Samstag, 3. Juli 2010

Mit und ohne Not


Mir brennt seit ein paar Tagen etwas auf den Nägeln. Es gibt da etwas, was mich wurmt, und zwar gewaltig, und überhaupt - wozu habe ich ein Blog. Also raus damit.

Vor ein paar Tagen nämlich fiel mir bei Durchsicht meines Archivs auf, dass etwa vor Jahresfrist ich in den höchsten Tönen schwelgte über die Kunst der Selbstversorgung - und sei es nur via Mirabellenkompott oder selbstgebackenem Brot. Das mit dem Brot und dem Kompott geht in Ordnung; das mache ich weiterhin, und aus meinen ersten Gehversuchen sind inzwischen Gewohnheiten geworden, und meine Brote schmecken gut wie die Hölle, und diese Woche habe ich eine Erdbeermarmelade gekocht, die den Herbst wohl nicht erleben wird.

Nur, mal ehrlich, Brotbacken (mit Muckis, ohne Gerät) bei den herrschenden Temperaturen ist die reine Schinderei, und gegenüber stundenlangem Marmeladekochen (Rühren! Rühren! Rühren!) am heißen Herd ist eine Dampfsauna ein wohltemperierter Chillroom. Ich tue es trotzdem, aber nicht aus Leidenschaft, sondern um Geld zu sparen. Ich kaufe längst keine Convenienceprodukte mehr, aber nicht weil ich sie ablehne, sondern weil sie mir zu teuer sind. Ich koche und backe weder um den Planeten zu retten noch um bewusster zu leben, sondern weil ich anders nicht über die Runden komme. Ich habe keinerlei Grund mich darüber zu beklagen, aber erst recht keinen, darüber zu schwelgen. Zwar freue ich mich über jede gelungene Brotkreation, finde es aber alles andere als witzig, aus ökonomischen Zwängen dauernd nur kleine Brötchen (so viel Metapher muss sein) backen zu können anstatt auch mal beim Konditor zuzuschlagen, wenn mir danach ist.

Wirklich Spass macht die ganze Selbstversorgerei nämlich nur, wenn man die Wahl hat. Damit komme ich endlich zum Punkt, oder vielmehr zum Wurm.

Der Wurm heißt: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Es begegnen mir immer mehr Leute, die weder Mühe noch Kosten scheuen, ihre Vorratsregale aus naturbelassenem Massivholz mit farblich aufeinander abgestimmten, selbstgefüllten Einmachgläsern vollzupflastern und diese dem staunenden Gast mit einem Aplomb vorzuführen, als hätte man soeben einen geheimen Salon betreten und nicht den Keller. Das große Einmachen hat offenbar begonnen und droht jetzt richtig modern zu werden, mit allem (teuren) Schnickschnack, der dazugehört, um aus einer Alltagstrivialität eine Lifestyle-Ideologie zu machen. Ich bin da, als Selbstversorger, anspruchsloser: Ich scheue nur die Kosten.

Seit ich das modebewusste Posieren solcher Wellness-Do-it-yourselfer erlebt habe und sie - wenn der gefühlte Trend nicht trügt - künftig wohl noch öfter erleben muss, ist mir die Lust am Schwelgen vergangen. Es reicht, wenn diese verschrobenen Einmachgläsersammler ihr Hobby mit einer Aura des Heiligen umgeben; es gibt Leute, mit denen möchte ich nicht verwechselt werden. Leute, die das Wort "Selbermachen" nur über die Lippen bringen in pathetischem Verbund mit "mein ökologischer Fußabdruck". Die, wenn sie schon nicht den Planeten retten, so doch zumindest eigenhändig und -mäulig "der Umwelt etwas Gutes tun" wollen - drunter tun sie es nicht. Die, die aus jedem popeligen selbstgebackenen Brot eine "Rückkehr zur Nachhaltigkeit" machen. Als ob Marmeladekochen eine ethische Handlung sei. Wenn man sie reden hört über eingemachte Tomaten, könnte man meinen, sie seien einem religiösen Orden beigetreten.

Sollen sie schwelgen. Ohne mich. Mich interessiert denen ihr Fußabdruck - weder der ökologische noch der rhetorische - nicht die eingemachte Bohne. Eigentlich, habe ich festgestellt, gibt es nur einen Weg, sie zum Schweigen zu bringen: Man hört sich eine Weile die edlen Motive des Premium-Selbstversorgers an, erträgt dessen moralisch überlegenen Augenaufschlag sowie den provinziellen Glamour, in dem er sich während der Kellerbegehung sonnt, und wartet auf den richtigen Moment, um sich als verarmter Prekär-Selbstversorger zu outen. Der richtige Moment ist genau dann gekommen, wenn der Edel-Frugale betont (tun sie alle über kurz oder lang), er mache das alles ja "nicht aus Kostengründen". "Ich schon", lautet dann die mit fester Stimme verabreichte Antwort, "aber ich mache es ja auch nicht als Luxushobby, sondern um zu überleben."

