Sonntag, 26. September 2010

Leserbrief


Sehr geehrter Herr Reents,

mit Interesse habe ich Ihren gestrigen Ordnungsruf an alle Rucksackträger gelesen, die Ihr ästhetisches Empfinden derart massiv beleidigen, dass Sie - offenbar der Notwehr gehorchend - Ihrerseits zu einem beleidigenden Rundumschlag ausholen mussten und sich dabei nicht scheuten, Ihre Hassobjekte als "Ihr Esel und Stiesel" zu adressieren.

Anscheinend geht Ihnen die lästige Spezies der - ich darf Sie zitieren - "Packesel" gewaltig auf den Zeiger, zum einen wegen ihrer (dem kultivierten U-Bahnbenutzer) unzumutbaren Optik ("würdelos"), zum andern wegen der Gefahr, die jene Lastenträger für die Allgemeinheit darstellen, wenn letztere sich dichtgedrängt auf engem U-Bahnterrain zu arrangieren hat ("gemeingefährlich").

Mit zoologischem Feingefühl empfehlen Sie dem rucksackschleppenden Pack ("wie das stumpfe Vieh"): "Nehmt Euch ein Beispiel an denen, die noch Koffer und Aktentaschen tragen", was sicherlich herzensgut gemeint ist von Ihnen - nur, lieber Herr Reents, warum sollte ich mir ausgerechnet an Ihnen ein Beispiel nehmen? Gehören Sie auch zu jenen Aktentaschenträgern, die ihr Handgepäckstück beim Betreten der U-Bahn wie eine Waffe vor dem Körper tragen, eine respektheischende Geste, die für jedermann unschwer als 'Platz da, jetzt komme ich' zu dekodieren ist? Waren Sie das, der mir neulich die spitze Kante seines Aktenkoffers in die linke Kniekehle rammte, weil ich wegen Überfüllung der U-Bahn zu nahe am Ausgang gestanden hatte, auf dessen barrierefreie Nutzung Sie als Aktentaschenträger ein Naturrecht zu haben meinen?

Oder zählen Sie etwa zur Gattung der Rollkofferzieher? Sie wissen schon, das sind jene menschlichen Vollkoffer, die mit ihrem metallgeräderten Hackenporsche den vollen U-Bahnwagen durchpflügen, als seien sie mit einer Planierraupe unterwegs, Motto: Was schert mich rechts, was schert mich links, jetzt komme ich mit meinem Dings! Mein rechter großer Zeh weiß noch heute ein blaugefärbtes Lied davon zu singen. Waren Sie das? Falls ja, ist Ihnen als typischer Rollkofferzieher bestimmt entgangen, dass Ihr nächstes Opfer ein im Kinderwagen sitzendes Baby war, dem sie mit Ihrem zügig rollenden Hartschalenpanzer ruck-zuck den Schnuller aus dem Mund gesäbelt haben.

Nicht weiter tragisch, das Kind hat halt gebrüllt, der Schnuller hüpfte quer unter der Sitzbank durch, kam vor der Schnauze eines darunter liegenden Hundes zum Stillstand, wurde von letzterem ausgiebig sensorisch geprüft, was das Baby erst recht zum Erzgebrüll anstiftete, die Mutter in den Wahnsinn und zwei Fahrgäste auf alle Viere trieb, um den Schnuller vor der Zerfleischung zu retten, ohne dabei vom Hund zerfleischt zu werden.

Haben Sie gar nicht mitbekommen? Natürlich nicht, denn da hatten sie bereits im anderen Ende des Wagens Platz genommen, versperrten mit ihrem Samsonite den Durchgang, vertieften sich in den abstoßenden Anblick zweier unzumutbar hässlicher Rucksackträger und dachten sich angewidert: "Was habt Ihr da eigentlich immer drin in Euren Säcken? Proviant für Euren Lebensweg, der auch nicht mühsamer sein kann als der unsere?"

Ach Herr Reents, mit dem Proviant liegen Sie gar nicht so falsch - nur das mit dem Lebensweg und der Mühsal, das sollten Sie sich noch mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen, am besten morgen, wenn Sie Ihren gewohnten Gang ins FAZ-Kasino antreten; selbstverständlich ohne Rucksack, denn wer braucht schon einen Rucksack, wenn er trockenen Fußes seine Futterstelle erreichen und dort konvenient zwischen drei Sättigungsbeilagen wählen kann. Mahlzeit, Herr Reents.

Bevor ich es vergesse: Am Ende Ihrer Ungezieferdurchsage rufen Sie nach längst überfälligen Verboten in einer Welt, "in der es offensichtlich noch nicht genug Vorschriften gibt, sonst wäre diese auch ästhetisch nicht eben vorteilhafte Unsitte längst unterbunden", schwingen sich gar zum Ordnungshüter auf ("Also, zum letzten Mal, herunter damit!").

Aber nicht doch, lieber Herr Reents, warum denn gleich so platzhirschmäßig? Sie als Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel kennen doch bestimmt Emma Clarke, die berühmte Stimme aus dem Off der Londoner U-Bahn, 'voice of the London Underground', die sich mit problemlösenden Lautsprecherdurchsagen einen Namen gemacht hat. Hören Sie mal rein, ob nicht etwas für Sie dabei ist.

2 Kommentare:

  1. Sachma! Der Kerl iss ja wohl nich nur Banane ... frech isser auch noch! Der soll mir 'mal begegnen, dann lernt der meinen Rucksack kennen!

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