luxusprotest


Meine roten Schuhe wölben sich gerade gefährlich nach oben. Also, das Obermaterial meiner Schuhe, das beult sich so richtig aus. Das kommt daher, dass die darunter befindlichen Zehennägel sich wie wild hochrollen. Die Socken hat es mir schon längst von den Füßen gezogen. Das kommt daher, dass ich sprachlos bin, und das wiederum kommt daher, dass ich lese, was die Finanzmarkt-Presse sich über die brasilianischen Proteste zurechtschustert.

Das Wall Street Journal widmet sich nämlich dem Umstand, dass in Brasilien die Mittelschicht massenhaft auf die Straße strömt. Zwar strömen derzeit in Brasilien alle möglichen Schichten massenhaft auf die Straße, aber weil das WSJ naturgemäß am ungewaschenen Pöbel weniger interessiert ist, dafür umso mehr an solchen Schichten, bei denen (noch) etwas zu holen ist, macht das Journal aus der vielschichtigen Protestbewegung ein eindimensionales Mittelschichtsphänomen.

Nun könnte es mir ziemlich wurscht sein, was ein Sprachrohr des internationalen Finanzkapitals von der protestierenden brasilianischen Mittelschicht denkt. Wenn da nicht meine Zehennägel wären. Die fingen an sich zu deformieren, als ich folgendes las:
Bürger, die finanziell besser gestellt sind, können sich den Luxus erlauben, ihrem Unmut über soziale Misstände Luft zu machen ...
In meinen Schuhen revoltiert es. Das sind meine Fußnägel, die sich den Luxus erlauben, ihrem Unmut über so viel ideologische Misstände Luft zu machen.

Was lernen wir? Wer auf die Straße geht, um zu protestieren, frönt einem luxuriösen Zeitvertreib. Dem geht es anscheinend zu gut. Wie jenem Esel, der, wenn ihm zu wohl wird, aufs Eis tanzen geht. Sollte das als Warnung zu verstehen sein? Als Warnschuss vor den Bug der Mittelschicht, seitens derer, die selbst den Hals vor lauter Luxus gar nicht voll genug kriegen können? Die sich von wachsenden globalen Protestbewegungen unangenehm gestört fühlen und darum deren Protagonisten den "Luxus" des Widerstandleistens missgönnen? Und sich schon mal Gedanken machen, wie sie jenem "Luxus" - also dem Widerstand - möglichst effizient zu Leibe rücken können, auf dass den finanziell besser gestellten Bürgern die luxuriöse Lust am Widerstand vergeht?

Vielleicht ließen sich ja die aufsässigen "finanziell besser gestellten Bürger" ruhigstellen, wenn man sie, peu à peu, finanziell immer schlechter stellt. Bisschen aushungern, bisschen Verarmung, bisschen Fahrstuhleffekt (der nach unten, selbstredend), so dass sie vor lauter Existenznöten gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen.
Spinne ich? Nein. Das WSJ spinnt sich seine Interpretation der brasilianischen Protestbewegung zurecht:
... Misstände, die verarmten Leuten weniger dringlich erscheinen, deren größtes Problem darin besteht, genug zu verdienen, um satt zu werden.
Da haben wir's. Wer von früh bis spät malocht und sich krummlegt, um etwas zwischen die Zähne zu bekommen, hat weder Zeit noch Energie zum Protestieren. Der lässt sich als pflegeleichter Arbeitssklave halten und macht keine Scherereien. Denkt sich das WSJ so. Wenn ich Mittelschicht wäre, würden bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen. Bin ich aber nicht, und deshalb schlagen lediglich meine prekarisierten Fußnägel Alarm.

Von welchen Misständen ist eigentlich die Rede? Von Misständen im Gesundheits- und Bildungswesen, also solchen "Misstände(n), die verarmten Leuten weniger dringlich erscheinen". Schon klar, verarmte Leute haben keinerlei Interesse an einem bezahlbaren Gesundheitssystem und gleich gar keines an anständigen Schulen, auf die sie ihre Kinder schicken können. Ein Stück Brot am Tag reicht, zur Not tut's auch Kuchen. Was braucht der arme Mensch mehr?

