Samstag, 29. Januar 2011

Geldwechsel


Irgendwann kommt im Leben der Moment, wo man zum ersten Mal an einer Kasse steht. Also, an einer richtigen, echten, lebendigen Kasse - nicht an so einem futuristisch dauerpiependen Elektronikgehäuse mit automatischem Scanner und Pipapo. Nein, an einer schön traditionellen Kaufmannskasse in behäbiger Oldschool-Optik, hinter der man sich fühlt wie Dagobert Duck persönlich. Einer Kasse, an der sich schon Generationen von Heringsbändigern, Tante Emmas und Onkel Ottos die Fingerkuppen an den klobigen Tasten plattgedrückt haben (ein damit verwandtes Phänomen ist der berüchtigte 'Geldzählerdaumen', womit der Kreis zur Dollar-Ente geschlossen wäre).

Das wirklich Tolle an so einer ollen Kasse sind die bodenständigen Geräusche, die sie auf entsprechenden Tastendruck von sich gibt. Ich liebe diese Geräusche. Wenn der große Kassengott im Inneren der Kiste die eingegebenen Beträge addiert, macht er das mit einem lautstarken Gurgeln und beendet sein Rechenwerk mit einem martialisch brutzelnden Getöse, dass es eine Freude ist, ihm dabei zuzuhören.

Kein Wunder also, dass ich in froher Erwartung Posten an der Kasse bezog, als es galt, eine Flasche Wein zu verkaufen. Sauvignon Blanc sollte es sein. Er wolle gemeinsam mit seiner Frau heute abend ein gutes Tröpfchen genießen, was hamse denn da so im Sortiment, fragte der Kunde. Einiges, antwortete ich wahrheitsgemäß und zeigte ihm das Regal, vor dem der Kunde alsbald in andächtiger Versenkung verharrte und Etiketten studierte, Flaschen liebkoste sowie - es entging mir nicht - Preise verglich.

Unter zehn Euro die Flasche, habe er sich gedacht, der gutgekleidete Herr mit den silbermelierten Schläfen und den manikürten Händen. Aha, sagte die neue Kassenkraft, das werde die große Auswahl auf quasi natürlichem Wege einschränken und damit erleichtern. Oho, sprach der silbergraue Panther, nicht dass ich dächte, seine Angetraute wäre ihm keinen kostspieligeren Wein wert, vielmehr habe die Gemahlin ihn angehalten, nicht mehr als zehn Euro auszugeben. Ah ja, gab ich einfühlsam zurück, wir Frauen verstünden eben etwas von solidem Wirtschaften, nicht wahr. Das gefiel dem Panther gut.

Schließlich stellte er die Weinflasche seiner Wahl neben die Kasse - 9,95 Euro bei knapp unterschrittener Schmerzgrenze -, legte einen 50-Euroschein daneben und widmete sich sehnsuchtsvoll ein letztes Mal den teureren Gewächsen im Regal. Derweil kloppte ich die Tasten, drückte die Warengruppe, genoss den unvergleichlichen Soundtrack, ließ es gurgeln und brutzeln und - wartete. Wartete, dass sich die Schublade mit dem Wechselgeld öffnete. Sie tat es aber nicht. Sie blieb verschlossen. Sie ging einfach nicht auf, die blöde Schublade.

Grübelnd stand ich hinter der verhexten Kasse, während fünf Meter entfernt der Panther gerade eine 29,95-Euro-Flasche meditativ begutachtete. "Sagen Sie mal", rief ich zu ihm hinüber, "haben Sie zufällig eine Ahnung von Kassenwesen?" "Mehr als mir lieb ist", kam es feinsinnig vom Weinregal zurück, "wo ist das Problem?" "Das Problem", gestand ich, "ist die Schublade - wenn ich die nicht aufkriege, kriegen Sie entweder kein Wechselgeld oder keinen Wein." Wie aus der Pistole geschossen und ohne einen Blick auf das Kassenwesen zu werfen rief der Panther: "Die rechte untere Taste, die breiteste von allen, die am abgenutztesten aussieht!"

