Freitag, 2. September 2011

Saison auf Syntagma


Im August herrscht in Athen traditionell tote Hose.
Zu heiß.
Viel zu heiß.
Kein Mensch bleibt in der Stadt.
Alle hauen ab.

Aufs Land.

An den Strand.

Oder wenigstens auf den schattigen Balkon.

Komisch.
Warum lässt da keiner seine Seele baumeln auf dem Land?
Warum ist der Strand so menschenleer?
Warum der Balkon so verwaist?

Ach so.
Es ist September.
Sind jetzt alle wieder zurück in Athen.
Wer?
Na, alle.

Am 3. September gibt es ein großes Wiedersehen:
"Am 3. September werden wir überall sein -
wir werden Syntagma Square füllen."
Wer? Die griechischen Indignados natürlich.
"Die Plätze gehören uns und wir werden überall sein.
Weil wir alle sind. Angefangen haben wir als empörte Bürger, und in Kürze werden wir in Massen revoltieren. Bis jene, die uns hierher getrieben haben, verschwinden werden. Bis wir die Banker und die markteigene Regierung und das ganze System rausgeschmissen haben."
Täusche ich mich oder sind das verschärfte Töne?
"Wir sind uns alle einig, dass wir in unserer Bewegung weder Sprecher noch Führer brauchen, denn solche Führer wären korrupt. Erstens weil Führer sowieso korrupt sind, zweitens weil sie in diesem politischen und wirtschaftlichen System erst recht korrupt sind, weil sie den Menschen das Notwendigste zum Leben abdrehen und die Menschen betrügen. Wir wollen kollektiv unsere eigenen Entscheidungen treffen. Wir nehmen unser Leben in unsere eigene Hand."
Klare Ansage.

Der Zeitpunkt ist von historischer Bedeutung und darum symbolisch gewählt:
"Der 3. September - der Tag, an dem 1843 die erste griechische Verfassung entworfen wurde - ist für uns ein Tag der Rückeroberung. Wir werden diesem Tag seine ursprüngliche Bedeutung zurückgeben: Es geht um die Angelegenheiten des Volkes.
Dieser Tag wird uns daran erinnern, dass das Streben des Volkes nach Demokratie, Freiheit und Würde mit Füßen getreten wird. Er erinnert uns an die Lügen, die uns erzählt wurden und an die Verhöhnung durch unsere Regierungen."
Und wieder legt der Ton an Schärfe zu:
"Wir haben keinerlei Illusionen: Uns ist klar, dass wir keine direkte Demokratie und Volkssouveränität haben können, ohne die Regierung, die Troika und das gesamte politische und wirtschaftliche System zu Fall zu bringen."
Ich freue mich auf den 3. September.
"Wir rufen alle Bürger auf zur großen Volksversammlung auf Syntagma Square sowie allen anderen Plätzen des Landes - am 3. September 2011 um 19:00 Uhr."
Mault schon wieder jemand, die griechischen Indignados seien so unorganisiert und chaotisch und zu wenig zielorientiert und ohne klare Vorstellungen?
Bitte sehr:
"Brot - Bildung - Freiheit!
Gleichheit - Gerechtigkeit - Grundrechte!
Die Plätze gehören uns und wir sind überall!
Direkte Demokratie!"




(Bildquellen:
Bild 1, 2, 3 silez+uzuk; Bild 4 via Protesilaos Stavrou)

14 Kommentare:

  1. Nach der Sommerpause eine neue Protestwelle mit Aufforderung zum staatsfeindlichen Umsturz? Das alte marode System durch gar kein System ersetzen? Ohne Geld ist das doch alles Illusion.
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    Der Athen-Bericht der Geldgeber-Troika:

    "Griechenland wird wahrscheinlich nicht wie erhofft schon 2012 seine Schulden wieder selbst finanzieren können. Daher seien weitere Hilfen nötig, um die Juli-Tranche auszahlen zu können. Die Troika verlangt von Griechenland ein hartes Sparprogramm und tiefgreifende Wirtschaftsreformen als Voraussetzung für ein viele Milliarden schweres Kreditprogramm, mit dem der hoch verschuldete Staat vor der Pleite gerettet werden soll. Athen lehnt weitere Haushaltsmaßnahmen aus Angst vor einem tieferen Abgleiten in die Rezession ab."

