Gestern abend war ich auf einem Open-Air-Konzert mit lateinamerikanischer Musik: kolumbianisch-venezolanische Cumbia und Rumba (hier der Klassiker La Colegiala). Das Ganze auf brachliegendem Bauland, bisschen pampa-mäßig, lauer Sommerabend, viel latino-gebraute Cerveza und eigentlich fast überall nur tanzende Menschen, wie sich das gehört. Wer nicht getanzt hat, sah irgendwie so aus, als ob ihm das peinlich sei. Gut so. Leider Gottes ist es viel zu häufig andersherum. Irgendwie. Hierzulande, meine ich.
Die Menge wogte, groovte und pulsierte also, und nach jedem Stück trat der kolumbianische Sänger oder der venezolanische Keyboarder ans Mikrofon und machte die Ansagen. Einmal, gegen Ende des Konzert, traten beide vors Mikrofon. Erst alberten sie ein wenig herum; ein Wort gab das andere. Von lauten Rufen aus dem Publikum angefeuert, lieferten sie schließlich eine Nummer ab, die nur als geniale, durchtriebene Politpantomime zu bezeichnen war.
Der Kolumbianer - klein, drahtig, koboldhaft, mit gestutztem Bart - stand an der Seite des Venezolaners - groß, massig, breitschultrig, fleischiges Gesicht. Beide reichten sich die Hände, mit der Art von Grandezza, wie es Politiker vor Fernsehkameras gerne tun. Das Publikum wurde immer erregter. Der Große schüttelte heftig an der Hand des Kleinen. Schließlich riss der Venezolaner mit der rechten Hand die linke des Kolumbianers in die Höhe und brüllte pathetisch "Mi amigo, mi amigo!", während der Kolumbianer wie eine Marionettenpuppe mit ins Gesicht getackertem Showlächeln das Bad in der Menge genoss. Die Menge tobte.
Ich brauchte eine Zeitlang, bis ich verstand, was da im Publikum immer lauter skandiert wurde. Es waren zwei Worte, die ständig wiederholt wurden; das erste Wort war "Fuera!", das verstand ich, heißt "Raus!". Das zweite Wort war mir ein Buch mit sieben Siegeln. Im Publikum wurde gekreischt, gepfiffen und gejohlt. Der kleine Kolumbianer lief schauspielerisch zur Hochform auf - sein Gesicht erstarrte zu einer unglaublich dämlichen, dauergrinsenden Fratze, der große Venezolaner zerplatzte fast an seinem aufgeblasenen Pathos und die ganze Szene wirkte derart absurd und politgrotesk, dass es mir auf einmal wie Schuppen vor die Augen fiel und ich begriff, was da frenetisch gegrölt wurde: "Fuera Ahmadinejad! Fuera Ahmadinejad!"
Es handelte sich um eine Anspielung auf den Besuch des iranischen Präsidenten Ahmadinejad letztes Jahr in Venezuela. Mit großem Pomp, rotem Teppich, militärischen Ehren und markigen Worten war er von Venezuelas Staatschef Chavez empfangen worden. Genosse Hugo hatte sich sogar dazu verstiegen, den persischen Gast mit den Diktatoren Idi Amin und Robert Mugabe zu vergleichen, wogegen nichts einzuwenden wäre, hätte Chavez dies nicht im positiven Sinne getan. Dem kleinen iranischen Gernegroß war das runtergegangen wie Öl.
Ob das venezolanische Volk diesen Gastauftritt genauso prickelnd gefunden hat, weiß ich nicht; aber ich weiß, dass gestern abend klare Ansagen gemacht wurden - auf der Bühne, vor der Bühne. Clubbing mit Diktatoren? No hombre! Fuera! Wobei ich dem venezolanischen Präsidenten vieles zutraue, aber eines nicht, nie, nie, nie im Leben: Dass er seinen Landsleuten die Musik verbietet. Die würden ihn umgehend auf eine heiße Stange spießen, teeren, federn und im tiefsten venezolanischen Ölbohrloch versenken.
Nochmal La Cumbia, nochmal der unwiderstehliche Rodolfo y Su Tipica, diesmal con movimiento.
Tabaco y Ron. Baila!
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