Freitag, 20. April 2012

Souverän



Frau Lagarde ist jene Person, die derzeit mit dem Klingelbeutel unterwegs ist. Nicht im Auftrag des Herrn, vielmehr im Auftrag des IMF.

Der IMF ist jener Verein, der Ländern wie Griechenland oder Irland (vielmehr deren Bürgern) gern drastische Armutsprogramme aufs Auge drückt, selbst aber dringend mehr Geld braucht, weshalb, im Umkehrschluss, besagte Armutsprogramme einem guten Zweck dienen. Aus Sicht des IMF jedenfalls.

Dass der IMF jetzt dringend noch mehr Geld braucht und deshalb betteln gehen muss, leuchtet jedem ein, dem das Treiben des IMF einleuchtet, weil, der IMF braucht nämlich dringend noch mehr Geld, um mit dem Geld, das dringend gebraucht wird, noch mehr Geld zu versenken als bereits versenkt wurde. Das Ganze nennt sich Beggars Banquet oder, etwas geschmeidiger, EU Bailout Funds.

Allerdings scheint die Spendensammelaktion eher schleppend zu verlaufen. Bislang weigern sich die meisten Länder, auch nur einen Pfennig oder ähnliches Kleingeld rauszurücken, weil sie angeblich keines haben, wobei jene Länder, die bereit sind, Kohle an den IMF abzudrücken, eigentlich auch kein Geld haben, jedoch die altbekannte Frage "Woher nehmen, wenn nicht stehlen?" mit der altbekannten Antwort parieren: Na, vom Steuerzahler, woher denn sonst? Blöd ist halt nur, dass der Steuerzahler gleichzeitig auch Wähler ist, was die knausrige Zurückhaltung der spendenunwilligen Länder ein Stückweit erklärt.

Was soll's, dachte sich die nimmermüde Frau Lagarde, irgendwie muss diese dümpelnde Spenden-Acquise doch auf Trab zu bringen sein - schließlich braucht der IMF, sprich: die Banken, dringend Geld, sprich: Rekapitalisierung - und legte bei den Meetings der G-20, des IMF und der Weltbank einen Zahn zu:
"Was die Rekapitalisierung betrifft, könnten der ESM und der ESFS eigentlich überall in der Eurozone hilfreich einspringen - allerdings muss das immer auf dem Umweg über die jeweilige Staatssouveränität geschehen ('it has to be channeled through the sovereigns')."
- wie gesagt, blöd halt, dieser Umweg über die Staatssouveränität, auf jeden Fall lästig und zeitverschwendend. Darum will der IMF nichts anbrennen lassen und sinnt auf zügige Abhilfe:
"Darum setzen wir uns dafür ein, dass dies (die Rekapitalisierung der Banken) ohne den Umweg über die Staatssouveränität erfolgen kann."
- also, der Einfachheit halber den notleidenden Banken die wohltuende Finanzspritze direkt zu injizieren, ohne dieses ganze hemmende nationalstaatlich-bürokratisch-pseudodemokratische Gedöns. Selbstverständlich, ergänzte Frau Lagarde souverän, nicht ohne ein angemessenes übergeordnetes Kontrollinstrument:
"Es (die Rekapitalisierung der Banken) könnte und sollte (stattdessen) begleitet werden durch eine eher global ausgerichtete europäische Supervision."
Ja, warum eigentlich nicht? Könnte doch vieles vereinfachen, oder? Ob es das auch sollte, steht auf einem anderen Blatt, und in einem anderen Blatt lese ich zum gleichen Thema unter der Überschrift
"IMF's Lagarde: Lasst die EU Bailout Funds den Banken zukommen ohne den Boxenstop beim Staat"
den folgenden folgenschweren Satz:
"Eine größere Sorge tut sich auf, falls die Banken beschließen sollten, den Staaten ('sovereigns') kein Geld mehr zur Verfügung zu stellen; dies könnte passieren, wenn die Banken zu dem Schluss kommen, die notwendigen Austerity-Maßnahmen und Haushaltskürzungen drosselten das wirtschaftliche Wachstum, welches für den Kreditsektor der entscheidende Maßstab ist."
- und denke, Moment mal: Die Banken beschließen, den Staaten kein Geld mehr zur Verfügung zu stellen? Hallo? Das hieße doch im Klartext, der Staat hat seine Funktion als Souverän mal eben ganz souverän an die Banken abgetreten? Ja, darf der das denn? Ohne seinen Souverän (Volk und so) vorher zu fragen? Klar darf der das.

