Mich beschäftigt die Frage: Woran ist Faschismus zu erkennen?
Bestimmt nicht daran, dass eines Tages Horden von schwarzen Stiefeln durch die Straßen knallen, an die Tür meines dunkelhäutigen/homosexuellen/arbeitslosen/behinderten Nachbarn klopfen und ihm befehlen: Los, Sie kommen jetzt mit ins Arbeitslager, und dann nehmen die schwarzen Stiefel meinen Nachbarn mit, und ich höre und sehe nie wieder etwas von ihm und ziehe daraus den Schluss, dass irgend etwas Faschistisches im Gange sein muss.
Weil, er wäre ja blöd, der Faschismus, wenn er so in seinen schwarzen Stiefeln mitsamt der Tür ins Haus fallen würde und alle würden es mitkriegen. Obwohl er es ja damals in Deutschland genauso gemacht hat und keiner hat etwas mitgekriegt. Angeblich. Oder wie auch immer.
Allerdings war der Faschismus auch damals nicht so blöd, von jetzt auf gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern hat sich gedacht: immer schön langsam, eins nach dem andern, peu à peu die Schraube anziehen, und wenn die Leute sich erst mal dran gewöhnt haben, klappt der Rest wie von selbst. Hat ja dann auch geklappt. Grade weil der Faschismus erst mal auf Samtpfoten daherkam, bevor er sich die schwarzen Stiefel überzog.
Samtpfoten hieß so viel wie: Wir wollen doch nur euer Bestes. Wir wollen euch ja nur zeigen, wo's lang geht. Wir wollen euch helfen, in die Spur zu kommen. Weil ihr das ja von allein offenbar nicht schafft. Also wollen wir ein bisschen nachhelfen. Besonders denjenigen, denen nur schwer zu helfen ist. Solltet ihr euch allerdings unseren Hilfsangeboten so dauerhaft und halsstarrig widersetzen, dass wir zu dem Schluss kommen, dass euch gar nicht mehr zu helfen ist, dann müssen wir ein bisschen mehr nachhelfen. Und ein wenig härter durchgreifen. Natürlich nicht von jetzt auf gleich. Sondern erst später. Dann, wenn alle anderen gemerkt haben, dass euch anders nicht zu helfen ist. Dann gehen wir zur Sache. Weil wir bis dahin alle anderen so weit gekriegt haben werden, dass die das ganz normal finden, das mit dem Helfen. Vor allem, wenn wir denjenigen helfen, denen sonst nur schwer zu helfen ist. Das nennen wir dann
Umerziehen, und alle finden das ganz normal.
Aber, wie gesagt, peu à peu. Nichts überstürzen.
In England zum Beispiel sind seit geraumer Zeit
die Samtpfoten unterwegs. Manchmal sind sie
ziemlich unangenehm laut, die Samtpfoten, aber Stiefelknallen? Keine Spur. Wozu auch? Funktioniert ja auch so. Auf Samtpfoten.
Jetzt haben die Samtpfoten ein neues Programm aufgelegt. Sie nennen es
"Hilfe für diejenigen, denen am schwersten zu helfen ist".
- und meinen damit ein sogenanntes Arbeitsprogramm (
"Work Programme"), das speziell auf behinderte arbeitslose Menschen zugeschnitten ist und sich zum Ziel setzt, diese behinderten Menschen fit für den Arbeitsmarkt zu machen (
"fit for work"). Das Programm
"Fit for Work" gibt es zwar bereits seit einiger Zeit, wurde jedoch bislang nicht von dem erwünschten Erfolg gekrönt, denn ein Konzept, das behinderte Menschen fit zum Arbeiten machen will, stößt gewissermaßen an natürliche Grenzen, drum musste etwas Neues her.
Das Besondere an dem neuen Hilfsangebot für behinderte arbeitslose Menschen ist, dass es sich um ein
"Residential Training" handelt, also um eine Trainingsmaßnahme, die in einer speziell dafür geschaffenen Einrichtung stattfinden soll, in der die Teilnehmer wohnen, leben und für den Arbeitsmarkt trainiert werden.