Wow. Ein Druck auf das breite Ding, und mit sattem Knirschen sprang die Schublade auf. Gutgelaunt fragte ich den Panther, ob wir vielleicht die Jobs tauschen sollten? Ob er womöglich bei einer Spielbank arbeitete, bei so viel Expertise? Das fand er ungeheuer erheiterlich und kriegte sich nicht mehr ein: "Spielbank", lachte er, "ja, könnte man fast so sagen, doch, da ist was dran - um genau zu sein, ich arbeite bei einer Privatbank, Abteilung Risikokapital", worauf ich mir die Bemerkung nicht verkneifen konnte, jetzt sei mir klar, weshalb seine Frau zumindest beim häuslichen Weinkonsum kein Preisrisiko eingehen wolle.

Dies veranlasste den Bankerpanther zu nachdenklichem Innehalten. Bedächtig stellte er die 29,95-Euro-Flasche zurück ins Regal und sinnierte: "Vielleicht wäre es tatsächlich besser, die großen Geldgeschäfte in die Hände von Frauen zu geben", und dann, zu mir gewandt, "verstehen Sie denn etwas von Bankwesen?", was mich erneut ins Grübeln brachte, von welchen Wesen jetzt eigentlich die Rede war. "Wie man's nimmt", entgegnete ich, "auf jeden Fall verstehe ich von Risikokapital eine ganze Menge."

Ob das mein Ernst sei, wollte er wissen. Klar, sagte ich, mein ganzes Leben sei quasi eine einzige risikokapitalistische Veranstaltung. Um die silbernen Schläfen herum begann es zu zucken, als er sein Wechselgeld einstrich und die Flasche unter den Arm klemmte. Als die Hand mit dem Wechselgeld schon in der kaschmirnen Manteltasche verschwunden war, zog er sie wieder heraus und besann sich auf die schöne alte Tradition des Trinkgeldes. "Oh, endlich mal wieder was zum Verzocken", platzte ich heraus und bedankte mich artig.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Butterbrot trifft Jakobsmuschel


Jakobsmuscheln. Habe ich noch nie in meinem Leben gegessen. Das sind so kinderfaustgroße knuffige Knödeldingerchen aus weißem Fleisch, die irgendwie hauchzart nach Meeresfrüchten schmecken, aber nur wenn man's weiß, sozusagen. Köstlich auf jeden Fall.

Traf ich eben beim Nachhauseradeln einen Freund, der in der Gastronomie arbeitet, und als wir uns zur Begrüßung umarmten, schnüffelte er an mir herum und meinte: "Huch, wie riechst du denn?" Woher soll ich wissen, wie ich nachts um halb zwölf rieche? "Ich tippe auf Bouillabaisse", sprach er mit Kennermiene.

Völlig daneben. Die Jakobsmuscheln schwammen in trauter Eintracht mit Heilbuttstückchen und Kleinstkrabben in einer sämig-scharfen gemüsigen Sauce, angerichtet auf einem Berg pechschwarzer Tintenfischnudeln. Oh heiliger Poseidon, hat das gut geschmeckt.

"Mhm, dein Strickschal riecht nach gedünsteten Steinpilzen", fuhr der Gastro-Insider fort, womit er recht hatte, denn die Pulpo-Pasta war nur ein Zwischengang gewesen. Danach gab es ein Pilzgericht, bestehend aus Steinpilzen, Pfifferlingen und Stockschwämmchen, mit einem Fleisch dabei, was ich ebenfalls noch nie in meinem Leben gegessen hatte - Kalbsemmerolle. Keine Ahnung, ob das korrekt buchstabiert ist, jedenfalls stammt das Fleisch - schön fest und würzig - vom hinteren unteren Teil eines Kalbsoberschenkels und schmeckt so unvergleichlich gut, dass ich künftig jedes Fleischgericht stehen lassen würde, sollte mir nochmals in meinem Leben eine Kalbsemmerolle angeboten werden.

