Montag, 2. September 2013

Wenn einer tritt, dann sind wir es



Mit jedem Tag verstehe ich ein bisschen mehr, warum das Ding nicht mehr so funktioniert heutzutage. Also, das Ding mit dem Singen gegen den Krieg, was gegen den Vietnamkrieg noch zu Hunderttausenden möglich war und gegen den Syrienkrieg nicht mehr möglich ist, weder für Hundert-, noch für Zehn- oder auch nur Tausende und schon gar nicht für eine einzelne Person.

Wenn nämlich die einzelne Person in einem öffentlichen Park unter einem Baum steht mit einem Banjo im Arm und ein Protestlied singt - im Rahmen einer Demonstration gegen den kommenden Militäreinsatz in Syrien -, dann kann das gar nicht funktionieren, weil so etwas nicht funktionieren darf in einem modernen Polizeistaat. Basta.

Wenn nämlich die Frau mit dem Banjo im Park singt, dann kommt die Polizei und teilt ihr freundlich mit, sie solle gefälligst aufhören zu singen und sich vom Acker machen. Wenn dann die Frau freundlich zurückfragt, wieso sie sich vom Acker machen soll, da dies doch ein öffentlicher Acker sei, gibt es für eine kurze Weile einen freundlichen, aber ziemlich repetitiven Disput: Die Polizisten wiederholen beharrlich ihre Aufforderung an die Frau, den Park zu räumen; die Frau wiederholt beharrlich ihre Gegenfrage, aus welchem Grund sie den Park räumen soll.

Das ist unklug von der Frau. Wo doch jeder weiß, dass, erstens, in einem Polizeistaat der Bürger kein Recht beansprucht auf eine solche Begründung, sowie, zweitens, Polizisten in einem Polizeistaat der festen Überzeugung sind: Wenn hier einer beharrlich ist, dann wir und sonst keiner. Klar? Deshalb hat die Frau sich mit ihrer Beharrlichkeit sehr schnell unbeliebt gemacht bei der Polizei, und deshalb wurde die Polizei auf einmal sehr unfreundlich. Unbotmäßige verbale Beharrlichkeit einer Bürgerin gilt als Widerstand gegen die Staatsgewalt und führt zur Verhaftung.

Zu dritt beugten die Polizisten die Frau mit dem Oberkörper über eine Parkbank, hielten sie fest, legten ihr Handschellen an, verrenkten ihr zu diesem Zweck den rechten Arm, worauf die Frau vor Schmerz aufschrie, was Polizisten gar nicht gern hören, weshalb sie noch ein bisschen fester zupackten und die Frau noch lauter schrie. "Wir leben in einem Polizeistaat!", schrie die Frau, und weil Polizisten in einem Polizeistaat die Wahrheit auf den Tod nicht leiden können, langten sie noch ein wenig rabiater zu.

Als die Frau in ihrer Beharrlichkeit weiter schrie: "We live in a fucking police state! Hört auf mich zu misshandeln! Stop! Hilfe! Hilfe!" und dabei, bereits gefesselt, mit den Beinen nach hinten trat wie ein eingesperrtes Pferd, wurde es der Polizei zu bunt. Wo doch jeder weiß, wie die Rollen im Polizeistaat verteilt sind: Wenn einer tritt, dann bin ich es, und wird einer getreten, dann bist du's (Kurt Weill). Zu fünft zerrten sie die gefesselte Frau übers Pflaster, dorthin, wo den aufnehmenden Kameras durch ein Gebüsch die Sicht erschwert wurde, weshalb ich nicht exakt zählen kann, ob es insgesamt sieben oder acht Polizisten waren, die eine gefesselte, am Boden liegende Frau mit Händen und Füßen in Schach hielten.

Danach wurde die Frau abgeführt an einen unbekannten Ort. Mit der Außenwelt zu kommunizieren wurde ihr untersagt. Darum weiß niemand, ob sie die Absicht hat, jemals in der Öffentlichkeit wieder ein Protestlied zu singen. Und ob überhaupt jemand sich traut, jemals in der Öffentlichkeit wieder ein Protestlied zu singen. Schließlich muss ein Polizeistaat zu etwas gut sein, und sei es zur Abschreckung und zum Angsteinflößen.



Wobei es mich irritiert, dass die polizeistaatliche Szene von zahllosen Händen mit Kameras festgehalten wurde, jedoch keine einzige Hand der um Hilfe schreienden Frau zu Hilfe kam. Wobei ich natürlich froh bin, dass es kamerahaltende Hände gab, sonst wäre die Szene gar nicht an die Öffentlichkeit gekommen. Einerseits. Aber andererseits bin ich irritiert. Und zwar gewaltig, um ehrlich zu sein.