Lange nichts mehr gehört von Irland. Was ja immer ein sicheres Anzeichen ist dafür, dass sich irgendwas zusammenbraut. Im Falle Irlands ist das zum einen die gefürchtete, dummerweise in der Verfassung verankerte Volksabstimmung ("Fiscal Compact Referendum") am 31. Mai, wovor es der EU-Kommission und dem IMF gleichermaßen graut, weil sich da eventuell irgendwas zusammenbraut. Immerhin, der Souverän wird befragt; steht ja nun mal so in der Verfassung, dummerweise.

Zum andern hat sich in Irland auf Initiative der Regierung - Volksabstimmung hin, Volksabstimmung her - ein dubioses Gremium zusammengebraut namens "Constitutional Convention" (Versammlung zur Verfassungsänderung), die, wie der Name schon sagt, sich zum Ziel gesetzt hat, "die Verfassung (von 1937) einer Prüfung zu unterziehen und eine reformierte Verfassung zu entwerfen". Es durfte darüber spekuliert werden, wer in wessen Interesse welche Elemente der Verfassung reformieren, vulgo: über die Klinge springen lassen möchte.

Seit gestern nimmt das Vorhaben der irischen Regierung zur geplanten Verfassungsänderung endlich Gestalt an: Dem renitenten Ice Moon Blog ist es nämlich gelungen, sich Einblick in ein bislang geheimes Regierungs-Memo zu verschaffen, aus dem hervorgeht, nach welchem Modus die irische Verfassung zweckmäßigerweise abzuändern sei, sobald das leidige Fiscal Compact Referendum über die Bühne gegangen sein wird.

Im folgenden seien von den Artikeln der neuen irischen Verfassung bzw. den neuen Artikeln der irischen Verfassung die relevantesten zitiert:

Artikel 5
Irland ist ein Territorium des International Monetary Fund (IMF) mit vielen netten Pubs.

Artikel 6
Alle Rechte der Regierung, der Legislative, der Exekutive und der Justiz leiten sich - unter der Herrschaft des IMF - aus der EU ab, deren Recht es ist, das Führungspersonal des Staates zu bestimmen und, in letzter Berufung, über sämtliche Fragen der nationalen Politik zu entscheiden, entsprechend den Erfordernissen der herrschenden Klasse, die sich gegenwärtig aus multinationalen Konzernen konstituiert.

Artikel 10
Alle nationalen Ressourcen, einschließlich der Luft sowie sämtlicher potentieller Energieressourcen, die von dieser Verfassung als innerhalb des Geltungsbereiches von Parlament und Regierung liegend etabliert wurden, sind Eigentum des Höchstbietenden.

Artikel 11
Alle Einkünfte des Staates, egal aus welcher Quelle, fließen ausnahmslos in einen Fonds und werden bereitsgestellt, um Bondholdern in irischen Banken jenen Komfort zu gewährleisten, an den sie sich mittlerweile gewöhnt haben.

Artikel 28
Die Regierung soll für nichts verantwortlich zu machen sein. Die Vorgängerregierung wird für alles verantwortlich zu machen sein.

Artikel 29
Irland versichert seine Ergebenheit zu Unternehmensidealen, zu Kapitalismus, Profit, Kooperation mit den USA, und leugnet jegliche Solidarität mit anderen Nationen, insbesondere mit Griechenland.

Artikel 34
Die Rechtssprechung wird von Gerichten gehandhabt, die rechtskräftig von jenen Richtern etabliert werden, die dazu berufen wurden im Sinne dieser Verfassung, und zwar gehandhabt mit extremer Strenge gegenüber den Armen, den Regimekritikern und den Schwachen, jedoch nicht gegenüber den Reichen und Mächtigen und keinesfalls gegenüber korrupten Politikern oder Bankern, die das Land in den Konkurs getrieben haben respektive Leuten, die letztere geschützt haben.

Artikel 50
Gesetze, die von nationalen Parlament erlassen werden, müssen zuerst mit der Bundesbank abgestimmt werden.
Es heißt, das - streng vertrauliche - Dokument sei unverzüglich an Frau Lagarde weitergereicht worden zur gefälligen Überprüfung (schließlich will die irische Regierung weiterhin mit dem IMF auf gutem Fuß stehen). Lagarde - bekannt dafür, nach Herzenslust und Schulmeistermanier willfährige EU-Länder zu loben und aufsässige Mitgliedstaaten zu tadeln - soll sich hocherfreut gezeigt haben: "Seht ihr", wird sie demnächst den Ländern der EU-Peripherie wohlwollend zurufen, "es geht doch, mit ein bisschen gutem Willen, Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Anpassung. Nehmt euch ein Beispiel!"

