Freitag, 3. September 2010

Licht aus


Es gibt Sachen, über die kann ich mich tierisch aufregen, und am allermeisten regt mich auf, dass sich außer mir niemand darüber aufregt. Gut, gut, wir leben in einer pluralen Gesellschaft, deren glühender Verfechter ich ja bin, und jeder kann sich nach Belieben aufregen oder es lassen und überhaupt und sowieso. Aber es gibt Sachen, da finde ich, ist Sichaufregen erste Bürgerpflicht. Doch sie kommen ihrer Pflicht nicht nach, die Bürger, weil sie der Meinung sind, es gebe Wichtigeres zum Sichaufregen als eine Straßenlaterne, und wenn ich dann frage: Ja, was denn Wichtigeres zum Beispiel?, dann sagen sie "Äh..." und dann grinsen sie schief und sagen "...zum Beispiel, was ich gleich beim Italiener zum Mittagessen bestellen werde" und finden sich witzig und mich humorlos.

Wobei ich betonen möchte, dass ich mich nicht über eine Straßenlaterne aufrege, sondern über viele, sehr viele Straßenlaternen. Namentlich die vielen nichtbrennenden Straßenlaternen, die mittlerweile in der absoluten Überzahl sind gegenüber den Licht verströmenden Einzelgängern. Ich betone: In meinem Stadtteil verhält es sich so; die Rede ist nicht vom Innenstadt-Glamour. Mein Stadtteil hat eine recht unterschichtige Bewohnerstruktur mit ein paar Ausreißern aus der unteren/mittleren Mittelschicht und nur wenigen Highlights aus den Schichten darüber. Highlights schon deswegen, weil bei denen auf der Straße nächtens Festbeleuchtung herrscht - großartig, wenn man dort zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist. Ist man nur meistens nicht, wenn man in den unterschichtigen Wohngegenden lebt und die kiez-eigene 'Oberstadt' als eher fad erlebt, so wie ich.

Im großen Rest des Stadtteiles ist es nachts und am frühen Morgen so dunkel wie im Hintern einer Kuh, man sieht allenfalls 50 Meter entfernt ein schwaches Licht zwischen viel Baumlaub hervorfunzeln und was das Ärgerlichste ist: Es wird schleichend stets noch dunkler, sprich, es werden noch mehr Straßenlaternen abgeschaltet. Das Problem sind nicht etwa fehlende Straßenlaternen, sondern die sukzessive Deaktivierung von immer mehr vorhandenen Straßenlaternen.

Meine morgendliche Route führt mich durch zwei weitere Stadtteile, in denen es zwar nicht ganz so finster wie bei uns zugeht, aber insgesamt doch ein trübes Halbdunkel vorherrscht, bei dem ich immer das Gefühl habe, durch einen zähen Nebelschleier zu fahren. Dabei brennen einfach nur viel zu wenige der vorhandenen Laternen.

Also, für mich ist das ein Aufreger erster Ordnung. Fange ich dann an, mich über die neumodische öffentliche Sparflamme aufzuregen, belassen es meine Gesprächspartner bei gleichgültigem Schulterzucken und sagen "Na, das sind halt notwendige Sparmaßnahmen", dann frage ich "Wie, an was wird da gespart?", dann heißt es "Na, an Energiekosten natürlich", dann sage ich "Blödsinn, da wird an der Verkehrssicherheit gespart, vom subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger ganz zu schweigen", was diesen Bürgern dann aber auch egal ist. Verstehe ich nicht. Wie kann einem so etwas egal sein?

Der vierte Stadtteil schließlich, durch den ich morgens radle (in dem mein Arbeitsplatz gelegen ist), präsentiert sich bis in den hintersten Winkel hell und augenfreundlich ausgeleuchtet. Dort gibt es eine Laternendichte, von der andere Viertel nur träumen können - brennende Laternen, wohlgemerkt. Haben die es gut! Ich werde immer fast geblendet beim Durchfahren, denn irgendwie gewöhnen sich die Augen ja schon an das Fahren bei Dunkelheit; aber es ist eine schlechte Gewohnheit, weil die Realität auf den Straßen nur schemenhaft wahrgenommen wird.

In diesem vierten Stadtteil ist sogar der Kinderspielplatz gegenüber dem Restaurant nachts voll ausgeleuchtet; auch die inzwischen abgeschlossene Umgestaltung des Straßenumfeldes (es wurde hier im Blog letzten Sommer detailliert berichtet) zu einer amtlicherseits so genannten "Spiel- und Begegnungsstätte" mit bunten Sitzwürfeln, naturbelassenen Holzbänken im Bio-Designerlook, fußgängerfreundlichen Gehwegnasen und nur wenigen Autos (außer den vielen parkenden und parkplatzsuchenden) erstrahlt, wenn ich bei morgendlicher Dunkelheit um die Ecke biege, in hellstem Straßenlaternenlicht. Der ganze Stadtteil - mit aufwendig sanierten Altbauten, schicken Immobilienneubauten, liebevoll hergerichteten Hinterhöfen und von Gärtnerhand gepflegten Paradevorgärten - ist beleuchtungtechnisch ein einziges Highlight und gilt im übrigen als Grünenwähler-Hochburg. Er zählt zu den begehrtesten Wohnlagen, und wer es sich leisten kann, zieht hierher; wer nicht, zieht halt ins Dunkel und wird dort nicht gesehen, denn die Stadt muss Energie sparen.

