Donnerstag, 15. Dezember 2011

Moderne Kriegsführung


Der Systemwahn organisiert sich, aber gewaltig.

Widerständige Bürger sind mit allen Waffen zu bekämpfen, und wo es keine Waffen gibt, werden welche entwickelt. An seinem Waffenarsenal sollt ihr es erkennen, das System, das blind um sich schlägt, wenn es sich bedroht fühlt, und um sich bedroht zu fühlen, reicht es bereits, wenn es sich in Frage gestellt sieht.

Während die britische Polizei ihre sehenden Kritiker mit Blindheit zu schlagen plant, ziehen die amerikanischen Kollegen es vor, den Aufständischen was auf die Ohren zu geben. Setzt sich das eine System mit einer Laser-Lichtwand ("wall of light") gegen Massenproteste zur Wehr, bekämpft das andere System den "inneren Terror" mit einer Schallwand ("wall of sound"), eingebaut in jene Instrumente, die als polizeiliche "Schutzschilder" ("riot shields") bezeichnet werden.
"Riot shields, die eine Schallwand projizieren, um Menschenmengen zu vertreiben, dienen dazu, gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei zu reduzieren. ... Die Waffe ähnelt optisch den herkömmlichen Schutzschildern, hat jedoch ein akustische Hupe integriert, die einen Druckpuls erzeugt. Akustische Waffen, die einen lauten, unangenehmen Lärm absondern, werden von der amerikanischen Polizei bereits zu Massenkontrollzwecken verwendet."
Bisschen Krach kann ja nicht schaden, oder? Um die Massen unter Kontrolle zu bringen, besonders dann, wenn die Massen anfangen, unangenehm Krach zu schlagen.
"Das neuartige Schutzschild ... erzeugt einen niedrig-frequentigen Sound, der im Atmungstrakt resoniert und somit Atembeschwerden hervorruft. Gemäß dem Patent kann die Intensität des Sounds gesteigert werden, beginnend von Unbehagen an der Schmerzgrenze bis hin zu dem Punkt, wo die Zielobjekte vorübergehend außer Gefecht gesetzt sind."
Ah ja - Zielobjekte, die außer Gefecht gesetzt, in anderen Worten: unschädlich gemacht sind. An seiner Sprache sollt ihr das System erkennen. Die Herstellerfirma hat es übrigens bis gestern abgelehnt, sich zu der potentiellen Schädlichkeit ihrer akustischen Waffen zu äußern.

Andere tun es, wenn auch mit gebotener Vorsicht:
"Wir verfügen über zu wenig technisches Detailwissen, um irgendwelche verborgenen gesundheitlichen Folgeerscheinungen zu bestimmen,"
kommentiert ein britischer Forscher,
"die (solche Folgeerscheinungen) sind immer ein Problem wegen des Risikos, dem sensible Körperfunktionen wie das Gehör ausgesetzt sind, oder des Risikos, dass bei Asthmatikern Panikattacken ausgelöst werden könnten."
Solcherart sensible Risikoabwägungen von Forscherseite werden jedoch überlagert von der Warnung vor der "größeren Gefahr", dass die akustische Kriegsführung zur "politischen Kontrolle" eingesetzt werden könnte. Zur politischen Kontrolle wo? Nei-ein, nicht doch, keinesfalls in westlich-demokratischen Systemen, sondern:
"Falls die Machthaber in Ägypten oder Syrien (die Technologie) in Händen hätten, wofür würden sie sie einsetzen? Um Menschenmengen zu vertreiben oder um ihnen potentiell tödliche körperliche Schäden zuzufügen?"
Derweil wird im freien Westen schon fleißig geübt mit der modernen akustischen Kriegsführung. So fleißig, dass die Verkaufszahlen für "sonic blasters" in die Höhe schnellen und der Volksmund den martialischen Lärmwaffen bereits einen eigenen Namen verpasst hat: Sound-Kanonen ("sound cannons"). Die Dinger sind lauter als ein startendes Jet-Flugzeug auf 100 Meter Entfernung, aber immerhin leiser als die Schmerzgrenze von 140 Dezibel. Beruhigend. Zwar gibt es schon Gerichtsklagen wegen dauerhafter Hörschäden, aber die müssen uns nicht beunruhigen, denn die Behörden weisen sie von sich, weil sie "nicht nachweislich" von den Sound-Kanonen verursacht seien.