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  2. "Staatsfeindlich"? Nix begriffen von direkter Demokratie und dem, was die Griechen darunter verstehen?

    "Die Troika verlangt von Griechenland ein hartes Sparprogramm und tiefgreifende Wirtschaftsreformen als Voraussetzung für ein viele Milliarden schweres Kreditprogramm...":

    Eben, eben. Also ein noch härteres Sparprogramm und noch tiefgreifendere Wirtschafts"reformen" - Sprachkosmetik, nimm deinen Lauf - und genau deshalb verschärft sich der Ton unter den Indignados. Der Ton der Troika verschärft sich ja auch. Die hat gestern erzürnt die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen, weil letztere gewagt hat, sich ein wenig querzulegen. Frau Lagarde scheint sich mit ihrem feinen Verein in Griechenland bereits als Herrin im Haus zu fühlen.

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  3. kann gut sein, dass ich etwas schwer von Begriff bin, mir fehlt auch die Vorstellungskraft in Bezug auf "direkte Demokratie" oder "echte Demokratie". Das sind für mich erstmal nur Schlagworte. Immer wenn ein System sich etabliert hat, wird es korrupt oder mutiert in die falsche Richtung. Auf jeden Fall ist es außerordentlich schwierig, die eingeschlagene Richtung zu ändern. Dass etwas passieren muss ist ja klar, schon allein die Staatsfinanzierung ist nicht mehr wie bisher zu machen, die Verschuldung würgt die Konjunktur ab und macht die Staaten erpressbar. Alle wissen, dass es so nicht mehr lange funktionieren wird, nur haben die Parteien es bislang versäumt, Alternativen vorzustellen, über die es sich nachzudenken lohnt. Sparen wir uns weiterhin kaputt, machen die Armen noch ärmer und zerstören die Zukunft unserer Kinder, ist halt "alternativlos"!

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  4. Sag mal, Kaluptikus, hast Du all die Griechenland- und Spanien-Threads in diesem Blog verschnarcht? Wo ständig über praktizierte "echte Demokratie" geschrieben/sich augetauscht/verlinkt wurde?

    "Das sind für mich erstmal nur Schlagworte." Diese "Schlagworte" sind hier im Blog über Wochen, ja Monate mit Leben, mit Fleisch und Blut gefüllt worden. Nix davon mitgekriegt? Macht ja nichts - bloß all das jetzt wiederzukäuen, wo es schon x-fach geschrieben steht, wär echt zu viel verlangt. Wenn's Dich interessiert, lies.

    "Alle wissen, dass es so nicht mehr lange funktionieren wird, nur haben die Parteien es bislang versäumt, Alternativen vorzustellen, über die es sich nachzudenken lohnt."

    Jetzt mal ehrlich, bist Du echt immer noch auf diesem Trip, dass Du von den Parteien erwartest, Alternativen vorgestellt zu bekommen? Und enttäuscht bist, weil sie dies "versäumen"? Und gleichzeitig mokierst Du Dich über eine Protestbewegung, die den Hintern zigtausendfach hochgekriegt hat, weil sie längst aufgehört hat drauf zu warten, dass ihr die Parteien Alternativen vorstellen? Spöttelst über eine Bewegung, die Dir mental (und hinterntechnisch) um Lichtjahre voraus ist?

    Da staunt die Mop einen Bauklotz nach dem anderen.

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  5. @Frau Mop: Sodele. Genau in diese Richtung zielte meine Frage von neulich ab, bei der Du mir geantwortet hattest, du verstündest nicht, wen ich ansprechen wollte. "Dich natürlich nicht!" ist nun meine Antwort, die ich jetzt mit wenigen Worten und hoffentlich im Zusammenhang verständlicher unter deine Antwort an Kaluptikus setzen kann, die ich gerne unterschreibe.

