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Mittwoch, 5. Juni 2013

L'accordéon fait l'amour


Oh, wie ich das liebe.



Essen und Musik

Essen machen 
und 
Musik machen

Liebe 
ohne 
Liebe zu machen

Oh, wie ich das liebe.

"Love 
even if it is a dream
makes you a better person"

Samstag, 16. März 2013

Vorsicht, Wirtschaftsschädlinge!


Ach, es könnte alles viel einfacher sein auf dieser Welt. Wie viele Krisen wären mit einem Schlag beendet, wie viele Probleme gelöst, wenn nur endlich, endlich das eine, das einzige, das alles verursachende Problem aus der Welt geschaffen wäre! Nämlich dieses leidige Problem mit der menschlichen Arbeit.

Also, nicht die menschliche Arbeit selbst, die soll natürlich keinesfalls aus der Welt geschaffen werden, wo kämen wir da hin, nein, es sind vielmehr die leidigen Kosten, die diese menschliche Arbeit verursacht, und die sind einfach viel zu hoch, diese Kosten, die kann sich ja kein Mensch mehr leisten zu bezahlen, weshalb sich kein Mensch wundern darf, dass das mit der Krisenbewältigung nichts wird und das mit der Eurorettung schon gar nicht, weswegen EZB-Präsident Mario Draghi jetzt endlich mal in die Vollen gegriffen und "die Führer der Eurozone belehrt" hat, nämlich über das Problem der zu hohen Arbeitskosten.

Ja richtig, belehrt hat er sie. Einen Late-Night-Crashkurs hat er ihnen verabreicht. Am späten Donnerstagabend um 23 Uhr. Volles Haus in Brüssel. Alle 17 Eurozonenführer saßen wie gebannt. Endlich sprach es mal einer aus:
"Die hohen Arbeitskosten sind schädlich für die Zukunftschancen der Eurozone."
Hoher Konsensfaktor bei den Zuhörern: Es gab keine Gegenrede. Alle waren sich einig, dass Draghi den Nagel auf den Kopf getroffen habe und endlich etwas getan werden müsse. Also runter mit den Arbeitskosten. Zwar schwieg sich Draghi aus über die hohen Arbeitskosten von Spitzenbankern, wurde aber auch von keinem der Anwesenden danach gefragt, weil, wer will schon einen harmonischen Gipfelkonsens inkommodieren?

Auch Eurozonenführerin Merkel zeigte sich schwer angetan von Draghis problemlösungsorientierter Power-Point-Parade. Wenn Frau Merkel etwas "sehr interessant" findet, dann weiß man, die Frau hat Feuer gefangen; lässt sich doch mithilfe der von Draghi erteilten Lektion die so gnaden- wie alternativlose Austeritätspolitik noch weiter schüren, denn, so Merkel, nicht etwa die Austeritätspolitik - nein! - sondern
"... die (zu hohen) Löhne sind verantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit heutzutage."
- nicht umsonst ist das Vorzeigemodell Deutschland, in dem niedrige Löhne zu niedriger Arbeitslosigkeit führen, im Begriff, international Furore zu machen.

Dass zu hohe Löhne schädlich für die Wirtschaft und darum ein Problem sind, das schleunigst gelöst gehört, hat jetzt auch das House of Lords - das Oberhaus des britischen Parlamentes - geschnallt. Das Oberhaus verfügt nämlich über eine eigene Kantine, also eine Art Szene-Wirtschaft, in der sich die Lords nach Herzenslust satt essen und gern auch mal einen über den Durst trinken können. Peers' Dining Room nennt sich das noble Etablissement, wo die Lordschaften (unter ihnen viele Millionäre) verköstigt werden.

Und zwar zu stark vergünstigten, das heißt steuerlich subventionierten Preisen, denn offenbar können Spitzenparlamentarier es sich nicht leisten, ein Mittagsgericht oder ein abendliches Besäufnis komplett aus eigener Tasche zu bezahlen - völlig unzumutbar bei einem mageren Taschengeld ("Anwesenheitsentschädigung") von 300 steuerfinanzierten Pfund pro Tag - weshalb jeder Oberhauslord eine wöchentliche Fress&Sauf-Zulage von 83,90 steuerfinanzierten Pfund erhält.

Neidisch, anyone? I wo, warum sollte so ein betuchter Oberhauslord leben wie ein Hund? Eben. Wenn schon leben wie ein Hund, dann bitte die anderen, die Underdogs im Oberhaus, die wirtschaftschädigenden Köche und Kellner und was sonst noch so kreucht in Küche und Keller, weil, you know, es muss nun mal gespart werden, it's the austerity, stupid, you know, and you're the stupid, didn't you know?

Unter der Überschrift:
Dem Küchenpersonal des House of Lords werden die Löhne gekürzt, um den Adligen weiterhin das subventionierte Speisen zu ermöglichen
ist zu erfahren, dass - wie üblich - "wir alle" den Gürtel enger schnallen müssen, allen voran das Küchenpersonal, denn die steuersubventionierten Wirtschaftskosten des Peers' Dining Room gelten als zu hoch unter der Prämisse, dass Ihre Lordschaften bitte weiterhin für einen (steuersubventionierten) Appel und ein (steuersubventioniertes) Ei gastronomisch verpflegt werden wollen. Zwar ließ der hochhäusige Adel nichts unversucht -
Ein Sprecher des House of Lords sagte: "Das House of Lords prüft sämtliche Optionen, um die Kosten für den Steuerzahler aus dem Bewirtungsbetrieb zu reduzieren."
- kam dann aber, nach Prüfung sämtlicher Optionen, doch zu dem Schluss, dass es die kochenden und kellnernden Spitzenverdiener (mit 8,55 Pfund Stundenlohn) seien, die die Bewirtungskosten für den Polit-Adel über Gebühr in die Höhe treiben und darum gekappt werden müssen. Ein freundliches Rundschreiben klärte die Kantinenbelegschaft auf, wer der Dumme sein werde - it's you, stupid! -
"Wir hoffen mit diesem Schritt auf gute Zusammenarbeit und dass sich so die erforderliche Reduktion an öffentlich verwendeten Steuergeldern erzielen lässt."
Na bitte, geht doch, wer sagt's denn? Arbeitskosten runter, Wirtschaft läuft, Problem gelöst.

Die Köche und Kellner sind über die Problemlösung, wie es heißt, not amused. Was tun? Streiken? Wird diskutiert. Oder einfach gute Miene zum bösen Spiel machen? Trotz Hungerlohn den hungrigen Lordschaften das verbilligte Essen servieren? So tun als ob nichts wäre? Mit freundlichem Gesicht?

Warum nicht. Noch weiß niemand, ob und wie sich das Personal von Peers' Dining Room zur Wehr setzen wird. Eins weiß ich aber mit Sicherheit: Wäre ich einer dieser raffzähnigen Lords, würde ich mir gut überlegen, wo ich künftig zum Essen und Trinken einkehre. Sehr gut überlegen würde ich mir das. Und unter Umständen einen großen Bogen um Peers' Dining Room machen.

Weil, unter Umständen sitzt ein geknechtetes Personal am längeren Hebel. Nicht nur in der Gastronomie. Dort aber besonders. Mahlzeit.

Donnerstag, 27. September 2012

Antisystemgastronomie


Solidarität heißt Stellung beziehen.


Solidarität heißt aus der Sicherheitszone heraustreten.


Solidarität heißt Risiko auf sich nehmen.


Solidarität ist das Gegenteil von Sichraushalten.


Solidarität ist körperlich, mutig, unmissverständlich.

Während des massiv gewalttätigen Polizeieinsatzes am 25. September 2012 hat ein Kneipenbesitzer in Madrid unmissverständlich Stellung bezogen. Er hatte die Prügelszenen beobachtet - "ich habe gesehen, wie am Neptunbrunnen ein Junge von der Polizei zusammengeschlagen wurde, er hat geblutet und ich wollte ihm helfen" - und kurzerhand sein Lokal zum Asyl für fliehende Demonstranten umfunktioniert. "Dann stellte ich mich an den Eingang des Restaurants und hinderte die Polizei am Reinkommen", und nachdem die Fronten geklärt waren, gab er den Geflohenen etwas zu essen und zu trinken.

