Freitag, 16. Dezember 2011

Aufgeräumte Anarchisten


"An anarchistischen Standards gemessen, sind die Frankfurter Aktivisten ein aufgeräumter Haufen."
Befindet die New York Times, die neulich im Camp #occupyfrankfurt zu Besuch war.

Danke, liebe Zeitung, das ist sehr nett gesagt; wobei ich die anarchistischen Standards - die ja immer im Auge des Betrachters liegen - der New York Times nicht kenne, allenfalls erahne, wenn ich als Begründung lese:
"Sie haben eine Freiluftküche mit Mahlzeiten aus Lebensmittelspenden, eine Website und eine professionelle Public Relations Funktion, sowie ein Zelt für Gemeinschaftstreffen."
Um letzteres scheint die NYT geflissentlich einen großen Bogen gemacht zu haben.

Dort geht es nämlich bei der allabendlichen Asamblea - fallweise und je nach Tagesordnung sowie in Abhängigkeit der Teilnehmerzusammensetzung - derart anarchistisch zu, dass entkräftete Diskutanten nächtens die Freiluftküche stürmen auf der Suche nach Essbarem, worauf in der Freiluftküche ebenfalls anarchistische Zustände ausbrechen, weil sich ein unaufgeräumter Haufen um die letzten Pizzareste kloppt, die Küchenmitarbeiter die Nachtwache zu Hilfe rufen, deren - partiell anarchistisch eingestelltes - Ordnungspersonal der Meinung ist, dass Pizza zwar im Prinzip für alle, im Konfliktfall jedoch primär als kulinarische Gefahrenzulage für Nachtwächter da zu sein hat, was regelmäßig Exponenten der Public Relation Funktion auf den Plan ruft, die schlichtend den unaufgeräumten Haufen samt Ordnungspersonal zur Ordnung rufen ("ts, denkt doch bitte mal an die Außenwirkung!"), allerdings weitgehend erfolglos, was vermutlich daran liegt, dass die Public Relation Funktion anarchistisch unterwandert ist, sie es nur selbst noch nicht gemerkt hat, derweil im blau-weißen Versammlungszelt weiter die Fetzen fliegen, so lange, bis irgendein kluger, aufgeräumter, besonnener Diskussionsteilnehmer anregt, die Debatte abzubrechen und auf den nächsten Abend zu verschieben oder vorerst im kleinen gemütlichen Kreis ("bei uns im Anarcho-Zelt gibt's noch Schokolebkuchen!") zu vertiefen.

Von all diesen Umtrieben dringt selbstverständlich nichts an die Öffentlichkeit. Geschweige denn an die New York Times. Schließlich verfügen wir über eine professionelle Public Relation Funktion.


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