Donnerstag, 15. Juli 2010

Konstruktiv gezischt


Meine Prekarisierung schreitet unaufhaltsam fort. Genauer gesagt, die Prekarisierung meines Sprachgebrauches. Oder sagt man in dem Fall Proletarisierung? Sei's drum, ob Prole oder Preka, mein heutiges Thema heißt Selbstbehauptung.

Was war ich früher für ein diplomatischer Mensch gewesen. Immer auf gütliche Einigung bedacht, immer schön auf Ich-Botschaften geachtet, immer den anderen ausreden lassen und solche Geschichten. Gut, vielleicht gelang es mir nicht immer, aber zumindest bemüht habe ich mich meistens. Vor Urzeiten, die mir so lange her erscheinen, dass ich mich kaum mehr an sie erinnern kann, bin ich mal durch ein Stahlbad von, äh, wie hieß das noch gleich?...richtig, Konfliktmanagement hieß das, und Kommunikationstraining, und konstruktives Gesprächsverhalten und und und wie die alle geheißen haben - jedenfalls, durch so ein Stahlbad an Stuhlkreisen bin ich mal gegangen und hielt mich für einen tollen Fifi, der mit den diesbezüglichen Tricks vertraut und mit allen Wassern der Selbstbeherrschung gewaschen war.

Und heute? Mache ich kurzen Prozess. Kommt mir jemand dumm, gibt es unverzüglich einen auf die Mütze. Macht jemand Anstalten, mir die Butter vom Brot zu nehmen, haue ich ihm auf die Finger ohne Vorwarnung. Wie hieß das nochmal, Konflikte stets entemotionalisieren? Klingt heute für mich eher nach fettreduziertem Joghurt, welchen ich schon immer hasse wie die Pest. Auf De-eskalation (allein dieses Wortgebilde! wie das schon ausschaut!) bedacht sein? Nee, keine Zeit. Anbrennenlassen läuft nicht. Aufgeschoben wird nicht, und wer meint, wir müssten mal reden oder so, der kann das gleich haben, aber nicht mal, und oder so schon gar nicht. Hic Rhodos, hier wird gehüpft.

Wie ich darauf komme?

Heute hatte ich ein kleines Scharmützel (ist das nicht ein wundervolles Wort? Dagegen De-eskalation, pah!, geh mir fort) mit dem brasilianischen Bierlieferanten. Es war nicht das erste Scharmützel. Überhaupt scharmützele ich ziemlich viel mit den ganzen Lieferanten - muss sein, sonst kommt man unter die Räder. Ich bewege mich nun mal seit einiger Zeit viel in Kreisen und Schichten, wo Diplomatie als Schwäche ausgelegt wird. Das färbt ab.

Der Brasilianer ist einer, der eine große Klappe hat sowie eine Vorliebe für zotige Witze und der ständig latent auf Krawall gebürstet ist, aber auch einer, dem ich so schnell nichts übel nehme; nicht weil er Brasilianer ist, sondern weil er Bossa Nova liebt, genau wie ich (ist eh ein sonderbares Phänomen: Jemandem, der musikalisch so tickt wie ich, kann ich nicht wirklich böse sein, geht einfach nicht).

Aber heute hat der Brasilianer den Bogen überspannt. Er hatte sich den aus seiner Sicht günstigsten Moment ausgesucht - ich kam gerade mit einem Riesenberg getrockneter Wäsche in beiden Armen zur Tür herein, war also quasi wehrlos -, um mich anzuzwinkern und mir vertraulich zuzuraunen "ich muss dir was erzählen, was ganz Tolles, pass auf, gleich lachst du dich tot...". Frühzeitig roch ich den Braten. "Es waren einmal zwei süße kleine rote Kirschen...", begann er mit sprechenden Händen zu fabulieren.

Ich ließ die Pointe nicht zu und zischte ihn höflich an, ob es vielleicht sein könne, dass ihm jemand ins Hirn geschissen habe, was er weder verneinte noch bejahte, weil er zunächst damit beschäftigt war, seinen Unterkiefer wieder von unten nach oben zu bekommen. In der Zeit überlegte ich kurz, ob ich jetzt wohl ein wenig zu weit gegangen war und war auf fast alles gefasst. Auf alles, nur nicht darauf, dass der Brasilianer in ein bierbaucherschütterndes Gelächter ausbrach, den Daumen senkrecht in die Höhe hielt und anerkennend ausrief: "Bravo Chica! Du wirst erwachsen!"

Nun gut. Wird ja auch allmählich Zeit.



4 Kommentare:

  1. Na,ja. Das erinnert mich an ein Abendessen mit Freunden. Mein Tischnachbar, den ich seit alten WG-Zeiten noch kenne, kann es auf den Tod nicht leiden, wenn ihm einer an den Teller greift. Da alle dies wussten, war die Neckerei um so größer und spaßiger, so dass ihm selbst noch der Typ gegenüber ununterbrochen an die Pommes ging. Nach anfänglich noch spaßigen, aber zunehmend ernsteren, und vor allen Dingen mehrmals auffassbaren Empfehlungen mit der drohenden Gabel, dies doch zu unterlassen, konnte ich richtig sehen, wie bei meinem Freunde in Bruchteilen von Sekunden die Rolläden runtergingen, und sich dann eine Gabel quer durch eine Hand, nochmals einen halben Zentimeter in die Tischplatte darunter bohrte. Das Geschrei und der folgende Verband waren natürlich groß. Also, - ich mag meinen Freund immer noch ;-)

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  2. Ein Gabelfrühstück, he he. Sehr nachvollziehbar, die Reaktion deines Freundes, jedenfalls nachvollziehbarer als die aller übrigen Versammelten. Ich meine, wenn ich weiß, dass mein Freund eine Spinnenphobie hat und ich verstecke trotzdem (oder grade DESHALB, wenn ich das richtig verstehe?) eine Handvoll Spinnen in seinem Bett, muss ich mich nicht wundern, wenn er mir eine Tarantella unter die Tagliatelle mischt...:)

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  3. ...oh Jessas, Tarantel wollte ich sagen...

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  4. @Antiferengi:

    Die Reaktion Deines Freundes ist auch verständlich.
    Ich kann's auf den Tod nicht leiden, wenn ein (meist eh schon nicht besonders guter) Witz (oder was der Verursacher dafür hält) zu Tode geritten wird.

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