11 Kommentare:

  1. Einfache Antwort...

    Angst frißt Seele auf!

    und leider sind wir schon so weit

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  2. Liebe Mrs. Mop,

    so gerne ich deine Texte lese und so soft wie ich ihnen still zustimme, muss ich diesmal widersprechen. Der Polizeizugriff ist brutal, keine Frage, aber der Grund war nicht das Banjo-Spielen, sondern der schlichte Grund, dass der Park geschlossen war. Der Officer sagt dies eindeutig und mehrfach. Im Video sind auch die Absperrungen sichtbar, hinter der die nichteingreifenden Filmer stehen.

    Da Emily Yates Irak-Kriegs-Veteranin ist, kennt sie die US-Military-Police. Im Vergleich zu einem MP-Einsatz ist das Video Kindergarten.

    LG Marc

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    1. Spielverderber!

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    2. @Marcf
      Im Internet von Philly gibt es eine heftige Diskussion um den erstaunlichen Umstand, dass und wieso dieser öffentliche Park an einem sommerlichen Nachmittag um Punkt 17:15 Uhr geschlossen werden sollte/musste. Er war es nämlich davor nicht. Und wenn ein Officer mir "eindeutig und mehrfach" sagt, dass der Park geschlossen und darum mein Banjospiel unterbunden wird, neige ich zu der gegenläufigen Interpretation, nämlich dass, um mein Banjospiel zu unterbinden, behauptet wird, der Park werde geschlossen. Um Punkt 17:15 Uhr am hellichten Nachmittag.

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    3. Okay, ich dachte, es wären "normale" Öffnungszeiten.
      Leider macht dieser Trick, wenn er einer gewesen sein sollte, das Banjo-Spielen illegal und die Polizeiaktion legal.

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    4. "Leider macht dieser Trick, wenn er einer gewesen sein sollte, das Banjo-Spielen illegal und die Polizeiaktion legal."

      Korrekt. Die Frage ist dabei, welche Konsequenzen man aus diesem Tatbestand und aus dem "leider" zieht. Bzw. läuft es auf die Frage hinaus, ob man sich willkürlichen polizeilichen Anweisungen widerspruchslos fügt (da "legal"), oder sich der Willkür widersetzt und damit bewusst "illegal" agiert (ob im konkreten Handeln oder "nur" im mentalen Vorfeld, lasse ich mal außen vor). Es geht um nichts weniger als um Fragen des zivilen Ungehorsams.

      Du weißt ja, ich lebe in einer Stadt, in der erst kürzlich zum zweiten mal die polizeistaatliche Willkür massiv zugeschlagen hat. Wenn du so was physisch erlebst und mittendrin steckst, stellst du (pardon, ich) dir (mir) solche grundsätzlichen Fragen fast zwangsläufig.

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    5. @Mrs. Mop

      Die Frage des zivilen Ungehorsams hat keine scharfen Grenzen. Bei Antinazis-Demos z.B. ist er geboten, bei anderen Situationen gibt es gute Gründe dafür und dagegen und manchmal wird er sinnfrei. Ich sehe die Aktion von Emily Yates im Graubereich, persönlich hätte ich es nicht gemacht.

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  3. @Marcf
    Na ja: Wenn im Rahmen einer Antikriegsdemo (Syrien) eine ehemalige Irak-Soldatin und politische Aktivistin (unter anderem Mitglied von Iraq Veterans Against the War – für den Rest siehe unter http://emilyyatesdoeseverything.com/activism/) bei einem plötzlich geschlossenen Park brutal verhaftet wird, darf man schon einmal nachfragen.
    War da nicht so ein Park in Türkei auch »gesperrt«? Und – bei all solchen vorgeschobenen Gründen: Ist das eine Entschuldigung für Polizeibrutalität?

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  4. Hallo Mrs. MOP,

    ich wiederhole mich ja nur ungern, beim letzten Artikel zu diesem Thema schrieb ich:
    "Wisconsin ist überall", jetzt folgt "Philadelphia ist überall".
    Können Sie mir diesmal zustimmen??
    MfG: M.B.

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    1. Meinetwegen, obwohl ich schon schmissigere Slogans erlebt habe ;)

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  5. Und auch "Essen ist überall".
    http://www.mlpd-essen.de/augenzeugenbericht-zum-polizeieinsatz-beim-strassenumzug-der-waehler-initiative-horst-dotten-am-27-8.13-1

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