Meine Hochachtung.

Bildquelle:
reddit, Eco Diario (mit Bildergalerie, Video und Interview mit dem Kneipier Alberto Casillas)

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Noch mehr Kinderkram


(zum Vergrößern auf Bild klicken)

Cop:
Mach kein Scheiß, Kleiner,
werd erst mal erwachsen und sieh zu,
dass du 'nen anständigen Job kriegst.
So wie ich.

#occupywallstreet-Boy:
Job? Was für'n Job?
Mann, für 'nen Märchenonkel bin ich zu alt!

Barkeeper:
Noch'n Freigetränk, Kleiner?
Letzte Runde,
gleich wird der Laden dichtgemacht,
weißt schon...

...let's go!



Samstag, 27. August 2011

Subjektive Objektbetreuung


Interaktiv ist, wenn alle mitmachen.
Show ist, wenn alle gaffen.
Kochen ist Kochen.

Fertig ist die interaktive Kochshow.

Gestern war ich den ganzen Tag als Nebendarstellerin in einer interaktiven Kochshow engagiert. Das geht so: In eine klitzekleine Fresshütte kommen 35 geladene Gäste und wollen den Koch beim Kochen begaffen. Zwischendrin wollen sie unbedingt ein langes scharfes Profimesser in der Hand halten und und sich vom Koch den Unterschied zwischen einer geschälten Zwiebel und einem abgehackten Finger erklären lassen. Das finden die Gäste aufregend, und deshalb gibt es die interaktive Kochshow.

Noch aufregender wird die interaktive Kochshow, wenn sie auf kleinster Fläche stattfindet, wo eigentlich schon 20 Anwesende ausreichen würden, um das Bedürfnis zu wecken, dem Nebenmann zur Rechten oder der Nebenfrau zur Linken das Profimesser in die Rippen zu jagen. Der Job der Nebendarstellerin besteht dann darin, überall gleichzeitig zu sein und dafür zu sorgen, dass am Ende tatsächlich geschmortes Kalbsfilet auf den Tellern liegt und nicht etwa frische Schlachtplatte mit geschmorten Rippen.

Darum bedarf eine interaktive Kochshow der wohlorganisierten interaktiven Vorbereitung. Um halb drei hatte es geheißen: "Um sechs kommen die Gäste, das schaffen wir locker", dabei den Umstand ignorierend, dass es um halb drei in der kleinen Fresshütte aussah wie bei Hempels unterm Sofa. Als es um halb fünf immer noch so aussah, als hätte ein Werwolf in die Hütte gerülpst, erlaubte ich mir die Frage, was das eigentlich für Leute seien, die um 18 Uhr in 35-Mann/Frau-Stärke anrücken würden. "Die Mitarbeiter von so einer Gebäudereinigungsfirma", hieß es. Aha. Augenblicklich erwachten meine Putzfraueninstinkte. Auf meine bis zum Haaransatz hochgezogenen Augenbrauen hieß es: "Nicht die Putzfrauen, sondern das Management." Ach so. "Also, das mittlere Management." Okay. Das mittlere Management einer Gebäudereinigungsfirma. Na dann.

Um 17 Uhr erschien, wie vom Himmel geschickt, eine weitere Nebendarstellerin in Gestalt einer Aushilfsputzfrau. Unteres Management, sozusagen. Eine blitzgescheite, sympathische, keineswegs auf den Mund gefallene, mit allen beruflichen Wassern gewaschene Kroatin. Ihr ist es zu verdanken, dass die Werwolfhütte um 18 Uhr aussah wie mit allen Wassern gewaschen. Die freche Bemerkung des Kochs an meine Adresse - "du machst dich gut als neue Frau Übermop" - ignorierte ich würdevoll.

Wenn 35 mittlere Manager einer Gebäudereinigungsfirma sich zu einer geschlossenen Gesellschaft versammeln, ist klar, dass den ganzen Abend beruflich gefachsimpelt wird. Selbstverständlich im branchenspezifisch geschlossenen Fachjargon. Da ich gewohnheitsmäßig mit den Ohren Maulaffen feilhalte, wurde ich schnell vertraut mit der Basisterminologie des mittleren Gebäudereinigungsmanagements: Objekte. Kräfte. Synergien. Objekteinheiten. Objektbetreuung. Von Subjekten, vulgo: Menschen, war nichts zu hören.

Als ich - mit Ohren so groß wie Garagentore - einem mittleren Managementsubjekt das Weißweinglas nachfüllte, glaubte ich mich dunkel zu erinnern, in grauer Vorzeit mal etwas von der 'Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und als Bedingung der Wahrheit' gelesen zu haben. War das der olle Hegel? Keine Ahnung. Alles vergessen. Während der Weißwein ins Glas gluckerte und meine Ohren schlackerten, schoss mir impulsiv die Bedingung der Wahrheit durch den Kopf: Das, was du jetzt grade machst, ist ein klassischer Fall von Objektbetreuung. Vielleicht auch neoklassisch.

Einen ketterauchenden Objektexperten fragte ich höflich, ob ich mal so ganz subjektiv seinen Aschenbecher leeren dürfe, was der Objektraucher irgendwie köstlich fand. Er behielt mich für den Rest des Abends im Auge. Gegen Ende - es war schon spät, der Weißwein erstklassig, das Gewitter heftig - meldete sich beim Abräumen der vollgeregneten Aschenbecher das mittelhierarchische Gebäudereinigungssubjekt zu Wort und meinte leicht schwerenöterisch zu mir: "Ihnen merkt man an, dass Ihnen die Arbeit Spass macht!", worauf ich antwortete: "Stimmt, sogar ohne Trinkgeld!", worauf das Subjekt "Oho!" rief und mir einen Zehn-Euro-Schein zusteckte, worauf mir die Arbeit doppelt Spass machte.

Was lernen wir? Dass man sein Geld nicht geschenkt bekommt; man muss schon etwas dafür tun. Am besten irgendwas Interaktives. Weil, von nix kommt nix. Man muss ja nicht gleich dem Objekt das Messer an die Rippen setzen.


Montag, 9. Mai 2011

McWohlfühl


Unser Mäckes soll schicker werden. Für eine Milliarde Dollar. Ganz recht, die bekannte Fastfood-Kette in Amerika wird aufgehübscht. Heißt es. Wohlgemerkt, nicht das Essen wird aufgemöbelt, sondern die Inneneinrichtung, denn, so befand der Restaurantdesignerchef mit bestechender Logik: Wenn's den Leuten bei uns gefällt, dann gefällt ihnen auch das Essen.

Hübscher bedeutet: wärmere Farben; mehr Wohlfühlatmosphäre; weniger Plastik, mehr Holzimitat (Tische); weniger Plastik, mehr Lederimitat (Sofas), hier und da - bitte anschnallen - sogar ein Klubsessel; mehr Kaffeehaus-, weniger Fastfood-Optik; einfach gemütlicher, kurzum: wohnlicher. Woran denken jetzt alle? Genau, Mäckes goes Starbucks. Stimmt aber gar nicht.

Weil:
"Wir versuchen nicht, Apple zu sein."
(Gut, dass das schon mal geklärt ist.)
"Aber wir lassen uns von Apple inspirieren. Wenn Sie in einem Geschäft von Apple sind, fühlen Sie sich beinahe so, als ob Sie im Inneren eines iPad sitzen - und wollen dort bleiben."
Ich weiß nicht, ob ich gern im Inneren eines Computers sitzen würde. Noch dazu in einem superflachen. Ich glaube eher nicht. Ganz gewiss will ich nicht länger im Inneren eines superflachen Computer sitzen bleiben als unbedingt nötig. Dann schon lieber in einem kunstledernen Klubsessel.
"Wir möchten, dass Sie zu McDonald's kommen und genau dasselbe Feeling haben."
Also, damit das klar ist: Die wollen natürlich nicht, dass ich zu Mäckes komme und mich dort wie im Inneren eines Computers fühle. Wäre ja albern. Nein, die wollen, dass...was wollen die eigentlich von mir?

