Heute früh halb sechs Uhr, stockdunkel wie immer. Wie immer. War es jemals hell gewesen um halb sechs Uhr früh? Ich kann mich nicht erinnern. Der lange kalte Winter hat mein Gedächtnis eingefroren und verdüstert. Und diese nicht endende tägliche frühmorgendliche Dunkelheit ist so unglaublich öd, dass der einzige Weg, sie auszuhalten, darin liegt, sich einfach an sie zu gewöhnen. Was heißt einfach. Ja doch, einfach - es blieb mir ja nichts anderes übrig, als mich an die täglich draußen aufwartende Ödnis zu gewöhnen, obwohl ich mich lange gesträubt hatte, und dann habe ich mich halt irgendwann gefügt und irgendwie gewöhnt und fertig. Was soll man machen.
So gegen zehn vor sechs radle ich immer über eine dieser hochgeschwungenen, steilen Autobahnbrücken. Raus aus dem Sattel, hochkneten, Backen spüren, keuchen, angenehme Adrenalindurchflutung, wach bis in die Fingerspitzen. Auf halber Höhe schaue ich himmelwärts, wie man das so macht bei Aufstiegen. Auch daran habe ich mich gewöhnt: An genau dieser Stelle während des Hochfahrens in die schwarze Unendlichkeit zu schauen, ohne mich vom Gefühl der endlosen Öde überwältigen zu lassen; mein pumpender, pulsierender Organismus hilft mir dabei.
Jetzt kommt's. Heute früh um zehn vor sechs sah es hoch oben über der Autobahnbrücke weder schwarz noch öd aus: Vielmehr war da eine weiche Wolkenlandschaft aus tiefdunklen Blautönen. Irgendwo sehr weit hinter den nachtblauen Wolken schimmerte schemenhaft ein helleres, leuchtenderes Blau hervor. Es war so wunderschön und traf mich so überraschend, dass mir, schnaufend überm Sattel stehend, ein lautstarkes Boah! entfuhr und ich am höchsten Punkt der Brücke abstieg, um dieses unglaubliche Blau in mich hineinzusaufen.
Dann fuhr ich die steile Brücke hinunter, und alles war wieder schwarz wie immer. Als ob nichts gewesen wäre. Aber der Himmel kann so schwarz sein wie er will - dort über der Autobahnbrücke hat er sich verraten. Da gibt es kein Zurück. Da ist etwas im Kommen. Wird Zeit, dass meine Gewohnheiten sich umgewöhnen.
Tja-ha! Frühling läßt sein blaues Band... (da habe ich lange - eigentlich bis heute - gerätselt, was uns der Dichter damit sagen wollte, habe es gar für eine frühe Kampagne der Hygieneartikel-Werbeindustrie gehalten...)
AntwortenLöschenUnd wenn ich auch lange nicht so unchristlich früh vor die Tür muss, wie es dein Schicksal zu sein scheint, so bin ich doch gottfroh, mein Gör nicht mehr im Stockdunklen zur Schule expedieren zu müssen.
Die ersten Märzbecher und Schneeglöckchen wühlen sich durch den Mulch, in den die arktische Schneelast unseren Rasen verwandelt hat, selbst meine uralte Katze wagt sich wieder ohne Schal und Mütze ins Freie - nur für die Bewohner des Gartenteichs, der diese Bezeichnung allerdings eh nur optimistischen Euphemismusses verdankt, weil es sich im Grunde genommen um eine mit Teichfolie ausgekleidete Pfütze handelt, kommt jede Hilfe zu spät: Fische, Frösche und selbst Schnecken treiben Bauch oben (öh - haben Schnecken Bäuche?? Egal...).
Jedenfalls kann ich nach solchen Wintern immer nachvollziehen, warum Norwegen die höchste Suizidrate Europas hat. :-/
Uff, das sind ja zoologische Katastrophenmeldungen - Bäuche oben -, aber immerhin, botanisch gesehen scheint noch was zu gehen. Hoffnung nicht aufgeben...;)
AntwortenLöschenDeine blaue Frühlingsbinde ist preisverdächtig; würde ich patentieren lassen. Sehr cool :)!