Man kann über Discounter schimpfen wie man will, aber sie haben einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Der Kunde wird nicht zum Opfer akustischer Belästigung gemacht.
Weder liegt mir dort ein unablässig quäkender Ladenfunk in den Ohren, der mich penetrant warmherzig daran erinnert, wie ich den ersten Advent mit Speis' und Trank "für meine Lieben zuhause" noch adventsgerechter gestalten kann, noch werde ich mit vorweihnachtlicher synthi-streicher-gesättigter Fahrstuhlmuzak ("Lustig, lustig, tralalalala, bald ist Nikola-haus-a-bend da") in die saisonal obligate Stimmung genötigt. Beides kann mir den letzten Nerv rauben, und wenn sie mich dann auch noch an der Kasse (gefühlt) bis zum dritten Advent warten lassen, während die Wiederholungsschleife mir zum fünften Male einbläut, dass es nun wirklich nicht mehr lange hin ist bis zum Nikolaustag, wo ich doch die frohe Botschaft bereits beim Warten an der Käsetheke zum dritten Male vernommen hatte, dann haben sie mich dem finalen Wahnsinn ein gutes Stück nähergebracht. Akustisch fühlt es sich an wie unter der verblödenden Dunstglocke eines gigantischen Advents-Bierzeltes, und wenn man dann endlich den Weg nach draußen geschafft hat, fragt man sich, warum in aller Welt man so blöd war, hier auch nur einen einzigen Cent seines sauer verdienten Geldes zu lassen, weil, was machen die mit meinem Geld? Stellen sie mehr Personal ein, um an einem Samstagmittag Ende November ein paar Kassen mehr zu öffnen? Nein. Sie investieren es in die nächste Zündstufe des vorweihnachtlichen Folterinstrumentekoffers. Denn in anderthalb Wochen hat es sich ausgenikolaust, das heißt neue, an den hauptweihnachtlichen Höhepunkt dynamisch angepasste Dröhnung muss besprochen, bespielt und angeschafft werden, und wer glaubt, dass die Fanfare "Wir möchten, dass Ihre Adventszeit dieses Jahr noch besinnlicher und genießerischer wird!" nicht mehr steigerungsfähig ist, den wird in den kommenden Wochen das Fürchten gelehrt werden.
Selbstverständlich muss ich im Discounter ebenfalls an der Kasse Schlange stehen, aber wenigstens habe ich dort meine Ruhe. Sage keiner, er werde dadurch weniger zur Besinnlichkeit angestiftet: Wer schon mal zehn Minuten lang neben einem kassenzonentypischen, durchaus saisonal kompatiblen Aktionswarenaufbau gewartet hat, über dem links das Schild "Frostschutzmittel" hängt und rechts direkt daneben das Schild "Glühwein", der weiß: Er erreicht alsbald einen kontemplativ-zentrierten, fast spirituell zu nennenden Status, der seinesgleichen sucht, denn irgendwann im Laufe der zehn Warteminuten beginnt die Frage an ihm zu nagen, ob nicht das eine lediglich ein anderes Wort für das andere ist, denn warum zum Teufel trinkt ein Mensch Glühwein, wenn nicht um sich vor Frost zu schützen? Erst recht, wo das eine in einer gewaltigen Kunststoffhenkelflasche mit praktischer Ausgießtülle und das andere in einem nicht minder gewaltigen Tetrapack, ebenfalls mit praktischer Ausgießtülle, verpackt ist und man zu dem Schluss kommt, für beide Produkte hätte es auch ein einziger Verpackungsmodus getan, nämlich ein standsicheres Fässchen mit Abfüllhilfe, oben drüber "Frostschutz" und basta.
Endlich draußen, empfängt mit ausgebreiteten Armen mich Väterchen Frost, bereit, meine gebeutelten Hirnwindungen durch ein gnädiges Kältekoma vor weiteren verkaufsförderungsinduzierten Trancezuständen zu schützen. Es glaubt ja keiner, wie besinnlich-genießerisch sich so ein paar mentale Frostbeulen anfühlen.
herrje. ich lese zu viel. und dann vergisst man ab und an auch noch relevante sachen. zu diesem schönen post hatte ich doch in der tat was gefunden:
AntwortenLöschenhttp://www.heise.de/tp/blogs/6/148813
eine nachgerade paradiesische vorstellung: weihnachtsmarkt ohne akustische luftverschmutzung.
nun gut, ich würde dann sicher auch nicht häufiger als derzeit hingehen; also überhaupt nicht. aber es sieht so aus als gäbe es eine bis dato schweigende mehrheit die nichts gegen weniger krach hätte.
Die Hegelsche 'List der Vernunft', großartig! Und die "Stille als angemessener Soundtrack zur Adventszeit" könnte mich glatt zum Weihnachtsmarktfan machen; nur an der Geruchsmixbelästigung müssten sie noch ein wenig arbeiten.
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