Freitag, 15. Juli 2011

Kulturrevolution



Die Revolution findet auf dem Wasser statt. Sofern sie nicht - dem Regenwetter geschuldet - ins Wasser fällt. Letzteres wollen wir den Bregenzer Festspielen ("Revolution am See und ein Toter in der Badewanne") nicht wünschen, denn sonst würde Jean Paul Marat im Bodensee baden gehen.


Und das wäre schade. Es findet nämlich am 20. Juli, also in wenigen Tagen, auf der größten Seebühne der Welt die Premiere der Oper André Chénier von Umberto Giordano statt - Musiktheater mit einem spannungsgeladenen Plot rund um die Französische Revolution. Und der Kopf des gemeuchelten Marat wird als gigantisches Bühnenbild auf dem Bodensee schwimmen.
"Der Corpus des Marat ist in der Revolutions-Oper 24 Meter hoch, der 16 Meter breite Kopf hat ein Gewicht von 60 Tonnen. Im österreichischen Fussach wurde er in einer Werft als Stahlgerippe konstruiert. Zwei Schiffe brachten die zwei Kopfhälften in den frühen Morgenstunden zu den Bregenzer Festspielen. Mit einem Kran wurden sie auf der Seebühne zusammengesetzt. Im Spiel wird der Kopf nach hinten geklappt
(als künstlerische Reminiszenz an das Ölgemälde Der Tod des Marat von Jacques-Louis David)
und sein Gehirn freigegeben, symbolisch ist es für den Dichter ein Bücherstapel von sieben Meter Höhe. Im Spiel werden sich die Augen und der Mund bewegen. Aus seinem Kopf werden eine Dornenkrone sowie ein Bart wachsen. Links von dem Corpus des Marat ist ein barocker Spiegel in Größe von 19 Metern. In ihm soll sich das Leben spiegeln."
Der Bart und die Dornenkrone müssen noch wachsen, aber sonst läuft alles nach Plan und die Revolution kann steigen, wenn auch vorerst nur zu Wasser. Zu Lande verkündet derweil der Intendant David Pountney, die Oper habe einen "sehr starken Drive" und passe mit ihrer Geschichte rund um die Französische Revolution auf den "epischen Raum" der Seebühne.

Seine Worte klingen in mir nach. Epische Räume, denke ich mir, müsste es doch auch jenseits von Seebühnen zuhauf geben, zum Beispiel allerorten auf dem Festland; und revolutionstaugliche Sozialdramen mit sehr starkem Drive muss sich auch keiner ausdenken - die schreibt das Leben frei Haus und schneller als jeder Librettist.

Weiter führt der Intendant aus: "In modernes Musiktheater zu gehen, soll für unsere Gäste genauso normal sein, wie in einen modernen Film zu gehen oder ein modernes Buch zu lesen." Ja Mensch - oder genauso normal, wie zu einer modernen Revolution zu gehen.
Wär' doch mal was.

4 Kommentare:

  1. Hallole. Danke für deinen Hinweis auf den russischen Selbstbausegelbootmitfrauundkatzebewohner.

    Eine kleine Anekdote zu mir und der (ver)bildenden Kunst:
    Eine mir langjährig bekannte Person sucht Themen und organisiert die Ausstellungen für ein Landesmuseum. Wir konnten uns eigentlich immer gut leiden und pflegten bei seltenen Treffen erfrischenden Smalltalk.
    Vor einiger Zeit hatte ich öfter Kontakt und die Person schwärmte mir (wie immer) von irgendeiner der laufenden Ausstellungen des Museums vor, die ich unbedingt hätte besuchen sollen.
    Ich warf einen Blick auf das Thema, weitete dann meine Suche auf der Webseite des Museums auf die vergangenen Ausstellungen aus und stellte leicht aber keinesfalls grob vereinfacht fest, daß es eigentlich immer darum ging, das Leben und Wirken irgendwelcher längst verstorbener reicher Fatzkes darzustellen.
    Nachdem ich nicht nur an der alten Rechtschreibung festhalte, sondern auch an verschiedenen Ideen, zu was ein Museum gut sein sollte, machte ich mir ein paar - aus meiner Sicht - konstruktive Gedanken und schrieb meiner Bekannten eine Mail.
    Darin schlug ich vor, doch hin und wieder ein Thema anzufassen, was sich mit den sich ändernden sozialen Verhältnissen auseinandersetzt, statt sich immer nur eher bourgeoisen Gesellschaftsschichten zuzuwenden.
    Ich formulierte auch schnell zwei oder drei Beispiele etwas konkreter.
    Die Mail krönte ich dann mit dem Vorschlag, Hartz IV Beziehern freien Eintritt zu gewähren, um mehr Besucher anzulocken, was wohl bei dem betroffenen Museum ein Dauerthema sein muß.
    So weit, so gut. Oder auch nicht.
    Ich meine mich zu erinnern, wir hätten dann telefoniert und darauf noch einmal kurz gemailt.
    Das Ergebnis war ein Abbruch des Kontaktes der Person zu mir.
    Keine Telefonate, keine Mails mehr.
    Ich hatte mit der Person nicht viel zu tun und unsere Verbindung bestand über eine dritte Person. Es gab aber eben jene erwähnte Sympathie, deren Zustand bei mir inzwischen allerdings dem einer Rose von Jericho nach fünfhundert Jahren ohne Regenguß entspricht.

    Ehrenwort, ich hatte nicht herumkritisiert und machte nur ein paar Vorschläge, wie man vielleicht die Bude mal wieder vollkriegen könnte.
    Komische Welt.

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  2. Noch etwas. Ich werde weiterhin Landesmuseen und die Bregenzer Festspiele meiden.

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  3. Dieser Max Keiser...Neu bei Ikea: http://maxkeiser.com/wp-content/themes/coraline/images/sokkomb.png

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  4. Hartz IV Bezieher ins Museum, so weit kommt's noch. Du kennst doch unser Bildungsbürgertum mit seinen Berührungsängsten vor Aussätzigen. Bitte allenfalls in Form eines ausgestopften Exponats hinter Gittern, das die BB dann mit zugehaltener Nase begaffen können.

    So so, du warst also im Hackebeilmuseum von Max Keiser. Dabei fällt mir ein: Lebst du noch oder wohnst du schon im DIY-Billigcontainer?

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