"Was gab's zum Nachtisch?", fragte der Freund nicht ohne fachkundige Gier, und ich entsann mich eines saftigen Waldbeerenkuchens auf flauschigem Biskuit, schwimmend in einer Schokoladen-Marzipan-Sauce, von einer irgendwie fast blutrünstig-sündigen Optik. Mehr als ein kleines Häppchen hat leider nicht mehr reingepasst - dieses opulente Schlemmen ist schon eine gewaltige Herausforderung für einen Magen, der sich die letzten Tage von Butterbrot, Bratkartoffeln und Polenta ernährt hat.

Sehnsuchtsvoll verdrehte ich die Augen und bedauerte, für den Nachhauseweg kein größeres Stück von dem Waldbeerensündenfall mitgenommen zu haben. Der Gastrofreund bedauerte ebenfalls. "Vielleicht beim nächsten Mal", sagte ich mit einem zufriedenen vegetativen Seufzen.

"Aha", entgegnete der Freund, "beim nächsten Mal also. Dir scheint's dort zu gefallen." Statt zu widersprechen seufzte ich nochmals. Dann fragte er: "Wie ist es denn dort so?" Ich überlegte. Mir fiel nichts ein. "Cool", seufzte ich schließlich. Der Freund hob eine Augenbraue. "Na ja", ergänzte ich, "irgendwie so zwischen edel und rustikal und frech und durchgeknallt."

"Aha", bemerkte er, "und du mittendrin?" Hm, meinte ich, könnte man vielleicht so sagen.

"Aha", sagte der Freund mit einem rustikalen Grinsen und fuhr fort, in einer unedlen Mischung aus frech und durchgeknallt, "ich verstehe - einmal Gastro-Schlampe, immer Gastro-Schlampe."

Aha. Gastro-Schlampe. Bitte, warum nicht. Soll mir auch recht sein.

Zum krönenden Abschluss und statt Nachtisch gibt es jetzt eine wundervolle Hommage an alle wundervollen Gastro-Schlampen dieser Welt:


Freitag, 21. Januar 2011

Keine Angst


Kein Grund zur Sorge, kein Grund zur Hoffnung.

Dienstag, 18. Januar 2011

Die Verachtung der Unterschicht


Es gibt so Sätze, die fräsen sich durch meine müden Augenlider hindurch bis ins nicht minder müde Hirn, das eigentlich bereits deutliche Signale der Bettschwere an die müden Glieder weitergereicht hat:
Die Mittelschichten können ihre Selbstachtung solange einigermaßen intakt halten, wie es eine Unterschicht gibt, auf die sie herabsehen können.
Sätze, die so ein Zucken in den eigentlich müden Fingern hervorrufen:
Die Verachtung der Unterschichten erreicht heute langsam wieder ein Niveau, wie es für die gesamte Geschichte des Abendlandes bis hinein ins 19. Jahrhundert normal war. Früher wurde das niedere Volk verachtet, weil es als unwürdig geltenden manuellen Arbeiten nachging und weil es einem niederen Stand angehörte...Heute werden diejenigen verachtet, die nicht gebraucht werden für die Erzeugung des gesellschaftlichen Reichtums und die in der Zone zwischen unqualifizierten Niedriglohnjobs und staatlicher Sozialhilfe leben - seit Hartz IV wieder gekoppelt mit einem staatlichen Arbeitszwang, der ebenfalls ein spätmittelalterliches bzw. frühneuzeitliches Rechtsinstitut ist.
- und dann signalisieren die munter gewordenen Finger dem müden Hirn, dass sie gerne etwas schreiben würden,
Die Verschlechterung der eigenen Lebensqualität, die grassierende Zeitarmut und permanente Selbstüberforderung, wie sie für deregulierte Arbeitsverhältnisse typisch ist: Sie sind der Preis, den akademische Mittelschichten heute bezahlen müssen, um das Gefühl zu haben, dabei zu sein, wichtig und sozial anerkannt.
- und das müde Hirn sagt zu den Fingern, na, dann schreibt halt was,
Die Verachtung der Unterschichten ist heute wohl die Bedingung für die Selbstachtung der Mittelschichten. Unterbeschäftigung und sozialer Ausschluss der einen scheint der Preis für Überbeschäftigung und soziale Zugehörigkeit der anderen zu sein. In der Verdrängung dieses Zusammenhanges liegt der Kern der Ideologie der Mittelschichten - das heißt auch in der Verdrängung ihrer eigenen kulturellen Verarmung.
- und an der Stelle wacht das Hirn auf und denkt: So neu ist das alles eigentlich nicht, aber so gesagt hat es noch niemand, jedenfalls nicht dass ich wüsste. Mit anderen Worten, indem die Mittelschichten ihre eigene kulturelle Verarmung nicht wahrhaben wollen, machen sie nicht nur die Unterschichten zum Opfer ihrer Ideologie, sondern fallen ihr selbst zum Opfer.