Die wollen, dass ich in ihren Laden komme, mich in den kunstledernen Klubsessel setze und mich dort fühle, als ob ich im Inneren eines fettigen Big Macs Platz genommen hätte. Allmächtiger. Und dann wollen sie auch noch, dass ich mich in dem fettigen Big Mac so wohl fühle, dass ich gar nicht mehr aufstehen möchte. Nachdem ich zwischen den Kunstlederpolstern ein paar alte Fritten und ein zermatschtes ChickenMcNugget herausgefriemelt habe.

Ich will da raus.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Butterbrot trifft Jakobsmuschel


Jakobsmuscheln. Habe ich noch nie in meinem Leben gegessen. Das sind so kinderfaustgroße knuffige Knödeldingerchen aus weißem Fleisch, die irgendwie hauchzart nach Meeresfrüchten schmecken, aber nur wenn man's weiß, sozusagen. Köstlich auf jeden Fall.

Traf ich eben beim Nachhauseradeln einen Freund, der in der Gastronomie arbeitet, und als wir uns zur Begrüßung umarmten, schnüffelte er an mir herum und meinte: "Huch, wie riechst du denn?" Woher soll ich wissen, wie ich nachts um halb zwölf rieche? "Ich tippe auf Bouillabaisse", sprach er mit Kennermiene.

Völlig daneben. Die Jakobsmuscheln schwammen in trauter Eintracht mit Heilbuttstückchen und Kleinstkrabben in einer sämig-scharfen gemüsigen Sauce, angerichtet auf einem Berg pechschwarzer Tintenfischnudeln. Oh heiliger Poseidon, hat das gut geschmeckt.

"Mhm, dein Strickschal riecht nach gedünsteten Steinpilzen", fuhr der Gastro-Insider fort, womit er recht hatte, denn die Pulpo-Pasta war nur ein Zwischengang gewesen. Danach gab es ein Pilzgericht, bestehend aus Steinpilzen, Pfifferlingen und Stockschwämmchen, mit einem Fleisch dabei, was ich ebenfalls noch nie in meinem Leben gegessen hatte - Kalbsemmerolle. Keine Ahnung, ob das korrekt buchstabiert ist, jedenfalls stammt das Fleisch - schön fest und würzig - vom hinteren unteren Teil eines Kalbsoberschenkels und schmeckt so unvergleichlich gut, dass ich künftig jedes Fleischgericht stehen lassen würde, sollte mir nochmals in meinem Leben eine Kalbsemmerolle angeboten werden.

"Was gab's zum Nachtisch?", fragte der Freund nicht ohne fachkundige Gier, und ich entsann mich eines saftigen Waldbeerenkuchens auf flauschigem Biskuit, schwimmend in einer Schokoladen-Marzipan-Sauce, von einer irgendwie fast blutrünstig-sündigen Optik. Mehr als ein kleines Häppchen hat leider nicht mehr reingepasst - dieses opulente Schlemmen ist schon eine gewaltige Herausforderung für einen Magen, der sich die letzten Tage von Butterbrot, Bratkartoffeln und Polenta ernährt hat.

Sehnsuchtsvoll verdrehte ich die Augen und bedauerte, für den Nachhauseweg kein größeres Stück von dem Waldbeerensündenfall mitgenommen zu haben. Der Gastrofreund bedauerte ebenfalls. "Vielleicht beim nächsten Mal", sagte ich mit einem zufriedenen vegetativen Seufzen.

"Aha", entgegnete der Freund, "beim nächsten Mal also. Dir scheint's dort zu gefallen." Statt zu widersprechen seufzte ich nochmals. Dann fragte er: "Wie ist es denn dort so?" Ich überlegte. Mir fiel nichts ein. "Cool", seufzte ich schließlich. Der Freund hob eine Augenbraue. "Na ja", ergänzte ich, "irgendwie so zwischen edel und rustikal und frech und durchgeknallt."

"Aha", bemerkte er, "und du mittendrin?" Hm, meinte ich, könnte man vielleicht so sagen.

"Aha", sagte der Freund mit einem rustikalen Grinsen und fuhr fort, in einer unedlen Mischung aus frech und durchgeknallt, "ich verstehe - einmal Gastro-Schlampe, immer Gastro-Schlampe."

Aha. Gastro-Schlampe. Bitte, warum nicht. Soll mir auch recht sein.

Zum krönenden Abschluss und statt Nachtisch gibt es jetzt eine wundervolle Hommage an alle wundervollen Gastro-Schlampen dieser Welt:


Montag, 13. Dezember 2010

Essen


Meine Finger führen einen fast aussichtslosen Kampf mit der Tastatur. Sieben von zehn sind dick verpflastert; vier links, drei rechts. Wobei es an ein Wunder grenzt, dass überhaupt noch alle zehn Finger dran sind. Weil, es gibt Küchenmesser, die sind so scharf, dass sie derart butterzart ins Fleisch schneiden, dass man den Schnitt überhaupt nicht spürt (elend schlechter Satzbau, muss an den vielen Pflastern liegen). Womit ich sagen will, dass ich heute nicht zuhause gekocht habe, sondern an meinem Arbeitsplatz, im Restaurant.

Gegen elf Uhr las ich gemütlich die dort ausliegende Tageszeitung, trank Kaffee und war seelisch wie körperlich auf Feierabend gepolt, da klingelte das Telefon: Der Küchenchef bat mich händeringend, bei der Menüvorbereitung einzuspringen, denn die Küchenhilfe war erkrankt. Ob ich nicht einfach sitzen bleiben, Kaffee trinken und warten könne, bis er käme? Ich blieb sitzen, trank Kaffee und lernte die Tageszeitung auswendig. Dann kam der Küchenchef samt Koch und es ging rund.

Ich schälte drei mittelgroße Eimer Zwiebeln, putzte drei Großkisten Feldsalat, presste mindestens einen Zentner Zitronen aus, schnibbelte geschätzte 37 Stangen Lauch ("rautenförmig, fürs Auge!"), raspelte zwei Dutzend Möhren ("feinstiftig bitte, muss zart und luftig aussehen!"), zerkleinerte Unmengen von Staudensellerie ("kleine Halbmonde, nicht einfach so runtersäbeln!"), sparschälte 17 Salatgurken ("immer bisschen was vom Grünen dranlassen, wegen der Optik!"), bis das Blut tropfte und die Pflastervorräte zur Neige gingen.

Derweil widmeten sich Küchenchef und Koch den Kernaufgaben - Wildschweingulasch, Perlhühner, Gänsekeulen, Zanderfilets - sowie den Vor- und Nachspeisen. Ich muss sagen, es macht einen Riesenspass, mit kundigen, detailverliebten Männern zu kochen, womit ich keinesfalls sagen möchte, dass Kochen mit kundigen, detailverliebten Frauen keinen Spass macht, aber es waren halt nun mal Männer heute in der Küche (bis hierher ein völlig überflüssiger Satz, eigentlich, ich lass' ihn trotzdem stehen, bestimmt sind auch daran die vielen Pflaster schuld), und diese Kerle hatten derart lustige Sprüche auf Lager und steigerten sich in einen so ansteckenden, teils hypernervösen, teils hochgradig albernen Kochrausch (ohne Zuhilfenahme von Rauschmitteln) hinein, dass ich meine blutenden Finger mitsamt den ständig aufweichenden Pflastern ebenso vergaß wie die blitzschnell verstreichende Zeit - fünf Stunden waren im Nu vorüber.