Wie gesagt, eigentlich könnte es mir wurscht sein, was eine Finanzkapitalgazette so daherplappert. Nur, die plappert nicht einfach so daher, vielmehr weiß sie sich in einem Theoriegebäude der Entwicklungsökonomie ("a school of thought in development economics") zuhause, einer Art Thinktank zur Verhinderung einer aufmüpfigen Mittelschichtsmentalität:
... eine Denkrichtung der Entwicklungsökonomie, die ergründet, warum scheinbar gutsituierte Mittelschichtsbevölkerungen in Schwellenländern von der Türkei bis nach Chile auf die Straße gehen. Der Leitgedanke dabei ist, dass Bevölkerungen umso mehr von ihren Politikern fordern, desto mehr sich ihre wirtschaftlichen Bedingungen verbessern.
Und da war sie, die höchste Fußnägel-Alarmstufe, ausgelöst von dem "entwicklungsökonomischen Leitgedanken":

Lasst sie kürzertreten, lasst sie darben, lasst sie schuften, bis ihnen Hören und Sehen sowie jegliche Lust auf Widerstand vergeht, bis sie aufhören, von "ihren" Politikern immer mehr zu fordern, diese gierigen, gefräßigen, nimmersatten Wohlstandsbürger, die sollen endlich "ihre" Politiker in Ruhe lassen, denn in Wahrheit sind das nicht "ihre", sondern "unsere" Politiker, von denen wir immer mehr fordern, wir gierigen, wir gefräßigen, wir nimmersatten, wir ... na, Sie wissen schon, welche luxusverwöhnte Zielgruppe von einem Blatt wie dem Wall Street Journal bedient wird.

Und jetzt ab in die Tonne mit dem luxuriösen Leitgedankenmüll.
Weil, mehr verkraften meine geplagten Fußnägel einfach nicht. Bitteschön, WSJ, keine Ursache, gern geschehen:


Montag, 24. Juni 2013

Alle unter einer Decke


Über den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan 
kann einer sagen, was er will, 

"Hinter den Protesten in der Türkei und in Brasilien 
stehen dieselben Kräfte."

Ja logisch, was hat der Mann denn sonst erwartet?

"Jetzt spielen sie das gleiche Spiel drüben in Brasilien."
Korrekt, und das mit wachsender Begeisterung.

"Die Plakate sind dieselben, 
Twitter und Facebook sind dieselben, 
die Medien sind dieselben, 
die Proteste werden aus ein und derselben Zentrale geführt."
Hier der Beweis.

"Die Unruhen in Brasilien 
sind Teil derselben Verschwörung (wie in der Türkei)."
Wo Erdogan recht hat, hat er recht.

Freitag, 21. Juni 2013

Stand up!


Protest hat viele Gesichter:

Standing man, allein.

Standing man, in Begleitung.

Standing woman.

More standing women.

Standing people.

More standing people.

 Standing cat, solidarisch.

Auf Dauer ganz schön anstrengend, die Steherei.
Geht da noch was?
Aber klar doch:

Man, lying down.

 Zum Sichniederlegen, der türkische Sinn für Humor.

Aufrüstungsspirale


"The more you spray, the bigger we get"


Je mehr ihr uns mit Tränengas besprüht, desto größer und stärker werden wir - so lautete die entschlossene Antwort türkischer Aktivisten auf den Flächeneinsatz mit chemischem Reizgas der Polizei. Und so kam es ja dann auch.

Diese Reaktion wiederum ruft das entschlossene Handeln der türkischen Polizei auf den Plan. Nach dem Motto The bigger you get, the more we spray - deutsch: immer feste druff! - haben die Terroristenbekämpfer von Erdogans Gnaden jetzt eine Inventur ihrer Kampfmaterialbestände vorgenommen und panisch festgestellt, dass ihr Vorrat an Tränengas zur Neige geht. Kein Wunder, wurden doch innerhalb von nur 20 Tagen über 130.000 - hundertdreißigtausend! - Tränengaspatronen verballert, was ebenfalls kein Wunder ist in einem Land mit einer beängstigend hohen Terroristendichte. Noch dazu solchen in raffiniert-hinterlistiger Zivilvermummung (siehe Bild).