Darüber denkt das Hirn hinter müden Augenlidern eine Weile nach. Überlegt, wieso die Mittelschichten so ein gewaltiges Brett vor dem Kopf haben. Vielleicht sind die ja vor lauter Zeitarmut, permanenter Selbstüberforderung und sich stetig verschlechternder Lebensqualität auch ganz müde geworden? Wieso, fragt sich das Hirn weiter, liest man eigentlich so selten - praktisch nie - so eine Art Selbsterfahrungsbericht aus der Mitte des Mittelschichten-Hamsterrades, also etwas Selbsterlebtes, Hautnahes über diese permanente Selbstüberforderung, dieses ganze Elend und die daraus resultierende unendliche Müdigkeit? Wieso wird immer nur über diese Mittelschichtenbefindlichkeit geschrieben, aber nie in der Selbstauskunft-gebenden Wir-Form?

Ach ja, denkt das Hirn und wird schon wieder müde. Doch dann liest es vollends zu Ende, was der Philosoph und Politikwissenschaftler über die Mittelschichten geschrieben hat, und plötzlich, ganz zum Schluss, ist sie da - die Wir-Form:
Anstatt andere mit Verachtung und sozialem Ausschluss zu bestrafen, sollten wir uns eingestehen, dass wir selbst nicht mehr so leben wollen, und uns fragen, wie wir stattdessen leben wollen. Wir sollten uns eingestehen, dass wir an diesem ruinösen Leistungswettbewerb nicht mehr teilnehmen möchten, und damit beginnen, eine andere Form der Arbeit und der sozialen Beziehungen zu erfinden. Die Beantwortung der sozialen Frage der Unterschichten ist dann identisch mit derjenigen der Mittelschichten.
Hey, denkt sich das Hirn, der Typ hat es drauf, und legt sich müde und befriedigt endlich schlafen.


(Zitate von Dr. Michael Hirsch, Philosoph und Politikwissenschaftler, in dem politischen Magazin DIE GAZETTE via mediaclinique)

Samstag, 15. Januar 2011

Blogger bleib logger



Irgendwie ist mir zur Zeit das B abhanden gekommen. Sieht fast so aus, als ob es sich in die Jo(b)suche verkrümelt hat. Was soll man machen. Immer schön logger bleiben.

Mittwoch, 12. Januar 2011

Prekärer Nebenerwerb


Lustig. War mir gar nicht klar, in welch enger Nachbarschaft die Spezies Minijobber mit der Kategorie Kleingangster lebt. Anscheinend laufen bei letzteren die Geschäfte auch nicht mehr so prosperierend, weshalb sich immer mehr Kriminelle (!) mit Schwarzarbeiten (!) durchschlagen, um halbwegs über die Runden zu kommen.