In der Zeit habe ich von unglaublich vielen Köstlichkeiten genascht, wenn auch ein bisschen durcheinander - pikant gewürzter Apfel-Sellerie-Salat, erfrischende Avocado-Shrimps-Creme, mördergute Mousse au Chocolat, in Speck eingewickelte vollfleischige Datteln, überbackene scharf-wie-die Sünde-Chorizowürstchen mit Madrigalkäse - ist mir aber hervorragend bekommen, erstaunlicherweise, wo doch mein Magen an derlei lukullische Vielfalt schon lange nicht mehr gewöhnt ist. Ich habe diesen Nachmittag geliebt, wiewohl er saumäßig anstrengend war.

Bevor ich gleich wie ein müder Stein ins Bett falle, gibt es noch Wildschweingulasch in Madeirasauce mit (vom Küchenchef) selbstgezwirbelten Spätzle. Mein Gott, ist Essen was Schönes.

Montag, 6. Dezember 2010

Auf der deutschen Eisenbahn


Heute mache ich einfach da weiter, wo ich gestern aufgehört habe.
Also beim Orient-Express.


Alle Jahre wieder verwandelt sich mein Arbeitsplatz (das Restaurant) in einen Ort, wo Männer zu kleinen Jungs werden. Denn jedes Jahr zur Vorweihnachtszeit wird traditionell eine Modelleisenbahn überm Tresen installiert. Liebevoll von Hand gebastelt bis ins kleinste Detail: adrette Fachwerkhäuschen mit heimeliger Innenbeleuchtung, dunkelgrün strotzende Tannenbäumchen, gepflegte Gärtlein, glückliche kleine Kühe und Ochsen sowie ein niedliches Kirchlein, das stets im Dorf bleibt. Und, selbstverständlich, ein ausgeklügeltes Gleissystem, an dessen Bett noch nie eine menschliche Hand das Schottern gewagt hätte. Nicht zu vergessen das Allerwichtigste, das Eisenbähnlein: kein Personen-, sondern ein Güterzug, der gastronomisch stilechte Fracht mit sich führt, nämlich kleine dicke Fässchen mit der Aufschrift "Bordeaux".

Kurzum, ein Ort, wo die Welt noch in Ordnung ist. Krisenfest, könnte man sagen. Hier fahren auch im Winter die Züge pünktlich und erreichen unbeschadet ihr Ziel, auf dass der Bordeaux seiner natürlichen Bestimmung im Glase des Gastes zugeführt werde. Wobei Pünktlichkeit eine reine Ermessenssache des diensthabenden Geschäftsführers ist; irgendwann im Laufe des Abends - das Restaurant muss voll bis auf den letzten Platz sein, vorher läuft nichts - drückt er aufs Knöpfchen. Nein, nicht auf das Zuglosfahrknöpfchen, vielmehr auf die Starttaste am CD-Spieler, denn die ganze Show wird mit einem martialischen Soundtrack eingeläutet: Es ertönt der gellende Pfiff einer Lokomotive, danach fängt es träge an zu rumpeln und zu rattern, zu stampfen und zu schnauben (nostalgischer Dampflokbetrieb, was sonst, ICEs haben in diese Welt keinen Zutritt), dann erst wird die Zug-Starttaste gedrückt und das Säuferbähnlein setzt sich gemächlich in Bewegung, dreht vorsichtig seine erste Runde, nimmt an Fahrt auf und knattert sodann rasant über Berg und Tal, über Brücken und durch Tunnels wie Speedy Gonzalez höchstpersönlich.

Jeden Abend - so will es die Dramaturgie - erwischt es die Gäste eiskalt von hinten, nämlich dann, wenn alle auf ihr Wildschweinragout mit Preiselbeersauce fokussiert sind, denn dann durchdringt der schrille Lokpfiff Mark und Bein, alle fahren erschrocken zusammen, lassen Messer und Gabel fallen, starren gebannt nach oben, während die Kinnladen nach unten sinken und das Licht im Lokal effektvoll abgedimmt wird, das Züglein davonächzt und jedesmal, wenn es mit lautem Getüüt und Geblink wieder aus dem finsteren Tunnel auftaucht, geht eine Welle von Ooh und Aah durch die ganze Kneipe, die Wildschweine und Kaninchen werden kalt, die Gläser leer, und alle fragen: Wo bleibt denn bloß der Bordeaux?


Nun heißt es ja immer, diese Modelleisenbahnleidenschaft sei eine typische Obsession deutscher Männer, aber seit heute kann ich wissenschaftlich dagegenhalten, zumindest auf anekdotisch-empirischem Level. Weil nämlich heute morgen einträchtig in der Kneipe versammelt saßen: ein jugoslawischer Getränkelieferant, ein marokkanischer Gemüselieferant, ein italienischer Fleischlieferant sowie ein spanischer Hausmeister. Und weil ich neuerdings weiß, in welchem Timing welche Knöpfchen gedrückt werden müssen, um das fulminante Schienenspektakel loszutreten, machte ich die Probe aufs Exempel.

Ergebnis: Es handelt sich beileibe um kein urdeutsches Phänomen, sondern um ein universelle genetische Prägung. Denn mit dem schrillen Anpfiff verstummte das lautstarke Palaver um den Kneipentisch; vierschrötige Mannsbilder aus aller Herren Länder guckten selig mit runden, glücklichen Kinderaugen nach oben, die Kinnladen sanken kulturübergreifend nach unten, das Züglein raste durch den halbdunklen deutschen Tann, verschwand im Südtunnel, tauchte unter orientalischem Ooh und balkanesischem Aah wieder auf, kurvte kreischend über die Ost-West-Brücke, und aus Männern wurden Buben und aus der Kneipe ein Kinderzimmer.

Willkommen im Orient-Express-Universum.

Sonntag, 24. Oktober 2010

Tafel, mal anders


Nein, Holyoke ist kein Gospel-Karaoke.

Holyoke ist ein heruntergewirtschafteter Vorort der ebenfalls heruntergewirtschafteten Stadt Springfield in Massachusetts, Amerika. Heruntergewirtschaftet im doppelten Sinne: Wie überall im Land hat auch in Holyoke die Wirtschaftskrise ihre Spuren hinterlassen - ausgestorbene Innenstadt, steigende Kriminalität, hochgeklappte Bürgersteige und Bürger, die sich abends lieber zuhause verschanzen als in eines der wenigen verbliebenen Restaurants essen zu gehen. Weil ihnen das Reservieren zwei Monate im voraus auf den Wecker geht. Oder weil es ihnen zu teuer ist. Mit anderen Worten, auch die gastronomische Bewirtschaftung scheint in Holyoke auf den Hund gekommen zu sein.

Und was tun die Bürger von Holyoke? Sie klappen einfach die Bürgersteige wieder runter. Sie packen Geschirr, Stühle, Tische, sogar Tischtücher ins Auto, suchen sich ein nettes öffentliches Plätzchen und fangen dort an zu tafeln. Es handelt sich um keine Party, keine Clique, keinen Insiderclub; jeder ist willkommen, sofern er etwas zu essen und eine Sitzgelegenheit mitbringt.


Sie nennen es "Bring Your Own Restaurant!" (BYOR) und bringen damit Leben in die öffentliche Tristesse von downtown Holyoke. Jeden zweiten Freitagabend suchen sie sich eine verhältnismäßig abgefahrene Location - eine Tankstelle außer Betrieb oder eine stillgelegte Fahrspur auf einer Brücke. Informiert wird übers Internet. Wer will, zieht sich schick an oder lässt es bleiben, "Dress to impress or dress to de-stress".

Überhaupt legt das Open-Air-Bürgerrestaurant Wert auf stressfreie Partizipation: "No reservations". Einfach vorbeikommen. Es ist Platz für alle* da. Stuhl nicht vergessen.

*großklicken!

