Sonntag, 7. November 2010

Erbarmen, die Caritas kommt



Gerade eben haben sich alle meine zehn Fußnägel, einer nach dem andern, nach oben gekräuselt. Fühlte sich extrem unangenehm an. Erst dachte ich, wenn ich das Bild ganz schnell vom Bildschirm wegklicke, normalisiert sich das wieder - hat aber nichts genützt. Die Fußnägel rebellierten weiter und schabten von innen gegen die Socken. Grässlich. Es gibt halt so Fälle im Leben, wo Weggucken nicht hilft.

Ja, der Adventszyklus naht und mit ihm die kalte Jahreszeit. Bekanntlich haben dann die Menschen die Tendenz, ihr warmes Herz weit zu öffnen, auf dass der Geldbeutel dem Herzen folgen möge. Also hat sich die polnische Obdachlosen-Hilfsorganisation Caritas einen saisonal zu Herzen gehenden Werbe-Coup einfallen lassen, um die mageren Spendenkonten ein wenig aufzufetten. Es hat funktioniert: Das Spendenaufkommen ist im Vergleich zum Vorjahr um satte 100 Prozent gestiegen, wie die betreuende Agentur stolz vermerkt. Wer will da noch kleinkrämerisch-kritisch die Nase rümpfen?

Apropos Naserümpfen: Dazu hatten, möchte ich fast beschwören, die business-gestylten Warschauer Bank- und Büroangestellten keinen Grund, als sie eines Morgens ein paar schmuddelig kostümierte Obdachlosen-Mannequins auf dem Boden ihrer blankgewienerten gläsernen Lobby liegen sahen. Mit Sicherheit wurden die Models vor ihrem barmherzigen Einsatz gründlich geduscht und desodoriert, bevor man sie - geruchsneutral präpariert - in authentisch verdreckte Klamotten steckte und sie sodann in nächster Nähe von Fahrstühlen und Rezeption plazierte. Damit auch ja keiner der gepflegten Banker achtlos an den gekrümmten Gestalten vorbeilaufe oder angewidert wegschaute. Kennt man ja ansonsten aus den Fußgängerzonen, wo die meisten Passanten sich, völlig verscheuklappt vor so viel ästhetischer und olfaktorischer Zumutung, indigniert abwenden.

Mit dieser so exotischen wie - ähm - aufmerksamkeitsstarken - ähm, tja - Installation möchte die polnische Caritas auf die mehr als 300.000 obdachlosen Menschen in Polen aufmerksam machen. Auf dem braunen Schild ist zu lesen: "Ich habe die Nacht hier verbracht, weil ich draußen so gefroren habe. Meine einzige Anlaufstelle ist www.bezdomni.pl." (= die Homepage der Caritas, bezdomni heißt obdachlos.)

Wie gesagt, das Spendenaufkommen hat sich verdoppelt, die Herzen haben sich erwärmt und bestimmt haben sich alle spendierfreudigen Büromenschen sehr, sehr gut gefühlt. Weil, mit so einer Spende erleichtert man ja nicht nur sein Portemonnaie, sondern auch sein Gewissen. Alles in bester, ethisch einwandfreier Ordnung. Denn - ist es nicht so? - der gute Zweck heiligt alle nur erdenklichen Mittel.

Mich würde ja mal interessieren, wo bei manchen Zeitgenossen das Empfinden fürs Ethische - oder sagen wir mal: fürs Geschmacklose - sitzt. Sofern es überhaupt irgendwo sitzt. Bei mir, das lässt sich eindeutig sagen, sitzt es unter den Fußnägeln.

1 Kommentar:

  1. "verscheuklappt" das hat 'was, kuhl, ich geb's zu - aber gelesen hab' ich beim erstenmal: verklappscheut ... ergab kein Rhythmus ... hat aber auch 'was. Oder?

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