Sagt jedenfalls ein jüngst erschienener Report in der Ganoven-Fachzeitschrift Crime Scene, the trade magazine for the legally challenged (auf deutsch: Fachzeitschrift für die juristisch Behinderten). Einschlägige Gesetzesbrecher wie Taschendiebe, Drogenhändler oder klassische Einbrecher, so ist zu lesen, sind neuerdings derart knapp bei Kasse, dass sie ihr schmal gewordenes Budget mit nebenberuflichen Tätigkeiten aufbessern müssen - sonst reicht's hinten und vorne nicht.

'Daran ist der konjunkturelle Abschwung schuld', bestätigte 'Mad' Mick Morgan (Einbrecher und Herausgeber der Fachzeitschrift), 'in den Häusern der Leute liegt einfach nicht mehr so viel wertvolles Zeug rum, das sich abzugreifen lohnt.'

Von einem Drogendealer wird berichtet, er arbeite nebenher schwarz bei der Feuerwehr.

'Genau genommen', sagte Phil 'The Hammer' Jones (Gangster und Kriminologe), 'ist es schwierig geworden zu unterscheiden, welche Art der Berufsausübung mehr zur Unredlichkeit verleitet - Bankgeschäfte oder Einbruchsdiebstahl, Politik oder Zuhälterei.'

'All dies übt einen schrecklichen Druck aus auf die Familien von Verbrechern', ergänzte Sir Paul 'Fingers' Stephenson (Gelegenheitsdieb und Beauftragter bei der Metropolitan Police). ***

Unbestätigten Gerüchten zufolge soll Phil 'The Hammer' seinem Kollegen Sir Paul 'Fingers' anlässlich dessen Amtseinführung in seinen Zweitjob gratuliert haben mit den Worten: Schuster, bleib bei deinem Leisten!


***frei übersetzt aus dem britischen Satire-Magazin NewsBiscuit

Montag, 10. Januar 2011

Schirmherr


Hey, auf Jobsuche ist man immer dankbar für Impulse von außen; also Anregungen für Jobs - und seien diese noch so durchgeknallt -, auf die man selber nie im Leben gekommen wäre.

Walking in the rain: Claudia Schiffer

Hier ein besonders attraktives Beispiel aus der Kategorie: Was des einen Luxus, sei des andern Broterwerb. Bekanntlich ist den Reichen und Schönen dieser Welt nicht alles zuzumuten, was für den Normalsterblichen eine Selbstverständlichkeit ist, und dazu gehört nun mal das Tragen eines Regenschirmes. Ein Regenschirm? Gibt es Entwürdigenderes als sich selbst vor dem hässlichen Schmuddelwetter abzuschirmen? Wo es doch essentiell Wichtigeres zu tragen gibt als einen schnöden Regenschirm, beispielsweise die Handtasche im XL-It-Bag-Format und den Kaffeepappbecher im XL-Starbucks-Format, mit dem in der Hand sich der Umwelt so trefflich signalisieren lässt, dass man selbst auch zu denjenigen gehört, die, nun ja, ständig unterwegs und irgendwie busy sind.

Wem solcherart beladen die motorische Koordination fehlt, einen Schirm aufzuspannen und - Gott behüte - auch noch zu tragen, der braucht eben einen Schirmherrn. Und wenn er (oder sie, ist ja egal) findet, dass er damit immer noch nicht bescheuert genug aussieht, kann er sich ja problemlos einen zweiten Dienstboten anheuern zum Schleppen eines Kaffeebechers. Und sich drittens zugute halten: Schiffer schafft Arbeitsplätze. Ich geh' schon mal mich bewerben.

Samstag, 8. Januar 2011

Schillernde Zeit



Eins steht fest: Jobsuche essen Zeit auf.