Dringender Handlungsbedarf also. Deshalb greift die türkische Polizei jetzt in die Vollen: Im Rahmen einer "außerplanmäßigen Angebotsausschreibung" wurden 100.000 neue Tränengaspatronen geordert sowie 60 nagelneue gepanzerte Wasserwerfer (für den personalsparenden Großeinsatz von Tränengas bei kommenden Großterroristenaufläufen).

Es wurde an alles gedacht: Sollte das Finanzministerium knausern und kein "außerplanmäßiges" Budget zum Kauf von zusätzlichen Kampfmitteln bereitstellen, darf aus dem persönlichen Geldtopf des Ministerpräsidenten geschöpft werden; das ist jener Topf für frei verfügbare Mittel ("discretionary fund"), der alles Geld der Welt bereithält für Sondereinsätze unter dem Codenamen 'immer feste druff'.

Bislang unbestätigt blieb die Anschaffung sonstiger Waffen zur Terrorismusbekämpfung, wie zum Beispiel mindestens 500.000 dringend benötigte neue, verbesserte Schlagstöcke der Premium-Marke 'noch fester druff'. Es heißt, Polizeiknüppel konventioneller Machart hätten sich im täglichen Einsatz als nicht effektiv genug erwiesen. Weil sich Terroristen in Zivil von der Standardversion 'immer feste druff' einfach nicht abschrecken ließen.

The more we beat them ...

Donnerstag, 20. Juni 2013

Tränen des Zorns


Vergangenen Sonntag 
flüchtete ein kleines türkisches Mädchen 
vor dem Tränengasbeschuss in ein Burger King Restaurant:

"Der Frühling kommt wieder, das verspreche ich dir!"

Was für ein intensiver Blick.
Wer sich solche Feinde heranzüchtet,
Herr Erdogan,
der hat nichts zu lachen.
Die Kleine meint es ernst.

Mittwoch, 19. Juni 2013

Demokratie muss weg


Also, ich finde es immer sehr erleichternd, wenn irgendwo Klartext gesprochen wird, so richtig ungeschminkt und ohne Maulkorb. So, dass man auf Anhieb weiß, wo man dran ist. So, dass wenig Raum bleibt für endloses Hin-und-her-Interpretieren und ewiges Herumdeuteln, wie dies oder jenes wohl gemeint war, und warum jenes oder dies so gesagt wurde, obwohl es doch ganz anders gemeint war, und ob es sich nicht eventuell um ein Missverständnis handeln könnte und überhaupt.

Doch, ich mag das richtig gern, wenn einer ohne Umschweife zur Sache kommt und freiheraus sagt, was Sache ist. Befreiend finde ich das, irgendwie. Nachgerade entlastend. Weil es mich von all den Grübeleien entlastet, ob ich jetzt spinne oder ob der spinnt oder die spinnt oder ob alle spinnen oder welcher sprachkünstlerisch wertvolle PR-Spin jetzt gerade wieder gedrechselt wird, nur um mir das Gefühl zu geben, dass ich spinne.

Nur, wer tut mir heutzutage noch diesen Gefallen? Irgendein Politiker? Mir fällt keiner ein. Geht ja auch gar nicht. Weil - wie heißt es immer? - Politiker seien ja derart eingebunden in Sachzwänge und Interessensvertretungen und wahlkampftaktische Winkelzüge, dass von dieser Seite kein kommunikativer Befreiungsschlag zu erwarten ist. Von welcher Seite dann?


Von der richtigen Seite natürlich. Von jener Seite, die visionär in die Zukunft schaut, die plant und lenkt, die weiß, wie alles zu laufen hat, damit alles so nach Plan läuft, wie es laufen soll und nichts aus dem Ruder läuft. Die sich auf einem guten Weg sieht, lägen dort nicht noch ein paar Stolpersteine herum, welche jedoch, da ist man sich sicher, von der richtigen Seite mit den richtigen Maßnahmen effizient aus dem Weg geräumt werden können.

