Der Afro-Ohrwurm hat mich fest in den Klauen. Auf dem Fahrrad, an den Mülltonnen, unter der Dunstabzughaube, am Glascontainer - Sa Me Na Mi Na San Ka Re Kwa, inzwischen hüpfen die Silben ohne zu stolpern, Wodka Wodka ey-hey, was soll man auch anderes singen beim Reindonnern der Leerflaschen. Singen ist überhaupt das Beste, was man tun kann, wenn keiner mit einem redet. Frau Übermop leidet noch spürbar am Serbien-Blues und ist ausgesprochen einsilbig. Also mache halt ich die Silben.
Halb neun Uhr, Auftritt ghanesische Küchenhilfe (sozusagen die Aushilfs-Küchenhilfe, weil die senegalische Küchenhilfe gerade in der Heimat weilt). Sie - Anfang 20, sonst meist schüchtern und zurückhaltend - trabt hocherhobenen Hauptes durchs Lokal in die Küche und ruft dabei mit fester Stimme: "Ghana will win!" Frau Übermop zuckt schmerzhaft zusammen, unterbricht das Tischewischen, richtet sich auf, stemmt die Fäuste in die Seiten und fragt mich im Befehlston: "WAS hat sie da gesagt?" Die Ghanesin bleibt siegessicher am Kücheneingang stehen, hebt den Arm mit der geballten Faust und senkt den ausgestreckten Daumen ein paar Mal nach unten: "Germany runter, verstehst du? Ghana will win!"
Frau Übermop hat schon vorher verstanden, aber jetzt versteht sie mehr als ihr lieb ist. Erst schnappt sie nach Luft. Dann haut sie die Knöchel der rechten Faust rhythmisch auf den Holztisch und skandiert empört: "Nie. Im. Leben. Aber nie im Leben!" Die junge Afrikanerin schaut ihr in die Augen, schüttelt stoisch den Kopf und sagt mit großem Ernst, fast ein wenig mitleidig: "You will see."
Es ging rund.
Ja, der Fußball hinterlässt seine Spuren an der multikulturellen Basis. Auffallend war, dass sich heute kein einziger italienischer Lieferant blicken ließ. Stattdessen ein marokkanischer, der abschätzig meinte, die (Italiener) hätten bei einer WM schon lange nichts mehr verloren und sollten lieber für gescheites Olivenöl sorgen, davon verstünden sie wenigstens etwas; vielleicht eine kleine marokkanische Eifersüchtelei. Frau Übermop verwickelte ihn in eine erregte Debatte über das Spiel Amerika gegen ... (hab' ich vergessen). Sie stritten heftig darüber, ob bei einem ominösen Tor ein Abseits im Spiel gewesen sei oder nicht: Übermop pro Abseits, Lieferant contra Abseits. Ich verstand Banane. Frau Übermop überzeugte durch Argumentationskraft, der Marokkaner gab sich geschlagen und meinte anerkennend, sie habe ja "echt voll die Kompetenz, dafür, dass sie eine Frau ist".
An der Stelle bog die Küchenhilfe mit einer Kiste frischer Pilze um die Ecke. "Die versteht was von Fußball", sagte der Marokkaner zu ihr und deutete auf Frau Übermop. Die Ghanesin blieb stehen, lachte lauthals, entgegnete selbstbewusst "nein, sie versteht nichts von Fußball", dann setzte sie die Kiste energisch ab und radebrechte ungerührt, dass jemand, der nicht erkennen könne, dass Ghana der Sieg schon jetzt gehöre, von Fußball nicht die geringste Ahnung habe. Sie bekam wieder dieses ernste Gesicht, als sie hinzufügte: "Wednesday I will pray for Germany!", in einer unnachahmlichen Mischung aus gefühlsbetont und herzlos.
Während ich die Küchenfenster putzte, quetschte sie mit großer Inbrunst Knoblauch, hackte wie besessen Petersilie sowie Pilze und ließ dabei ihrer nationalfußballerischen Überzeugung freien Lauf. Damit das klar ist: Was die junge Frau da zermalmte, waren weder Petersilie noch Knoblauch noch Pilze, sondern in Wirklichkeit die deutsche Nationalmannschaft. Sie war in unerschütterlicher Hochstimmung.
Um das leicht Voodoomäßige der Szene etwas abzudämpfen, versuchte ich es mit ein bisschen Wodka Wodka, ey-hey, - es funktionierte. Sie erkannte den Song, allerdings nicht als südafrikanischen Fußball-Gassenhauer, sondern als ein Stück Liedgut aus dem ghanesischen Militär, was mir zu dem Zeitpunkt dann auch wurscht war oder mir zumindest, wenn schon nicht das ghanesische Militär, so doch die ghanesischen Fußballer nicht unsympathisch gemacht hat, was wiederum, wenn mich nicht alles täuscht, dazu geführt hat, dass ich bei Frau Übermop Sympathiepunkte eingebüßt habe.
Verzeihung, dass ich hier wieder so off topic ins Blaue kommentiere, aber ich habe mir doch tatsächlich die halbe Nacht auf (in?bei?) deinem Blog um die Ohren geschlagen. Die letzten - chronologisch gesehen die ersten - zwei, drei Monate hab ich unter mehr oder minder schweren Ermüdungserscheinungen durchpflügt und jetzt überkommt mich dieses Gefühl, wie nach einem richtig guten Nachtisch, den es sonst nicht gibt: Ich hätte das doch irgendwie langsamer essen und mehr genießen und dem Geschmack jedes einzelnen Bissen länger nachhängen müssen...
AntwortenLöschenJetzt bleibt mir nur zu hoffen, dass du dein Blogtempo einigermaßen beibehältst und ich immer wieder häppchenweise Nachschlag ergattern kann.
Na, ich wünsch dir eine erholsame Nacht und einen spektakulären Sonnenaufgang.
Die Anonyme
Grandioser Sonnenaufgang heute.
AntwortenLöschenGuten Morgen nach all der Völlerei :).
Ich sollte mich als notorische Langschläferin vielleicht doch mal aufrappeln und mir wieder einen Sonnenaufgang anschauen, der letzte ist schon eine Weile her.
AntwortenLöschenUnd ja, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Das Erste, was mir nach der Orgie einfällt ist "Nachschlag". Versteh's als Kompliment an die Küche ;)
Ganz schön verfressen ;)
AntwortenLöschenEs ist übrigens serviert.