So etwas hören sie gar nicht gern, die Neocons am heimischen Herd im (meist) grünen Gewand. Irgendwie ist ihnen das peinlich. Irgendwie können sie damit überhaupt nicht umgehen. Irgendwie ist ihnen das zu nah dran an dem, was sie sich unter Armut vorstellen. Meist schenken sie mir dann ein Glas eingeweckte Kirschen direkt vom Regal, so als hilflos-nette Geste vom Direkterzeuger, und sagen dazu so Sachen wie "also, nicht dass du das jetzt falsch verstehst!", dicht gefolgt von Sprechblasen à la "ja, man kann dabei schon eine Menge sparen". Ich sage dann so Sachen wie "ja, aber nur wenn man nicht das Zeug aus dem Biosupermarkt kauft", und dann fällt ihnen erst mal nichts mehr ein.

Was da betrieben wird, ist die Gentrifizierung eines frugalen Lebensstiles. Man macht auf bescheiden und lässt sich das etwas kosten. Für den einen ist es Lifestyle-Getue, für mich ist es Not. Das ist der Unterschied. Es ist ein gewaltiger Unterschied.


4 Kommentare:

  1. wie gut, daß das bloggen primär für dich nichts kostet, außer zeit. dann kannst du das wenigstens ohne probleme weitermachen :).

    ja, ich verstehe dein gefühl. zwar in anderem zusammenhang [einseitige taubheit], aber doch irgendwie ähnlich.

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  2. Wie recht du hast...The Best Things In Life Are Free, auf deutsch: Kleine Blogbrötchen backen kostet nix :)

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  3. Hmmm, irgendwas machst du anders als wir (2-Personen-Haushalt). Normalerweise machen wir viel selbst, nicht aus blanker Not, nicht um trendy zu sein, sondern weil wir wirklich gern kochen und man beim Selbermachen mehr Einfluss aufs Ergebnis hat etc.
    Es begab sich aber, dass wir einige Wochen beide sehr in den Seilen hingen, und zu nix mehr Bock hatten. Dazu gehörte auch Kochen und frische Dinge dafür einkaufen. Also gab es Convenience aus dem Discounter. TK-Pizza, fertige Reisgerichtmischungen aus der TK-Tüte, fertige Ofen-Pommes, Chips, Schlemmerfilet und so weiter. Ich habe zugenommen in der Zeit. Aber mirakulöserweise haben wir dabei die Haushaltskasse saniert. Billig-Toast mit Billig-Käse zum Frühstück, TK-Pizza mittags, abends noch die klebrigen TK-Samosas oder Chicken Wings in den Backofen, das war billiger als (preisbewußt!) selbst zu kochen.
    Ohnehin, alles was ohne frische Zutaten auskommt ist immer billiger. Im Moment essen wir Unmengen an Gemüse und Obst - ein Einkauf (in gleicher Euro-Höhe) reicht für 2-3 Tage. Junkfood kann man für eine Woche holen und basta.

    Langer Rede kurzer Sinn: Ich frage mich, wie selber Einmachen Geld sparen kann bei den Marmeladepreisen im Laden (read: Discounter). Deshalb verstehe ich, dass man es aus Genuss-Gründen oder eigener-Garten-Overflow-Gründen tut, aber nicht aus Geld-Gründen. Doesn't add up.

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  4. OK, da habe ich mich unpräzise ausgedrückt. Um eine Erdbeermarmelade zu kaufen, die mir wirklich schmeckt (schön mit Erdbeerstückchen, kein Blubberlutsch, ohne Holzspäne, nicht übersüßt), müsste ich wesentlich tiefer in die Tasche greifen, als mir lieb ist.

    Bei Convenienceprodukten hatte ich eher an so etwas gedacht wie z.B. SB-Salattheken oder gekühlte Pasta oder fertige Pastasaucen, weniger an Chips oder Chicken Wings (sind natürlich auch Convenience, keine Frage, ist ein breites Feld). Oder an diese tollen Sandwiches und Wraps für unterwegs - liebe ich heiß und innig, würden aber mein Budget ruinieren. Dagegen eine Tütensuppe (das klassischste und vielleicht billigste aller Convenienceprodukte) kriege ich einfach nicht runtergewürgt, muss auch nicht sein, denn eine Suppe lässt sich sehr preiswert selbst zubereiten, in größeren Mengen gut einfrieren und schmeckt höllenmäßig gut.

    Und jetzt noch ein Anti-Toast aufs Toastbrot: Ein Kilo selbstgebackenes Brot kostet mich inklusive Energie weniger als ein Euro (also Strom, nicht muskuläre Energie!). Dafür lasse ich jedes Toastbrot liegen, mag es noch so billig sein, denn an einem Brot will ich kauen und nicht lutschen ;).

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