Dienstag, 3. April 2012

Sensibilitäten


Irgendwie ist es in letzter Zeit verdächtig still geworden rund um Griechenland, medial gesehen. Das Letzte, was mir noch in den Ohren nachklingt, ist Mario Montis (italienischer Ministerpräsident, nichtgewählter Nachfolger Berlusconis und, wie es immer so schön heißt, "parteilos" - ein Prädikat, was bei einem international tätigen Berater von Goldman Sachs durchaus kabarettreif wirkt) vollmundiger Juchzer, "die Krise ist beinahe vorbei".

(Ich korrigiere: beinahe kabarettreif.)

Beinahe, wohlgemerkt, und wie jeder weiß, meint "beinahe vorbei" etwas durchaus anderes als "vorbei", nämlich - bei Lichte und unter Hinzunahme von etwas Hirnschmalz besehen - das glatte Gegenteil. Also Klartext: Die Krise ist keineswegs vorbei. Auch dann nicht, wenn Monti anlässlich eines Japanbesuches seinen Juchzer fein auszudifferenzieren wusste: "The financial aspects of the crisis are solved." Wiederum bedienen wir uns noch vorhandener Spuren unseres Hirnschmalzes und schlussfolgern scharfsinnig: Operation gelungen, Patient tot, die verbliebene Krisen-Arschkarte bekommt die notleidende griechische Bevölkerung.

Ferner gab es da neulich noch die verkniffene Antwort Horst Reichenbachs (deutscher EU-Beamter, Leiter der "Task Force Griechenland" - deutsch: "Eingreiftruppe", als Wort mindestens so vertrauensbildend wie "parteilos" - der Europäischen Kommission):
Frage: Was halten Sie von Junckers Vorschlag, einen eigenen EU-Aufbaukommissar für Griechenland zu bennen?
Reichenbach: Dazu möchte ich mich nicht äußern. Ich glaube, dass die Griechen sehr empfindlich auf alle Vorschläge reagieren, in denen ihre Souveränität in Frage gestellt wird.
Mein letzter Rest an Hirnschmalz sagte mir: Wenn einer sich auf eine Frage nicht äußern will, dann hat die Frage wohl ins Schwarze getroffen, ob nun beinahe oder komplett, sei erst mal dahingestellt. So wie es mir beinahe rührend erschien, wenn einer von der Europäischen Eingreiftruppe eine derartige Diskretion, sprich: Sensibilität an den Tag legt, um nur ja den "empfindlichen Griechen" nicht auf die Souveränitätsfüße zu treten. Machen der EU ja schon genug Ärger, dort unten auf Athens Straßen.

Ansonsten, wie gesagt, Funkstille. Man hört und sieht nichts.

Falsch: beinahe nichts.

Weil, eben lese ich die Überschrift eines aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzten Artikels:
Reichenbach im Premierministeramt in Griechenland
Die Regierung in Griechenland hat dem Volk geflissentlich verschwiegen, dass mit dem zweiten Memorandum auch die Bestellung eines Oberaufsehers vorgesehen wurde.
und denke, wow!, wenn dieser Vorgang nicht sensibel ist, dann doch zumindest diskret. Wobei "Aufbaukommissar" noch entschieden sensibler geklungen hatte als "Oberaufseher", aber irgendwann muss ja auch mal Schluss sein mit der staatstragenden Diskretion. "Oberaufseher" klingt irgendwie unangenehm deutsch und soll es wohl auch:
Auf europäischem Niveau hat der deutsche Finanzminister Schäuble trotz seiner erheblichen gesundheitlichen Probleme damit begonnen, mit der Position des vorsitzenden der Eurogroup zu liebäugeln, die Ende Juli mit dem Ausscheiden von Jean-Claude Juncker frei werden wird ... Auf der anderen Seite schickt Schäuble sich jedoch an, unter dem Vorwand der im Juni 2012 erwarteten erneuten volkswirtschaftlichen Entgleisung Horst Reichenbach als neuen Oberaufseher einzusetzen. Selbst für den Fall, dass Reichenbach ablehnen sollte, ließ Schäuble mitteilen, dass die Position in deutsche Hände gehen wird.
Merke: Je diskreter einer vor den Pressemikrofonen herumschwafelt, desto unsensibler geht es hinter den Kulissen zur Sache.
Mit der Möglichkeit, fortan die Agenda der Eurogroup zu bestimmen, wird Deutschland auch formal eine hegemonische Position in den Aktivitäten der Eurozone innehaben und jedem griechischen Politiker - oder Technokraten - das Leben schwer machen, der nach den Wahlen den "elektrischen Stuhl" des Finanzministeriums einnehmen wird.
- dies schon mal den "empfindlichen" Griechen ins Stammbuch geschrieben, damit die wissen, wo der deutsche Hammer hängt, wenn sie demnächst an die Wahlurne gehen.

Zerohedge hat sich gestern des Vorgangs (siehe auch Spiegel International, englischsprachig) beherzt angenommen, titelt so indiskret wie respektlos "Meet the Über-Kommissar: Germany Expands European Domination Plan" und schließt in gewohnt unsensibler Manier mit den Worten:
As many have expected, Germany is well on its way to controlling Europe once again. But this time it will be benevolent. Because this time it's different.

(Wie von vielen erwartet, arbeitet Deutschland gründlich daran, Europa ein weiteres Mal zu kontrollieren. Aber dieses Mal in wohltätiger Absicht. Weil es dieses Mal anders ist.)
Wie, anders? Na ja, alternativlos halt. Da darf kein Raum für falsche Sensibilitäten sein.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen