Zu den Segnungen meines Arbeitsplatzes gehört ein in der Nähe befindliches Fahrradfachgeschäft. Es ist das beste Fahrradfachgeschäft, in dem ich jemals Kundin wurde, und ich war schon in vielen Fahrradfachgeschäften Kundin, in manchen allerdings nur kurz, nämlich einmal und nicht wieder.
Beim Thema Fahrrad und Einzelhandel bin ich schrecklich wählerisch und furchtbar leicht zu irritieren, zum Beispiel durch zwangskumpelhaftes Anbiedern, oder durch genretypisches Geschnösele ("Ich bin Extrembiker, und was bist du?"), oder durch unpersönlich-pseudoverbindlich geschultes Verkäufergetue, dem es egal ist, ob es um ein Fahrradschloss oder ein Lebkuchenherz geht, Hauptsache Umsatz; oder durch anmaßende Beratungsleistungen, die die Lösung schon im voraus kennen, noch bevor das Problem artikuliert wurde. Es gibt noch hundert weitere Marotten, die ich in einem Fahrradgeschäft partout nicht ab kann, womit klar sein dürfte, dass ich selbst eine zweibeinige Marotte bin. Wenn es ums Fahrrad geht.
Doch jetzt habe ich in meiner ganzen Marottenhaftigkeit endlich ein Geschäft gefunden, das zu mir passt, mehr noch: Es zieht mich dorthin. Ich gehe richtig gern hin. Auf dem kurzen Weg vom Restaurant zum Geschäft freue ich mich regelrecht darauf.
Meistens werde ich von Fred oder Kunze empfangen. Kunze ist ein dürrer langer Schlaks mit wirrer Haarkrause und einem Bart, von dem man nie weiß, ob Kunze ihn einfach vergessen hat zu rasieren, weil er grade wieder am Tüfteln war. Kunze ist der leidenschaftlichste Fahrradtüftler, dem ich je begegnet bin. Fred ist ein noch längerer Schlaks mit langem blondem Pferdeschwanz und sympathisch rotem T-Shirt (immer). Er ist der Kommunikator des Ladens.
Als ich gestern einen Kurz-Rant zum Thema
Straßenlaternen vom Stapel ließ, lächelte Fred nur milde und erwiderte sanft: "Siehst du, deshalb will ich dir ja diese Vorderlampe aufschwatzen", worauf ich schon tief Luft holen wollte, er mir aber zuvorkam: "...damit du nie mehr mit schlechter Laune hier reinkommst." Tja, so kann man mich kriegen. Es folgte ein halbstündiges Fachgespräch über das Preisleistungsverhältnis jenes fulminanten, jedoch schweineteuren Leuchtkörpers, an dessen Ende mir die Gegenargumente ausgingen und ich nur noch eines wollte: das fette Teil an meinem Lenker haben.
Zu diesem Zweck schob ich mein Fahrrad nach hinten in die Werkstatt, wo mich Giuseppe empfing. Giuseppe ist klein, stämmig, unglaublich wendig und beweglich, und während er sich um das aufgehängte Fahrrad herumschlängelte, begann er mit ihm zu reden. Mir ging das Herz auf - ein Fremder fängt an, sich mit meinen geliebten Rad zu unterhalten, als kenne er es schon ewig! "Meine Gute", sprach Giuseppe - nicht zu mir, sondern zur Fahrradkette - "meine Gute, dich hat sie aber ganz schön aushungern lassen", und dann, vorwurfsvoll zu mir gewandt: "Die Kette spricht schon die ganze Zeit zu dir, wieso hörst du ihr nicht zu?" Die Gute hatte in letzter Zeit tatsächlich vor Hunger geklappert, aber aus reiner Faulheit hatte ich sie auf Diät gesetzt.
Während Giuseppe die Kette mit Öl benetzte und sie dabei langsam durchlaufen ließ, fuhr er fort: "Ah, das gefällt dir, nicht wahr? Die reinste Wellness - wie schön, dich zufrieden schnurren zu hören", wohlgemerkt, seine Gesprächspartnerin war die Fahrradkette. Dann griff er zu einem weichen Lappen; bevor er ihn ansetzte, sagte er: "Jetzt kommt das Allerbeste, meine Gute, jetzt kommt das Peeling", sodann wurde meine Fahrradkette hingebungsvoll von überschüssigem Öl und alten Dreckpartikeln befreit. Ich stand daneben und war hin und weg.
Die Lenkerhalterung für das neue Leuchtmittel zeigte sich zunächst widerspenstig bei der Montage - kein Problem für den Fahrradflüsterer Giuseppe. "Mein Hase", - ohne Scherz, er nannte das verzickte Leuchtenklemmdings "mein Hase"! - also, "mein Hase, nun stell' dich doch nicht so an." Und tatsächlich, der Hase wurde unter seinen Händen gefügig und passte sich genau dem Lenkerdurchmesser an, "sehr gut, mein Hase, genau dort wollte ich dich haben!" Ist schon sehr speziell. Muss man mögen, so etwas. Ich mag so etwas.
"Mein Freund, du machst mir etwas Sorgen", sprach Giuseppe schließlich zu dem Scharnier des Lenkers. Er bewegte den Lenker hin und her und fragte mich: "Hörst du das?" Ich hörte nichts. Seufzend wandte Giuseppe sich wieder dem Scharnier zu und fragte es: "Sie hört dich nicht, mein Freund, das macht dich traurig, nicht wahr?" Die Geschichte ging mir ans Herz. Giuseppe griff zu einem Schraubschlüssel, da kam Bruno zur Werkstatt herein.
Bruno ist mittelgroß, Glatze, bulliger Typ, kein Freund großer Worte und seines Zeichens Chef der Werkstatt. Er kann es nicht leiden, wenn Frauen in der Werkstatt herumstehen, aber an mich hat er sich inzwischen gewöhnt, weil er irgendwie nachvollziehen kann, dass ich mein Fahrrad ungern aus den Augen lasse. Außerdem lungere ich für mein Leben gern in Fahrradwerkstätten herum und halte Maulaffen feil, und solange ich kein dummes Zeug daherrede, toleriert Bruno mich. An guten Tagen macht er sogar Witze, aber nur seinen männlichen Kollegen gegenüber, freut sich aber heimlich ins Fäustchen, wenn ich über seine Witze lache.
"Falscher Schraubschlüssel", brummte er zu Giuseppe, "passt nicht zum Scharnier, sieht doch ein Blinder!" Theatralisch schlug sich Giuseppe die Hand vor die Stirn: "Kannste mal sehen, wir Gastarbeiterkinder, wieder mal typisch!", worauf Bruno grinsend grunzte: "Sizilianischer Klempner!" und Giuseppe sich zu dem Scharnier beugte, um es zu fragen: "Hast du das gehört, mein kleiner Freund? Klempner hat er zu mir gesagt, der Ausländerfeind!", was Fred im Verkaufsraum aufschnappte und in die Werkstatt rufen ließ: "Kannst du dich nicht endlich mal integrieren, Giuseppe?", und weil Giuseppe einer von der schlagfertigen Sorte ist, rief er klagend zurück: "Prego, Alfredo, muss ich erst fragen meine Papa!"
Ich liebe dieses Fahrradfachgeschäft. Wenn ich könnte, wie ich wöllte, würde ich mein Blog dazu benutzen, um hemmungslos und voller Herzenslust Werbung für dieses Fahrradfachgeschäft machen. Auf dass bei denen die Umsätze brummen. Aber so, wie die Dinge nun mal liegen, werde ich alles Weitere für mich behalten und mich freuen, dass ich mit meinem persönlichen Lieblingsfahrradfachgeschäft eine neue kleine Heimat gefunden habe.