Erwartungsgemäß wird das Volk lautstark murren. Egal. Was zählt, sind Regierungen, die in lautstarkem "Tschakka!"-Taumel delirieren. Und sich hinterher nicht mehr auf die Straße trauen.

11 Kommentare:

  1. In letzter Zeit kann ich gar nicht mehr über Satire lachen. Ich muss nämlich die Texte immer mit großer Aufmerksamkeit bis zum Ende lesen und dann hinterher entscheiden, ob das nun Satire oder echt ist.

    Ich glaube, bald ist der Zeitpunkt erreicht, an dem beides für mich nicht mehr unterscheidbar ist.

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  2. Satire ist, was Dieter Nuhr macht, deswegen steht es ja auch dran. Alles andere ist Terrorismus (zumindest bald, nach entsprechenden Gesetzesänderungen nach spanischem Vorbild).

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    1. Das aufkommende Lachen über deinen Kommentar bleibt einem auch sofort im Halse stecken, weil es einfach wahr ist, was Du schreibst, wobei wir wieder bei der Aussage von Amike währen.

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    2. Ja, so geht's mir nämlich leider auch. Ich hab mal ein Satireblog betrieben, es dann aber mehr oder weniger eingestellt, weil jedes noch so zynische Hirngespinst kurze Zeit später von der Realität überholt wurde. Die ganzen Satiriker-Arbeitsplätze, die dadurch vernichtet werden!

      Hut ab dafür, dass Mrs. Mop das noch so schön hinbekommt.

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    3. "Die ganzen Satiriker-Arbeitsplätze, die dadurch vernichtet werden!"

      LOL

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  3. Brilliante Sendung heute abend auf DLF:

    Der ökonomische Putsch oder:
    Was hinter den Finanzkrisen steckt

    (einschließlich der Entwicklung und Rolle des IMF!)

    Sendung

    Skript

    "Man kann hier verstehen lernen, dass der Neoliberalismus kein US-amerikanisches Modell ist, sondern ein deutsches und dass es eines ist, dass nicht nur Ökonomie, sondern wesentlich Psyche organisiert. - Was letztlich auch erklären kann, warum Deutschland so funktioniert, wie es funktioniert ... Eigentlich ein Horrorszenario, weil Konturen eines Systems erkennbar werden, das offenbar in der Lage ist, Massenloyalität und Legitimation marktgesteuert zu generieren (vgl. Merkel) und so - herrschaftstechnisch gesprochen - effektiver ist als die faschistische Variante, aus der es hervorgekrochen ist: Wie Ludwig Erhard im Januar 1945 zusammen mit dem später gehängten SS-Einsatzgruppenführer Otto Ohlendorf die Soziale Marktwirtschaft erfand ..."

    Zitat und Hinweis auf die Sendung übernommen von: gebattner

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    1. Und sowas dürfen die öffentlich senden?

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    2. Boah ist der Beitrag gut. Schön und wichtig ist, daß sich prominente Stimmen darin äußern.

      @Amike: Wenn jemand in einem System groß geworden ist, dann ist es wahnsinnig schwierig darüber aufzuklären. Insofern ist die Sendung völlig gefahrlos.
      Käme so etwas jeden Morgen oder zur besten Sendezeit in den Funkmedien, dann hätte bereits ein Wechsel stattgefunden.
      Zu Beginn von Revolutionen werden nicht umsonst Fernseh- und Radiosendestationen eingenommen.

      Wieviele Hörer wird der dlf wohl haben und wieviele davon hören sich solche eine Sendung an und schalten nicht um, weil das Thema so allumfassend und erschlagend ist, daß man "eh nichts daran ändern kann".
      Wieviele von denen, die nicht weggeschaltet haben, verstehen den größten Teil des Gesagten und vertrauen auch darauf, daß das alles so richtig ist und nicht nur eine weitere Art von Propaganda?
      Kommen wir wenigstens auf 10.000?
      Die Gemeinheit ist doch inzwischen, daß das meiste öffentlich zugänglich ist. Alle sind mitschuldig - Jeder Ärger konfrontiert uns alle zuerst mit uns selbst.
      Später werden die Verursacher und Nutznießer sagen können, daß ihnen niemals die Stirn geboten wurde und sie deshalb dachten, alles wäre in Ordnung.
      Im Bericht ist die Rede davon, daß es sich um ein verbrecherisches System handeln würde.
      Das sind große Worte, die aber sofort die Frage auslösen, warum es so schwer fällt, dem Treiben in einem Rechtstaat keinen Einhalt zu gebieten.
      Solange es keine Gesetze gegen eine Handlungsweise gibt, dann ist diese legal und damit die Behauptung unwahr. So einfach ist das.
      Alles was wir tatsächlich beobachten können, ist die fortschreitende Kriminalisierung derer, die gegen das System sind.
      Bei Not am Mann sorgen Provokateure hie und da dafür, daß aus friedlichem Protest in der Außendarstellung Gewaltakte werden. Politische Inhalte werden umgewandelt in rechtsbewährte Dinge wie Sachbeschädigung, Beamtenbeleidung oder Körperverletzung et voilà. Damit ist das Thema vom Tisch und weiter gehts mit der Alternativlosigkeit.