Heute mittag habe ich tief in meine flache Tasche gegriffen und im Fahrradfachgeschäft einen potenten LED-Scheinwerfer erstanden. Nennt sich "Lichtrevolution", haut einen riesigen Lichtkegel auf die Straße mit fetten 40 Lux - selbstverständlich dimmbar -, für schlappe 98 Euro und 95 Cent. Ist ja auch logisch, in Zeiten klammer öffentlicher Kassen: Da muss die Stadt an Energie sparen, im Gegenzug halt der Bürger in Energie investieren. Vermutlich hat das neulich die Grünen-Stadtverordnete gemeint, als sie etwas von "...müssen alle den Gürtel enger schnallen" in die Mikrofone zu schwallen beliebte.

Jetzt bin ich morgens und nachts mit Flutlicht am Fahrrad unterwegs und fühle mich wie King of the Road. Aufregen tue ich mich aber trotzdem weiterhin über die unzähligen ungenutzten Straßenlaternen sowie über die unzähligen Bürger, die mit dem Status der Unterbelichtung offenbar gut leben können.

Amerika, du hast es besser. Nicht weil dort die Straßen so gut beleuchtet sind - das Gegenteil ist der Fall. Die große Krise hat bereits flächendeckende Dunkelheit im öffentlichen Raum hinterlassen. Aber: Man regt sich wenigstens angemessen darüber auf. Es werden Zahlen veröffentlicht, nicht nur über ausgeschaltete (und möglicherweise bald zweckentfremdete) Straßenlaternen, sondern auch über öffentlich versteigerte Polizei-Hubschrauber, über gestrichene Feuerwehr-Etats und über asphaltierte Straßen, die zu Schotterstrecken "entpflastert" ("unpaving the roads") werden, um das Geld für die Instandhaltung der Straßen zu sparen. Auch das Einstellen von öffentlichen Buslinien sowie das Schließen von Schulen an Freitagen erfreut sich zunehmender Beliebtheit.

Die wunderbar scharfzüngige TV-Moderatorin Rachel Maddow macht das einzig Richtige, was man mit solchen "halt notwendigen Sparmaßnahmen" machen kann: Sie regt sich darüber auf, indem sie sie auf souveräne Weise ins Lächerliche zieht.

gefunden bei Jakebaby via Narrenschiff

2 Kommentare:

  1. Leider weiß ich nicht, um welche Stadt es da geht - zumindest hier im kleinen Dörflein (gelegen inmitten einer großen Metropole namens Ruhrgebiet) sind noch alle Straßenlaternen in Betrieb. Dafür betrifft die Sparwut der Kommune natürlich auch hier den Straßenbau, die öffentliche Infrastruktur ganz allgemein, einschließlich des öffentlichen Nahverkehrs, der nach 20 Uhr nicht mehr stattfindet, und auch die Gebäude der dörflichen Grundschule haben ihre besten Zeiten sichtlich lange hinter sich.

    Es dürfte auch deutschlandweit üblich sein, dass die Gebiete, in denen die "gehobene Mittelschicht" residiert, in vielerlei Hinsicht bevorzugt werden. Ein persönliches Beispiel dafür habe ich auch: Ein Weg, den ich oft fahren muss, führt mich durch zwei Stadtteile einer benachbarten Großstadt, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Im ersten kann sich kein Hartz-IV-Opfer einen Kellerraum leisten, im zweiten befinden sich schlimme Mietskasernen, die vornehmlich von der "Unterschicht" bewohnt werden (müssen). Die Straßen des ersten Bezirkes wurden über die Jahre stets gut gepflegt und sind in einem sehr guten Zustand, während die Straßen des nachfolgenden Stadtteils schlichte Ansammlungen von Schlaglöchern sind. Dort standen schon immer Schilder, die darauf hinwiesen, dass man nicht schneller als 30 km/h fahren darf - allerdings hat man die Zusatzschilder darunter, auf denen vormals "7 - 16 Uhr" stand, nun durch weiße Schilder mit der Aufschrift "Straßenschäden" ersetzt. Offensichtlich hat man nicht vor, am katastrophalen Zustand dieser Straßen etwas zu ändern.

    Folgen für die Bürger hat das natürlich auch - ein Beispiel von vielen: http://www.derwesten.de/nachrichten/im-westen/Ein-Schlagloch-zerstoert-ein-Leben-id3508177.html

    Warum gibt es hierzulande keine Rachel Maddow?

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  2. Sehr passend, der Link! Ein Radfahrer gerät in ein Schlagloch und landet im Rollstuhl. Steht die säumige Stadt dafür gerade? Natürlich nicht. Sie verlässt sich darauf, dass dem Kläger im Laufe der Prozessquerelen die Luft bzw. das Geld ausgeht.

    Wenn dann auch noch der Straßenbeleuchtung sukzessive der Garaus gemacht wird und mir gar nichts anderes übrig bleibt, als blind durch Schlaglöcher zu torkeln, findet sich bestimmt ein zackiger Gesundheitspolitiker, der ein Mehr an Eigenverantwortung von mir erwartet und die Finanzierung eines Rollstuhles als unzumutbare Belastung des Systems von sich weist.

    Keine Ahnung, wieso in Deutschland keine so patenten Frauen wie Maddow ans Mikrofon gelassen werden. Hier begnügt man sich mit brav nachplappernden Mädels, die es allen recht machen und den immer gleichen Politbetonköpfen großzügig eine Plattform zum Abschwallen bieten. Eine regelmäßige (pures Gift verspritzende) Politshow wie die mit John Stewart und Stephen Colbert wäre hier undenkbar. Hier muss man warten bis weit nach Mitternacht, bis man sich alle paar Schaltjahre mal "Neues aus der Anstalt" reinziehen darf.

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