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Der Hausmeister


Seit neuestem und zu meiner großen Freude gibt es einen Hausmeister. Einen Hausmeister, der einzig und allein für ein Objekt zuständig ist, nämlich für das Restaurant. 'Hausmeister' - das ist ein mindestens ebenso schöner, traditioneller, Klartext redender deutscher Begriff wie 'Putzfrau'. Jeder weiß sofort: Aha, da fühlt sich einer zuständig. Ich mag Hausmeister.

Der neue Hausmeister wohnt seit über 20 Jahren mit seiner Frau, der Aushilfsputzfrau, im ersten Stock über dem Restaurant und wird von mir aus folgenden Gründen geschätzt:

Er hat von allem Ahnung. Man kann ihn alles fragen. Er ist ein Tüftler und Improvisateur. Er ist Spanier. Seine Frau ist Spanierin. Er ist intelligent. Er hat ein Gesicht, dem anzusehen ist, dass er Sinn für Humor hat. So ein scharfgeschnittenes Gesicht mit wachen Augen, das nur darauf zu lauern scheint, ob sich eine Gelegenheit zu einem scharfen Wortwitz anbahnt. Er spricht ein gutes Deutsch, oder sagen wir mal: Er weiß sich angemessen auszudrücken; manchmal reden wir über Politik, und dann formuliert er Sätze wie diesen: "Der Seehofer ist ein bisschen weich in der Birne, oder?" Wenn was ist, geht man einfach hoch und klingelt - sofern der Hausmeister nicht eh schon im Lokal ist und einen Kaffee trinkt.

Ein Segen von einem Hausmeister.

Nun lese ich von einem jüngst stattgefundenen Streitgespräch zwischen einem traditionellen Hausmeister und einem neumodischen Facility Manager. Der Unterschied zwischen einem Hausmeister und einem Facility Manager besteht darin, dass der Facility Manager denkt, er wäre etwas Besseres. Weil er nämlich das Facility Management studiert hat (die Akademikerschwemme nimmt und nimmt kein Ende).

Sehr lesenswert, mit welch anmaßender Bugwelle der Diplom-Hausmeister gegenüber seinem unakademischen Gesprächspartner auftritt und wie schlagfertig der bodenständige Kollege ihn kontert.
(Facility Manager) In diesem Studiengang ist Kreativität gefragt, weil wir immer wieder vor die Herausforderung der Kostenersparnis gestellt werden. Viele Absolventen werden als Objektleiter eingesetzt, sie führen Teams bis zu acht Leute.

(Hausmeister) Das Berufsbild ist also nur denken und nicht anfassen. Arbeiten tut der Unterbau. Was ist daran billiger, als wenn ich einen habe, der die ganze Zeit vor Ort ist und das ganze Objekt betreut? Vielleicht sollte ich doch studieren, um das zu begreifen.
Ein Hoch auf den Hausmeister.

Montag, 18. Oktober 2010

Samstag, 16. Oktober 2010

In den besten Häusern zuhause


Statusunterschiede sind ja etwas ganz Normales unter Menschen.

Die einen gehen in die Pizzeria um die Ecke, die anderen ins Vier-Sterne-Restaurant mit Parkpanorama. Die einen sitzen an nackten Holztischen, die anderen über gestärktem Damast. Und während es den einen passieren kann, dass ihnen plötzlich die Gemeine Küchenschabe übers blanke Holz huscht, dürfen die anderen mit Recht beanspruchen, dass - wenn schon, denn schon - das blütenweiß gebügelte Tischtuch nur von ausgewählten Vier-Sterne-Kakerlaken betreten werden darf.

So geschehen vor ein paar Tagen im eleganten Jean-Georges in New York City, direkt am Central Park gelegen. Gegen neun Uhr abends gellte ein Schrei durch das für seine ruhig-gediegene Atmosphäre bekannte Etablissement: Auf einem Fünf-Personen-Tisch bahnte sich eine hungrige Edelschabe ihren Weg zwischen edlen Schälchen mit Edel-Sushi-Thunfisch. Der Schrei soll eher unedel geklungen haben - gefolgt von tödlicher Stille im ganzen Restaurant.

Gut, wenn so eine Kakerlake haarscharf am Pizzateller vorbeigrätscht, geht der Wellnessfaktor temporär auch nach unten. Aber, oh my god, im 4-Sterne-Lokal! Wenn sich das herumspricht! Peinlichkeit, nimm deinen Lauf. Was tun? Da hilft nur eines: Vier-Sterne-Katastrophenmanagement.

Schritt Eins: Das Ungeziefer mithilfe einer geknüllten Damastserviette einfangen - von einem beherzten, aber ungeübten Edelkellner. Weil, wenn geübt, würde das ja schon wieder einen generalverdächtigen Eindruck machen. Da aber ungeübt, gelingt der Schabe das unversehrte Entkommen. Was die Peinlichkeit nicht etwa lindert, sondern zunächst verstärkt.

Schritt Zwei: Die schockierten Gäste schleunigst umsetzen an einen ungezieferfreien Tisch - eine Illusion, an die sich trotz der soeben entronnenen und vermutlich immer noch hungrigen Schabe alle Beteiligten verzweifelt klammern.

Schritt Drei: Die fünf Gäste ablenken. Mit Essen natürlich, womit sonst. Zum 98-Dollar-Drei-Gänge-Dinner wird ein zusätzlicher Gang gereicht, danach diverse zusätzliche Desserts. Stopfung mit System.

Schritt Vier: Die fünf Gäste so betrunken machen, dass sie sich hinterher an nichts mehr erinnern können. Schwerer Dessertwein sowie Champagner werden eingeflößt.

Schritt Fünf: Die unmittelbaren Nachbartische mit je einer Runde Gratisdrinks ebenfalls betäuben.

Schritt Sechs: Ein Stoßgebet zum lieben Gastronomengott schicken, dass der peinliche Zwischenfall im kollektiven Edelrausch ersäuft und vergessen sein möge.

So weit, so vorbildlich. Hätte da nur nicht ein New Yorker Edel-Gastrokritiker Wind von der Sache bekommen und sie im Diners' Journal Blog der New York Times genüsslich breitgetreten. Jetzt zerreißt sich, nicht minder genüsslich, die halbe Stadt den Mund - wie das halt so läuft, wenn etwas vorkommt, was selbst in den besten Häusern vorkommt. Wäre ich Pizzeriabetreiber, würde ich mir genüsslich die Hände reiben und denken: Statusunterschiede haben auch ihre Vorteile.

Freitag, 15. Oktober 2010

Der Freitagsfilm


Gutes aus der Gastronomie:



Ein Film über guten Service, schlechte Witze und was passieren kann, wenn einer Kellnerin das Lächeln vergeht.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Entflammt


So'n Ding hätte ich gern:


Für alle Lebenslagen des Angriffes und der Selbstverteidigung.
Hier wird das formschöne Haushaltsgerät in Anschlag gebracht von einer Art Desperate Stuttgart Housewife, die in schwäbischer Gründlichkeit zum Äußersten entschlossen ist. Meine latente pyromanische Veranlagung schlägt Funken. Ich will das Ding haben.

Da ich ohnehin nicht zu den Menschen gehöre, die keiner Fliege etwas zu Leide tun, stünde einer zivilen Nutzung des Gerätes im Restaurantbereich nichts im Weg. Stichwort Fruchtfliegenbekämpfung. Fruchtfliegen im Herbst, zur Zeit Topthema in der Gastronomie! Manchmal schaue ich zur Decke hoch und denke: könnte mal wieder einen neuen Anstrich vertragen - dabei handelt es sich um anthrazitfarbene Fruchtfliegenkolonien, was einen höchst lästigen, nervigen, umständlichen Staubsaugereinsatz mit gefühlt zehn Meter langem Teleskoprohr zur Folge hat. Hinterher ist man kreuzlahm. Ich hasse es. Ich will auf der Stelle so ein Ding haben.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Mein Name ist Mop


Fensterputzen war gestern. Neuerdings gibt es etwas, was ich noch lieber mache als Fensterputzen: ans Telefon gehen, wenn es klingelt. In den meisten Fällen sind Gäste dran, die einen Tisch reservieren möchten. Ein verantwortungsvoller Job, bei dem man vieles falsch machen kann, zum Beispiel die falschen Leute an den falschen Tisch zu setzen, oder - schlimmer noch - die falschen Leute zusammen mit anderen falschen Leuten an den falschen Tisch zu setzen.