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    3. "Das sind große Worte, die aber sofort die Frage auslösen, warum es so schwer fällt, dem Treiben in einem Rechtstaat keinen Einhalt zu gebieten.
      Solange es keine Gesetze gegen eine Handlungsweise gibt, dann ist diese legal und damit die Behauptung unwahr. So einfach ist das.
      Alles was wir tatsächlich beobachten können, ist die fortschreitende Kriminalisierung derer, die gegen das System sind."

      Dazu fällt mir wieder mal Arno Gruen ein:
      "Wenn ein Hungriger stiehlt, handelt er nicht aus Habgier; und wenn er dabei, ohne es zu wollen, jemanden umbringt, ist es kein vorsätzlicher Mord. Andererseits gehören die Reichen und Mächtigen zu jenen in unserer Gesellschaft, die Kriege anzetteln, die Lebensgrundlage anderer Menschen zerstören, Natur und Menschen vergiften. Sie aber sitzen nicht in den Gefängnissen. Kriminalstatistiken verzeichnen nur deshalb mehr Arme als Reiche, weil solche Statistiken der Ideologie der Reichen und Mächtigen unterliegen und weil sie nicht alle Formen von Destruktivität aufführen." (Arno Gruen – Der Wahnsinn der Normalität)

      "Die Gemeinheit ist doch inzwischen, daß das meiste öffentlich zugänglich ist. Alle sind mitschuldig"

      Das ist es, denke ich, was es so schwer macht, darüber aufzuklären. Niemand möchte sich Mitschuld eingestehen, was nur allzu verständlich ist, deswegen wird auch so gerne projiziert (z.B. von jenen, die das mit den 1 % etwas übertreiben und meinen, diese 1 % seien allein an allem Übel dieser Welt schuld, womit man sich selbst natürlich Unschuld attestiert - wie '45, als plötzlich alle unschuldig gewesen sind). Folge sind kognitive Dissonanz, Neurose, Verdrängung. Wie dagegen angehen?

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    4. "Die Gemeinheit ist doch inzwischen, daß das meiste öffentlich zugänglich ist. Alle sind mitschuldig"

      gerade wieder eindrucksvoll in etlichen "spon"-forum-kommentaren zur formel-1 in bahrein zu studieren, die sich mit ihrer ignoranz brüsten...

      aber generell ist das prinip eigentlich nichts anderes als das, was auch die diversen variationen der mafia global bei neuen mitgliedern anwenden - als "initiation" in die bande wird meist ein verbrechen gefordert, was den neuling dann sofort erpress- und lenkbar macht und ihn mit unsichtbaren ketten an die gang schmiedet. ebenfalls lassen sich prinzipien der omertà in sog. "legalen" institutionen wie militär und großkonzernen finden. ich behaupte, dass das alles kein zufall ist, sondern schlicht ein weiteres indiz für die these, dass es inzwischen sinnlos ist, die organisierte kriminalität irgendwo "jenseits" des "legalen" zu verorten. diese herrschaften haben prinzipiell das sagen; durchweg antisozial im klinischen sinne, nicht wenige dürften dazu auch noch echte soziopathen sein (die traumatisierenden wirkungen von soziopathen in ihren jeweiligen engen menschlichen umfeldern ähneln ebenfalls nicht umsonst den wirkungen, die zb. naomi klein in der "schockstrategie" bezgl. ganzer gesellschaften beschrieben hat.

      mit so einem gegenüber kann es aus vielerlei gründen keine koexistenz, kein friedliches zusammenleben und keine kompromisse geben. das gilt im "privaten" ebenso wie gesellschaftlich. die schlußfolgerungen können alle selbst ziehen.

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  4. ....wann gehen endlich mal einige bewaffnet in den Untergrund ?.....

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