Donnerstag, 8. Juli 2010

Wechselnd zwischen Freud und Leid


War ja klar, was heute Thema Nummer Eins war: die Schmach von gestern abend. Im Restaurant hatte es Public Viewing gegeben - wegen der hohen Temperaturen auch im Freien -, also vor, hinter, neben dem Restaurant sowie auf der (inzwischen autofreien) Straße. Es muss ein gigantisches Massenspektakel gewesen sein. Unglaublich viel Leergut heute früh.

Ich selbst hatte mich gestern abend dem Public Listening hingegeben: Dachterrasse, kühle Getränke, laues Lüftchen, Stille. Rundherum öffentliche Stille. Es herrschte von halb neun bis halb elf draußen eine solche Grabesstille, dass man keine Leinwand und keinen Bildschirm brauchte, um zu wissen, wie das Spiel lief. Nur einmal erklang von ferne eine kleine fröhliche Vuvuzela-Fanfare, die kam aus der Richtung, wo unser Viertel eine spanisch-brasilianische Bar beherbergt. Danach war wieder Stille. Der Stadtteil lag in gelähmtem Entsetzen, von dem er sich die ganze Nacht nicht erholte.

Beim Public Viewing vor dem Restaurant soll es ebenfalls gespenstisch ruhig gewesen sein; nur hin und wieder ein unterdrücktes Stöhnen, die Andeutung eines leisen Ächzens, ansonsten Grabesstille. Als das Tor fiel, muss die ohnehin nicht vorhandene Geräuschkulisse förmlich implodiert sein, und ein kollektives stummes In-sich-zusammensacken begann.

Zeitgleich jedoch zerriss vom ersten Stock des Restaurantgebäudes ein markerschütternder Schrei die Stille, was die paralysierte Masse vor dem Haus zunächst erschrecken, dann laut aufstöhnen ließ - das Stöhnen soll so ähnlich geklungen haben wie ein langgezogenes kollektives "Oh neiiin!"

Erzählt hat mir das heute die spanische Aushilfsputzfrau, die über dem Restaurant wohnt und das Halbfinale vom Balkon aus verfolgt hatte, gemeinsam mit ihrem spanischen Mann. Die beiden hätten, völlig überadrenalisiert, das (aus ihrer Sicht) unglaublich spannende Spiel mit angehaltenen Atem durchgezittert, seien fix und fertig mit den Nerven gewesen, bis schließlich das Tor gefallen sei und die spanischen Eheleute sich nur noch laut brüllend des unsäglichen Drucks hätten entledigen können. Nie werde sie den fassungslosen Ausdruck in den Gesichtern der Menschenmenge vergessen, als alle wie gebannt zum Balkon hochgeschaut hätten.

"Tja", mischte sich der spanische Ehemann ein, der sich zu uns gesellt hatte und den ich wegen seiner lakonischen Art schätze, "Multikulti will gelernt sein."


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