Noch bis vor kurzem gehörte die telefonische Annahme von Reservierungen zum Aufgabenbereich von Frau Übermop; allerdings führte deren zunehmende Schwerhörigkeit immer öfter dazu, dass immer mehr Tische abends falsch besetzt oder - Katastrophe! - einige Tische doppelt besetzt oder - größte aller gastronomischen Katastrophen! - einige Tische überhaupt nicht besetzt wurden. Im Zuge des präventiven Katastrophenmanagements wurde darum die Reservierungsannahme auf Mrs. Mop übertragen.

Mache ich gern. Zwischendurch immer mal mit wildfremden Leuten plaudern. Plazierungswünsche. Ausrichten von Feiern. Öffentliche Verkehrsmittel. Speisekarte erklären (wechselt täglich). Sonderwünsche berücksichtigen. Dies und das. Nett rumlabern halt, aber zielorientiert. Doch, ich gehe gern ans Telefon.

Nur - manchmal kommt es vor, dass das Telefon klingelt und am anderen Ende kein wildfremder Mensch, sondern eine vertraute Stimme erklingt. Nämlich die Stimme eines meiner ehemaligen Auftraggeber, vielmehr seiner Sekretärin. Die Stimme schnurrte freundlich: "Guten Morgen, hier ist die Firma Sowieso, mein Name ist Sowieso, können wir für unsere Weihnachtsfeier einen großen Tisch bei Ihnen reservieren?", und mir war, als hätte ich die Stimme erst gestern gehört statt in grauer Vorzeit, also vor vier, fünf Jahren das letzte Mal. Genauso hatte die Stimme immer geklungen, wenn die Sekretärin damals bei mir angerufen, mit mir geplaudert und mich dann mit dem Chef verbunden hat. Es fühlte ich an wie gestern. Vertraut eben.

Als sie mir den deutsch-englischen Firmennamen buchstabieren wollte, rutschte mir ganz automatisch heraus "kein Problem, ich kenne Ihren Namen, ist schon notiert", was die Sekretärin erfreute, aber auch erstaunte, so dass ich das Gespräch schnell auf die besonderen Tischwünsche lenkte. Weil, für einen Moment wurde mir plötzlich so siedend heiß. Ging aber gottseidank gleich wieder weg.

Wir haben also nett und zielorientiert palavert, das mit dem Tisch ging klar, und ich erinnerte mich, mit dem Chef der Sekretärin schon einige Male dieses Restaurant besucht zu haben, zu Besprechungszwecken. In grauer Vorzeit. Die Zeiten ändern sich.

Am Ende des Telefonats buchstabierte sie mir dann noch ihren eigenen Namen, den ich - selbstredend - ebenfalls schon notiert hatte, denn ich kannte die Frau ja. Aber diesmal hielt ich den Mund. Den muss man sich ja nicht ein zweites Mal verbrennen. Und ein drittes Mal schon gleich gar nicht. Weil, ganz zum Schluss fragte sie mich nach meinem Namen. Ohne zu zögern und wahrheitsgemäß antwortete ich: "Mop". Sie hat den Namen notiert.




Mittwoch, 22. September 2010

Text putzen


Heute war ein erfreulicher Tag. Denn heute nachmittag gab es einen kleinen Lektorier-Job, dem vielleicht noch weitere kleine Lektorier-Jobs folgen werden. Das erfreulichste daran war, dass der Job im Restaurant stattfand, denn bei dem Auftraggeber handelt es sich um einen der Geschäftsführer, der sich gerade ein zweites Standbein als Buchherausgeber und Verleger aufbaut. Auch er ein Multijobber, sozusagen. Wenn auch in einer etwas anderen Liga spielend als ich.

Ich schmiss also um 11:30 Uhr die roten Schuhe von den Füßen und die Schürze vom Leib, hockte mich rollenkonfliktfrei vors Laptop und wurde vom Geschäftsführer mit Speis' und Trank verwöhnt. Da dieser Geschäftsführer das Servicegeschäft leitet, weiß er, wie das geht (das mit dem Verwöhnen). Er gab den Vollprofi.

Ich aber auch. Hocherfreulich war es festzustellen, dass meine sprachfahnderischen Reflexe immer noch einwandfrei funktionieren; die Arbeit am Text ging mir leichter von der Hand denn je. Manchmal hielt ich inne, schaute zum Fenster hinaus und hatte das unbestimmte Gefühl, die nachmittägliche Leichtigkeit der Textarbeit könnte vielleicht irgend etwas zu tun haben mit der schweren körperlichen Arbeit am Vormittag. Vielleicht auch nicht. Ich glaube aber doch. Irgendwie jedenfalls.

Am allererfreulichsten war der Umstand, dass dieser Geschäftsführer als (verlegerischer) Auftraggeber ein pflegeleichter ist: Er zeigte sich durchweg einsichtig, fügte sich allen meinen Verbesserungsvorschlägen fast widerstandslos, und wenn ich anfing streng zu werden ("Das geht so nicht, basta!"), sagte er "okay", stand auf und kochte frischen Kaffee. Es war ein selten gemütlicher und dabei intellektuell herausfordernder Job. Als der Feinschliff am Text sich in die Länge zu ziehen begann - die Zeit drängt, die Buchmesse naht und der Flyer musste heute noch raus -, schaute er auf die Uhr und bemerkte: "Hoffentlich hast du heute nichts mehr vor", worauf ich ein vorwurfsvolles Gesicht aufsetzte und erwiderte: "Doch, ich muss noch bloggen", was sich ja auch irgendwie erfreulich anfühlt, wenn man seinem Auftraggeber gegenüber das einfach so erwähnen kann.

Interessant war es zu erleben, wie das Restaurant im Laufe des Nachmittags sein Gesicht und seine Energie verändert. Köche und Küchenhilfen werkelten lautstark in der Küche, gegen vier Uhr begann der Service zu wuseln, das Telefon ging immer öfter, der ganze Bienenstock fing an zu summen, die Zeit verstrich und aus dem Summen wurde eine Brummen, wie ein Organismus, der sich warm läuft und allmählich auf Hochtouren bringt. Auch war es interessant zu erleben, dass die weiblichen Servicekräfte und Küchenhilfen es hochinteressant fanden, dass da die Putzfrau am Laptop sitzt und dem Chef Vorträge über guten Schreibstil hält; während die männlichen Köche sich so verhielten, als komme ihnen die ganze Szenerie befremdlich und daher völlig uninteressant vor. Kann aber auch Einbildung gewesen sein. Glaube ich aber nicht. Irgendwie jedenfalls.

Doch, der Tag war gut. So ein Tag macht zufrieden.
Es könnte ruhig mehr solcher Tage geben.

Donnerstag, 19. August 2010

Schwarmintelligenz


Ich muss schon sagen, der große Blonde mit dem schweren Schlafsack hat Nerven wie breite Nudeln. Wie ich heute früh in den Park einbiege und mich seelisch-moralisch für einen harten Augenblick wappne, liegt der doch glatt an seinem angestammten Platz, zusammengekringelt (nix Partisanenschlafhaltung!) wie ein sattes Baby, in seinem Schlafsack und tut, als ob gestern nichts gewesen sei. Während ich mich zuerst auf dem Fahrrad, danach auf meinem Blog ausheule.

