Dienstag, 22. Juni 2010

Cool Vibes


Es gibt Begegnungen, die bleiben im Gedächtnis, obwohl sie nur ganz kurz waren. So, als ob eine leicht angezupfte Saite noch lange Zeit am Nachschwingen bleibt und einen feinen, angenehmen Ton hinterlässt, dem ich gerne hinterherlausche.

Klingt jetzt fast nach etwas Romantischem, war aber eine durch und durch prosaische Begegnung: Putzfrau trifft auf Heizungsgerätezählerableser, also einen Mitarbeiter jener Firma, die mit T anfängt und die alle kennen. Ich war gerade dabei, die Wohnung eines privaten Auftraggebers zu wischen, als es klingelte. Da stand der Ableser, mit dem großen Zählcomputer in der einen Hand, Stift und Klemmbrett in der anderen, und sah irgendwie intelligent aus. Ist schon merkwürdig, aber man sieht fremden Menschen auf den ersten Blick an, ob sie auf sympathische Weise intelligent sind oder strunzdoof.

Der Sympath betrat die Wohnung, stiefelte über die noch feuchten Böden und tat, was sein Job war. Während ich hinter ihm her stiefelte - der Boden war ruiniert -, fühlte ich mich durch irgendeine Bemerkung von ihm bemüßigt zu fragen, ob er das Zählerablesen hauptberuflich mache. Er lachte vergnügt, antwortete, er sei "von Beruf Beamter auf Lebenszeit" und fügte, als ich ungläubig die Augenbrauen hob, hinzu, das sei kein Witz. Er sei, erzählte er, vor langer Zeit einmal Fernmeldeingenieur gewesen bei einem Telekommunikationsunternehmen, also jener Firma, die ebenfalls mit T anfängt und die alle kennen.

Aha, dachte ich, und sofort ratterte in meinem Kopf das volle Programm durch: Der arme Kerl wurde von einer der zahlreichen Personaleinsparmaßnahmen erwischt, und jetzt geht er eben durch die Häuser und liest Zähler ab, nichts Menschliches ist mir fremd. "Nee", fuhr er freundlich fort, "nicht das, was Sie denken", obwohl ich gar nichts gesagt hatte. Vielmehr sei es so gewesen, dass er den Arbeitsvertrag damals aufgelöst habe: "Weil ich es immer unerträglicher fand, wie dort mit den Leuten umgegangen wurde, wie die Leute auf Linie getrimmt wurden, und am schlimmsten fand ich, dass die Leute es haben mit sich machen lassen. Widerspruchslos. Die fanden das sogar gut. Ich wollte so nicht werden."

Während er die abgelesenen Werte in seinen Computer tippte, sagte er beiläufig: "Irgendwann kam der Punkt, wo ich entschieden habe: lieber mit weniger Geld klar kommen, und dafür habe ich meine Ruhe." Ab da war er mir richtig sympathisch.

Außerdem, klärte er mich auf, arbeite er auch noch als Kfz-Mechaniker, und Fuhrparkleiter sei er auch schon gewesen. Er möge die Abwechslung und die Freiheit, - "na ja," ergänzte er, "die relative Freiheit", denn mit bescheideneren materiellen Ansprüchen ließe sich die Lebensführung viel freier gestalten, "das nimmt den Druck raus."

Der Kerl schaute klug und lustig aus seinem scharfgeschnittenen Gesicht heraus, betrachtete den Wischmop in meiner linken Hand und meinte dann anerkennend: "Das finde ich zum Beispiel super, was Sie da machen! Sie putzen Ihre eigene Wohnung, anstatt sich eine Putzfrau zu nehmen, das spart Geld und bringt einen auf den Boden der Tatsachen. Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?" Oh Mann. Das sind Momente im Leben einer Putzfrau, die jede Seifenoper hinter sich lassen. Aber der Typ hatte recht: Putzen bringt einen auf den Boden der Tatsachen, weshalb ich, wenn ich mitten im Putzgroove bin, um eine bodenständige Antwort nie verlegen bin. Also hob ich den linken Arm mit dem Wischmop, wies mit dem rechten über den Boden und antwortete: "Das sehen Sie doch."

Jetzt war er es, der ungläubig die Augenbrauen hob. "Und wegen Ihnen", fuhr ich vorwurfsvoll fort, "muss ich jetzt die Böden nochmal wischen, ohne dass ich dafür mehr Geld kriege." Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie weit eine ganz normale Kinnlade der Schwerkraft zu folgen imstande ist. Der Typ war sprachlos, aber weil ich ihn immer noch sympathisch fand, fügte ich nett hinzu: "Im Gegensatz zu Ihnen bin ich Freiberuflerin auf Lebenszeit." Er verstand schnell. "Da sind Sie ja noch freier in der Gestaltung Ihres Lebens als ich!", sagte er mit dem breitesten Grinsen der Welt. Cooler Typ.

Als er ging, entschuldigte er sich noch für die fetten Bratzen, die seine Schuhe hinterlassen hatten. Kein Problem, sagte ich und meinte es genauso. Dann war er weg, und ich widmete mich den Tatsachen auf dem Boden.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen