Donnerstag, 5. September 2013

Kriegsverlierer


Eine immer wieder interessante, wenn auch völlig fruchtlose Überlegung ist diese: Wo nehmen die bloß all das Geld her? Das viele Geld, das so ein Krieg (pardon: Intervention) kostet? Wächst das auf den Bäumen? Kommt es aus der Steckdose? Quatsch. Das Geld ist da. Einfach da. No need to worry. Klar? Wie ein Mitglied der Obama Administration mitteilte,
... könne eine knapp kalkulierte maßgeschneiderte Operation aus "existierenden Ressourcen des Verteidigungsministeriums" bezahlt werden.
- ließe sich also quasi aus der Kriegsportokasse finanzieren und würde "den U.S. Steuerzahler keinen Cent mehr kosten als was an Geld ohnehin bereitgestellt ist". Keinerlei zusätzliche Kosten! Ist das nicht Musik in den Ohren des amerikanischen Steuerzahlers? Hat das nicht Rhythmus, wo jeder mit muss, auf in den Krieg? Gib uns dein Jawort, Bürger, wir übernehmen die Kosten und alles weitere.

Alles weitere? Ja logisch, auch die immensen Kosten des jetzt aufflammenden, sich stündlich steigernden Propagandablitzkrieges übernehmen wir, mach dir keine Sorgen, lass dir einfach unsere unwiderstehlichen Pro-Kriegs-Argumente um die Ohren hauen, den Rest erledigen wir, denn wenn wir etwas virtuos beherrschen, dann Argumente aus dem Nichts zu zaubern, aus den Retorten unserer hochtourigen War-sells-Maschinerie, die rotiert jetzt in full swing und wehe, es meldet sich ein zaudernder Zweifler zu Wort.

Zum Beispiel so einer:
Ein anderer Bediensteter des Weißen Hauses wandte ein, ohne ein genaueres Verständnis der Operation sei es unmöglich, ein exaktes Preisschild anzubringen. 
"Who the fuck knows what it will cost? Das hängt total davon ab, was passieren wird."
What the fuck? Klingt logisch, wird aber nicht gern gehört:
"Natürlich hängt das davon ab, was wir machen werden. Aber die Mehrkosten des Krieges in Libyen waren so rund eine Milliarde, und damit sind wir ein ganzes Stück weit hingekommen. Mag sein, dass der Kongress bewilligen muss, Geld hin- und herzuschieben (innerhalb existierender Budgets), aber wirklich, da werden keine so großen Kosten auf uns zukommen."
Preisschilder.
Knapp kalkuliert.
Maßgeschneidert.
Keine Zusatzkosten.
Eventuell Mehrkosten.
Aber nicht so furchtbar doll, "wirklich", jetzt mal ganz ehrlich.
Wir werden mit dem Geld schon irgendwie hinkommen.

Und falls nicht, wozu haben wir Budgets?
Zum Hin- und Herschieben.
Zum Kürzen.
Zum Aufrüsten des Kriegs-Budgets.
Zum Herunterwirtschaften eines ganzen Landes.

Eines Landes, dessen Lebensbedingungen noch nicht "wirklich" - jetzt mal ehrlich - auf Dritte-Welt-Niveau angekommen sind. Nur auf einem guten Weg dorthin, mit klarem Kurs und voller Kraft voraus:
In ganz Amerika zerbröckeln Brücken infolge zu niedriger Reparatur-Budgets
Laut vieler Ingenieure sind Tausende von Brücken dem Zusammenbruch nahe. Das Geld, um sie zu reparieren, wird immer knapper.
Jeden Tag fahren U.S. Pendler mehr als 200 Millionen Umwege um defekte Brücken herum.
Beamte einiger Bundesländer warnen, ohne beträchtliche Bundesmittel - solche, die kürzlich im Kongress gesperrt wurden - seien sie gezwungen, viele ihrer defekten Brücken zu schließen und es damit Autos, Fahrzeugen für den Noteinsatz und Schulbussen zu verunmöglichen, komplette Stadtteile zu erreichen.
Die bankrotte amerikanische Stadt Detroit hat kein Geld mehr, um amtliche Totenscheine auszustellen. Weil sie kein Geld hat, um das Papier zu bezahlen. Und weil der Papierlieferant sich weigert, die Stadt weiterhin auf Pump zu beliefern:
Der Tod nimmt frei als Folge des Bankrotts
Nichts leichter als zu sterben im bankrotten, oft bizarren Detroit - viel schwerer ist es zu beweisen, dass du tatsächlich tot bist.
Ohne beglaubigte Kopien von Sterbeurkunden haben Hinterbliebene keinen Zugang zu Bankkonten, Lebensversicherungen oder Testamenten.
Kurz nachdem der Verwaltung das Papier ausgegangen war, teilte sie Bestattungsunternehmern mit, sie sei nicht länger imstande, an Sonntagen Leichen aus dem Leichenschauhaus freizugeben. Die Bestattungsunternehmer sind nicht erfreut. "Der Tod kennt keine Sonn- und Feiertage. Der Tod geschieht an jedem Tag der Woche und ganz besonders an Wochenenden." 
Noch eine Drehung weiter auf der tödlichen Abwärtsspirale Detroits:
Detroit geht vor die Hunde... buchstäblich
Detroit ist auf dem Weg, zur Geisterstadt zu werden, allerdings bedeutet das Verschwinden des Homo Sapiens von den Straßen nur, dass die größte amerikanische Bankrottstadt im Begriff ist, von anderen Lebewesen beherrscht zu werden - von des Menschen ehemals bestem Freund, in Gestalt Zehntausender streunender Hunde, die meisten davon eine besonders gefährliche Rasse: Pitbulls. Step aside Motown, and say hello to Dogtown.
Um die 50.000 streunende Hunde übervölkern die Straßen und leerstehenden Häuser und verdrängen Bewohner oder bedrohen Menschen, die in ihren Häusern bleiben. Hunde, die immer hungriger werden und immer weniger domestiziert:
Die Armut tobt durch Motor City, viele Hunde wurden von ihren finanziell ruinierten Besitzern zurückgelassen, um sich alleine durchzuschlagen. 
Pitbulls sowie mit ihnen vermischte Hunderassen dominieren Detroits streunende Bevölkerung -
- und vermehren sich in unkontrollierbaren Ausmaßen. Unkontrollierbar deshalb, weil das städtische Budget für Hundefänger drastisch heruntergefahren wurde. Der Südwesten Detroits wird von Postboten nur noch mit Pepperspray betreten, um sich gegen scharenweise streunende kleine, bösartige Hunde zur Wehr setzen zu können.
Die gute Nachricht: Vorläufig handelt es sich bei den Streunern um Hunde. Wie lange wird es dauern, bis Menschen sich gezwungen sehen, andere Menschen zu jagen, unter ihnen bösartige Killer, die die Straßen bevölkern werden dort, wo auch immer der nächste und größte Fall einer bankrotten Kommune auftreten wird?
So viel zu Detroit, der ersten, aber gewiss nicht letzten bankrotten Großstadt Amerikas; eher ein menetekel-artiger Mikrokosmos dessen, worauf das gesamte Land zusteuert:
Sequester-Kürzungen treffen Arme besonders hart
Essen auf Rädern, ein Programm zur Lieferung von Mahlzeiten an alte Menschen, die zu gebrechlich sind, um ihr Haus zu verlassen. Kürzlich wurden zusätzliche 11 Prozent aus den Budgets gekürzt, für den Herbst stellt man sich auf weitere Kürzungen ein.
Es ist sechs Monate her, seit die Regierung Budget-Zwangskürzungen in Höhe von 85 Milliarden Dollar verhängte, von denen am härtesten die ärmsten Amerikaner getroffen wurden.

(Alles Meldungen aus den letzten Tagen, nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.)


So viel zum sorglosen Hin- und Herschieben von Budgets, zum spendablen Aufrüsten des Kriegs-Budgets, zum mutwilligen Herunterwirtschaften eines Landes auf Dritte-Welt-Niveau.

Ein erstes, eher emotional gehaltenes Resümee:
Sorry, But Fuck Syria
Quer durch Amerika, in einer Stadt nach der anderen, in einem Bundesland nach dem anderen, werden die Grundlagen des täglichen Lebens (und des Todes) zerstört, nicht zuletzt durch unsere Unfähigkeit, Geld bereitzustellen für das, was für Amerikaner lebenswichtig ist, für das, was aus Amerika ein großartiges Land machen könnte. Eine Nation mit einer Stadt, die es sich nicht leisten kann, Geburts- und Sterbeurkunden auszustellen, weil ihr das Papier fehlt, ist eine Nation, die absolut kein Recht hat, Millionen, vielleicht Milliarden Dollars auszugeben, um Syrien zu bombardieren, nur weil der dortige wahnsinnige Präsident etwas Wahnsinniges angerichtet hat.
No, sorry, but fuck Syria. Sobald wir aufhören, Lehrern zu erzählen, sie müssten Gehaltskürzungen hinnehmen, und erst wenn wir den Kindern von Chicago zusichern können, dass sie nicht erschossen werden, erst dann können wir der Welt etwas über unsere moralische Autorität erzählen.
Ein zweites, kälteres Resümee, das mit dem Messer in die offene, offen zutage liegende Wunde stößt:
Wahnhaft gestört im Zeitalter der einzigen Supermacht
von Tom Engelhardt
Von Lateinamerika bis in den größeren Mittleren Osten zeigt sich das amerikanische System sichtbar geschwächt, während bei ihm zuhause Ungleichheit und Armut auf dem Vormarsch sind, die Infrastruktur zerbröckelt und die Politik des Landes in einem Zustand permanenten "Infarktes" verharrt.
Was sollen wir am Ende aus einem Planeten machen mit einer einzigen Supermacht, die keinerlei echten Feinde von Bedeutung hat und die, allem Anschein nach, gleichwohl einen permanenten globalen Krieg führt mit... nun gut, mit sich selbst - - und dabei zu verlieren scheint?
Die beste, scharfsinnigste Diagnose, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Amerika führt einen Krieg gegen sich selbst. Und wird ihn verlieren.