Die Dauer des Arbeitstrainings ist (bislang) auf ein Jahr veranschlagt; der behinderte Mensch wird somit ein Jahr lang fernab seines Wohnorts, seiner (eventuell behindertengerecht eingerichteten) Wohnung, seiner (ihn eventuell pflegenden) Angehörigen oder Freunde, seiner (ihn betreuenden und behandelnden) Ärzte und Pflegekräfte in einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht sein, zusammen mit vielen anderen behinderten Menschen, die ebenfalls fernab ihrer Wohnung, ihrer Angehörigen, Freunde, Ärzte und Pflegekräfte dort untergebracht werden.
Das sich aufdrängende unschöne Bild eines Arbeitslagers versuchen die Samtpfoten mit allerlei plüschigen Pinselstrichen zu weichzuzeichnen: Beispielsweise wird jeder Teilnehmer am
Residential Training ein eigenes Zimmer (Zelle?) bekommen - zumindest jetzt, zum verheißungsvollen Start des neuen Programmes. Beispielsweise ist die Teilnahme am Programm freiwillig und ohne Sanktionen für den, der die Teilnahme ablehnt oder das Training vorzeitig abbricht - zumindest jetzt, zum verheißungsvollen Start des neuen Programmes.
Beispielsweise, heißt es zum verheißungsvollen Start des neuen Programmes, diene das Konzept 'fernab des gewohnten Lebensumfeldes' ausschließlich dem Wohl des behinderten arbeitslosen Menschen:
"Das 'residential element' des Programmes aktiviert arbeitslose behinderte Menschen zum 'Denken neuer Gedanken' bezüglich ihrer Lebenschancen und ihrer Fähigkeit zum Arbeiten."
- eine samtige Philosophie, die dem Denken neuer Gedanken auf die Sprünge hilft, etwa dem Gedanken an ein Art Umerziehungslager für behinderte Menschen.
Vielversprechend klingt auch die bereits jetzt angekündigte Perspektive,
"... das Programm des Residential Training zu erweitern und langzeitarbeitslose nichtbehinderte Menschen mit einzubeziehen."
Das Konzept erscheint also ausbaufähig. Und weil bekanntlich alles, was ausbaufähig, auch marktfähig ist, wurde bereits der Gedanke an die Marktchancen eines zusammengepfercht lebenden Haufens von gut trainierten Billigarbeitskräften gedacht:
"Das Konzept sollte für den Markt geöffnet werden. Dieser Prozess könnte, als Testlauf, nächstes Jahr mit einer öffentlichen Ausschreibung beginnen."
- was wiederum das Denken völlig neuer Gedanken aktiviert, nämlich den Gedanken an das dem Markt innewohnende Wettbewerbsprinzip, dessen tragende Säule das Kostendämpfungsprinzip darstellt: je kostengünstiger betrieben, desto konkurrenzfähiger.
Downgrading heißt das Zauberwort:
goodbye, Einzelzimmer;
welcome, Schlafsaal mit Mehrfach-Etagenbetten. Es muss sich ja rechnen, das neue Programm, wenn die Privatwirtschaft daran partizipieren und davon profitieren möchte.
Und weil es sich rechnen muss, sollte - wenn der Markt erst mal auf den Geschmack gekommen ist - beizeiten der Gedanke an Sanktionen gedacht werden: Bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt, verweigerst du die Teilnahme am neuen
workfare-Camp, bekommst du keine Transferzahlungen mehr.
Zwangsarbeit,
anybody? Arbeitslager? Umerziehung?
Behinderte und nichtbehinderte Menschen.
Hauptsache arbeitslos.
Gebrandmarkt als arbeitsscheu.
Alle unter einem Dach.
Dann vielleicht doch lieber Konzentrationslager? Weil, die Insassen sollen sich ja konzentrieren auf das Denken neuer Gedanken. Und dabei soll ihnen geholfen werden. Hört ihr? Wir wollen euch doch nur helfen. Obwohl es sich so anfühlt, als raste ein losgelassener Kampfhund mit gefletschtem Gebiss durch die Gegend, ein Kampfhund, dessen Besitzer freundlich ruft: Der will doch nur spielen.
Women in workhouse
Und deshalb beschäftigt mich die Frage, woran Faschismus zu erkennen ist. Und zwar möglichst frühzeitig. Weil, wenn es zu spät ist, ist es zu spät.