Ein finanzkapitalistischer Global Player packt endlich aus. Nennt die Dinge beherzt beim Namen. So frank und frei, so unverblümt unmissverständlich, dass keine Fragen offen bleiben. Es ist nämlich so:

Demokratische Verfassungen, die irgendwann einmal entworfen wurden, um einem Wiederaufleben des Faschismus entgegenzuwirken, stehen dem Großbauprojekt der austeritären Komplettsanierung hinderlich im Weg. Müssen weg. Her mit der Abrissbirne.
Noch hat die politische Reform kaum begonnen.
Zu Anfang der Krise wurde allgemein davon ausgegangen, dass nationale Altlastenprobleme ökonomischer Natur seien. Jedoch wurde mit zunehmender Entfaltung der Krise offensichtlich, dass es in der Peripherie (i.e. den europäischen Krisenländern) tief verwurzelte Probleme gibt, die aus unserer Sicht abgeschafft gehören, wenn die EMU (European Monetary Union) langfristig ordentlich funktionieren soll. Die politischen System der Peripherie wurden in einer Zeit beendigter Diktaturen etabliert und waren von dieser Erfahrung (der diktatorischen Regimes) definiert. Verfassungen tendierten dazu, unter starkem sozialdemokratischen Einfluss zu stehen, was die politische Stärke reflektierte, die linksgerichtete Parteien nach dem Sieg über den Faschismus gewannen. Politische Systeme in der Peripherie tragen typischerweise die folgenden Merkmale: schwache Führungskräfte; schwache Zentralregierungen im Verhältnis zu den Regionen; verfassungsmäßig geschützte Arbeitsrechte; auf Konsens gestützte Systeme, die politischen Klientilismus begünstigen; sowie das Recht auf Protest, falls am politischen Status quo unwillkommene Veränderungen vorgenommen werden.
Habe ich zu viel versprochen? Banker-Mund (in dem Fall J.P. Morgan) tut Wahrheit kund. All das in Verfassungen niedergelegte demokratische Kleingerümpel im Interesse der Bevölkerung - also des zu vernachlässigenden Pöbels - gehört zügig entrümpelt. Wie, es gibt ein von der Verfassung garantiertes Recht auf Protest, gar auf Widerstand? Muss weg. Wird man ja wohl noch sagen dürfen. Ganz offen. Und ganz unmissverständlich. Damit es auch alle verstehen.

Habe ich das jetzt richtig verstanden? Schon, oder? War schließlich unmissverständlicher Klartext: Verfassungen, die geschaffen wurden, um ein Wiederaufleben des Faschismus zu verhindern, gelten dem Finanzkapital als irgendwie veraltet, unzeitgemäß, nicht in sein modernes stromlinienförmiges Schema passend, hinderlich, überflüssig. Alles alte Zöpfe, alle abschneiden, und zwar zügig, bitte. Denn alles, was diese steinzeitlichen Relikte aus post-faschistischen Epochen darstellen, sind Hindernisse, sind Stolpersteine, sind Reibungsverluste, sind lästig auf dem Weg in den - tja, wie nennt man das jetzt? - Faschismus. Wird man ja wohl noch sagen dürfen.

Sonntag, 16. Juni 2013

Sonntagsrätsel


Sonntagabend
erquickend und labend.
Wir machen ein Quiz:
Wer erkennt den Beschiss?

Alles Terroristen


Ankara und Istanbul 
in der Nacht vom 15. zum 16. Juni 2013:

Alles Terroristen. 

Alles Terroristen.

Alles Terroristen.

Alles Terroristen.

Alles Terroristen.
"Jeder, der sich zum Gezi-Park begibt, wird als Terrorist behandelt werden."
Der EU-Minister Egemen Bagis während eines Fernsehauftritts 
in der Nacht vom 15. zum 16. Juni 2013. 

Eines der letzten Bilder, 
aufgenommen im Morgengrauen des 16. Juni 
im Istanbuler Stadtteil Mecidiyekoy:

Es heißt, die türkische Polizei leide zunehmend 
unter einem Burnout-Syndrom. 
Das Militär steht bereit.