Wenn es nur die Zeit wäre - nicht nur die Zeit, sondern auch das Zeitgefühl ist kurzzeitig auf der Strecke geblieben. Zu meinem großen Erstaunen habe ich grade eben festgestellt, dass bereits Samstag ist, und hätte doch beschwören können, dass heute Freitag ist. Wo ist bloß dieser eine Tag geblieben?

Wenn es nur der Tag wäre - nicht nur der Tag, sondern das Gefühl für Jahreszeiten hinkt gewaltig hinterher. Seit heute früh frage ich mich: Wo ist bloß der Winter geblieben? Ich saß auf dem Fahrrad und musste absteigen, um mir ein paar viel zu warme Klamotten vom Leib zu reißen, sonst hätte mich ein frühlingshafter Schweißausbruch ereilt. Stieg also ab, lehnte das Rad an eine gerade herumstehende Litfaßsäule, warf Mütze, Schal, Handschuhe sowie Anorak von mir und dabei einen Blick auf den dicken runden Werbeträger, wo in dicken bunten Farben ein Volksmusikkonzert angekündigt wurde.

Inmitten all der volkstümelnden Buntigkeit klebte, notdürftig drangepappt, ein ehemals weißes, inzwischen reichlich verschmuddeltes Din-A-4-Blatt. Auch dieses schien sich irgendwie ans Volk zu richten, wenn auch anders - je nachdem, wie man Volk definiert. Offenen Mundes blieb ich stehen und las. Las einmal, zweimal, dachte nach über das, was ich las, las ein drittes Mal, während die Zeit verstrich, ich sie vergaß, aus ihr herausfiel und vermutlich just zu diesem Zeitpunkt den Samstag zum Freitag machte, ohne es zu merken.

Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit fing ich an, das Blatt von der Litfaßsäule abzupuhlen. Teils aus Mitleid, denn das Dokument mit dem Text aus einer anderen Zeit hätte den nächsten Regenguss bestimmt nicht überstanden, jedenfalls nicht so heil, dass irgend jemand aus dem vorbeilaufenden Volk es noch hätte entziffern können. Teils aber auch aus dem Bedürfnis, die Zeit für einen Augenblick anzuhalten, und sei es nur, um jenen Augenblick festzuhalten, in dem ich die Zeit aus den Augen verloren hatte.

Außerdem, so ein Blog ist ja auch eine Art Litfaßsäule, irgendwie. Passt.

Donnerstag, 6. Januar 2011

Pinguin Rock



Das Pinguinthema hat mich nachhaltig im Griff und da trifft es sich gut, dass derzeit die Pinguine ihrerseits die Medien fest im Griff haben.

Ist doch am ersten Tag des neuen Jahres ein Pinguinwinzling (drei Monate alt) aus dem Pinguingehege des Münsteraner Zoos ausgebüxt - einfach so, war halt neugierig, immer nur Pinguine ist ja auch langweilig, hat er sich gedacht, geh' ich mal ein bisschen bummeln. Schlenderte über das Zoogelände, hielt sich zunächst brav an die Besucherwege, bis ihn auch dies langweilte, schlug sich querfeldein und landete nach einigen sportlichen Sprüngen über aufgetürmte Schneeberge auf dem Eis des Löwengrabens, was die dort ansässigen Löwen allerdings kalt ließ, weil es ihnen an dem Tag zu kalt war, ihr gemütlich beheiztes Löwenhaus zu verlassen. Na gut, dachte sich der Pinguin, bleib' ich halt im Löwengraben hocken und warte, ob was Interessantes passiert.

Einen Tag lang passierte gar nichts, aber Pinguine sind ja bekanntlich geduldige Tiere und verstehen etwas von sturem Aussitzen und siehe, am zweiten Tag des neuen Jahres passierte etwas höchst Interessantes: Von einem Tierpfleger wurde eine größere Menge Heringe auf den zugefrorenen Löwengraben geworfen, und zwar so interessant drapiert, dass der verfressene kleine Pinguin mampfend den Weg zurück in seine heimatlichen Gefilde fand.