    @Kaluptikus: Es geht doch nicht darum, ob du schwer von Begriff bist oder nicht. Bei mir war es einfach so, daß mich die Spanier, die Griechen und die Isländer emotional an einer Stelle berührt hatten, an der sich seit "der Wende" in Deutschland (Kohl, '82) nur noch das bleierne Gefühl der Machtlosigkeit befand. Daraus ist inzwischen wenigstens ein 'yes, we could if we would' geworden.
    In Spanien z.B. hat man sich gestern an vielen Orten wieder zusammnegefunden und darüber gesprochen, wie man die Verankerung des vom Parlament beschlossenen Sozialabbaus (vulgo Schuldenbremse) zu beurteilen hat.
    Was würden wir tun? Leise vor uns hinfluchen und weiter hoffen, daß uns das wenigstens persönlich nicht treffen möge?
    Die Leute dort haben Hausräumungen (span. desahucios) aufgrund Zahlungsverzugs der Käufer verhindert und damit Zeichen der Solidarität gesetzt. Vielleicht mögen diese kleinen Aktionen nicht auf Dauer erfolgreich sein. Die mentale Wirkung, nämlich das Gefühl nicht alleine gegenüber der Banken- und Staatsmacht zu sein, bleibt jedoch.
    Frau Mop hat tatsächlich die meisten Einträge aller mir bekannten Blogs zu diesem Themenkreis.
    Deshalb mein Tipp: Augen und Herz auf und dann staunen, was (woanders) möglich ist.

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  6. @Frau Mop: Mmmh. Kann es sein, daß Du die letzten Monate ein bißchen grantiger geworden bist?

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  7. @Kaluptikus: Du liest doch auch bei flatter (feynsinn) mit. Hälst du alles für übertrieben, was er schreibt?
    Wenn Gesetze dazu dienen, die Beraubung der Staatskassen durch Minderheiten zu legalisieren, dann ist jeder Aufruf dieses zu unterbinden einer zum 'staatsfeindlichen Umsturz'?

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  8. Und nicht vergessen: Am 15. Oktober findet die Weltrevolution statt.
    Man könnte sich z.B. T-Shirts machen. Motive zur Abgabe im Siebdruck Shop des Vertrauens hatten wir hier tonnenweise verlinkt.

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  9. @R@iner
    "yes, we could if we would" wird hierzulande auch gern invers gebraucht bzw. gedacht: Wir wöllten ja, wenn wir könnten. Irgendwer scheint den Deutschen das Wollen zu verbieten.

    Grantiger geworden? Mag sein. Kommt immer drauf an, wer hier mit welchen Schoten aufschlägt.

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  10. @Frau Mop: "Irgendwer scheint den Deutschen das Wollen zu verbieten."

    Yep! Ich frage oft Leute, was sie wollen. Manche werden wütend, andere schauen sich hilflos um und aus wieder anderen sprudeln die Klischess, in die sie sich fügten.
    In Blogs von us-Bürgern las ich öfter, daß die aufgeweckteren dort sich fragten, ob sich in Europa Tranquilizer im Trinkwasser befänden. Gerade die Deutschen werden als 'sediert' wahrgenommen.
    Mein Resumée: Man will hierzulande, was man wollen darf.

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  11. "In Blogs von us-Bürgern las ich öfter, daß die aufgeweckteren dort sich fragten, ob sich in Europa Tranquilizer im Trinkwasser befänden."

    Präziser: Das fragen sich US-Blogger eher in Bezug auf mitteleuropäische Länder (also Deutschland, wie Du sagst). Dieselben Blogger sind nämlich oft vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen über die politisch aufgeweckten Südeuropäer.

    Übrigens wird - jedenfalls in den US-Blogs, die ich lese - das amerikanische Trinkwasser und seine Trinker als mindestens ebenso dope-belasted angesehen. Irgendwo muss das Zeugs ja auch herkommen, nachdem inzwischen mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung gewohnheitsmäßige Konsumenten von Psycho-Aufhellern und Tranquilizern sind. Tranky-Doodle-Hoo!

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  12. @Frau Mop: Ich freue mich, daß dir das auch nicht entgangen ist. So ein bißchen Außenwahrnehmung bringt einen doch ganz schön zum Nachdenken.

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  13. Sehr cooles Video.
    "The revolution never comes with a warning." Fuego!

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