Zumindest nehme ich an, dass es sich bei der Gestalt im Schlafsack um den großen Blonden handelte - man kann ja nie wissen. Theoretisch könnte sich ein anderer Freischläfer gestern nacht das unverhofft freie Schlafplätzchen unter den Nagel gerissen haben; allerdings lag der Schlafsack exakt an derselben Position wie immer, nämlich schräg unterhalb der steinernen Tischtennisplatte (Wind- und Regenschutz!), und wie immer stand rechts neben dem Kopfende eine kleine Wasserflasche mit exakt demselben Etikett wie sonst auch. Mithin kann es kein Vertun geben - er muss es gewesen sein. Wer sonst.

Ich gebe zu, mich wie ein Kind gefreut zu haben. Als ich an ihm vorbeifuhr, wurde mir ganz giggelig zumute: Ob er wohl meine Fahrradreifen auf dem Kies knirschen hört? Im Halbschlaf? Im Traum? Ziemlich geräuschvoll zischte ich 'Psst!' zu ihm hinüber, aber das hat ihn nicht gerührt; jedenfalls hat er sich nicht gerührt. Na gut. Hauptsache, er ist wieder da, Hauptsache, ich habe mich gefreut.

Das bisschen Freude am frühen Morgen konnte ich gut gebrauchen, denn am späten Morgen gab es geschwollenen Ärger. Als ich in den Hinterhof des Restaurants trat, um leere Flaschen aus Kunststoffwannen heraus in den Flaschenboy zu deponieren, war kurz zuvor ganz überraschend die Sonne herausgekommen - auch dies ein Grund zur Freude, eigentlich. Uneigentlich hielt sich die Freude dann doch in Grenzen. Gefühlte 92 leere Flaschen lagen in der prallen Sonne, die meisten davon Rot- und Weißweinflaschen (es muss gestern abend mal wieder mächtig gebrummt haben, umsatzmäßig).

Leider erwies sich die Mehrzahl der Flaschen als nicht leer; speziell die Rotweinflaschen enthielten Rückstände an Rotwein. Mit Rückständen meine ich nicht so ein paar Tröpfchen, sondern mehrere Fingerbreit je Flasche. Gut, mich geht's ja nichts an - aber ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal auch nur eine einzige Flasche mit so vielen Weinresten drin entsorgt hätte. Bei mir wird seit Jahren nichts, absolut nichts mehr weggeworfen, was ess- oder trinkbar ist. (Sollte jetzt jemand fragen: auch nichts Verdorbenes?, nein, auch nichts Verdorbenes, denn bei mir verdirbt seit Jahren nichts mehr, weil ich alles aufesse und -trinke, bevor es verdirbt.)

Ich stand also sinnierend vor all den halbleeren Flaschen, kam mir schon vor wie Tante Hildegunde, die aus der Nachkriegszeit erzählt ("...euch geht's zu gut! Ihr wisst nicht, was Hungern heißt!"), bückte mich schließlich inmitten der warmen, alkoholdunstgeschwängerten Luft - da schwirrte ein aufgeschreckter Wespenschwarm aus der Flaschendeponie und es kam, wie es kommen musste: Ein Stich, ein Schrei - gute Laune vorbei. Innenseite linker Oberarm, da, wo die Haut besonders dünn und und der stechende Schmerz am wirkungsvollsten ist. Ich tobte. Ich fluchte. Ich verfluchte die Gastronomie mitsamt ihren verpeilten Servicekräften, von denen - zu ihrem Glück, zu meinem Leidwesen - keiner anwesend war.

Gottseidank hat die Gastronomie auch ihr Gutes, nämlich überall Zwiebeln und Zitronen zur Hand. Nach einer halben Stunde war ich wieder in einem annähernd menschenwürdigen Zustand. Noch jetzt prangt an meinem linken Arm ein fetter Flatschen, noch jetzt verströme ich einen durchdringenden Geruch nach feinsten französischen Rotzwiebeln. Roh genossen kommt der Zwiebelgestank ja immer am besten.

Was soll ich sagen? Mittlerweile bin ich - endgültig, unwiderruflich und wild entschlossen - urlaubsreif.

Mittwoch, 4. August 2010

Bongoländer


Es ist gar nicht so leicht, seinen Blues zu pflegen, wenn man in der Gastronomie arbeitet. Geht mir jedenfalls so. Zumindest heute ließ mein Umfeld mir kaum eine Chance, mein fernwehbedingtes Trübsal zu blasen, von den ersten anderthalb Stunden mal abgesehen.

Frau Übermop hatte schon gestern gecheckt, dass mich irgendein Weltschmerz plagte, verkniff sich auch heute sämtliche Fragen und ließ mich diskret in Ruhe schrubben. Fand ich sensibel von ihr. Es gibt keine bessere Kombination als Trübsinn und Toilettenputzen; danach weiß man wenigstens, dass es schlimmer kaum geht, und erfreut sich bereits an den kleinsten Dingen, sei dies eine saubere Klobrille oder ein jugoslawischer Getränkelieferant, der sich nicht traut pinkeln zu gehen, weil der Boden noch wischfeucht ist und ich mit einem Zerberusgesicht die Toilettentür im Auge behalte, weil, den Blues zu haben und zweimal den Toilettenboden zu wischen kommt überhaupt nicht in Frage.

Der Jugoslawe hat, genau wie der Ehemann der spanischen Putzfrau, die Angewohnheit, mich "Mala" zu nennen, was mir ein böhmisches Dorf ist. Okay, wenn der Spanier "Mala" - manchmal auch "Malita" - zu mir sagt, verstehe ich das irgendwie, auch wenn ich ganz tief innen drin fest davon überzeugt bin, dass ich im Prinzip ein herzensguter Mensch bin. Aber Jugoslawisch kann ich halt nicht, und der Jugoslawe kann nur ganz wenig Deutsch, gerade so viel, dass er mich an der Toilettentür verwundert angeschaut und gefragt hat: "Mala, was ist los mit dir?"

Er tat das in diesem typisch balkanesischen, weichen Singsang, was dazu führte, dass ich auf der Stelle einen Kloß in den Hals bekam und keinen Ton herausbrachte. Er sah mich aufmerksam an, schüttelte ganz sachte den Kopf und singsangte leise "Mala, Mala...". Das gab mir den Rest. Ich schaffte es gerade noch, mit wackeliger Stimme zu sagen "Geh' endlich pinkeln!" Der Toilettenboden war mir plötzlich piepegal. Ich wollte nach Kuba, konnte kein Jugoslawisch, und überhaupt. Der Getränkelieferant blieb in der Tür stehen, lächelte mich an und hörte gar nicht mehr auf zu lächeln, lächelte immer breiter (der Boden musste längst getrocknet sein), sodass ich einfach zurücklächeln musste, obwohl mir nicht die Bohne danach zumute war, aber das Lächeln war stärker.

Frau Übermop hatte die Szene aus den Augenwinkeln beobachtet.
Sie schwieg.

Dann kam der brasilianische Sprücheklopfer und Bierlieferant. Er haute mir zur Begrüßung mit seiner klodeckelgroßen Pranke auf die Schulter und rief aufgekratzt: "Hey Chica, wann kommst du mit mir nach Brasilien Samba tanzen?" Frau Übermop ging sofort dazwischen: "Samba kannst du meinetwegen auch hier im Lokal mit ihr tanzen", aber das mit Brasilien solle er sich mal aus dem Kopf schlagen, weil, "die hat doch kein Geld, die liegt dir bloß auf der Tasche", außerdem habe sie sich jetzt endlich an mich als Kollegin gewöhnt und habe keine Lust, schon wieder eine neue Putzfrau einzuarbeiten. Das klingt rauh, war aber herzlich gemeint, wenn man Frau Übermops Abneigung gegen Komplimente im allgemeinen und ihre Vorliebe für Komplimente aus echtem Schrot und Korn kennt. Ich musste lachen, obwohl ich nicht wollte.