Quellen:
Occupied Taksim
gezipark.nadir (in deutscher Sprache)
Zeynep Tufekci twitter

Samstag, 15. Juni 2013

Volkszertreter


In diesem kurzen Video ist zu sehen, wie ein 26-jähriger junger Mann erschossen wird. Der Täter, ein Polizist, verlässt mit der Waffe in der Hand fluchtartig den Tatort:



Ethem Sarisuluk hatte an den Demonstrationen in Ankara teilgenommen. Am 1. Juni traf ihn aus nächster Nähe ein Schuss in den Kopf. Der Hirntod trat ein. Heute hat sein Herz aufgehört zu schlagen.

Ebenfalls heute hat der Bürgermeister von Ankara, Melih Gokcek, das Aufhängen eines Transparentes angeordnet. Es hängt jetzt im Guven-Park, dort, wo Ethem erschossen wurde. Auf dem Transparent ist zu lesen:

"Unsere hochgeschätzte türkische Polizei 
Ankara ist stolz auf euch
Melih Gokcek"

Ethem Sarisuluk

Update:
Video-Aufruf zur Beerdigung von Ethem Sarisuluk, unterlegt mit dem Soundtrack seiner Tötung im Guven-Park, Ankara:



Freitag, 14. Juni 2013

Frauenpower auf türkisch



Mütter, passt gut auf eure Söhne auf. Auf eure Töchter sowieso. Am besten lasst ihr sie gar nicht mehr auf die Straße. Was denen dort alles zustoßen könnte! Bei all der Gewalttätigkeit, den Ausschreitungen, der Randale! Passt gut auf eure Kinder auf, Mütter. Holt sie zu euch nach Hause. Hausarrest, habt ihr das verstanden? 

Vor zwei Tagen warnte der Gouverneur von Istanbul eindringlich alle Eltern, "ihre Kinder zu sich nach Hause zu holen". Wieso das? Weil es auf den Straßen und in den öffentlichen Parks viel zu gefährlich sei für die Heranwachsenden: "Dort ist ihr Leben bedroht." Im gleichen Atemzug versicherte der Politiker, es werde keinerlei Polizeieinsatz auf dem Taksim-Platz geben, sodass zunächst nicht ganz deutlich wurde, aus welchem Grund der fürsorgliche Gouverneur meinte an die Fürsorgepflicht der Eltern appellieren zu müssen.

Es wurde jedoch ganz schnell deutlich: Am darauffolgenden Morgen stürmte die Polizei den Taksim-Platz sowie den Gezi-Park mit Wasserwerfern und Tränengasbomben. Die Kinder? Waren nicht zuhause geblieben. Waren lieber auf dem Platz und im Park. Die Mütter? Waren nicht zuhause geblieben, sondern beschlossen, an Ort und Stelle auf ihre Kinder aufzupassen. Rund um den Gezi-Park bildeten die Frauen eine Menschenkette, um ihre demonstrierenden Kinder zu schützen, deren Leben von Polizeigewalt (Danke, Mitzerl!) bedroht war.

Gesungen haben die fürsorglichen Mütter natürlich auch:

"Seite an Seite gegen Faschismus!"


"Hände weg von unseren Kindern!"


"Abdullah Cömert ist unser Kind!"
(Abdullah starb an den Folgen eines Kopfschusses
 durch einen Polizisten während eines Einsatzes in Hatay)

Respekt.

Wobei die türkischen Mütter bestimmt noch einiges lernen können
von den türkischen Großmüttern:

Montag, 10. Juni 2013

Spuren des Widerstands


Bilder aus Istanbul 

"Freedom"


"Lasst die Leute doch Pfefferspray essen."
Recep Tayyip (Erdogan) Antoinette 


"Wir sind stolz auf unsere revolutionären Rechtsanwälte."
Zu Ehren der Anwälte, 
die verhaftete Demonstranten 
kostenlos vertreten haben.

Fotografiert von der türkisch-amerikanischen Künstlerin 
Mirgun Akyavas

Big Brother im Vollchecker-Modus


Tolles neues Fotoblog, aus gegebenem Anlass:


Lässt keine Fragen offen. 

Bis auf die eine: 

Wer checkt eigentlich die Emails von Obama?

Update:

Bonustrack aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten:


Sonntag, 9. Juni 2013

The beat goes on


Ich bin ja ein großer Freund des revolutionären Topfschlagens (cacerolada) und des damit verbundenen lustvollen Lärms.