Dort wurde er mit großem Hallo von seinen Kollegen empfangen und alsdann gebührend gefeiert. Die legten nämlich eine ordentlich krachende Musik auf und riefen: Los, erzähl uns, was du bei den Löwen drüben erlebt hast! Das ließ sich der Heimkehrer nicht zweimal sagen, rockte einen ab, dass die Eisschollen nur so wackelten und alle Pinguine waren sich einig, dass sie etwas so Interessantes noch nie erlebt hatten.



Mittwoch, 5. Januar 2011

Olé


Neulich an Weihnachten ist ja in einer Nacht- und Nebelaktion der New Yorker Wallstreetbulle mit buntem Neongarn behäkelt worden und präsentierte sich etwa zwei Stunden lang in einem etwas, hm, entmännlicht wirkenden Look. Wer das Vieh in derselben Nacht wieder entblättert hat, ist bis heute ungeklärt.

Dafür gibt es nun ein Video der in New York lebenden polnischen Straßenkünstlerin Agata Oleksiak (alias "Crocheted Olek", soviel wie "Häkel-Olek"). Es zeigt - in Kurzform - die etwa zweistündige nächtliche Verkleidungsprozedur des charging bull. Olé.


Montag, 3. Januar 2011

Pinguin Hop


Darf ja wohl nicht wahr sein. Grade gehe ich auf meinen frisch geschippten Megabalkon und was ist? Es fängt schon wieder an zu schneien. Oh, wie mich das nervt. Oh, was würde ich mich freuen, wenn es mich nicht so nerven täte. Oh, was würde ich mich freuen, wenn ich ein kleiner Pinguin wäre, der sich über tanzende Schneeflocken freut. Doch ach, weil ich kein kleiner Pinguin bin, denke ich: Mist verdammter, wieso hast du vor zwei Stunden die Schneeschippe in den Keller getragen?


Wie ich das Video so angucke, zum aber-x-ten Mal, steigt aus dem Morast meines Unbewussten ein altes Kinderlied empor, und das geht so:
Pinguine, Frau und Mann,
haben Frack und Hosen an,
darum, ohne Unterschied,
gilt für alle dieses Lied.
Weiter weiß ich leider nicht mehr. Nur, dass ich gerade einer Art Pinguin-Job auf der Spur bin. Statt nur dumm rumzustehen, sollten die übrigen dumm rumstehenden Pinguine mir gefälligst die Daumen drücken. Finde ich. Obwohl ich natürlich weiß, dass Pinguine keine Daumen haben. Bin ja schon groß. Trotzdem.

Sonntag, 2. Januar 2011

Lebkuchen-Slums



Jetzt, wo allmählich der Appetit auf Stollen, Spekulatius und Co. vergangen sein dürfte,


...der Christbaum zu nadeln anfängt und die neue Digitalwaage zum Einsatz kommt,


...kann man ja mal einen Blick in die weniger appetitlichen Wohngegenden riskieren.


Samstag, 1. Januar 2011

Neujahrspurzelbäume


In diesen Tagen kann ich mich freuen wie ein Kind, wenn aus dem Nichts plötzlich Neujahrswünsche hereingepurzelt kommen, die so ganz anders sind als...die gängigen Neujahrswünsche eben.
"The kids love to dance. And the only thing they love more than dancing is showing off their dancing skills. Enjoy this video of the kids busting some moves and wishing everyone a very happy holiday."
Der beste Wunsch kommt ganz am Schluss dahergepurzelt.


Shanti Bhavan is a home and an exceptional school for economically and socially disadvantaged children. It is located near the village of Baliganapalli in rural Tamil Nadu, one hour outside of Bangalore.

The mission of Shanti Bhavan is unique and amitious - to develop children of deprived backgrounds into leaders of society through excellence in education and their holistic personal development.