8 Kommentare:

  1. Liebes Mop,

    schön geschrieben.
    Nur ein einziger - aber wichtiger Fehler:

    Die VSA sind pleite weil sie zuwenig Kriege geführt haben. Kriege retten sie immer etwas.
    Darum ist es jetzt so heftig.
    Die würden am liebsten den Iran mitvernaschen...

    Ohne Kriege wären die VSA schon vor 40 Jahren Pleite gewesen.

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    1. Liebes Anonym,

      im Gegensatz zu dir bin ich kein anonymes Neutrum, sondern weiblichen Geschlechts.

      P.S.
      Wer es darauf anlegt, mit mir garantiert NICHT ins Gespräch zu kommen, der liegt mit anonymen Kommentaren (= Konversationskiller erster Güte) goldrichtig.

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  2. Liebes Mop,

    du bist anonym. Daß du weiblich bist, erfahre ich erst jetzt.
    Gespräche allerdings widern mich an.
    egal mit wem.
    Äußer dich mal lieber zur Sache...

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  3. Kellnern und Ökonomie passen halt nicht zusammen.

    Beste Grüße aus dem dummen Osten des okkupierten Landes ;-)

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  4. Ich sehe kein Impressum..
    Ich sehe keinen Namen...

    Anonymer geht es nicht...

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  5. Hallo Mrs: MOP,

    treffender Artikel über 'unser' großes Vorbild.
    Leider ist es so das unsere "Eliten" meinen unser großes Vorbild kopieren zu müssen. So sind viele der beschriebenen Zustände in Ansätzen und auch komplett hier in Deutschland auch zu bestaunen. Vor kurzem die Berichte über die marode Infrastruktur mit dem investitionsbedarf von ca. € 40 Mrd./Jahr. Die starke Expansion der 'Tafelläden'.
    Wie wärs mit meinem Spruch von irgendwelchen Orten deren Beschreibung auch auf andere Orte passt? Aber Sie haben ja schon bessere gehört.
    Also die Detroitbeschreibung mal in ähnlicher Weise für eine deutsche (Groß-)Stadt schreiben.
    Wir (die BRD) sind zweifellos auf dem amerikanischen Weg zur großen Freiheit und Glückseligkeit.
    P.S.: Es freut mich zu lesen das sie eine Frau sind, eine Bereicherung der Blog-Szene.
    MfG: M.B.

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    1. "XYZ ist überall" halte ich für einen wenig tauglichen Slogan, weil er im Endeffekt bis zur Gleichmacherei verwässert, wo diese kontraindiziert ist, selbst wenn im konkreten Einzelfall durchaus Parallelen existieren. Beispiel Detroit: Da könnte m.E. mal ein Blogger mit z.B. Dortmunder Background ran, da tun sich evtl. Parallelen auf, aber nicht bei einer mit Frankfurter Background wie mir.

      Hier liegen die urbanen "Vorbilder" ganz woanders: Die Stadt Frankfurt schickt sich in den letzten Jahren voller ungebremstem Ehrgeiz an, sich zur sog. "Global City" zu entwickeln, weil sie unbedingt in einer Liga mit Städten wie New York und London spielen will (Finanzplatz, EZB-Neubau) und vor lauter Konkurrenzdrang und Selbstüberhöhung vermutlich demnächst in eine Art neoliberaler Schnappatmung verfallen wird. Darüber habe ich kritisch berichtet, beispielsweise hier, insbesondere über die Folgen, die das Aus-dem-Boden-Stampfen "reicher Metropolen" für die weniger zahlungskräftige Bevölkerung hat.

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  6. Sehr schön,"resourcenarme Bevölkerungsschicht", das ist doch mal eine Bezeichnung die von üblichen 'Prekariat' deutlich abweicht,
    Was passiert in Frankfurt mit diesen Leuten die ja aus ihren angestammten Wohngebieten rausgedrängt werden? Wie Frau Roth sagt, jeder darf hinziehen wo er will. Das ist zweifellos wahr, allerdings zieht jeder dahin wo es für ihn Arbeit und Wohnung gibt. Was machen die anderen: Arbeit -ja aber Wohnung zu teuer oder Wohnung bezahlbar aber keine Arbeit. Frankfurt hat also ein umgekehrtes Problem als Detroit, die Stadt wird von Gutverdienern "überschwemmt", die Resourcenarmen müssen weichen. zum Glück bleibt ja noch die schöne Aussicht auf die neoliberale Skyline.
    Ist fast so schön wie hier wo ich bei Föhn die Skyline Schweizer Alpen bewundern kann.

    MfG: M.B.

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