Beruhigend auch die Marketingstrategie der Anwenderseite:
"LRAD (Long Range Acoustic Device) betont, seine Produkte böten der Polizei eine Anwendung, die lauter sei als ein Megaphon und harmloser als Gummigeschosse und Tränengas, um Menschenmengen in den Griff zu bekommen ("for managing crowds"), Geiselnahmen zu entschärfen und Verhaftungen von gefährlichen Verdächtigen zu gewährleisten."
Wer sich jetzt immer noch beunruhigt über die modernen Methoden westlicher Demokratien, ihre Systemkritiker mundtot, blind oder gehörlos zu machen, dem schreibt der Direktor des Pittsburgh Office of Emergency Management and Homeland Security was hinter die Ohren. Der erzählt uns nämlich, er habe noch nie "eine bessere Waffe gesehen, um mit einer widerspenstigen Menschenmenge zu kommunizieren":
"Was wäre euch lieber - dass wir die alte 1964er-Methode anwenden, mit Feuerwehrschläuchen und Schlagstöcken ("billy clubs")? Ich denke, es ist sehr viel humaner, den Leuten Unwohlsein zu bereiten, weil ihnen die Ohren wehtun, so dass sie einfach abhauen."
Wenn der Systemwahn sich organisiert, fliegt er uns krachend um die Ohren. Während er sich um Leib und Leben der protestierenden Ägypter und Syrer sorgt, besorgt er es den protestierenden Einheimischen mit humaner akustischer Kommunikation. Mithilfe ein und derselben Technologie.


7 Kommentare:

  1. Ich verstehe langsam auch nicht mehr, weshalb überhaupt noch irgendwer miteinander redet, wenn es doch viel humanere Kommunikationsmethoden gibt.

    AntwortenLöschen
  2. Das kennt man ja. Wir argumentieren - Sie brüllen uns nieder. Es gibt aber - dem fliegenden Spaghettimonster sei Dank - stärkere Kräfte: Fotos von gestern - Wellen in Nordspanien

    AntwortenLöschen
  3. Und wenn alles nichts hilft, dann kommt das hier zum Einsatz:
    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,462187,00.html

    Crucio!

    AntwortenLöschen
  4. wichtig wäre ne Plattform, wo Demonstranten und Organisatoren Infos zum Schutz gegen solche Ruhigstellungsmittel austauschen können.

    Sonnenbrillen, Ohropax und Aluhüte sind ja nicht alles. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

    AntwortenLöschen
  5. ich find´s einfach nur geil, wie sich der ami selbst ins knie f...

    300 mio. einwohner, 500 mio waffen, na da geht doch was....

    AntwortenLöschen
  6. Seltsam, daß solche Szenarien seit den 60er Jahren in der SF ausgemalt wurden. Als ob das Bedrückende nicht ausphantasiert wird, um es zu vermeiden, sondern um es auszuprobieren.

    Und unangenehm, daß dazu kaum noch etwas zu sagen bleibt. Immer nur "Faschismus" zu rufen ist nicht hilfreich. Was aber dann ?

    Man bräuchte wohl eine Soziologie der freiwilligen Verdinglichung, sowohl die Passivität aus Konsumidiotie (bei den rein Lustgesteuerten) wie die Aggressivität aus Unterwerfungswillen (bei den physisch und mental Uniformierten) wären zu erklären.

    AntwortenLöschen
  7. "Man bräuchte wohl eine Soziologie der freiwilligen Verdinglichung, ...":

    Mich hat in diesen Fragen die Lektüre von 'Cognitive Dissonance' (Blogger bei Zerohedge) sehr bereichert.

    "Given the choice between recognizing that we are subtly, but effectively, conditioned and controlled or believing we are free and independent, which way do you think we will lean, particularly if our consumer culture reinforces the ‘free’ belief? Promoted and enabled self deception is always the most effective mind control because we willingly accept the programming and then customize it to suit our own particular belief system, thus assuring its effectiveness."
    (Leseprobe aus dem Beitrag 'Crossing the event horizon 2', einer meiner Favoriten.)

    CD schreibt ziemlich unduldsam über Zeitgenossen, die sich als elitäre Durchblicker gebärden gegenüber einer vermeintlich 'dummen', apolitischen Masse. Sehr erfrischend zu lesen und mich stets aufs neue zu Nachdenken und Selbstkritik anregend, besonders in Bereichen, wo ich mich für einen Durchblicker halte ;).

    Wunderbare Essays, wie geschrieben für lange Winterabende, mit ausgesucht ästhetischen, aussagestarken Illustrationen.

    AntwortenLöschen