Als ich später mit dem Flaschenboy zu den Glascontainern schipperte, überlegte ich, dass Brasilien eigentlich auch keine schlechte Wahl wäre. Brasilien steht nämlich an zweiter Stelle meiner unerfüllten Herzenswünsche. Ich rumpelte den Flaschenboy an Ort und Stelle zurecht, dachte an Bahia und Bossa, ließ es ordentlich klirren und scheppern und - fing mir unverhofft einen Heiratsantrag ein. Von Bongo.

Bongo ist bei der städtischen Müllabfuhr und heißt wirklich Bongo. Nach eigenen Angaben stammt Bongo aus - wie könnte es anders sein - "Bongoland". In Bongos Fall ist Bongoland nicht Afrika, sondern Jamaika. Wenn Bongo einen guten Tag hat, haut er immer ein paar mal mit den flachen Händen auf die geleerten Mülltonnen drauf; das ist dann sozusagen die Buschtrommel, mit der er mich begrüßt. So auch heute; nur dass ich halt gerade heute keinen besonders guten Tag hatte.

Ob ich nicht mit ihm nach Bongoland kommen wolle, fragte er. Ich dachte an Calypso und Reggae und fand das erst mal nicht schlecht, also, mal rein so an und für sich. Bongo interpretierte mein Zögern falsch und schob rasch hinterher: "Wir können ja vorher heiraten!" Oder, fuhr er fort, am besten gleich in Jamaika heiraten, dort seien Hochzeitsfeiern immer eine sehr lustige Angelegenheit. An letzterem habe ich nicht den geringsten Zweifel; trotzdem bat ich mir Bedenkzeit aus. Bongo grinste und stieg auf sein volles Müllauto. Ich gondelte mit dem leeren Flaschenboy zurück zum Restaurant.

Frau Übermop hatte die Szene vom Fenster aus beobachtet. Sie stemmte beide Fäuste auf die Hüften und sagte: "Jetzt reicht's dann aber!" Was, fragte ich. "Was wollte der Müllmann von dir? Will er dich nach Afrika mitnehmen?" Nein, nach Jamaika, antwortete ich. "Ob Afrika oder Jamaika, ist mir wurscht - du bleibst hier!" Ich schaute sie mit runden Augen an. Herausfordernd fragte sie mich: "Ist das klar?" Ich gab ihr mein Jawort.

Auf dem Nachhauseweg dachte ich intensiv über Bongoländer und Scheinehen nach. Immerhin ist Jamaika gleich um die Ecke von Kuba, und falls die Reggaefreaks anfangen sollten, mich mit ihrem pseudopolitischen Hardliner-Gedöns, das sie neuerdings gern an den Tag legen, zu nerven, dann wäre es nur ein Katzensprung bis zur nächsten Insel und ich endlich am Ziel meiner Träume. Auf jeden Fall tat sich plötzlich ein zuversichtlich stimmender bunter Strauß an Optionen auf.

Als ich die Wohnungstür aufschloss, empfing mich sattes Schnarchen unterm Sofa. Vielleicht war der Hund einfach nur eifersüchtig gewesen, weil er gedacht hat, ich haue ohne ihn ab nach Kuba? Dummer Hund. Wie könnte ich. Ich gehe nirgendwo hin ohne meinen Blues.

Freitag, 30. Juli 2010

Textile Geschlechterforschung


Nichts ist mehr, wie es war. Kosmische Gesetze scheinen außer Kraft gesetzt: Seit das Fernsehen da war, trägt Frau Übermop schwarz. Schwarz!

Ich spreche von ihrer Schürze. Eine pechschwarze Schürze hat sie sich neuerdings um den Leib gebunden und sieht darin verdammt gut aus (Länge bis Mitte Schienbein, Bistroschürzen-Look). Unglaublich, was eine Änderung der Schürzenfarbe bewirken kann - Frau Übermop verkörpert pure Noblesse. Gravitätisch stolziert sie schwarzbeschürzt durchs Lokal und strahlt dabei eine unwiderstehliche Autorität aus, welchletzteres ihr zwar mit weißer Schürze auch stets gelungen ist, aber bei weitem nicht so elegant.

Ich selber war schon vor ein paar Monaten umgestiegen auf schwarze Schürzen, sehr zum Missfallen von Frau Übermop. Ich durfte mir wochenlanges Gelästere anhören, von wegen: Zu einer Putzfrau gehört nun mal eine weiße Schürze; man merke halt, dass ich kein Profi sei; einer guten Putzfrau gingen modische Aspekte sonstwo vorbei; eine gute Putzfrau sei nicht eitel, sondern fleißig, und dafür stünde, sozusagen symbolisch, die weiße Schürze. Punktum.

Beharrlich versuchte ich ihr klar zu machen, dass die Faktoren Fleiß und Eitelkeit in keiner Weise miteinander korrelierten, und falls sie anderer Meinung sei, möge sie das bitte nachweisen, qualitativ wie quantitativ, was ihr natürlich nie gelang, sie aber nicht vom Weiterlästern abhielt. Irgendwann hatte ich nichts mehr zu meiner Verteidigung vorzubringen, trug die schwarzen Schürzen aber weiter, und zwar bevorzugt die Kurzform (Mitte Oberschenkel), was Frau Übermop ein zweiter Dorn im Auge war (also früher, bevor das Fernsehen da war): Kurze Schürzen? Hast du sie noch alle? Geht überhaupt nicht. Wie sieht das denn aus? Du bist hier nicht im Service. Zieh dir eine anständige Schürze an. - Hat alles nichts genützt. Weil ich in puncto Sturheit der Frau Übermop mal locker das Wasser reichen kann.

Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Frau Übermop in den ersten Wochen meiner damals neuen Tätigkeit, da ging es um die Farbe Weiß bei Schürzen. Schon damals hatte ich nämlich ein begehrliches Auge geworfen auf die schwarzen und dunkelroten Bistroschürzen und -schürzchen, welche ich täglich nach dem Trocknen zusammenlegte. Dekorative Teile sind das - aber no way, ich wurde zu Putzfrauenweiß verdonnert.

Wie eine weiße Schürze nach einer halben Stunde Monsterputz aussieht, kann sich jeder vorstellen, ohne dass Eitelkeit groß zum Thema erhoben werden müsste, weil, es gibt ja auch noch so etwas wie Ästhetik. Und genau das war der Punkt: Während ich für dunkelfarbige Schürzen plädierte, weil sie schmutzresistenter oder flecken'schluckender' sind, vertrat Frau Übermop den Standpunkt, gerade weil die Flecken auf einer dunklen Schürze weniger zu sehen sind, käme für eine Putzfrau nur eine weiße Schürze in Frage. Eben weil der Schürze anzusehen sein müsse, dass die Putzfrau bereits fleißig gewesen ist. Oh du edle Einfalt, mit welch stiller Größe du dich schürzest! Da muss man dann als Novizin erst mal durch.

Aber inzwischen, wie schon gesagt, tragen beide Bräute schwarz. Seit das Fernsehen da war. Mir entwich ein spontanes Kompliment: Steht dir echt gut, die Schürze. Darauf die Übermop, betont beiläufig: Was denn für eine Schürze? Ich so: Na, die schwarze. Frau Übermop, völlig unbeteiligt: Ach - die, die trage ich nur, weil die weißen alle noch im Trockner sind.
Was natürlich ein Witz mit Ohren ist, denn es stapeln sich in der Waschküche die weißen Schürzen bis unter die Decke, und natürlich weiß die Übermop, dass ich das weiß, und trotzdem zieht sie diese Nummer durch mit einem Pokerface, dass ich mich wundere, warum sie Putzfrau und keine Pressesprecherin geworden ist.

Das war gestern. Heute hat sie wieder eine schwarze Schürze getragen. Der Wäschetrockner ist, so weit ich informiert bin, intakt. Also bitte. Ich sag' dazu nichts mehr. Nur so viel: Das Fernsehen ist an allem schuld. Ist aber auch keine besonders neue Erkenntnis.