Ich weiß jetzt nicht, ob ich einem Aprilscherz aufgesessen bin, aber wir haben doch wohl Ende Dezember, oder? Noch dazu Weihnachten, da macht man doch keine Aprilscherze, oder? Ich meine, was gibt es Ernsteres als das heilige Fest der Liebe, also kann das doch wohl kein Witz sein, oder wie.
Völlig durcheinander bin ich, ohne dass ich irgendetwas Verkehrtes zu mir genommen hätte, ich schwöre es. Vielmehr sieht es so aus, als ob gewisse Tiere gewisse Stoffe zu sich nehmen, was dann dazu führt, dass sie abheben. Die Tiere. Doch, wirklich. Um genau zu sein, die Rentiere. Also diese Viecher, die um Weihnachten herum immer mit Schlitten und Weihnachtsmann im Schlepptau durch die Lüfte fliegen - und jetzt weiß man endlich, warum Rentiere fliegen können. Hat man ja bislang nicht wirklich für möglich gehalten, aber es halt den Kindern erzählt, okay, fliegende Rentiere, warum nicht - es soll ja auch fliegende Untertassen geben. Wer's glaubte, wurde selig.
Nun hat die alberne Fantasy-Märchenerzählung ein beinhartes wissenschaftliches Backup bekommen: Wie gesagt, Rentiere können tatsächlich fliegen! Obwohl das jetzt auch wieder nicht so ganz stimmt, richtig müsste es heißen: Rentiere bilden sich ein, fliegen zu können. So sieht's aus. Ihre Einbildungskraft verleiht ihnen Flügel, und diese Einbildungskraft wiederum wird den Rentieren verliehen durch halluzinogene Pilze, die sie für ihr Leben gern futtern. Also, die Rentiere futtern die Pilze, nicht umgekehrt.
Und zwar knabbern sie besonders gern am Amanita muscaria, englisch: fly agaric mushroom, deutsch: Fliegenpilz - jener Pilz mit dem lustigen weißgepunkteten roten Hütchen, auf dem die deutschen Gartenzwerge immer so gern rumsitzen. Kennt ja jeder hierzulande. Und davon, dass der Fliegenpilz irgendwelche psychoaktiven Substanzen enthält und dem Konsumenten den Kopf verdreht, hat ja auch fast jeder schon mal was gehört. Also bitte.
Ganz ähnlich wie beim Menschen verfällt das Rentier nach Fliegenpilzgenuss in eine Art trunkenen, tollwutähnlichen Zustand, rennt aufgekratzt durch die Gegend, hebt irgendwann ab und macht dabei seltsame Geräusche.
Jedoch, im Unterschied zum Menschen kann das geweihte Säugetier die toxischen Stoffe im Fliegenpilz problemlos verstoffwechseln; allein die psychoaktiven Substanzen bleiben, nun ja, aktiv eben und werden schlussendlich mit dem Urin ausgeschieden. Hat das Rentier dann gepinkelt, setzt sich ein wundersamer Rezyklisierungkreislauf in Gang: Schon vor langer Zeit haben nämlich die Hirten von Rentierherden in Europa und Asien gelernt, den Rentierurin zu sammeln und ihn als relativ bekömmliche, sprich gesundheitsunschädliche Quelle des Fliegenpilz-Halluzinogens zu nutzen. Wie die Hirten das im einzelnen angestellt haben, kann sich jeder selber denken. Wohl bekomm's.
Nachzulesen ist das Ganze im hochseriösen britischen
Pharmaceutical Journal (via
Jr. Deputy Accountant), die renommierte
Huffington Post hat sich ebenfalls an die Story gehängt, also wird wohl irgendwas dran sein. Der Autor des Artikels (Überschrift:
"The animal world has its junkies too") heißt Andrew Haynes. Er hat herausgefunden, dass nicht nur die in nördlicher Einöde sich langweilenden Rentiere ständig auf der Suche nach dem stimulierenden Kick sind, sondern eine ganze Reihe weiterer Säugetiere rund um den Erdball (eigentlich sind es sogar so viele, dass man sich wundert, ob die globale Fauna überhaupt je aus ihren naturbelassenen Rauschzuständen wieder herauskommt):
Zum Beispiel buddeln afrikanische Wild- und Stachelschweine sowie Gorillas mit Vorliebe die Pflanze Tabernanthe iboga aus, deren Wurzeln hochgradig halluzinogene Räusche induzieren. In Kanada klettern robuste Dickhornschafe waghalsig auf Felsen herum, um von dort wachsenden psychotropen Flechten zu naschen, die die Schafe völlig high machen; abgestürzt ist allerdings noch keins der zugedröhnten Klettertiere. In den südwestamerikanischen Prärien wurde beobachtet, wie Pferde und andere Weidetiere Suchtsyndrome entwickelten, nachdem sie einmal von den Pflanzen Astragalus und Oxytropis - englisch: locoweed(!) - probiert hatten; stets kehrten die Tiere zum Fundort zurück. Im südamerikanischen Regenwald wurden ausgewachsene Jaguare gefilmt, die sich plötzlich wie verspielte Miezekätzchen benahmen, nachdem sie an der Rinde der halluzinogenen Rebenpflanze Banisteriopsis caapi herumgenagt hatten. Bären und Elche agieren betrunken nach dem Genuss von fermentierten wilden Früchten. Und seit der Mensch das Kultivieren von Mohnblumen begonnen hat, weiß offenbar der südostasiatische Wasserbüffel zu schätzen, wie sich ein veritables Opiumräuscherl anfühlt.
Um dem tierischen Drogenfass die Krone aufzusetzen: Erst kürzlich wurde aus einer indischen Stadt berichtet, die von einer Horde zugeknallter Affen heimgesucht worden ist; die Zweibeiner (Menschenaffen übrigens) torkelten völlig breit aus einer Fabrik für opiumbasierte Arzneimittel heraus, in die sie eingebrochen waren, um Opium zu klauen. Man fragt sich, wer da von wem gelernt hat, und wer oder was eigentlich unter der vielzitierten 'Krone der Schöpfung' zu verstehen ist.
All dies lese und schreibe ich, während ich damit beschäftigt bin, zwei Gänsekeulen beim Auftauen zuzuschauen. Was ja so seine Zeit dauert. Weshalb man schon mal auf dumme Gedanken kommen kann. Weil, ganz am Rande erwähnt der fachkundige Autor des Artikels, dass neben den Säugetieren auch Vögel empfänglich sein können fürs Rauschhafte: So berichtet er von sturzbesoffenen Finken und Staren, die ihre Schnäbel nicht von fermentiertem Getreide lassen konnten. Den Vogel schießt der sogenannte Seidenschwanzvogel ab; diese Gattung neigt offenbar dazu, sich dermaßen einen anzuzwitschern, dass bereits Massen von ihnen tot neben Gebüschen von fermentierten Vogelbeeren gefunden wurden. Obduktionen erbrachten akute Leberschäden, Todesursache: Alkoholvergiftung.
Jetzt frage ich mich natürlich, wo jene Gans sich zu Lebzeiten überall herumgetrieben haben mag? Gut, es sind nur zwei Keulen; Gänseleber ist immerhin keine dabei. Trotzdem möchte ich verhindern, dass heute abend irgend jemand beim Gansessen in ein multihalluzinogenes Koma fällt. Drum habe ich soeben beschlossen, die Keulen nicht mit dem dafür vorgesehenen Rotwein, sondern mit Gemüsebrühe zu begießen, und den Rotwein stattdessen woanders draufzugießen, zum Beispiel auf die eine oder andere Nase. Passt ja dann auch wieder, irgendwie, schließlich läuft Rudolph, das Rentier, auch ständig mit einer roten Nase durch die Gegend.