Zahlreiche Experimente haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass kaum ein Küchenutensil einen besseren Soundtrack liefert als ein Wok-Topf (Metall), geschlagen mit einem Kochlöffel aus Holz - voller warmer Klang mit nachhaltig schwingendem Echoeffekt. Andere schwören auf Metall gegen Metall (z.B. Esslöffel gegen Kochtopfdeckel oder Dosenöffner gegen Bratpfanne) oder hauen gleich Kochtopfdeckel gegen Kochtopfdeckel, was mir persönlich zu tschingderrassabum-mäßig klingt, aber so hat halt jeder seine perkussiven Vorlieben.

Von den Türken lernen heißt siegen lernen, jedenfalls in musikalischer Hinsicht. Die setzen sich einfach an den Straßenrand mit Töpfen, Tellern, Gläsern, Löffel und Gabel, los geht's und heraus kommt nicht nur ein wunderschöner, folkloristisch angehauchter Revolutionssong, sondern ein so zauberhaft lustig-melancholischer Film, dass ich vom Gucken und Hören gar nicht genug kriegen kann:



Die machen wirklich mit allem Rhythmus, was ihnen in die Finger kommt, sogar mit einer zum Schrapidiophon (kein Scherz, heißt so, weil es so klingt) umfunktionierten klobigen Küchenreibe. Und mit Eierlöffeln aus Plastik und Fingerhüten aus Blech und einem Waffeleisen und einer Guglhupf-Backform und noch viel mehr Kücheninstrumenten. Und mit intelligenten, poetischen Texten, gesungen voller Schmelz und Hingabe.

Und mit einer durch die Gasse streunenden Katze, die von der spontanen Session mindestens genauso fasziniert ist wie ich.

Sowie mit sehr, sehr vielen Pinguinen. Solchen, die die Schnauze gestrichen voll haben. Die eine Bauchlandung nach der anderen hinlegen. Die immer wieder aufstehen und weitermachen und nur so vorankommen. So läuft das. The beat goes on.

Taxi, bitte!


Solidaritätsdemonstration in Ankara am 8. Juni 2013


Solidarität hat viele Gesichter. Am meisten beeindruckt hat mich - als jüngstes Beispiel - das solidarische Verhalten der Taxifahrer anlässlich einer Demonstration von über 10.000 Regierungsgegnern in Ankara (Türkei) gestern abend. 

Die Proteste begannen in Feierstimmung, mit viel Gesang und Vuvuzela-Gebläse; immer mehr Menschen stürmten aus ihren Häusern oder unterstützten den Zug von ihren Balkonen und Fenstern mit lautstarkem cacerolada-Soundtrack. Als die Menschenmenge im Begriff war, sich auf einem großen zentralen Platz zu versammeln, wurde sie von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas-Flächenbeschuss aus Panzerfahrzeugen bekämpft. 

Während die Demonstranten rund um den Platz einen Sicherheitskordon bildeten, um sich gegenseitig zu schützen, schritten Ankaras Taxifahrer kurzerhand zur solidarischen Tat: Sie schützten die Demonstranten mit einer spontanen Taxi-Barrikade vor dem Hochdruckwasserstrahl der Polizei.

Haut mich um, so etwas. Bravo und Respekt.

Samstag, 8. Juni 2013

Solidarität mit #occupygezi


Solidaritätsdemonstration in Frankfurt am 8. Juni 2013





Never give up! Keep fighting!

Freitag, 7. Juni 2013

I spy for the FBI



Besser lässt sich die derzeit komplett im Durchknallen befindliche Überwachungshysterie der amerikanischen Regierung nicht ausdrücken.

Na ja, oder vielleicht doch, nämlich so:


Obwohl. Eigentlich kein Grund zur Aufregung. Schließlich ist diese systematische Ausspionierungsorgie, die jede Stasi vor Neid erblassen ließe, seit elf Jahren längst im Gange. Nur dass es halt jetzt erst ans Licht der Öffentlichkeit kommt.

Insofern, nichts Neues im Westen:


Und jetzt Musik, bitte. Aber dringend.